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Die Legende vom Luciatag

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Vor vielen hundert Jahren lebte im südlichen Värmland eine reiche und habgierige alte Frau, die Frau Rangela genannt wurde. Sie besaß an der schmalen Mündung der Bucht, die der Vänern tief ins Land schiebt, eine Burg, oder vielleicht sollten wir lieber von einem befestigten Hof sprechen. Dort hatte sie eine Brücke bauen lassen, die wie eine Zugbrücke über den engen Sund gesenkt werden konnte. Bei dieser Brücke hatte Frau Rangela eine Wache aus Knechten aufgestellt, und für Reisende, die den verlangten Wegzoll entrichteten, ließ die Wache sofort die Brücke herunter. Den anderen jedoch, die aus Armut oder aus irgendeinem anderen Grund nicht bezahlten, blieb die Brücke versperrt, und da es keine Fähre gab, mussten sie einen Umweg von vielen Meilen um die ganze Bucht herum machen.

Frau Rangelas Versuch, auf diese Weise den Reisenden ihr Geld abzunehmen, erregte großen Zorn, und sicher hätten die trotzigen Bauern, die ihre Nachbarn waren, sie schon längst gezwungen, ihnen freien Durchlass zu gewähren, wenn Frau Rangela nicht in Herrn Eskil von Börtsholm, dessen Ländereien an ihre grenzten, einen mächtigen Freund und Beschützer gehabt hätte. Dieser Herr Eskil, der eine echte Burg mit Mauern und Türmen bewohnte, der so reich war, dass seine gesamten Grundstücke eine ganze Provinz ausmachten, der gefolgt von sechzig bewaffneten Dienern durch das Land ritt und der noch dazu der vertraute Berater des Königs war, der war nicht nur ein guter Freund von Frau Rangela, sondern sie hatte ihn zudem zu ihrem Schwiegersohn machen können, und unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, dass niemand wagte, die gierige Dame bei ihren Unternehmungen zu stören.

Jahr um Jahr machte Frau Rangela unangefochten so weiter, bis ein Ereignis eintraf, das sie sehr beunruhigte. Ihre arme Tochter starb ganz unerwartet, und Frau Rangela wusste ja, dass jemand wie Herr Eskil, mit acht minderjährigen Kindern und einer Hofhaltung, die sich mit der eines Königs vergleichen ließ, alsbald eine neue Ehe eingehen würde, zumal er noch kein alter Mann war. Aber wenn die neue Gattin Frau Rangela feindlich gesinnt wäre, würde das zu argen Unannehmlichkeiten führen. Für Frau Rangela war es fast wichtiger, mit der Herrin auf Börtsholm befreundet zu sein als mit deren Gatten, denn Herr Eskil, der allerlei wichtige Geschäfte zu versehen hatte, war immer wieder auf Reisen, und in diesen Zeiten schaltete und waltete seine Gattin in Haus und Hof.

Frau Rangela überlegte sich die Sache gut, und als die Beerdigung überstanden war, ritt sie eines Tages nach Börtsholm hinüber und suchte Herrn Eskil in seinem Privatgemach auf. Dort erinnerte sie ihn als erstes an seine acht Kinder und die Fürsorge, die diese benötigten, an seine zahllosen Dienstboten, die versorgt, ernährt und gekleidet werden mussten, an die Gastmahle, zu denen er, ohne zu zögern, auch Könige und Königssöhne einlud, an die großen Erträge, die er aus seinen Ländereien, seinen Feldern, seinen Jagdgründen, seinen Bienenstöcken, seinen Hopfenfeldern und seinen Teichen zog, welch reiche Ernte auf dem Herrenhof erwirtschaftet und verarbeitet werden musste, an alles, mit einem Wort, wofür seine Gattin verantwortlich gewesen war, und zeichnete damit ein überaus beängstigendes Bild der großen Schwierigkeiten, die ihm nach dem Verlust selbiger Gattin drohten.

Herr Eskil lauschte mit der Ehrerbietung, die man seiner Schwiegermutter schuldet, aber auch mit einer gewissen Unruhe. Er fürchtete, Frau Rangela wolle sich als Haushälterin auf Börtsholm anbieten, und er war sicher, dass diese alte Frau mit dem Doppelkinn und der Hakennase, der rauen Stimme und dem bäurischen Betragen für ihn durchaus keine angenehme Gesellschaft sein würde.

»Lieber Herr Eskil!«, sagte nun Frau Rangela, die sich über diese mögliche Wirkung ihrer Rede durchaus im Klaren sein mochte. »Ich weiß, dass es Euch an Möglichkeiten zu einer überaus vortrefflichen Heirat nicht fehlt, aber ich weiß auch, dass Ihr reich genug seid, um mehr an das Wohlergehen Eurer Kinder zu denken als an Mitgift und Erbe, und deshalb wollte ich Euch vorschlagen, eine meiner jungen Nichten zur Nachfolgerin meiner Tochter zu machen.«

Herrn Eskils Miene hellte sich sichtlich auf, als er hörte, dass seine Schwiegermutter ihm eine junge Verwandte zuführen wollte, und Frau Rangela versuchte mit wachsender Zuversicht, ihn zu einer Heirat mit Lucia zu bewegen, der Tochter ihres Bruders, des Richters Sten Folkesson, die im kommenden Winter am Luciatag achtzehn Jahre alt sein würde. Die junge Lucia war bei den frommen Frauen im Kloster Riseberg erzogen worden und hatte dort nicht nur gute Sitten und strenge Gottesfurcht, sondern auch die Führung eines herrschaftlichen Haushaltes gelernt.

»Wenn Jugend und Armut ihr nicht im Wege stünden«, sagte Frau Rangela, »so müsstet Ihr Euch für sie entscheiden. Ich weiß, dass meine verstorbene Tochter ihr frohen Herzens die Fürsorge für ihre Kinder überlassen hätte. Sie braucht nicht aus dem Grab zu ihren Kleinen zurückzukehren, wie Frau Dyrit von Örehus, wenn Ihr die junge Lucia zur Stiefmutter ihrer Kleinen macht.«

Herr Eskil, der noch gar keine Zeit gehabt hatte, um über seine eigenen Angelegenheiten nachzudenken, war Frau Rangela überaus dankbar, als sie ihm eine so passende Heirat vorschlug. Er erbat sich zwar zwei Wochen Bedenkzeit, ernannte aber Frau Rangela schon am nächsten Tag zu seiner Brautwerberin. Und sobald es überhaupt möglich war, was Ausstattung, Hochzeitsvorbereitungen und Anstand betraf, wurde Hochzeit gefeiert, so dass die neue Herrin im zeitigen Frühling, einige Monate nach ihrem achtzehnten Geburtstag, ihren Einzug auf Börtsholm hielt.

