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Das klopfende Herz

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So alt Jan Andersson in Skrolycka auch immer wurde, nie wurde er müde, von dem Tag zu erzählen, an dem sein kleines Mädchen zur Welt kam.

In aller Frühe war er aufgebrochen, die Hebamme und noch andere Helferinnen zu holen; aber dann hatte er den ganzen Vormittag und noch eine gute Weile in den Nachmittag hinein auf dem Hauklotz im Holzschuppen gesessen und hatte gewartet, gewartet.

Draußen regnete es in Strömen, und auch Jan Andersson blieb nicht ganz verschont von dem Regenwetter, obgleich er sozusagen unter Dach saß. Es drang als Feuchtigkeit zwischen den undichten Wänden zu ihm herein und jetzt eben schleuderte der Wind auch noch eine ganze Sturzsee durch die türlose Schuppenöffnung.

»Ich frage mich eben, ob wohl irgend jemand meinen kann, ich freue mich über die Ankunft des Kindes?« murmelte er, und zugleich stieß er mit dem Fuß so heftig nach einem kleinen Holzscheit, daß es bis in den Hof hinausflog. »Das größte Unglück ist’s geradezu, das mir hätte widerfahren können. Als Katrine und ich heirateten, geschah’s nur, weil wir es überdrüssig geworden waren, noch länger als Knecht und Magd bei Erik in Falla aus und ein zu gehen. Wir taten’s, weil wir die Füße unter den eigenen Tisch setzen wollten, aber doch gewiß nicht, um Kinder zu bekommen.«

Er verbarg das Gesicht in den Händen und seufzte tief. Die Kälte und die Feuchtigkeit und das lange peinliche Warten hatte allerdings das ihre zu seiner schlechten Laune beigetragen, aber die eigentliche Ursache waren diese Unannehmlichkeiten keineswegs. Es war ihm vollkommen Ernst mit seiner Klage.

›Arbeiten‹, dachte er, ›arbeiten muß ich alle Tage vom Morgen bis zum Abend, aber bisher hatt’ ich dann wenigstens bei Nacht meine Ruhe. Nun wird das Kind wahrscheinlich recht viel schreien, und dann bekomme ich auch da keine Ruhe mehr.‹

Nach diesem Gedankengang überkam ihn noch größere Verzweiflung. Er nahm die Hände vom Gesicht und rang sie so heftig, daß die Gelenke krachten.

›Bis jetzt ist auch alles ganz gut gegangen, weil Katrine, gerade wie ich auch, auf Arbeit ausgehen konnte.

Aber jetzt muß sie ja daheimbleiben und das Kind warten.‹

Er starrte geradewegs in die zunehmende Dunkelheit hinein, mit einem Ausdruck, als käme schon die Hungersnot über den Hofplatz dahergeschlichen und wollte ins Haus eindringen.

»Ja, ja«, sagte er, und jetzt schlug er, wie um seine Worte zu bekräftigen, mit beiden Fäusten hart auf den Hauklotz. »Ja, ich sag’ nur soviel, wenn ich damals gewußt hätte, daß dies hier die Folge sein würde, als Erik in Falla zu mir kam und sagte, ich dürfe mir ein Haus auf seinem Grund und Boden bauen, und mir überdies auch noch alte Balken zum Bau überließ, wenn ich das damals gewußt hätte, so hätt’ ich alles miteinander ausgeschlagen und wär’ meiner Lebtage in der Stallkammer auf Falla geblieben.«

Das waren starke Worte, er fühlte es wohl; aber er hatte keine Lust, sie zurückzunehmen.

»Wenn es je geschehen sollte ...«, begann er wieder; denn er war nun soweit, sagen zu wollen, es wäre ihm gar nicht unlieb, wenn dem Kind auf irgendeine Weise etwas zustieße, ehe es das Licht der Welt erblickte. Aber er kam nicht dazu, diesen Gedanken auszusprechen; denn eben jetzt drang ein piepsendes Stimmchen durch die Wand an sein Ohr und da hielt er jäh inne.

Der Holzschuppen war mit dem Wohnhaus zusammengebaut, und als er hinhorchte, drangen die piepsenden Laute immer wieder zu ihm heraus. Jan Andersson wußte natürlich sofort, was das bedeutete, und nun blieb er lange ganz still sitzen, ohne ein Zeichen von Kummer oder Freude an den Tag zu legen.

Schließlich zuckte er leicht die Schultern und sagte: »Ja, jetzt ist’s also gekommen, und jetzt werd’ ich doch wohl in Gottes Namen ins Haus hinein dürfen und mich wärmen.«

Aber auch diese Erleichterung wurde ihm nicht so schnell zuteil, sondern er mußte abermals Stunde um Stunde warten.

