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2.

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Kapitän Alvarez Santillan zwirbelte seinen Bart und wartete geduldig, bis sich die kleine Galeone wieder aufrichtete. Dann tunkte er den Federkiel in die Tinte und schrieb weiter auf den stockfleckigen Seiten des Logbuchs.

… vermute nicht nur ich eine Falle. Mir scheint jeder Teil des Vorhabens sinnlos und verdächtig zu sein. Seit wir vom Tod des Königs hörten, ist die Ordnung der Welt aus den Fugen. Jedenfalls ist es für mich und meine Offiziere eine gespenstische Vorstellung, nach Irland zu segeln. Ausgerechnet nach Irland, Englands Nachbarn.

Die „Nobleza“ mit fünfunddreißig Mann Besatzung war kein großes Schiff. Sie befand sich im letzten Drittel des weit auseinandergezogenen Konvois. Es war eine ziemlich ruhige Nacht mit gleichmäßigem Wind aus dem südlichen Sektor.

Noch haben wir unseren Entschluß nicht gefaßt. Es wird auch nicht einfach werden, den Konvoi zu verlassen, denn alle sind wachsam. Am mißtrauischsten ist jener Capitán Julio de Vilches auf seiner schnellen, gut bewaffneten Schebecke. Wo ist die „Casco de la Cruz“ geblieben? Was halten unsere spanischen Behörden von dem ungewöhnlichen Kurs?

Unser Ziel sollte Gibraltar sein.

Aber die Nacht und der helle Tag sind unserem Vorhaben nicht dienlich. Es dauert sicher noch einige Tage, bis wir alle einig sind und wissen, was zu tun ist. Unser Gewissen muß sauber bleiben, denn es geht letzten Endes um unsere Ladung. Sie ist von unschätzbarem Wert.

Sorgfältig verschloß der Kapitän das Tintengefäß und legte den Federkiel in das Fach des Schreibzeugs zurück. Während er wartete, daß die Tinte eintrocknete, zog er den Korken aus dem Krug und goß unverdünnten, hellbraunen Rum in einen Becher. Er lehnte sich im Stuhl zurück und las das Geschriebene noch einmal. Dann klappte er das Logbuch zu und schob es in das Fach über dem Schreibbrett.

An der Tür ertönte ein dreifaches Pochen.

„Ja?“

„Olinda, Señor. Darf ich eintreten?“

„Bitte sehr, Paolo.“

Der weißhaarige Zweite Offizier trat ein und bückte sich unter dem Decksbalken. Die schmale Kapitänskammer zwang ihn, sich auf den Rand der Koje zu setzen.

Er nahm einen langen Schluck aus dem kleinen Tonkrug und sagte: „An Bord alles ruhig und klar, Don Alvarez.“

„Gut so. Und was verschafft mir die Ehre und das Vergnügen deines nächtlichen Besuchs?“

Paolo Olinda grinste unbehaglich und fuhr über sein struppiges Barthaar. Das kratzende Geräusch erinnerte ihn daran, daß er sich spätestens nach der nächsten Wache rasieren wollte.

„Gemeinsame Sorgen, Don Alvarez.“

„Das kannst du ruhig lauter sagen“, antwortete der Kapitän. „Du denkst auch an eine Falle?“

„Falle oder Absonderlichkeit“, erwiderte der Offizier. „Wir sollten mit der ‚Nobleza‘ ganz einfach dorthin segeln, wohin wir immer gesegelt sind. Punktum. Nach Gibraltar nämlich. Mit gefällt’s einfach nicht.“

„Also“, fing der Kapitän nach einer kleinen Pause an, in der sie ihren Rum über die Lippen und die Zunge rinnen ließen, „wenn ich mich richtig umgehört habe – und meine Ohren sind noch scharf genug – dann ist keiner von uns fünfunddreißig stolzen Spaniern mit dieser Entwicklung zufrieden. Die Mannschaft weiß allerdings nichts von unseren Überlegungen.“

„Sie braucht es auch noch nicht zu erfahren“, murmelte der Zweite Offizier.