Wenn Frau Rangela nun bedachte, welch großen Dank diese Nichte ihr schuldig war, da sie sie zur Herrin einer reichen und stattlichen Burg gemacht hatte, können wir uns vorstellen, dass sie sich noch sicherer fühlte als zu der Zeit, da ihre eigene Tochter dort regierte. In ihrer Freude erhöhte sie den Brückenzoll und untersagte den Nachbarn aufs Strengste, die Reisenden im Boot über den Sund zu setzen, damit sich ja niemand der Zahlung entziehen konnte.

Es begab sich nun eines schönen Tages, als Frau Lucia seit einigen Monaten auf Börtsholm wohnte, dass eine Gruppe von kranken Pilgern auf dem Weg zur Dreifaltigkeitskirche von Sätra im Västmanland die Brücke überqueren wollte. Diese Menschen, die sich auf den Weg gemacht hatten, um ihre Gesundheit zurückzuerlangen, waren daran gewöhnt, dass die Anwohner des Pilgerweges alles taten, um ihnen die Wanderung zu erleichtern, und eher wurde ihnen Geld geschenkt, als dass sie welches ausgeben mussten. Frau Rangelas Brückenwächtern jedoch war streng befohlen worden, keinerlei Nachgiebigkeit zu zeigen, schon gar nicht dieser Art von Wanderern gegenüber, die Frau Rangela für weniger krank hielt, als sie vorgaben, und von denen sie glaubte, dass sie aus purer Vergnügungssucht durch das Land streunten.

Als den Kranken der freie Übergang verweigert wurde, brachen sie in ein Wehklagen sondergleichen aus. Die Lahmen und Krüppel zeigten auf ihre unbrauchbaren Glieder und fragten, wie jemand so hart sein könne, von ihnen zu verlangen, dass sie ihre Wanderung um eine ganze Tagesreise verlängerten, die Blinden fielen auf die Knie und versuchten, zu den Brückenwächtern zu kriechen, um denen die Hände zu küssen, während die Freunde und Verwandten der Kranken, die ihnen auf der Pilgerfahrt beistanden, vor den Augen der Wächter Taschen und Beutel umstülpten, um zu zeigen, dass diese wirklich leer waren.

Aber die Männer ließen sich nicht erweichen, und die Verzweiflung der Armen kannte keine Grenzen, als zu ihrem Glück die Herrin auf Börtsholm mit ihren Stiefkindern durch die Bucht gerudert kam. Als sie die Aufregung bemerkte, eilte sie hinzu, und sowie sie erfahren hatte, worum es ging, rief sie:

»Dem lässt sich nun wirklich sehr leicht abhelfen. Die Kinder gehen jetzt an Land, um ihre Großmutter, Frau Rangela, zu besuchen, und in dieser Zeit werde ich die kranken Wanderer in meinem Boot über den Sund setzen.«

Wächter und Kinder, die wussten, dass mit Frau Rangela bei ihrem geliebten Brückenzoll nicht zu spaßen war, versuchten mit Mienen und Gebärden, die junge Frau zu warnen, aber die begriff nicht oder wollte nicht begreifen. Denn die junge Lucia war ein ganz anderer Mensch als ihre Verwandte Frau Rangela. Schon als kleines Kind hatte sie die heilige sizilianische Jungfrau Lucia, ihre Namenspatronin, geliebt und verehrt und sie als Vorbild in ihrem Herzen thronen lassen. Die Heilige hatte deshalb ihr ganzes Wesen mit Licht und Wärme erfüllt. Das zeigte sich schon in ihrem Äußeren, das von solch leuchtender Durchsichtigkeit und Feinheit war, dass man sie anzurühren sich nicht vorstellen konnte.

Mit vielen freundlichen Worten brachte sie nun die Kranken über den Sund, und als die letzten am ersehnten Ufer an Land gesetzt worden waren, überschütteten alle Pilger Lucia dermaßen mit Segenswünschen, dass, wenn solche Güter ebenso schwer wie bedeutsam wären, ihr Boot gesunken wäre, noch ehe sie den Sund hätte überqueren können.

Die Segenssprüche und guten Wünsche konnte sie dann auch brauchen, denn nun begriff Frau Rangela, dass sie von ihrer Nichte keine Hilfe zu erwarten hatte, und sie bereute bitterlich, sie zu Herrn Eskils Gemahlin gemacht zu haben. Sie, die mit solcher Leichtigkeit die arme Jungfrau erhöht hatte, beschloss, sie aus ihrer hohen Stellung zu reißen und sie in die frühere Bedeutungslosigkeit zurückzustoßen, ehe sie noch größeren Schaden anrichten konnte.

Um ihre Nichte in Sicherheit zu wiegen, verbarg sie jedoch bis auf weiteres ihre bösen Absichten und besuchte sie recht häufig auf Börtsholm. Dort gab sie sich alle Mühe, um zwischen dem Gesinde und der jungen Herrin Zwietracht zu säen. Aber zu ihrer großen Überraschung gelang ihr das durchaus nicht. Das mag teilweise darauf beruht haben, dass Frau Lucia trotz ihrer Jugend ihr Haus in guter Ordnung hielt, aber der eigentliche Grund war wohl der, dass Kinder und Dienstboten längst bemerkt hatten, dass die neue Herrin unter mächtigem himmlischen Schutz stand, der ihre Widersacher bestrafte und allen, die ihr bereitwillig und gut dienten, ungeahnte Vorteile bescherte.