Der Regen strömte noch immer mit gleicher Heftigkeit hernieder, der Wind nahm zu, und obgleich es erst gegen Ende August ging, war die Luft so rauh wie an einem Novembertag.

Und um das Maß vollzumachen, verfiel Jan Andersson nach einer Weile auf einen Gedanken, der ihn noch mehr bedrückte, als alles andere vorher.

Er fühlte sich allmählich mißachtet und zurückgesetzt. »Drei verheiratete Frauen sind außer der Hebamme bei Katrine drinnen«, sagte er halblaut. »Die hätten sich doch wirklich die Mühe machen können, oder wenigstens eine von ihnen, herauszukommen und mir zu sagen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.«

Er horchte nach der Hauswand hin und hörte, wie auf dem Herd Feuer gemacht wurde. Dann sah er die Frauen an der Quelle Wasser holen; aber keine schien ihn auch nur zu bemerken.

Da schlug er plötzlich die Hände vors Gesicht und wiegte den Oberkörper hin und her.

»Mein guter Jan Andersson«, begann er, »wo hapert’s denn eigentlich bei dir? Warum geht bei dir alles schief? Warum bist du immer so niedergedrückt? Ach, warum hast du denn nicht ein schönes junges Mädchen heiraten können, sondern nur die alte Stallmagd Katrine bei Erik auf Falla?«

Er war ganz aufgelöst vor Kummer. Zwischen den Fingern quollen ihm sogar ein paar Tränen hervor.

»Warum bist du im Dorf so wenig geachtet, mein guter Jan Andersson? Warum wirst du immer andern gegenüber zurückgesetzt? Du weißt, es gibt andere, die ebenso arm sind wie du und ebenso schwach bei der Arbeit, gerade wie du auch, aber keiner wird so übersehen wie du. Wo hapert’s denn nur bei dir, mein guter Jan Andersson?«

Das war eine Frage, die sich Jan Andersson schon oft gestellt hatte, aber immer vergeblich. Er hatte auch gar keine Hoffnung, daß er je die Antwort darauf finden würde, und wenn er alles in allem betrachtete, so haperte es vielleicht nirgends. Vielleicht war die richtige Erklärung, daß Gott und die Menschen ungerecht gegen ihn waren?

Als er bei diesem Gedanken angekommen war, nahm er die Hände vom Gesicht und versuchte, eine kecke Miene aufzusetzen.

»Wenn du je wieder in dein eigenes Haus hinein darfst, dann wirst du nicht einen Blick auf das Kind werfen, mein guter Jan Andersson«, sagte er. »Du wirst nur stillschweigend an den Herd gehen und dich wärmen.«

»Oder wie wär’s, wenn du jetzt auf und davon gingest — —«, fing er wieder an. »Du brauchst ja gar nicht länger hier sitzenzubleiben, jetzt, wo du weißt, daß alles überstanden ist. Wie, wenn du Katrine und den andern Weibern drinnen zeigen würdest, was du für ein Mann bist — — —«

Er wollte eben vom Hauklotz aufstehen, da erschien die Hofbäuerin von Falla unter dem Eingang des Schuppens. Sie verneigte sich gar zierlich und lud ihn ein, jetzt ins Haus zu kommen und sich das Kind anzusehen.

Wenn es nicht die Mutter in Falla selbst gewesen wäre, die diese Einladung vorbrachte, dann ist es nicht gewiß, ob Jan Andersson in seiner aufgebrachten Stimmung hineingegangen wäre. Aber mit ihr ging er natürlich, doch ohne irgendwelche Eile an den Tag zu legen. Er gab sich alle Mühe, die Miene und Haltung anzunehmen, die Erik in Falla hatte, wenn er auf dem Rathaus nach der Wahlurne ging, um seinen Wahlzettel hineinzulegen, und es gelang Jan Andersson jetzt auch ganz gut, ebenso feierlich und finster auszusehen wie jener.

»Bitte, Jan!« sagte die Mutter in Falla, und damit machte sie die Türe weit auf. Zugleich trat sie zur Seite und ließ Jan vorausgehen.

Jan sah auf den ersten Blick, wie fein und sauber alles in der Stube gemacht worden war. Die Kaffeekanne stand zum Abkühlen auf dem Rand der Herdplatte, und der Tisch am Fenster war mit Mutter in Fallas Kaffeetassen und einem schneeweißen Tuch gedeckt. Katrine lag im Bett, und zwei andere Frauen, die auch zur Hilfe da waren, drückten sich an die Wand, damit er einen freien Blick über alle Anordnungen haben könnte.

