Читать книгу Besondere Affinitäten - Selina Monjau - Страница 7
Оглавление1. Einleitung
Der Affe, als menschenähnlichstes unter den Tieren, fand seit jeher auf verschiedenste Weise Beachtung in Literatur und Kultur; so wurden ihm beispielsweise in der Antike göttliche, im Mittelalter hingegen sündhafte, gar satanische Eigenschaften zugeschrieben. In der Figur des Affen ist der „Zusammenhang von anthropologischer und ästhetischer Reflexion längst topisch geworden“1, denn er „verkörpert in Gestalt und Verhalten das Paradox einer gleichzeitigen Kontinuität und Diskontinuität zwischen Natur und Kultur“2. Als „mirror image of man“3 funktioniert er traditionell als „both his Other and his brother“4. Spätestens seit Charles Darwin im 19. Jahrhundert beschrieb, wie eng die Verwandtschaft zwischen Mensch und Affe tatsächlich ist, stellten sich daher nicht nur Fragen nach Abgrenzungen zwischen Menschen und Affen beziehungsweise Tieren im Allgemeinen und der Tierhaftigkeit der menschlichen Spezies, sondern auch nach Möglichkeiten speziesübergreifender Sexualität und daraus eventuell resultierenden hybriden Lebensformen. In Kunst und Literatur war speziesübergreifende Sexualität seit Menschengedenken Thema und Abbildungen mythischer und ritueller Akte dieser Art finden sich bereits in eiszeitlichen Relikten.5 Literaturwissenschaftliche Arbeiten setzten sich in der Vergangenheit zwar immer wieder mit dem literarischen Motiv des Affen im Allgemeinen und seiner Symbolik, der Veränderung der ihm anhaftenden Eigenschaften und vor allem als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier im Speziellen auseinander, sexuelle Komponenten wurden dabei jedoch größtenteils umgangen oder nicht detailliert betrachtet. Die vorliegende Arbeit widmet sich eben jenem Thema ausführlich, wobei vor allem, jedoch nicht ausschließlich, Texte betrachtet werden, in denen explizite Darstellungen sexueller Akte zwischen Affen und Menschen beschrieben werden. Es wird untersucht, auf welche Weise sich die Darstellung speziesübergreifender Sexualität zwischen Menschen und Affen in dem Zeitraum verändert hat, der die Zeit kurz vor der Veröffentlichung Charles Darwins Theorien bis zum Ende des 20. Jahrhunderts einschließt, denn Darwins Arbeiten und deren Verbreitung veränderten das Selbstbild des Menschen, seinen Stellenwert in der Natur und auch den Status des Affen auf signifikante Weise, was sich nicht nur in der literarischen Darstellung des Affen an sich, sondern auch in der der sexuellen Begegnungen zwischen den Arten niederschlägt.
Der Untersuchung der literarischen Texte hinsichtlich ihrer Thematisierung der Sexualität zwischen Menschen und Affen geht eine theoretische literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Motiv des Affen im Allgemeinen voraus. Das erste Kapitel widmet sich daher zunächst dem literarischen Affen als Grenzfigur par excellence. Für die historische Betrachtung der literarischen Affen wurden vor allem die Arbeiten von W. C. McDermott, The Ape in Antiquity und H. W. Janson, Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance herangezogen. Im Folgenden wird betrachtet, welchen immensen Einfluss Charles Darwins Arbeiten auf Literatur und Kultur nahmen und wie sie das gesellschaftliche Bild des Affen veränderten. Ein weiteres Unterkapitel beschäftigt sich daraufhin genauer mit Begrifflichkeiten des Fremden, die sich in Folge der Evolutionstheorie für die abendländische, von weißen Männern dominierte Kultur ergaben. Das hierauf folgende Kapitel setzt sich mit Horst-Jürgen Gerigks Text Der Mensch als Affe (1989) und der Kategorisierung auseinander, die er für literarische Affenfiguren vornimmt. Gerigks Kategorien werden dabei nicht nur um jene Texte erweitert, die nach dessen Arbeit publiziert wurden, sondern auch die von ihm gesetzten Grenzen der Kategorien werden mit Blick auf die Verschiebung vom „skandalon einer speziesübergreifenden ‚miscegenation‘ […] zu einem nicht mehr tabuisierten romantischen Motiv“6 gegen Ende des 20. Jahrhunderts weiter gefasst.
