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Floristik und allerlei Blühendes

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Die Arbeits- und Personalvermittlung ist im Grunde eine Maklertätigkeit. Nur dass anstelle von Immobilien oder Finanzdienstleistungen, Arbeitsstellen und Jobs vermittelt werden. Noch ein Unterschied zum Immobilienmakler besteht darin, dass sich der Arbeitssuchende das Objekt der Begierde nicht vorher anschauen kann, sondern erst durch die tägliche Arbeit erfährt, ob die Arbeitsaufnahme die richtige Entscheidung war. Das Gleiche gilt für den Arbeitgeber, der erst nach einer gewissen Zeit des Vertragsabschlusses aus der praktischen Tätigkeit heraus erkennt, ob der neue Mitarbeiter für seine Firma der Richtige ist.

Aber auch wenn die Personalvermittlung eindeutig eine Maklertätigkeit ist, woran es nichts zu diskutieren gibt, ist sie in der Praxis doch mehr mit dem Gartenbau und der Floristik im weitesten Sinne vergleichbar. Es ergeben sich zumindest gewisse Parallelen.

Pflanzen, die viel Licht und Sonne benötigen, gedeihen nicht an schattigen Plätzen. Ist die Bodenbeschaffenheit für die Pflanze ungeeignet, kümmert diese vor sich hin. Ein Gärtner hat viele solche Faktoren zu berücksichtigen, damit seine Gewächse blühen, gedeihen und sich entwickeln können.

Ähnliches trifft auf die Tätigkeit des Personalvermittlers zu. Es gehört zu seinen Aufgaben, Bewerbungen zu sichten, zu prüfen und zu bewerten und sie mit den Stellenprofilen abzugleichen. Wenn schließlich der Deckel zum Topf passt, dann passt auch der Interessent zum Arbeitgeber. Das heißt im Vergleich zum Gartenbau: Kommt der Bewerber an die falsche Position, so verkümmert er dort mit ziemlicher Sicherheit. Sitzt er jedoch auf dem richtigen Posten, hat er die besten Chancen, diesen zu sichern und sich weiterzuentwickeln!


Heute traf ein ganzer Schwung neuer Stellengesuche ein. Schnell waren die Bewerbungen, die als Alibi gegenüber der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter dienen, von den offensichtlich ernst gemeinten Zuschriften getrennt.

Eine übel riechende, schmuddelige Bewerbungsinformation übergab ich sofort der „Kompostierung“. Denn die plötzlich auftretende achtziger Körnung auf meinen Armen ließ mich auf die mühevolle Kenntnisnahme des weiteren Inhalts verzichten.

„Ich habe noch gelernt, dass das Erscheinungsbild einer Bewerbung als Visitenkarte des Interessenten gilt. Ich möchte nicht wissen und mir vorstellen, wie derjenige persönlich auftritt, der diesen Mikrokosmos erschuf!“

Ich schaute zu meiner Frau, sie blickte fragend zurück. Zwischen Zeigefinger und Daumen haltend streckte ich die nämliche Akte mit gekräuselter Nase ihr entgegen. Die tiefen Falten, die prompt auf ihrer Stirn erschienen, dazu ihre plötzlich blassgraue Gesichtsfarbe ließen ihr Gesicht auf einen Schlag um Jahrzehnte altern. Gleich einer virtuellen Animation über Alterungsprozesse. Eine Computersimulation hätte diese 3-D-Präsentation nicht toppen können.

„Eindeutig Kompost! Sofort in den Müll! Ich hoffe nur, wir haben keinen weiteren Sondermüll!“

Da ist sie also wieder, die Parallele zum Gartenbau, bei dem die Kompostierung als ein Prozess definiert wird, bei dem organisches Material unter Einfluss von Luft, Bakterien und anderen Mikroorganismen abgebaut wird. Zugegeben, eine gewöhnliche Bewerbung ist bestimmt nicht als organisch zu bezeichnen. Aber diese spezielle arbeitete bereits an ihrer selbständigen Auferstehung und Lebensform, die vermutlich in Kürze zu erwarten gewesen wären!

Ich bin froh, dass sich solche biologischen Anschläge weitestgehend in Grenzen halten. Es wäre unschön und zeitvergeudend, die Büroräume ständig dekontaminieren zu müssen.

Mein Griff zum Brieföffner war das untrügliche Zeichen, dass ich bereits zum nächsten Arbeitsschritt wechselte. Das Erlebte gehörte zu diesem Zeitpunkt der Vergangenheit an und war damit quasi vergessen.