Frau Rangela sah bald ein, dass sie auf diese Weise nichts ausrichten konnte, aber sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben, bevor sie auch bei Herrn Eskil einen Versuch unternommen hatte. Der verbrachte diesen Sommer jedoch vor allem am Königshof, wo ihn lange und anstrengende Verhandlungen festhielten. Wenn er ab und zu für zwei Tage nach Hause kam, befasste er sich vor allem mit seinen Vögten und Wildhütern. Den Frauen auf Börtsholm schenkte er nur eine zerstreute Aufmerksamkeit, und wenn Frau Rangela zu Besuch kam, ging er ihr aus dem Weg, und sie konnte ihn nur selten unter vier Augen sprechen.

Eines schönen Sommertages, als Herr Eskil sich auf Börtsholm aufhielt und mit seinem Stallvogt in seinem Privatgemach saß, ertönte auf der Burg jedoch so lautes Geschrei, dass er das Gespräch mit dem Vogt abbrach, um sich eilends nach dem Grund des Lärms zu erkundigen.

Und er fand seine Schwiegermutter, Frau Rangela, die vor dem Burgtor auf ihrem Pferd saß und ärger schrie als eine Horneule.

»Eure armen Kinder«, rief sie. »Sie sind in Seenot geraten. Sie kamen heute Morgen zu meinem Ufer gerudert, aber auf dem Heimweg ist ihnen das Boot voll Wasser gelaufen. Ich habe von zu Hause aus gesehen, in welcher Not sie waren, und bin hergeritten, um Euch zu warnen. Ich sage Euch auch, obwohl Eure Gattin die Tochter meines Bruders ist, dass sie schlecht beraten war, die Kinder allein mit einem so schlechten Kahn losfahren zu lassen. Das sieht wahrlich aus wie ein Stiefmutterstreich.«

Herr Eskil ließ sich kurz beschreiben, wo die Kinder sich befanden, und eilte, gefolgt vom Vogt, zu den Booten. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als sie Frau Lucia sahen, die mit der ganzen Kinderschar den steilen Pfad vom See nach Börtsholm hochstieg.

Die junge Herrin hatte die Kinder diesmal nicht begleitet, sondern sich zu Hause ihren Aufgaben gewidmet. Doch dann glaubte sie, eine Warnung ihrer mächtigen himmlischen Schutzpatronin zu vernehmen, und ganz plötzlich hatte sie die Burg verlassen, um nach den Kindern zu suchen. Da hatte sie gesehen, wie die Kinder winkend und rufend versuchten, vom Ufer her Hilfe zu holen. Sie war in ihrem eigenen Boot losgerudert und hatte die Kinder in letzter Minute aus dem sinkenden Fahrzeug retten können.

Als Frau Lucia und ihre Stiefkinder nun den Strandpfad hochwanderten, war Lucia so damit beschäftigt, die Kinder danach auszufragen, wie sie in diese Notlage geraten waren, dass sie Herrn Eskil gar nicht bemerkte. Aber er, dem Frau Rangelas Worte über den Stiefmutterstreich zu denken gegeben hatten, gab eilig seinem Vogt ein Zeichen und trat mit ihm hinter einen der wilden Rosensträucher, die, groß und mächtig, fast den ganzen Hang unterhalb von Börtsholm bedeckten.

Dort hörte Herr Eskil die Kinder berichten, dass sie in einem guten Boot von zu Hause losgefahren waren, aber während sie Frau Rangela besucht hatten, war dieses Boot durch ein altes, morsches ersetzt worden. Sie hatten das erst bemerkt, als sie bereits auf den See hinausgerudert waren und das Wasser von allen Seiten her ins Boot lief, und ganz sicher wären sie verloren gewesen, wenn ihre liebe Frau Mutter ihnen nicht so rasch zu Hilfe gekommen wäre.

Offenbar ahnte Frau Lucia, was es mit diesem Bootstausch auf sich hatte, denn sie blieb totenbleich und mit Tränen in den Augen mitten am steilen Hang stehen und presste die Hände aufs Herz. Die Kinder umdrängten sie, um sie zu trösten. Sie sagten, ihnen sei doch nichts passiert, aber Frau Lucia blieb hilflos und unbeweglich stehen.

Nun schoben die beiden ältesten Stiefsöhne, zwei kräftige Burschen von vierzehn und fünfzehn, ihre Hände zu einer kleinen Sänfte zusammen und trugen sie den Hang hoch, während die jüngeren lachend und händeklatschend folgten.

Als die kleine Schar im Triumph zwischen den blühenden Rosen nach Börtsholm hinaufzog, blieb Herr Eskil nachdenklich stehen und schaute Frau und Kindern hinterher. Die junge Frau war ihm so lieblich und seltsam strahlend vorgekommen, als sie an ihm vorbeigetragen wurde, und vielleicht bedauerte er, dass Würde und Alter es ihm untersagten, sie in seinen Armen zur Burg hinaufzutragen.

Vielleicht überlegte sich Herr Eskil in diesem Augenblick auch, wie brüchig das Glück sein kann und wie viele Scherereien er sich im Dienste der hohen Herrschaften einhandelte, während vielleicht an seinem eigenen Herd Friede und Freude seiner harrten. An diesem ganzen Tag blieb er jedenfalls nicht mehr in seinem Privatgemach, sondern verbrachte die Zeit damit, sich mit seiner Gattin auszusprechen und den Kindern beim Spielen zuzusehen.

Frau Rangela sah das alles voller Unwillen und verließ Börtsholm, so schnell der Anstand das gestattete. Niemand wagte ernsthaft, ihr zu unterstellen, sie habe das Leben ihrer Enkelkinder aufs Spiel gesetzt, um Frau Lucia bei ihrem Herrn und Gemahl in Ungnade zu stürzen, und deshalb wurde der freundschaftliche Verkehr nicht beendet, und sie konnte sich weiterhin alle Mühe geben, die junge Burgherrin um ihre hohe Stellung zu bringen.

Lange schienen der alten Frau diese Versuche zu misslingen, denn Frau Lucias gutes Herz und ihr tadelloses Verhalten sowie ihre himmlische Schutzpatronin machten sie für alle Angriffe unerreichbar. Doch im Herbst ließ sich die Nichte dann zu Frau Rangelas großer Freude auf eine Unternehmung ein, die Herr Eskil wohl kaum billigen würde.