„Wenn wir in den nächsten drei Tagen dem Konvoi entwischen können“, sagte der Kapitän, und er hatte dabei die Karte vor seinem inneren Auge, „dann ist wohl Südkurs angesagt.“

„Stimmt. Zur Küste im Norden Afrikas. Und dann hinauf nach Norden nach Gibraltar, den Säulen des Herkules.“

„Also müßten wir uns binnen zwei, drei Tagen entscheiden?“

„Genau das müßten wir tun“, stimmte der Zweite zu. „Zumindest für die nächsten zwei Wachen sollte der Wind unverändert aus Süden stehen.“

„Obwohl, in der Nacht …“ Der Kapitän ließ den Satz unbeendet.

„Nicht heute. Auf keinen Fall.“

Der Kapitän dachte schweigend nach. Die kleine Mannschaft, von der das Schiff für die lange Überfahrt sachkundig vorbereitet, überholt und ausgerüstet worden war, würde mit einer befehlsartigen Entscheidung nicht ohne weiteres einverstanden sein. Auf einem kleineren Schiff wie der „Nobleza“ brauchte der Kapitän jeden Mann und jede Hand.

Es war sinnlos und gefährdete das Schiff, wenn Befehle womöglich mit Waffengewalt erzwungen werden mußten. Die Zeiten waren mehr als unsicher, und wenn die Ladung der „Nobleza“ und deren Wert bekannt war, würde man nicht nur diese Galeone hetzen, solange sie sich nicht in einem sicheren spanischen Hafen befand.

„Nein. Ganz bestimmt nicht heute nacht“, erwiderte Don Alvarez Santillan und goß beide Becher wieder voll. „Wir reden noch darüber.“

Keiner glaubte so recht daran, daß König Philipp der Dritte den seltsamen Befehl gegeben hatte, Irland anzusteuern, auch nicht, daß das alles geheimgehalten werden sollte. Die merkwürdigen Schiffe, die den Konvoi begleiteten, riefen in den Offizieren und bei den Kapitänen ebenso ein deutliches Gefühl der Unruhe und des Unglaubens hervor.

„Ja. Wir müssen noch darüber sprechen“, wiederholte der Zweite Offizier und stierte in den Becher.

Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein.

Die „Respeto“, die ihre Position abermals geändert hatte, zog nicht mehr die Schleppe grauen Rauches hinter sich her. Der Konvoi segelte weiterhin auf Nordkurs und war weit auseinandergezogen. Zwischen den grauen, tiefhängenden Wolken blitzte immer wieder die Sonne durch oder brannte mit breiten, schrägen Balken auf das Meer hinunter.

Die Schebecke der Seewölfe segelte in Luv des Konvois. Noch immer hielten sie gut den Kurs nach Norden. Die ersten, sorgenvollen Blicke zeigten dem Seewolf die einzelnen Schiffe des Konvois und glücklicherweise keinen Fremden, der in ihrer Nähe nichts zu suchen gehabt hätte.

„Obwohl ich ein wahres Bild des Friedens und der Ruhe sehe“, bemerkte Kapitän Philip Hasard Killigrew schließlich zu Don Juan de Alcazar, „werde ich den Eindruck nicht los, daß schwarzes Unheil in den Rümpfen der Galeonen ebenso nistet wie in den Hirnen ihrer Kapitäne.“

Don Juan gestattete sich ein überaus herzliches Grinsen, nickte mehrmals und bekräftigte den Eindruck, den der Seewolf hatte.

„Ich weiß nicht, aus welchen Anzeichen du dies erkennst, aber ich bin deiner Meinung. Wir haben wohl ein wenig zu dick aufgetragen, nicht wahr, Señor Capitán?“

„Wir waren jedenfalls nicht schüchtern“, meinte Hasard.

Die Seewölfecrew befand sich bis auf den Kutscher und Mac Pellew an Deck. Jetzt, im Oktober, und weit von der heißen Sonne und dem warmen Wasser der Karibik entfernt, trugen die meisten ihre Segeltuchjacken und die Stiefel.