„Oh, wie schön ist das denn! Ist das Klasse“, schallte es mir entgegen. Kein erschreckter Blick oder wenigstens ein Erstaunen war im Gesicht meiner Kollegin erkennbar, sondern ein herzhaftes Lachen begleitete ihren Ausbruch. Jetzt war ich an der Reihe, erstaunt aus der Wäsche zu schauen.

„Oh, du scheinst freundlichere Post erhalten zu haben“, wobei sich mir zugleich alle möglichen Fragen auf einen Schlag stellten.

„Häh?“

Weiter kam ich nicht. Meine Frau stand bereits von ihrem Arbeitsplatz auf und reichte mir ein offensichtlich als Erklärung dienendes Schreiben über den Tisch.

Ähnlich wie Orchideen, deren Vielfalt Wissenschaftler mit etwa dreißigtausend bekannten Arten angeben, ist die Stilblüte in einem Bewerbungsschreiben ebenso verbreitet wie in jedem anderen Text. Weniger bekannt ist sie unter dem lateinischen Begriff: tuae litterae, quae mihi quiddam animulae stillarunt – dein Brief, der meine Lebensgeister etwas aufgefrischt hat. Bei ihr hat sich ein lateinischer Begriff, wie in der Botanik üblich, nicht durchgesetzt, und diese Bezeichnung habe ich ja auch nur per Zufall im Internet gefunden, sie passte halt so schön an dieser Stelle.

Im Gegensatz zu den Orchideen, die sowohl als erdgebundene Pflanzen als auch als Aufsitzerpflanzen, sogenannten Epiphyten, bekannt sind, ist die Stilblüte mehr zufällig und in der Regel vereinzelt in Textpassagen verankert, aber gleich der Orchidee hier als ganzer Satz aufgesetzt zu finden.

Floristen sind Menschen, die in unserer Gesellschaft offensichtlich eine besondere Stellung einnehmen, so ist es jedenfalls dem Schreiben zu entnehmen, das mir meine Frau überreichte.

Die Besonderheit von Floristen erklärte die Verfasserin der Bewerbung gleich zu Beginn selbst.

Ich habe zwar Floristin gelernt, jedoch bin ich ein aufgeschlossener, lernfähiger Mensch.

„Schöne Sache, trotz Floristikabschluss versuchte sie, sich aus den Klauen des Floristen-Verhaltenskodex zu lösen.“ Lachend reichte ich das Schreiben wieder zurück. „Immerhin hat sie eins erreicht. Sie hat unsere Aufmerksamkeit gewonnen! Das allein ist doch schon Grund genug, sie zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Meinst du nicht?“

„Habe ich bereits erledigt“, antwortete leicht grinsend meine mir gegenübersitzende Kollegin.

Ob sie noch was sagen wollte, entging mir, denn nun hatte ich mich von einem anderen Brief ablenken lassen. „Es steht eins zu eins, ich habe auch was“, warf ich ein und wedelte vor ihrer Nase mit einem Stück Papier.

„Lies vor!“

„Gut, hör zu!“

Ich nahm den Bogen und zitierte die Stelle, die mich eben in ihren Bann gezogen und erheitert hatte.

Zuletzt arbeitete ich als Bauklempner, danach war ich als Maschinenschlosser beschäftigt.

Demzufolge gibt es nach dem Ende noch ein Danach. Zumindest beim beruflichen Werdegang. Setze ich diese Überlegung fort, komme ich zum Schluss, dass es womöglich auch ein Davor vor dem Anfang gibt. Eine Reinkarnation innerhalb eines Curriculum Vitae, ohne unnötige Zeit durch die Wiedergeburt zu vergeuden! In welch rastloser Zeit wir doch leben? Ein Gedanke, der schon beängstigend wirken kann.

„Auch nicht schlecht. Hatten wir nicht letzte Woche ein ähnlich schönes Anschreiben in der Post?“ Womit ich ein Schreiben hervorzog, zu dem ich den Verfasser schon seit Tagen zu erreichen versuchte.

Ich bin arbeitslos und als Fertigungshelfer derzeit in Vollzeit beschäftigt. Diese Situation möchte ich gerne ändern und mich auf die ausgeschriebene Stelle bewerben.

Arbeitslos und dennoch vollbeschäftigt? Neudeutsch ein Multitasking-Talent ohne Erfolgsaussichten, ein Fall für die Ablage in der KDV, Abteilung: Nicht erreichbar. Jedoch erfuhr die Niederschrift als weiteres Exponat in unserer Stilblütensammlung eine ganz neue Bestimmung.

Gleich über:

… einer sofortigen Arbeitsaufnahme steht nichts entgegen. Bin jedoch auf absehbare Zeit nicht erreichbar …

heftete ich die heutigen Exemplare zu unserer „botanischen“ Sammlung hinzu.