In diesem Jahr war auf Börtsholm eine derart reiche Ernte eingefahren worden, die die des vergangenen Jahres und überhaupt alle Ernten seit Menschengedenken übertraf. Auch Jagd und Fischerei waren doppelt so ertragreich gewesen wie sonst. Die Bienenstöcke liefen vor Honig und Wachs über wie die Hopfenfelder vor Hopfen. Die Kühe schenkten Milch in Strömen, die Wolle der Schafe wurde lang wie Gras, und die Schweine wurden so fett, dass sie sich kaum noch bewegen konnten. Alle auf der Burg bemerkten diesen Segen, und sofort hieß es, dass er wegen der jungen Frau Lucia über Haus und Hof gekommen sei.

Doch während man sich auf Börtsholm nun alle Mühe gab, die guten Gaben des Jahres einzuholen und zuzubereiten, zog eine große Menge von notleidenden Menschen herbei, die alle behaupteten, vom östlichen oder nordöstlichen Ufer des großen Sees Vänern gekommen zu sein. Sie schilderten mit vielen Tränen in den Augen und verzweifelten Gesten, wie ihr ganzes Dorf von einem feindlichen Heer verwüstet worden war, das mordend, plündernd und brandschatzend durch das Land zog. Die Kriegsknechte hatten in ihrer Bosheit sogar das noch nicht geerntete Korn abgebrannt und alles Vieh fortgetrieben. Die Menschen, die mit dem Leben davongekommen waren, mussten ohne Dach über dem Kopf und ohne Lebensmittel dem Winter entgegensehen. Manche hatten sich auf das Betteln verlegt, andere versteckten sich in den Wäldern, wieder andere wanderten über die Brandstätten, ohne irgendeine Arbeit verrichten zu können, voller Trauer um alles, was sie verloren hatten.

Als Frau Lucia von diesem Leid hörte, fand sie den Anblick der vielen Lebensmittel, die sich jetzt auf Börtsholm aufhäuften, unerträglich. Am Ende wurde der Gedanke an die hungernden Menschen auf dem anderen Seeufer so übermächtig, dass sie kaum noch einen Bissen an die Lippen führen konnte.

Jeden Tag dachte sie an die Geschichten, die im Kloster vorgelesen worden waren, über heilige Männer und Frauen, die sich bis auf den bloßen Leib ausgeplündert hatten, um den Armen und Leidenden zu helfen. Und vor allem dachte sie daran, wie ihre eigene Namenspatronin, die heilige Lucia von Syrakus, in ihrem Mitleid mit einem jungen Heiden, der sie wegen ihrer schönen Augen liebte, diese Augen aus ihren Höhlen gerissen und sie ihm blutig und erloschen geschenkt hatte, um ihn von dieser Liebe zu heilen, denn sie war eine christliche Jungfrau, die ihm nicht gehören konnte. Diese Erinnerungen quälten und ängstigten die junge Frau so sehr, und sie verachtete sich, da sie von der großen Not hören konnte und doch keinen ernstlichen Versuch unternahm, dieser abzuhelfen.

Als sie sich noch mit diesen Gedanken herumquälte, kam eine Nachricht von Herrn Eskil, der mitteilte, er müsse im Dienste des Königs nach Norwegen reisen und werde erst um die Weihnachtszeit wieder nach Hause kommen. Aber dann werde er nicht nur von seinen eigenen sechzig Männern begleitet werden, sondern auch von einer großen Schar von Freunden und Verwandten, und deshalb bat er Frau Lucia, ein großes und lange dauerndes Gastmahl vorzubereiten.

An dem Tag, an dem Frau Lucia also erfuhr, dass ihr Mann im Herbst nicht nach Hause kommen würde, beschloss sie, sich von der Angst zu befreien, die sie schon so lange quälte. Sie befahl ihren Leuten, alle auf Börtsholm angehäuften Lebensmittel ans Ufer zu schaffen. Dann wurde der Wintervorrat der Burg auf Boote und Nachen geladen, sicher zum großen Erstaunen der Burgbewohner.

Als Keller und Scheunen geleert waren, begab sich Frau Lucia mit ihren Kindern und ihren Dienern und Dienerinnen an Bord eines gutbemannten Schiffes, und während sie auf Börtsholm nur einige alte Wächter zurückließ, ließ sie sich mit ihrem gesamten Eigentum auf den großen See hinausrudern, der uferlos wie ein Meer vor ihr lag.

Über Frau Lucias Reise gibt es viele alte Sagen und Aufzeichnungen. Es heißt, dass der Teil des Vänernufers, an dem der Feind am ärgsten gewütet hatte, von seinen Bewohnern fast verlassen worden war. Frau Lucia kam recht mutlos dort an und hielt Ausschau nach Anzeichen von Leben, aber kein Rauch stieg zum Himmel auf, kein Hahn krähte und keine Kuh brüllte.

Doch in einer Gemeinde lebte noch ein alter Geistlicher, der Herr Kolbjörn genannt wurde. Er hatte seine Pfarrkinder nicht begleiten wollen, als die aus ihren zerstörten Häusern geflohen waren, denn Pfarrhof und Kirche waren voller Verwundeter. Bei denen war er geblieben, hatte ihre Wunden gepflegt und das wenige, was er selbst noch hatte, unter sie verteilt, ohne sich Ruhe oder Essen zu gönnen. Dann hatte an einem der düstersten Herbsttage, als schwere Wolken über den See streiften, als das Wasser sich zu schwarzen Wogen aufbäumte und die Düsterkeit der Natur Hoffnungslosigkeit und Not noch vergrößerte, der arme Herr Kolbjörn, der keine Messe mehr lesen konnte, versucht, an der Schnur der Kirchturmglocke zu ziehen, um damit Gottes Erbarmen auf seine Kranken herabzurufen. Und siehe! Kaum war der erste Glockenton verhallt, da näherte sich eine kleine Flotte aus Schiffen und Booten dem Ufer. Und aus einem Schiff stieg eine schöne junge Frau mit einem von Licht durchschimmerten Gesicht. Vor ihr gingen acht prachtvolle Kinder, und hinter ihr folgte eine lange Reihe von Bediensteten, die mit Lebensmitteln aller Art beladen waren: gebratenen Kälbern und Schafen, langen Spießen mit trockenen Brotfladen, Gefäßen mit Getränken und Säcken voll Mehl. Wie durch ein Wunder war im letzten Moment Hilfe gekommen.