„Im Verlauf unseres löblichen Vorhabens“, Don Juan grinste anzüglich, „werden wir auch weiterhin nicht zurückhaltend sein dürfen.“

Sie beide kannten das Risiko.

Außer ihnen dachten natürlich auch die Seewölfe über den großen Raid und die Schatzgaleonen nach. Die Distanz, die günstigstenfalls vor dem Konvoi lag, war riesengroß. Auf dem langen Weg konnte alles mögliche passieren – und vieles würde geschehen, das sie sich jetzt noch nicht vorstellen konnten.

Don Juan hob die Schultern und meinte nach einer Weile: „Im Augenblick sind es wahrscheinlich die Schiffe, die dich beschäftigen. Du traust den Spaniern nicht, den Kapitänen, meine ich.“

„Eigentlich traue ich niemandem“, erwiderte der Seewolf in sachlichem Tonfall. „Ich rechne damit, daß wenigstens der eine oder andere Kapitän den Befehlen nicht glaubt, die ein gewisser Capitán Julio de Vilches ausgegeben hat.“

„Damit sollten wir rechnen“, erklärte der Spanier ruhig. „Aber bis jetzt segeln noch alle Galeonen den befohlenen Kurs.“

„Noch. Aber wie lange noch?“ Hasard lachte sarkastisch. Falsche Selbstsicherheit war nicht sein Fall.

„Diese Frage kann keiner beantworten“, erwiderte Don Juan. „Fast unaufhaltsam scheinen wir uns den grünen Hügeln Irlands zu nähern.“

Hasard führte eine seltsame Geste aus. „Unaufhaltsam. Ha!“

Aber Don Juan hatte recht. Der Schiffsverband war vollzählig und lief auf Nordkurs. Der Schwelbrand war gelöscht, und niemand gab Signale, die Gefahren oder Ärger andeuteten. Der Seewolf rechnete wirklich mit Zwischenfällen aller Art, aber er war eisern entschlossen, den Konvoi über Irland nach England zu bringen.

„Abwarten“, schlug Don Juan vor.

„Etwas anderes scheidet gegenwärtig ohnehin aus.“ Damit schloß Hasard das Thema für diese erste Hälfte des Tages ab. Er wandte sich an den Rudergänger und sagte: „Kurs halten, so lange wie möglich.“

„Aye, aye, Sir.“

Seitlich des Schiffsverbandes, der mehr oder weniger in Kiellinie, aber mit großen Abständen zwischen den einzelnen Galeonen segelte, arbeiteten sich die Schebecke, die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ durch die Wellen des Atlantiks.

In rund zwei Seemeilen Entfernung hob die „Fortuna“ ihren Bug und senkte ihn wieder in die aufspritzenden Wellen. Die fleckigen Segel waren straff gefüllt. Alle Schiffe waren mit guter Fahrt unterwegs. Zwei Meilen hinter der „Fortuna“ erkannten die drei bärtigen Männer, die in schweigende Gedanken versunken waren, den Rumpf der „Honestidad“. An Steuerbord dieser Galeone segelte die Schebecke. Der Himmel über dem Atlantik war von dünnem, hochliegendem Nebel bedeckt, zwischen dem sich dunkle Wolken abzeichneten. Sie trieben in unaufhörlicher Folge von Westen nach Osten.

Der Wind, der die Galeonen vorwärtstrieb, wehte dicht über dem Ozean aus Süden. Mühelos hielten die Schatzgaleonen den Nordkurs. Auch in den zurückliegenden Stunden hatte es keine Zwischenfälle gegeben.

Gil Garcilasco, der Erste Offizier, hustete, spuckte nach Lee und umklammerte den Handlauf der Heckgalerie. Hinter ihm knirschte die Tür der Kapitänskammer in ihren Angeln.