In diese Tätigkeit vertieft, schweifte ich von meiner aktuellen Aufgabenstellung ab und ließ mich ohne Widerstand in den Bann der „Blütenvielfalt“ ziehen.

„Kaum zu glauben, da hat sich doch manch schöne Kuriosität angesammelt“, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart.

Langsam die Seiten über den Daumen laufen lassend blätterte ich mich durch, verweilte hier oder dort auf der einen oder anderen Seite und überlegte, aus welcher Begebenheit heraus manche Aussage wohl resultierte.

Beim Durchstöbern stieß ich auf ein Schriftstück, was ich bereits völlig vergessen hatte, welches aber nun wieder meine Aufmerksamkeit erregte. Ein Schreiben, was durchaus Potential zur Erwähnung in einem Buch hat. Es war mir egal, was jetzt um mich passierte, ich ertappte mich beim Lesen des Briefes.

Bezüglich Ihrer aktuellen und zukünftigen Stellenangebote, möchte ich mich vorstellen und bei Ihnen bewerben!

Aus meinen Unterlagen können Sie entnehmen, dass ich versucht habe, in diesem Land voller Freude und Aufbauerfolge einen Job zu bekommen. Mich zu qualifizieren, selbstständig zu machen usw. usf. liefen zwischenzeitlich nebenbei!

Leider scheinen bei mir die positiven Auswirkungen dieser großen Erfolge in diesem wunderschönen Land voller Licht und Schaffensfreude, abgesehen von den bürokratischen Schatten und schwarzen Löchern, auszubleiben bzw. sehe ich oder finde sie nicht!

Dass ich trotzdem noch kein Alkoholproblem habe, mag daran liegen, dass ich als Realist die mir dargebotenen Potjomkinschen Dörfer der bürokratischen Maschinerie Arbeitsagentur und Jobcenter richtig zuzuordnen weiß. Auch sonst bin ich leider nicht unbedingt dem langzeitarbeitslosen Durchschnittsmenschen zuzuordnen – aber mal sehen!

Der folgende Absatz bestand in der Originalfassung aus einem einzigen Satz, den ich aus Verständnisgründen erheblich gekürzt beziehungsweise auf mehrere Sätze verteilt habe, ohne jedoch den Ursprungscharakter zu verlieren. Etwas „Endlossatz“ habe ich jedoch beibehalten.

Mit vierzig ist man teilweise ja schon altes Eisen. Da ich auch immer noch einen – der Gemeinschaft irgendwie nützlichen – Beitrag meiner freudlosen Existenz geben möchte, indem ich mich bemühe, die – nun fast schon Altersarmut zu nennende – magere staatliche Zwangsverrentung, hier ALG II genannt, nicht durch eine adäquate Kriminalität aufzubessern, wodurch mir zudem die Beantragung eines einwandfreien polizeilichen Führungszeugnisses vereitelt würde, ist mein Wunsch, das Bestmöglichste aus meiner mir aufgezwungenen Freiheit zu machen, ohne dieser Gesellschaft und dem einzelnen Individuum der selbigen zu sehr zur Last zu fallen, gewachsen. Meine Frustration versuche ich, in der Hoffnung auf einen Lichtblick, durch Bewegung und Verbalisierung im Zaum zu halten!

Zu Ihrer Information beschäftige ich mich seit mehreren Jahren mit Psychoanalyse, Sozialpsychoanalyse und Tiefenpsychologie (S. Freud; E. Fromm; C. G. Jung und andere Fachleute) und möchte eigentlich eine entsprechende Fortbildung in diesem Bereich machen!

Schwerpunktmäßig interessieren mich Medien (TV), destruktive Kulte, Sekten und Suchtverhalten sowie psychosoziale Deformationen in gesellschaftlichen Gruppen, der Gemeinschaft an sich!

Wie Sie aus meinem Lebenslauf ersehen können, bin ich seit Jahren auf der Suche nach einem mich fordernden und befriedigenden und auch nähren könnenden Job, von Wohnung und Kleidung einmal abgesehen. Darum beschäftigte und beschäftige ich mich mit einer Vielzahl von Professionen, welche mir und meinem Ausbildungsprofil naheliegen!

Dazu gehören Steuern, Versicherungen, wirtschaftliche Fragestellungen allgemein, wie Umschuldungen, Schuldner-, Wirtschafts-, Unternehmensberatungen kleine und kleinste Unternehmen betreffend einschließlich private Personen/Familien sowie psychologische und psychoanalytische Fragestellungen auf unterschiedlichsten Ebenen menschlicher Existenz, einschließlich der Historie!