Nicht weit von Herrn Kolbjörns Kirche, auf einer Landzunge, die scharf in den See hineinragte und Saxudden genannt wurde, lag seit langer Zeit ein alter Bauernhof. Der war nun abgebrannt und ausgeplündert worden, aber der Besitzer, ein Mann von zweiundsiebzig Jahren, liebte seinen Hof so sehr, dass er es nicht über sich gebracht hatte, diesen zu verlassen. Bei ihm geblieben waren seine alte Frau, ein kleiner Enkel und eine Enkelin. Sie hatten sich durch Fischen am Leben gehalten, aber der Sturm hatte eines Nachts ihr Boot zerstört, und seither saßen sie zwischen den Trümmern und warteten auf den Hungertod. Als sie noch warteten, dachte der Bauer an seinen Hund, der zwischen ihnen lag und zu verschmachten drohte. Er riss ein Stück Holz an sich, und mit letzter Kraft schlug er auf den Hund ein, um ihn zu vertreiben, denn der Hund sollte doch nicht aus Gründen sterben, mit denen er nichts zu tun hatte. Bei dem Schlag bellte der Hund laut und rannte fort. Die ganze Nacht strich er heulend um den Hof herum. Und er war weit draußen auf dem See zu hören, und noch ehe der Tag gekommen war, ging Frau Lucia, die das Gebell gehört hatte, mit Rettung und Hilfe an Land.

Noch weiter entfernt lag ein kleines von einer Mauer umgebenes Haus, in dem heilige Frauen wohnten, die Gott versprochen hatten, dieses Haus niemals zu verlassen. Diese frommen Schwestern waren von den Kriegsknechten so weit geschont worden, dass sie oder ihr Haus nicht zu Schaden gekommen waren, ihr gesamter Wintervorrat war ihnen allerdings genommen worden. Das Einzige, was ihnen geblieben war, war ein Taubenschlag voller Tauben, und diese hatten sie nacheinander geschlachtet, bis nur noch eine übrig war. Diese Taube indes war sehr zahm, und die frommen Frauen liebten sie so sehr, dass sie nicht ihr eigenes Leben durch das der Taube verlängern wollten, deshalb öffneten sie ihren Käfig und schenkten ihr die Freiheit. Nun stieg die weiße Taube zu den Wolken hoch, danach flog sie herab und setzte sich auf den Dachfirst. Als jedoch Frau Lucia auf dem Wasser vorüberkam und nach jemandem Ausschau hielt, der Hilfe brauchte, sah sie die Taube und wusste, dass es dort, wo die Taube war, auch Menschen geben musste. Und Frau Lucia ging an Land und schenkte den frommen Frauen so viel zu essen, wie sie für den Winter brauchten.

Noch weiter im Süden hatte am Vänernufer ein Marktflecken gelegen, der jetzt ausgeplündert und verbrannt war. Nur die langen Stege, an denen sonst die Schiffe angelegt hatten, waren noch vorhanden. Unter den Stegen hatte sich in den Tagen der Verwüstung ein Mann, der Krämer Lasse genannt wurde, mit seiner Frau versteckt, und während über ihnen die Schlacht tobte, hatte die Frau ein Kind geboren. Seither war sie so krank, dass sie nicht hatte fliehen können, und der Mann war bei ihr geblieben. Ihr Elend war sehr groß, und jeden Tag bat die Frau ihren Mann, sie zu verlassen, aber das brachte er nicht über sich. Nun versuchte sie eines Nachts, aus ihrem Versteck zu kriechen und mit dem Kind ins Wasser zu gehen, denn sie dachte, wenn sie erst tot wären, könnte der Mann sein Leben retten. Aber das Kind schrie im kalten Wasser laut auf, und der Mann erwachte. Er holte beide wieder an Land, aber das Kind war so verängstigt, dass es die ganze Nacht lang schrie. Und das Geräusch wurde über das Wasser getragen und holte die Helfer, die suchend und wartend auf dem See umherruderten.

Solange sie noch Gaben hatte, fuhr Frau Lucia vor dem Vänernufer hin und her, und ihr war dabei so froh und leicht ums Herz wie nie zuvor. Denn während es nichts Schlimmeres gibt, als still und untätig zu bleiben, wenn man von Leid und Unglück der anderen hört, so schenkt es das größte Glück und eine wunderbare Ruhe, wenn man zumindest versucht zu helfen. Diese Erleichterung und Freude, ohne irgendeine Ahnung, dass ihr Böses bevorstehen könnte, verspürte sie noch immer, als sie spätabends vor dem Luciatag nach Börtsholm zurückkehrte. Bei dem Abendessen, das nur aus einigen Bechern Milch bestand, sprach sie mit ihren Reisegefährten über ihre Reise, und alle waren der Meinung, niemals schönere Tage verbracht zu haben.

»Aber jetzt wartet viel Arbeit auf uns«, sagte dann die Herrin. »Morgen werden wir den Lucientag nicht wie sonst mit Speis und Trank feiern. Wir müssen ohne Unterlass brauen und schlachten und backen, damit bei Herrn Eskils Heimkehr das Weihnachtsmahl bereitet ist.«

Das sagte die junge Frau ohne die geringste Sorge, denn sie wusste ja, dass ihr Stall und ihre Scheunen und Speicher voller Gottesgaben waren, auch wenn noch nichts davon in menschliche Nahrung verwandelt worden war.

So glücklich die Reise auch gewesen war, sie waren doch alle erschöpft und begaben sich zeitig zur Ruhe. Aber kaum hatte Frau Lucia ihre Augen geschlossen, da hörte sie vor der Burg das Dröhnen von Pferdehufen, des Klirren von Waffen und das Hallen von Rufen. Das Burgtor bewegte sich knirschend in den Angeln, das Pflaster des Hofes wurde von eifrigen Füßen betrampelt. Nun wusste sie, dass Herr Eskil mit seiner Reiterschar nach Hause gekommen war.