„Mit Verlaub, Kapitän, aber ich bin nicht dafür, in dieses gottverlassene Land zu segeln. Irland! Dort sind schon die Schiffe der Armada gestrandet, und man hat unsere Leute mit stumpfen Äxten erschlagen. Ich sage, daß wir nach Spanien segeln sollten Basta! Punktum!“

Er war aufgeregt, normalerweise sprach er wenig. Solche langen Sätze sagte er nur selten. Heute war ein solcher Tag.

„Gut. Ich habe verstanden. Ich bin dergleichen Meinung“, erklärte Kapitän Santillan mürrisch. „Dieser Julio de Vilches hat mich nicht überzeugt. Aber unsere Meinung kann auch falsch sein. Schließlich geht es um viel Gold, Silber, seltene Steine und nicht zuletzt um unsere brave ‚Nobleza‘, nicht wahr?“

„Und um unser Leben, denke ich“, unterstützte ihn Paolo Olinda, der Zweite. „Madre de dio. Welch ein Durcheinander!“

Mit ihrer kleinen, alten Galeone waren sie alle verwachsen. Fünfunddreißig Männer, von denen ein jeder die lange Fahrt zwischen den beiden Kontinenten schon oft überlebt hatte.

Der Kapitän wischte sein strähniges, graues Haar aus der Stirn und spürte den salzigen Geschmack der Wassertröpfchen auf seinen Lippen.

„Wir drei sind also einer Meinung?“ fragte er und legte bedeutungsvolle Schwere in seine Worte. „Unwiderruflich?“

„Nach Spanien“, bestätigte der Erste. „Nicht wahr, Paolo?“

„Jawohl. In einen spanischen Hafen, den wir kennen.“

Sie waren sicher, daß die Nachricht vom Tod des Königs zutraf. Daß dieser Herrscher wie viele andere das Land hatte verkommen lassen und im Grund ein König der Armut war, störte sie nicht in jenem Maß, daß sie ihm und dem Land untreu werden würden. Sie liebten ihre Heimat, und das Gold war wichtig für Spanien.

„Ich trage unseren Entschluß ins Logbuch ein“, sagte Kapitän Santillan. „Ihr wißt, daß wir wegen Befehlsverweigerung angeklagt werden können?“

„Weiß ich“, knurrte Gil.

„Kein Richter, der nüchtern und gottgläubig ist, wird uns deswegen verurteilen, weil wir nach Spanien, statt nach Irland gesegelt sind“, fügte Paolo Olinda hinzu.

„Ich fürchte keinen Richter“, murmelte der Kapitän.

Unter ihnen gurgelte und schäumte die Heckwelle der Galeone. Aus dem Wasser sprudelten Blasen an die Oberfläche und zerplatzten im Schaum der dunkelgrünen Wellen. Eine lange Strecke hinter dem bauchigen Heck der Galeone zeichneten sich die auseinanderstrebenden Schaumstreifen, dazwischen das ruhigere Wasser, deutlich ab.

Der Kapitän und die beiden Offiziere waren einer Meinung. Es galt jetzt, knapp drei Dutzend Seeleute von der Richtigkeit dieses Entschlusses zu überzeugen.

„Wen hast du als Rudergänger für die nächsten Wachen eingeteilt?“ fragte Santillan und knöpfte sein Wams zu.

„Coleto, Fuero, Javier und Salas“, erwiderte der Erste. „In dieser Reihenfolge.“

„Hm. Scheinen zuverlässige Burschen zu sein. Wer steht jetzt am Ruder?“

„Salas. Er wird von Coleto beim übernächsten Glasen abgelöst.“

Santillan legte Garcilasco in einer freundschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter.

„Sind die Kerle verschwiegen?“ fragte er, anscheinend in düstere Melancholie versunken.

„Weißt du selbst, Capitán. Vor dem Mast, wenn die Seeleute nicht schlafen, wird viel geredet. Aber ich kann mir nicht denken, daß unsere Spanier davon begeistert sind, in einem irischen Hafen darauf zu warten, daß neue Befehle eintreffen. Aber ich lege für wenige Männer die Hand ins Feuer.“

Nachdenklich nickte Alvarez Santillan. Die Enden seines ergrauten Schnurrbartes hingen traurig abwärts. Zwischen den Zähnen murmelte er einen Fluch.