Ich versuchte mich, soweit es denn irgend ging, in den mir nahegebrachten – meiner Biografie und damit verbundenen unterschiedlichen professionellen – Ausbildungen auf dem Laufenden zu halten, welches natürlich nicht nur eine Zeitfrage, sondern auch eine monetäre war und ist!

Inwieweit mir dieses gelungen ist, mag jemand beurteilen, der mich beschäftigen möchte!

Angemerkt sei, dass ich ein sehr selbstbewusster individualistischer Mann mit einem ausgeprägten Wertegefühl und Weltbild bin!

Bei einem eventuell zu vereinbarenden Vorstellungsgespräch bitte ich, eine frühzeitige Information in Betracht zu ziehen!

Unser damaliger Arbeitgeberkunde vermochte es dann doch nicht, den gesamten Ausrufezeichen des Verfassers zu folgen. Ob dieser Langzeitarbeitslose schließlich eine seinen Vorstellungen, Begabungen und besonderen Qualifikationen entsprechende Tätigkeit jemals gefunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Hinter Blühendem kann auch viel Fantasievolles stecken. Die folgenden Zeilen erweckten auf jeden Fall unsere Aufmerksamkeit und irgendwie hinterließen sie den Eindruck, dass der Verfasser mit seinem Vergleich genau dies auch erreichen wollte. Einfach nur nett.

Hallo,

ich bin kein moderner Sportwagen, sondern mehr ein VW-Käfer, das heißt:

Ich bin nicht mehr ganz jung, aber ich habe noch einige gute Jahre vor mir. Wenn andere aufgeben, fahre ich immer noch, also sehr zuverlässig.

Ich verstehe mich mit anderen Autos auf der Straße, bin also teamfähig und kommunikativ.

Ich fahre bei jedem Wetter, bin damit flexibel einsetzbar und bleibe dabei bezahlbar.

Sollten Sie Verwendung für mich haben, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie einem Gebrauchtwagen eine Chance bieten.

Mit freundlichen Grüßen …

Fantasien, Wünsche, irreale Überlegungen sind der Nährboden für eine Spezies, die wir das „lila karierte Maiglöckchen“ nennen, und die das Ergebnis eines meist weltfremden Wunschdenkens ist.

Sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Bewerbern tritt es in gleich häufiger Weise auf. Inzwischen zählt es sicherlich zu den Unkräutern, die derzeit oft zu finden sind.

So eine Stellenanzeige, die mein Interesse erweckte. Dort suchte ein Versandhandelsunternehmen Lagerhelfer. Dafür wünschte sich die Firma Arbeitskräfte mit einem Fach- oder Hochschulabschluss für diese Tätigkeit. Als Mindestvoraussetzung forderte sie jedenfalls das Abitur oder die Fachhochschulreife bei einem nicht weiter erwähnenswert niedrigen Gehalt.

Dies gleicht etwa dem Begehr nach einer zwanzigjährigen Person mit fünfundzwanzigjähriger Berufserfahrung, um das „Maiglöckchen“ auch noch zu tüpfeln.

Doch auch die Stellensuchenden entwickeln hin und wieder skurrile Vorstellungen.

Eine Bewerberin ohne Schulabschluss, mit mehreren abgebrochenen Berufsausbildungen, bewarb sich als Verkaufshelferin für einen Supermarkt, mit dem Anspruch, kurzfristig eine Führungsposition einnehmen und ein Jahresgehalt von fünfundvierzigtausend Euro von Anfang an verdienen zu wollen. Sie lehnte außerdem Spät- und Samstagsdienste rigoros ab. Ihr Begehren schloss damit, dass sie sich nur zu einem Vorstellungsgespräch bereit erkläre, wenn einerseits die vorgenannten Bedingungen eingehalten und andererseits eine Festeinstellung vorab zugesagt würde.

Es gibt nur eine Unterart des „lila karierten Maiglöckchens“, welche eine gewisse Aussicht auf Erfolg verspricht. Nämlich die, die mit Kompromissbereitschaft und gesundem Realismus manipuliert wurde. – So manchem Zeitgenossen stünde das ganz gut!

Das „Pling“ eines runterfahrenden Computers holte mich abrupt aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart.

„Ich bin dann los! Denk dran, dass du die Blumen noch gießt, bevor du das Büro verlässt!“

Mit diesen Worten verabschiedete sich meine Frau, die zu ihren Außendienstbesuchen aufbrach.

„Ja-ja, unsere Arbeit hat schon etwas mit Gartenbau, Floristik und Blühendem Vergleichbares“, sinnierte ich vor mich hin, während ich das Album schloss.

Nun war ich allein auf weiter Flur und beackerte in Ruhe alle noch anliegenden Vorgänge.

Hab Frau, kann arbeiten!

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