Eilig sprang Frau Lucia auf, um ihm entgegenzugehen. Als sie sich notdürftig angekleidet hatte, lief sie auf die Galerie hinaus, um über die Treppe auf den Burghof zu gelangen. Aber sie kam nicht weiter als bis zur obersten Treppenstufe, denn schon stand Herr Eskil mitten auf der Treppe und wollte zu ihrer Kammer.

Ein Fackelträger lief vor ihm her, und im Lichtschein glaubte Frau Lucia zu sehen, dass Herrn Eskils Gesicht in entsetzlicher Wut verzerrt war. Für einen Moment hoffte sie, das rote rauchgeschwärzte Licht der Fackel mache sein Gesicht so düster und drohend, aber als sie sah, wie Kinder und Diener mit ängstlicher Miene und gesenkten Blicken zurückwichen, musste sie sich eingestehen, dass ihr Mann überaus zornig heimgekehrt war, um Gericht zu halten und Strafen zu verhängen.

Während Frau Lucia noch auf Herrn Eskil hinabblickte, entdeckte er auch sie, und mit wachsender Angst sah sie, dass sein Gesicht sich zu einem gezwungenen Lächeln verzog.

»Kommt Ihr nun, holde Gattin, um mir eine Willkommensmahlzeit anzubieten?«, spottete er. »Aber diesmal habt Ihr Euch diese liebe Mühe vergebens gemacht, denn ich und meine Mannen haben unsere Abendmahlzeit bei Eurer Verwandten Frau Rangela eingenommen. Morgen jedoch«, fügte er hinzu, und nun überkam ihn der Zorn, und er schlug mit der Faust auf das Treppengeländer, »erwarten wir, dass Ihr zu Ehren Eurer Namenspatronin, Sancta Lucia, uns mit einem Frühstück empfangt, so gut, wie dieses Haus es überhaupt liefern kann, und Ihr dürft auch nicht vergessen, mir beim ersten Hahnenschrei meinen Morgentrunk zu kredenzen.«

Die junge Burgherrin brachte kein Wort heraus. Wie schon im Sommer, als ihr zum ersten Mal der Verdacht gekommen war, Frau Rangela könne Böses gegen sie im Schilde führen, stand sie da, mit Tränen in den Augen und die Hände aufs Herz gepresst. Denn es lag doch auf der Hand, dass Frau Rangela Herrn Eskil so früh nach Hause gerufen hatte, um ihn gegen seine Frau aufzustacheln, indem sie ihm erzählte, was Frau Lucia mit seinem Eigentum angestellt hatte.

Aber Herr Eskil stieg zwei Stufen höher, und ohne sich von der Angst seiner Gattin auch nur im Geringsten erweichen zu lassen, beugte er sich zu ihr vor und sprach mit fürchterlicher Stimme:

»Beim Kreuze unseres Herrn, Frau Lucia, lasst Euch das gesagt sein, wenn dieses Frühstück mir nicht gefällt, werdet Ihr es bis an das Ende Eurer Tage bereuen.«

Damit legte er eine schwere Hand auf die Schulter seiner Gattin und schob sie vor sich her ins Schlafgemach.

Auf dieser Wanderung ins Schlafzimmer erschien es Frau Lucia, als sei etwas, das ihr bisher auf seltsame Weise verborgen gewesen war, plötzlich offenbart worden. Sie erkannte, dass sie selbstherrlich und unbedacht gehandelt hatte und dass Herr Eskil durchaus Grund haben konnte, ihr zu zürnen, da sie, ohne ihn zu fragen, über sein Eigentum verfügt hatte. Sie versuchte also jetzt, da sie allein waren, ihm das voller Reue zu sagen und ihn für ihre jugendliche Torheit um Vergebung zu bitten, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Legt Euch zu Bett, Frau Lucia«, sagte er, »und steht morgen früh ja zeitiger auf als sonst! Wenn Euer Morgentrunk und Euer Willkommensmahl nicht zu meiner Zufriedenheit ausfallen, dann liegt vor Euch ein Weg, für den Ihr alle Eure Kräfte benötigen werdet.«

Mit dieser Antwort musste sie sich zufriedengeben, auch wenn ihre Angst nur noch größer wurde, und wir können ja verstehen, dass sie in dieser Nacht kein Auge mehr zumachte. Sie dachte immer wieder daran, was ihr Mann gesagt hatte, und je länger sie über seine Worte nachdachte, umso klarer wurde ihr, dass er eine schreckliche Drohung gegen sie ausgesprochen hatte. Bestimmt hatte er beschlossen, sie erst zu verurteilen, wenn er sich davon überzeugt hätte, dass sie sich so schlimm verhalten hatte, wie Frau Rangela das behauptete. Aber wenn sie ihn nicht befehlsgemäß bewirten könnte, wartete eine entsetzliche Strafe auf sie. Das Mindeste wäre dann wohl, dass sie für unwürdig befunden werden würde, noch länger seine Gemahlin zu sein, dann würde sie zu ihren Eltern heimgeschickt werden, doch aus seinen letzten Worten glaubte sie zu verstehen, dass er dazu noch vorhatte, sie wie eine schnöde Diebin zwischen seinen Männern Spießruten laufen zu lassen.

Als sie sich das alles vorgestellt hatte – übrigens zu Recht, denn Frau Rangela hatte Herrn Eskil wirklich in einen wahnsinnigen Zorn versetzt –, zitterte Frau Lucia, sie klapperte mit den Zähnen und wähnte sich dem Tode nah. Sie wusste, dass sie die Stunden der Nacht nutzen musste, um Hilfe und Auswege zu finden, aber ihre furchtbare Angst lähmte sie, und deshalb blieb sie bewegungslos liegen. »Wie soll ich denn morgen früh meinen Herrn und seine sechzig Männer bewirten«, sagte sie sich hoffnungslos. »Da kann ich auch gleich still liegen bleiben und warten, bis das Unglück über mich hereinbricht.«

Das Einzige, was sie zu ihrer Rettung tun konnte, war, Stunde um Stunde brennende Gebete an die heilige Lucia von Syrakus zu richten.