Dicht vor dem Kaffeetisch stand die Hebamme mit einem Bündel auf dem Arm.

Jan Andersson drängte sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß es aussehe, als sei er hier bei dieser Sache einmal die Hauptperson. Katrine sah ihn mit einem freundlichen Blick an, wie wenn sie fragen wollte, ob er zufrieden mit ihr sei. Und alle die andern hielten auch ihre Augen auf ihn gerichtet, gleichsam Lob erheischend für alle die Mühe, die sie sich seinetwegen gemacht hatten.

Aber es ist nicht so leicht, frohen Herzens zu werden, wenn man einen ganzen Tag draußen gesessen und gefroren hat und schlechter Laune geworden ist. Jan konnte Erik in Fallas Miene nicht aus seinem Gesicht verbannen und blieb, ohne ein Wort zu sagen, mitten im Zimmer stehen.

Da machte die Hebamme einen Schritt auf ihn zu. Und die Stube war nur so groß, daß sie mit diesem einzigen Schritt ganz dicht zu ihm hinkam und ihm das Kind in die Arme legen konnte.

»Da kann Er ein kleines Mädchen sehen das überdies ein Prachtkind ist«, sagte sie.

Da stand nun der arme Jan und hielt zwischen seinen Händen etwas, das sich warm und weich anfühlte und in ein großes Tuch eingewickelt war. Das Tuch war so weit zurückgeschlagen, daß Jan das winzige, runzlige Gesichtchen und die verschrumpelten Händchen sehen konnte.

Er stand unsicher da und fragte sich, was denn die Frauenzimmer erwarteten, daß er mit diesem Ding, das ihm die Hebamme in die Arme gelegt hatte, anfangen werde, als er plötzlich einen Stoß erhielt, bei dem er und das Kind zusammenzuckten. Keines von den Anwesenden hatte ihm diesen Stoß versetzt, aber ob er von dem kleinen Mädchen zu ihm kam oder von ihm zu dem kleinen Mädchen, das konnte Jan nicht herausbringen.

Unmittelbar darauf fing das Herz in seiner Brust so heftig an zu klopfen, wie es noch nie geklopft hatte, und im selben Augenblick fror Jan nicht mehr und er fühlte sich nicht mehr verdrießlich noch bekümmert noch ärgerlich, sondern alles war wieder gut. Nur eines beunruhigte ihn noch: er konnte nicht begreifen, warum es dermaßen in seiner Brust hämmerte und klopfte, da er doch den ganzen Tag nicht getanzt hatte und auch nicht schnell gelaufen oder einen steilen Berg hinaufgeklettert war.

»Legt einmal Eure Hand hierher und fühlt!« sagte er zu der Hebamme. »Mir ist, als schlüge mein Herz so sonderbar.«

»Ja, Ihr habt tüchtig Herzklopfen«, sagte die Hebamme. »Habt Ihr das öfters?«

»Nein, ich hab’s noch nie gehabt«, versicherte Jan. »Noch niemals auf diese Weise.«

»Ist es Euch schlecht? Habt Ihr irgendwo Schmerzen?« fragte die Hebamme besorgt.

Nein, nein, es sei sonst alles in Ordnung.

Da konnte die Hebamme nicht verstehen, was ihm fehlen könnte, und sie sagte:

»Ich will Euch jedenfalls das Kind abnehmen.«

Aber da überkam Jan ein neues Gefühl. Das Kind, nein, das wollte er nicht hergeben.

»Nein, laßt mir das Kind!« sagte er.

Und in diesem Augenblick mußten die Frauen in seinen Augen etwas gelesen und aus seiner Stimme etwas herausgehört haben, das sie froh machte, denn die Hebamme verzog den Mund, und die andern brachen in lautes Lachen aus.

»Ei Jan, habt Ihr noch nie jemand so liebgehabt, daß Ihr seinetwegen Herzklopfen bekommen habt?« sagte die Hebamme.

»Nei—n«, antwortete Jan.

Und nun begriff er plötzlich, was ihm das Herz jetzt eben in Gang gesetzt hatte und warum es so stark klopfte. Und damit nicht genug, begann er auch zu ahnen, wo es bei ihm zeit seines Lebens gehapert hatte: denn einen Menschen, der sein Herz weder in Leid noch in Freude schlagen fühlt, kann man gewiß nicht für einen richtigen Menschen halten.

Der Kaiser von Portugalien

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