Das zweite theoretische Kapitel beschreibt die kulturelle Bedeutung der Sexualität im Allgemeinen und dem Sex zwischen Mensch und Tier (bestiality) im Speziellen. Zum einen soll so aufgezeigt werden, wie sich im Laufe der Zeit die gesellschaftliche Sicht auf die zwischenmenschliche Sexualität veränderte, zum anderen das tief in unserer Kultur verankerte Tabu der speziesübergreifenden Sexualität beleuchtet werden, um zu verdeutlichen, dass in der literarischen Darstellung von Sex zwischen Menschen und Affen gleich mehrere Grenzen radikalst überschritten werden.
Im darauf folgenden praktischen Teil, werden dann insgesamt neun Texte mit impliziten oder expliziten Darstellungen sexueller Begegnungen zwischen Menschen und Affen untersucht. In Anlehnung an Horst-Jürgen Gerigks Kategorisierung, wurden auch die hier untersuchten Texte einer Einteilung unterzogen, die die literarischen sexuellen Begegnungen zwischen Menschen und Affen einem von drei Stimuli zuordnet, die sich während meiner Recherchen zu dieser Arbeit und der Sichtung der Lektüren abzeichneten:
1. Triebhafter und/oder gewaltsam eingeforderter Sex, der ausschließlich der Triebbefriedigung und/oder der Demütigung dient
(Quidquid volueris, The Murders in the Rue Morgue, New Murders in the Rue Morgue)
2. Sex, der (einzig und allein zu) Fortpflanzungszwecken dient
(La planète des singes, God’s Grace, Ark Baby)
3. Sex, dessen Austausch von körperlichen Berührungen auf romantischen Emotionen beruht, von innerer Verbundenheit zeugt und im Interesse aller Beteiligten ist.
(Reflections of a kept Ape, Wish, Kvinden og Aben)
Dass sich die Primärtexte beinahe chronologisch den jeweiligen Kategorien zuordnen lassen, zeugt von einer stetigen Veränderung sowohl des Affenbildes als auch des Status der Sexualität innerhalb der abendländischen Kultur, die die Arbeit in ihrem Verlauf belegen wird. Brüche in der Chronologie stellen Clive Barkers Kurzgeschichte New Murders in the Rue Morgue sowie Liz Jensens Ark Baby und Ian McEwans Reflections of a kept Ape dar. Barkers Text wurde in die erste Kategorie des Affen als vermeintlichen Vergewaltigers eingeordnet, was jedoch der offensichtlichen Referenz auf den Text Poes geschuldet ist. Um beide Texte unmittelbar zu vergleichen, bot sich eine gemeinsame Einordnung in diese Kategorie an. Wie sich zeigen wird, wäre auch die chronologische Zuordnung in Kapitel 4.3 möglich gewesen. Auch die chronologisch korrekte Zuordnung von Ark Baby im Kapitel 4.3 wäre möglich gewesen, da in allen Fällen der Sex, der im Text zur Fortpflanzung führt, nicht allein stattfindet, um Nachkommen zu zeugen, sondern aus sexueller Lust und/oder emotionaler Verbundenheit heraus. Da die Fortpflanzung als Thema jedoch von zentraler Bedeutung ist, während der Akt an sich kaum eine Rolle spielt, erschien es sinnvoll, den Text dieser Kategorie zuzuordnen. Ian McEwans Reflections of a kept Ape wurde hingegen der dritten Kategorie zugeordnet, obgleich er chronologisch dem Kapitel 4.2 zugehörig wäre. Obwohl es durchaus möglich ist, die Affäre als Fortpflanzungsversuch Sally Klees zu interpretieren, was eine chronologische Zuordnung ermöglichen würde, lag die Zuordnung zu Kapitel 4.3 nahe, da im Text ausschließlich die Perspektive des Affen präsentiert wird, gleichwohl dessen Glaubwürdigkeit angezweifelt werden kann. Die Übergänge der Kategorien sind somit offensichtlich fließend und die Zuordnung nicht immer eindeutig möglich.