»Ach, heilige Lucia, meine geliebte Namenspatronin«, betete sie, »morgen ist der Tag, an dem du den Märtyrertod erlitten hast und ins himmlische Paradies eingegangen bist. Erinnere dich daran, wie düster und kalt und hart es hier auf Erden war! Komm in dieser Nacht zu mir und hol mich fort von hier. Komm und schließe meine Augen im Schlaf des Todes. Du weißt, dass ich nur so Schande und grausamer Bestrafung entrinnen kann.«

Während sie auf diese Weise die heilige Lucia um Hilfe anflehte, verging die Nacht, und der gefürchtete Morgen rückte näher. Lange ehe sie damit gerechnet hatte, ertönte der erste Hahnenschrei, die Knechte, die sich um das Vieh kümmern mussten, liefen über den Burghof zu ihrer Arbeit, und die Pferde richteten sich wiehernd in ihren Ställen auf.

Jetzt erwacht auch Herr Eskil, dachte Lucia. Er wird mir sofort befehlen, seinen Morgentrunk zu bringen, und ich werde gestehen müssen, dass ich so töricht gehandelt habe, dass ich ihm weder Met noch Bier aufwärmen kann.

In diesem Moment der höchsten Gefahr für die junge Burgherrin konnte ihre himmlische Freundin, die heilige Lucia, die ja wusste, dass ihr Schützling sich nur durch allzu große Barmherzigkeit falsch verhalten hatte, dem Wunsch, ihr beizustehen, nicht länger widerstehen. Der irdische Leib der Heiligen, der seit vielen Jahrhunderten in den engen Grabkammern der Katakomben von Syrakus geruht hatte, wurde plötzlich von einem lebendigen Geist erfüllt, gewann seine Schönheit und den Gebrauch seiner Glieder wieder, hüllte sich in ein aus Sternenlicht gewebtes Gewand und begab sich dann abermals in die Welt hinaus, in der Lucia einst gelitten und geliebt hatte.

Und nur wenige Augenblicke später sah der verdutzte Torwächter auf Börtsholm ein Wunder, eine Feuerkugel, die weit hinten im Süden auftauchte. Die Kugel reiste schneller, als das Auge ihr folgen konnte, kam auf Börtsholm zu, schoss so dicht an dem Wächter vorbei, dass sie ihn fast gestreift hätte, und war dann verschwunden. Aber auf diesem Feuerball, glaubte der Wächter zumindest, reiste eine junge Frau, die sich mit den Zehenspitzen aufstützte, die Arme hob und gleichsam spielend und tanzend das glühende Fahrzeug lenkte.

Fast im selben Moment sah die in Angst und Beben wachende Frau Lucia einen Schimmer, der durch einen Türspalt in ihr Schlafgemach drang. Und als die Tür gleich darauf geöffnet wurde, trat zu ihrem Erstaunen und ihrer Freude eine schöne Jungfrau, gewandet in Kleider so weiß wie Sternenlicht, ins Zimmer. Ihre langen schwarzen Haare waren zu einer Girlande gebunden, aber daran saßen keine Blätter und Blüten, sondern kleine blinkende Sterne. Diese Sterne erleuchteten die ganze Kammer, und doch schien es Frau Lucia, dass ihr Licht sich nicht mit dem in den Augen der schönen Fremden vergleichen lassen könnte, denn die waren nicht nur vom klarsten Glanz, sondern strahlten zudem himmlische Liebe und Barmherzigkeit aus.

In ihrer Hand hielt die fremde Jungfrau eine große Kupferkanne, der ein milder Duft nach edlem Traubensaft entströmte, und damit schwebte sie durch die Kammer zu Herrn Eskil, goss etwas Wein in eine kleinere Schale und bot ihm zu trinken an.

Herr Eskil, der gut geschlafen hatte, erwachte, als das Licht über seine Augenlider huschte, und führte die Schale an seine Lippen. In seinem schlaftrunkenen Zustand begriff er kaum mehr von dem Wunder, als dass der Wein, der ihm angeboten wurde, überaus wohlschmeckend war, und er leerte die Schale bis auf den letzten Tropfen.

Aber dieser Wein, bei dem es sich kaum um einen anderen handeln konnte als den edlen Malvasier, die Ehre des Südens und die Krone aller Weinsorten, war dermaßen einschläfernd, dass Herr Eskil, kaum hatte er die Schale zurückgestellt, auch schon auf sein Lager zurücksank. Und im selben Moment schwebte die schöne heilige Jungfrau aus dem Zimmer und ließ Frau Lucia in einem Zustand aus bebender Verwunderung und frisch erwachter Hoffnung zurück.

Die holde Helferin begnügte sich aber nicht damit, nur Herrn Eskil zu bewirten. An dem dunklen, kalten Wintermorgen schwebte sie durch die düsteren Säle der schwedischen Burg und bot jedem einzelnen der schlafenden Kriegsknechte eine Schale vom freudenspendenden Wein des Südens an.

Allen, die tranken, kam es vor, als hätten sie himmlische Wonnen gekostet. Und alle versanken sofort in einen Schlaf, erfüllt von Träumen von Gefilden, in denen ewiger Sommer und ewiges Sonnenlicht herrschten.

Frau Lucia aber hatte gerade erst die lichte Offenbarung verschwinden sehen, als Angst und Hoffnungslosigkeit, die sie die ganze Nacht gequält hatten, ganz einfach in tausend Stücke zersprangen. Sie zog sich eilig an und rief danach das gesamte Gesinde zur Arbeit.

An diesem langen Wintermorgen bemühten sich sodann alle, Herrn Eskils Willkommensmahlzeit zuzubereiten. Junge Kälber, Schweine, Gänse und Hühner mussten in aller Eile ihr Leben lassen, Teig wurde angesetzt, unter Kochtöpfen und in Backöfen wurde Feuer geschürt, Kohl wurde gebräunt, Rüben wurden geschält, und zum Nachtisch wurde Honigkuchen gebacken.

Die Tische im Festsaal wurden mit Damasttüchern bedeckt, die teuren Wachskerzen wurden aus tiefen Truhen geholt, und auf den Bänken wurden blaue Federpolster und Decken ausgelegt.