„Wenn ich befehle, gehorchen sie“, meinte er schließlich. „Aber keiner kann Ärger an Bord gebrauchen. Wie bringen wir es fertig, sie zu überzeugen?“

„Dreißig Männer und ein paar mehr – das sind dreißig verschiedene Meinungen“, erwiderte der Erste.

„Unsinn. Es gibt nur zwei Möglichkeiten.“

„Du sagst es, Paolo“, stimmte der Erste Offizier zu. „Entweder Spanien oder Irland.“

„Entweder das oder jenes“, sagte der Kapitän und wußte spätestens ab jetzt, daß ein geplantes heimliches Verschwinden seine Schwierigkeiten hatte. Wenn sie bei Nacht aus dem Verband ausscherten, würde man sie jagen und zurückzubringen versuchen.

Halb trotzig, halb selbstbewußt sagte er: „Bei der ersten besten Gelegenheit legen wir einen neuen Kurs an. Wir segeln nach Gibraltar.“

„Einverstanden“, erklärte Gil Garcilasco.

„Ich stimme ebenfalls zu“, sagte Paolo Olinda, „und schlage vor, wir sprechen mit demjenigen Rudergänger, der in der richtigen Stunde am Ruder steht.“

„Wer auch immer es dann ist.“

„Wir warten auf den günstigen Augenblick, Señores“, ordnete der Kapitän an. „Wenn ich schlafe, weckt mich einer von euch. Alles klar?“

„Jawohl, Señor Capitán.“

Die drei blickten sich schweigend und keineswegs glücklich an. In ihren Gesichtern standen Zweifel und Unsicherheit. Aber in einem Punkt waren sie absolut sicher: ihr Ziel lag vielleicht nicht unbedingt in Gibraltar, aber auf keinen Fall an den felsigen und wenig gastlichen Küsten der irischen Insel.

Lobo Gomez, ein mittelgroßer Spanier mit breiten Schultern und einem schmalen, bartlosen Gesicht, galt an Bord der „Nobleza“ als der schweigsamste und harmloseste Kerl. Er redete nur dann etwas mehr, wenn es genügend guten Rum gab, und auch dann nur in der Gegenwart einiger weniger Kameraden.

Lobo mit der olivfarbenen Haut des Landbewohners hatte ein Ziel. Eigentlich waren es einige unterschiedliche Überlegungen, die aber alle einen gemeinsamen Endpunkt hatten.

Gomez wollte die Windmühle in der Mancha kaufen.

Seit sieben Jahren dachte er an nichts anderes. Seinen Sold und jede Münze, die er in die Finger kriegte, sparte er und wechselte sie um. Er gönnte sich nichts, was er nicht wirklich brauchte. Eine seiner größten Sorgen war, daß die „Nobleza“ – er segelte seit vier Jahren unter Capitán Santillan und kannte ihn so gut wie nur wenige andere Seeleute – gekapert wurde oder absoff.

„He, Lobo, wir haben Hunger!“ schrie Cayo, der Profos, von der Kuhl aus. „Wie sieht es aus mit frischem Brot und Braten?“

„Schlecht sieht es aus, Profos“, entgegnete Lobo und lachte. „Brot ist von gestern, und das winzige Bratenstück ist kalt. Aber es gibt wenige Maden im Fleisch.“

„Wer hört das nicht gern? Wann?“

„Gute halbe Stunde, Profos.“

„Ich sag’s den anderen, Lobo.“

Gomez war beliebt, denn er hielt in der Proviantlast und in seiner Kombüse gute Ordnung und ungewohnte Sauberkeit. Sein Tee, die Suppen und der Brei waren stets gut gewürzt und immer heiß. Er war, verglichen mit vielen anderen, ein guter Koch. Seit zwei langen Überfahrten besorgte er das leibliche Wohl der „Nobleza“-Crew. Aber nicht einmal beim Kochen und Kesselputzen trennte er sich von seinem breiten, gut eingeölten Ledergürtel mit der massigen, abgewetzten Gürtelschnalle.