Wie gezeigt wird, entwickelt sich der Affe, ein dem Menschen in der Literatur zunächst untergeordnetes und als rein triebhaft dargestelltes Tier, im Laufe der Zeit zu einem dem Menschen gleichwertigen, beizeiten sogar (moralisch) überlegenen Wesen, das sich zuletzt lediglich durch die Art der Kommunikation zu unterscheiden scheint. Die vermehrte Darstellung speziesübergreifender Sexualität in der Literatur, deren Intention sich mit der Zeit stark verändert, kann also auch als Zusammenführung und Einswerdung der Arten im übertragenen Sinne betrachtet werden, die ihre Gleichwertigkeit unterstreicht.
Folgende drei Thesen liegen der Arbeit daher zu Grunde:
1. Das Affe-Mensch-Verhältnis wird entscheidend durch die Naturwissenschaften geprägt und manifestiert sich durch sie in der Kultur und damit in der Literatur.
2. Der Wandel des Motivs des speziesübergreifenden Sex vom gewaltsamen Tabuthema hin zur romantischen echten Alternative zwischenmenschlicher Beziehungen ist als Folge der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung sowohl der Sexualität als auch des Affen zu sehen.
3. Artenübergreifender Sex zwischen Affen und Menschen in der Literatur kann aus verschiedenen Intentionen der Akteure heraus entstehen, die den angenommenen Beweggründen realer zwischenmenschlicher Sexualität ähneln.
Im Gegensatz zur Realität, in der zu jeder Zeit alle Intentionen gleichzeitig existierten ohne voneinander isoliert aufzutreten, findet in der Literatur eine Schwerpunktverlagerung statt, die vom einfachen Trieb über die Zeugung aus Vernunftgründen hin zur emotionalen und körperlichen Symbiose zweier Lebewesen führt, die sich der Realität in Bezug auf die Heterogenität der Intentionen annähert.
Im Abschließenden Ausblick und Fazit wird mit dem aus dem gewählten Zeitrahmen fallenden Roman The Evolution of Bruno Littlemore von Benjamin Hale ein Text aus dem Jahre 2011 betrachtet. Neben der Evolution des äffischen Protagonisten Bruno zeigt der Roman auch die Entwicklung der literarischen sexuellen Beziehung zwischen Mensch und Affe, indem er alle zuvor genannten Spielarten dieser in sich vereint. Schlussendlich werden die zuvor einzeln betrachteten Texte in einen Gesamtkontext gestellt und die Ergebnisse zusammengefasst.
1 Griem, Julika: Monkey Business. Affen als Figuren anthropologischer und ästhetischer Reflexion 1800–2000. trafo Wissenschaftsverlag, Berlin 2010. Im Folgenden zitiert als „Griem“. S. 11.
2 Griem, S. 11 f.
3 Richter, Virginia: The Civilized Ape. In: Mohr, Dunja M. (Ed.): Embracing the Other. Addressing Xenophobia in the New Literatures in English. Rodopi, New York 2008. S. 113–124. Im Folgenden zitiert als „Richter IV“ S. 113.
4 Richter IV, S. 113.
5 Vgl. Massen, Josef: Zoophilie. Die sexuelle Liebe zu Tieren. Informationen zu einem sexuellen Tabu. Pinto Press Verlag, Köln 1994. Im Folgenden zitiert als „Massen“. S. 77 ff., 87 ff.
6 Griem, S. 262.