Читать книгу Schlomo - Sebastian Rosen - Страница 3
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Stellen Sie sich einmal vor Ihr Leben wäre genauso gelaufen, wie sie es sich gewünscht hätten. Damit meine ich nicht eine gesamtweltliche Gesellschaftsumgestaltung der utopischen Art, sondern eine realitätsnahe Alltagsvorstellung Ihres eigenen Mikrokosmos zum Guten hin verwunschändert. Dabei spielt es keine Rolle wo auf diesem Planeten das Schicksal Sie in die Welt hinaus gespien hätte, auf welchem Kontinent Sie gezeugt und geboren wären. Ihre Eltern hätten mit ihrem beruflichen Erfolg und den Genen für blendendes Aussehen und überdurchschnittliche Intelligenz das Fundament für ein Bilderbuchleben gelegt. Als Kind des Westens wären Sie überschüttet worden mit pädagogisch höchstwertvollen Kreativspielzeugen, im fernen Hinterwäldlerland des Ostens hätten Sie schon früh die Aufsicht über Ihre eigene kleine Ziegenherde bekommen und im dunklen Süden möglicherweise bereits vor der eigenen Entjungferung den Oberbefehl über Ihre eigene Kinderarmee erhalten. Kurz darauf hätten Sie den Abschluss an einer Eliteschule gemacht und sich erfolgreich für ein Stipendium an einer Ivy League oder Oxbridge Universität beworben. Oder Sie hätten die ersten Generationen einzigartigen Wildviehs gezüchtet oder das Territorium der Nachbarclans erobert. Sie wären auf dem aufsteigenden Ast. Ganz gleich vor welchem geografischen und kulturellem Hintergrund, Ihr Liebesleben wäre ähnlich angenehm abgelaufen. Entweder hätten Sie die perfekte Frau an der Uni kennen gelernt und mit ihr die perfekte Familie gegründet. Ihr Ehe wäre leidenschaftserfüllt und nie langweilig aufgrund unentdeckt gebliebener Affären – woanders hätten Ihre mit Weitblick erfüllten Eltern eine makellose Erstfrau arrangiert, die beliebig häufig durch freiwillig oder unfreiwillig eingegangene Zweit- und Drittehen ergänzt worden wäre. Mittlerweile bekleiden Sie einen Posten im gehobenen Management, besitzen das Großgrundviehmonopol oder vielleicht haben Sie auch das eigene Stammesgebiet verdoppelt und durften der Region den mittlerweile zweiunddreißigsten Namen verleihen. Mit anderen Worten: Das Leben gab Ihnen Zitronensaft und Sie haben Cocktails daraus gemacht.
Jetzt stellen Sie sich das genaue Gegenteil vor. Wir bleiben in den drei Beispielregionen. Dieses Mal stammen Sie jedoch von Eltern ab, die vermutlich nicht nur mindergradig verwandt sind, was sich wiederum spürbar auf ihre biologischen Prädispositionen auswirkt. Als viertes von sieben Kindern sind Sie mit keinem Ihrer Geschwister zu einhundert Prozent verwandt. Sie sind hässlich wie ein Grottenolm und dazu ungefähr so belichtet wie eine Dunkelkammer bei Stromausfall. Folglich würde keinerlei Erbe, weder genetisches noch tatsächlich materielles Sie und Ihre Zukunft in günstige Bahnen lenken. Als ein Mitglied der nächsten Kapitalismusgeneration würden Sie so eben die Schulpflicht überdauern und den Rest Ihres Lebens dem Staate entweder dankbar oder verhasst gegenüberstehen – je nachdem, wie gut oder schlecht das Sie umgebende Sozialsystem funktioniert. In ärmlicheren Verhältnissen hätten Sie schon vor Ihrem zwanzigsten Lebensjahr für das Überleben der eigenen Blutlinie gesorgt und würden fortan nur noch darum beten, dass die lokal beheimateten Bergziegen keine Geschlechtskrankheiten übertragen oder der besser gestellte Gleichaltrige aus dem Nachbardorf ein friedlicherer Warlord wird, als der, der eine Woche zuvor abgesetzt wurde. Das Leben wollte Ihnen nichts geben und Sie haben als Folge prädispositionierter Erkenntnisarmut dankend abgelehnt.