„Ist gut. Ich putze nur noch die Becher aus.“

Er winkte durch die Öffnung des Niederganges aufs Deck hinauf. Seit er vom Schwelbrand gehört und den Rauch gesehen hatte, kontrollierte er Glut, Flammen und Asche besonders gründlich. Lobo Gomez wusch sorgfältig die Becher, spülte sie in Süßwasser und stülpte sie über die hölzernen Nägel, damit sie schneller trockneten. Der Tee war fertig. Er kippte ein genau bemessenes Maß braunen Zucker in den summenden Kessel und rührte mit dem Holzlöffel um.

In den einzelnen Fächern des Gürtels, innen und in weichem Leder genäht, steckten funkelnde Goldstücke, eines neben dem anderen, das Ersparte von vielen Jahren. Was Gomez für sein eigenes Leben brauchte, hatte er mit Kupfer oder Silbergeld bezahlen können.

Stets dann, wenn er versucht war, sich etwas zu gönnen, dachte er an den weißgekalkten Turm mit den ausgeblichenen Segeln, die sich um eine knarrende Mittelachse drehten – und wie im Inneren des Bauwerks auf dem Mancha-Hügel das Korn gemahlen wurde. In den Nächten würde er durch die Luken, durch die Fenster natürlich, die Sterne sehen. Er hoffte, daß Ysabel noch nicht verheiratet war, denn vor Jahren hatten sie sich versprochen, zusammenzubleiben.

Für das Gold, von dem er sich selbst im Schlaf nicht trennen konnte, würde er dem alten Miguel die Mühle abkaufen. Da gab es schon einen Vertrag. Nach dieser Überfahrt würde er, Gomez, abmustern und in die Mancha zurückkehren. Daß der Konvoi der Schatzgaleonen nach Irland befohlen worden war, stimmte ihn unglücklich, aber auch diese Verzögerung würde er durchstehen wie so vieles andere in seinem Leben. In der Karibik hatte er, mit wenig Geld, eine gute und gesunde Zeit genossen.

Seine Gedanken, die immer mehr zu farbigen Träumen wurden, je weiter sich die Schatzgaleonen von den Küsten der Karibik entfernten, wurden wieder einmal unterbrochen.

„Gomez! Backen und Banken!“

Das war die Stimme des Kapitäns. Gomez schüttelte den Kopf, brüllte seine Antwort und klapperte mit Kesseln und Bechern. Ein Mann der Crew nach dem anderen enterte den Niedergang ab und empfing seinen Becher, den Löffel und die Muck. Gomez teilte jedem Seemann die Portion zu. Die Offiziere und der Kapitän erhielten größere Portionen, dazu einen Krug voll Wein und saubere Tücher für die Hände.

„Riecht wieder mal gut, Lobo.“

„Schmeckt auch gut, Salas“, erwiderte der Koch grinsend. „Oder nicht?“

Kapitän Santillan wußte, daß die Stimmung seiner Kerle unter anderem auch vom guten Essen abhing. Innerhalb vernünftiger Grenzen hatte er Gomez stets freie Hand gelassen. Auch Santillan schätzte keine Würmer im Salzfleisch oder im Schiffszwieback. Als letzter setzte sich der kleine Koch selbst auf eine Mehlkiste und aß in guter Ruhe.

Wieder war ein Tag vergangen.

Abermals war er vierundzwanzig Stunden seiner Mühle und dem Leben an Land nähergelangt. Er war zufrieden, aber in einem Winkel seiner Gedanken kauerte bösartig die schwarze Spinne seiner Furcht.

Wie endete diese Überfahrt?

Niemand konnte es sagen. Das Schicksal blieb unergründlich. Die „Nobleza“ stampfte und gierte mit achterlichem Wind weiter nach Norden, und was der nächste Tag brachte, wußten nicht einmal die Kapitäne.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 638

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