Während dieser ganzen Vorbereitungen schliefen der Burgherr und seine Leute. Als Herr Eskil endlich aufwachte, sah er am Stand der Sonne, dass bereits die Mittagsstunde gekommen war. Er staunte nicht nur über seinen langen Schlaf, sondern vielleicht noch mehr darüber, dass der Zorn, der ihn am Vorabend gequält hatte, durch diesen Schlaf verflogen war. Seine Gattin hatte sich ihm in den Träumen des Morgens mit großer Milde und Schönheit gezeigt, und er staunte über sich selbst, weil er sie zu einer harten und schändlichen Strafe hatte verurteilen wollen.

Vielleicht ist es ja doch nicht so schlimm, wie Frau Rangela mir einreden wollte, dachte er. Ich kann sie zwar nicht als meine Gattin behalten, wenn sie mein Eigentum verschleudert hat, aber es muss Strafe genug sein, sie zu ihren Eltern zurückzuschicken.

Als er seine Kammer verließ, erwarteten ihn seine acht Kinder und führten ihn in den Festsaal. Dort saßen seine Männer bereits zu Tisch und warteten ungeduldig auf sein Eintreffen, um sich über die Mahlzeit herzumachen. Denn der Tisch bog sich unter den vielen Köstlichkeiten.

Frau Lucia setzte sich neben ihren Mann, ohne ihre Angst zu zeigen, doch sie war nicht von aller Unruhe befreit, denn sie hatte zwar in aller Eile ein Festmahl herrichten können, aber noch immer fehlte es an Bier und Met, die sich nicht so rasch brauen lassen. Und sie wusste ja nicht, ob Herr Eskil sich mit einem Frühstück zufrieden geben würde, bei dem die Getränke fehlten.

Aber nun sah sie vor sich auf dem Tisch die große Kupferkanne, aus der die heilige Jungfrau ausgeschenkt hatte. Dort stand die Kanne, bis an den Rand mit duftendem Wein gefüllt. Abermals war Frau Lucia glücklich über den Schutz der barmherzigen Heiligen, und sie bot Herrn Eskil den Wein an, während sie erzählte, wie der nach Börtsholm gelangt war, und während ihr Gemahl voller Staunen zuhörte.

Als Herr Eskil den Wein, der diesmal jedoch nicht einschläfernd wirkte, zum zweiten Mal gekostet hatte, fasste Frau Lucia sich abermals ein Herz und berichtete von ihrer Reise. Herr Eskil machte zuerst ein überaus ernstes Gesicht, doch als sie von dem Priester, Herrn Kolbjörn, erzählte, rief er:

»Herr Kolbjörn ist ein sehr guter Freund von mir, Frau Lucia. Ich bin von Herzen froh, dass Ihr ihm helfen konntet.«

Dann stellte es sich heraus, dass der Gutsherr von Saxudden in vielen Feldzügen Herrn Eskils Waffenbruder gewesen war, dass sich unter den frommen Frauen eine Verwandte von ihm befand und dass Krämer Lasse aus dem Marktflecken ihm Kleidung und Waffen aus dem Ausland zu besorgen pflegte. Noch ehe Frau Lucia ihren Bericht beendet hatte, hatte Herr Eskil ihr nicht nur verziehen, er war ihr zudem von Herzen dankbar, weil sie so vielen seiner Freunde geholfen hatte.

Doch die Angst, die Frau Lucia während der Nacht erlitten hatte, überkam sie ein weiteres Mal, und mit Tränen in der Stimme sagte sie endlich:

»Jetzt aber habe ich das Gefühl, lieber Herr, dass ich sehr unrecht gehandelt habe, da ich, ohne Euch um Erlaubnis zu fragen, Euer Eigentum verschenkt habe. Aber ich bitte Euch, denkt an meine Jugend und Unerfahrenheit und verzeiht mir deshalb.«

Als Frau Lucia das gesagt hatte und Herr Eskil begriff, dass seine Gattin so fromm war, dass eine Bewohnerin des Himmels irdische Gestalt angenommen hatte, um ihr zu Hilfe zu kommen, und als er dann bedachte, wie er, der als weiser und bedächtiger Mann gelten wollte, sie verdächtigt hatte und bereit gewesen war, sie mit seinem Zorn zu überschütten, schämte er sich so von Herzen, dass er die Augen niederschlug und ihr nicht mit einem Wort antworten konnte.

Als Frau Lucia ihn so stumm und mit gesenktem Kopf dasitzen sah, erschrak sie abermals und wäre am liebsten weinend davongestürzt. Doch da trat, von allen ungesehen, die barmherzige Lucia in den Saal, schlich sich zu der jungen Frau und flüsterte ihr ins Ohr, was sie nun noch sagen sollte. Und es waren just die Worte, die Frau Lucia selbst gern ausgesprochen hätte, aber ohne himmlische Ermutigung hätte sie sicher niemals genug Mut aufgebracht.

»Um eins möchte ich Euch nun bitten, mein lieber Herr und Gemahl«, sagte sie, »und zwar, dass Ihr von nun an mehr zu Hause bleiben mögt. Denn dann würde ich nie in Versuchung kommen, gegen Euren Willen zu handeln, und ich könnte Euch all die Liebe zeigen, die ich Euch entgegenbringe, und niemand könnte sich zwischen Euch und mich drängen.«

Als diese Worte gesagt waren, merkten alle, dass sie Herrn Eskil nur zu gut gefielen. Er hob den Kopf, und die große Freude, die er verspürte, verjagte seine Schuldgefühle.

Er wollte seiner Gattin gerade eine überaus freundliche Antwort geben, als einer von Frau Rangelas Vögten in den Festsaal gestürzt kam. Er berichtete, dass Frau Rangela in der frühesten Morgenstunde nach Börtsholm aufgebrochen war, um Frau Lucias Bestrafung beizuwohnen. Doch unterwegs waren ihr Bauern begegnet, die sie wegen des Brückenzolls hassten, und im Schutze der Dunkelheit hatten sie Frau Rangelas einzigen Diener in die Flucht getrieben, sie dann vom Pferd gezerrt und sie elendiglich erschlagen.

Jetzt wollte Frau Rangelas Vogt Jagd auf die Mörder machen und verlangte, dass auch Herr Eskil seine Leute dazu aussandte.

Doch nun erhob sich Herr Eskil und sprach mit lauter, strenger Stimme:

»Es erscheint mir hier angebracht, den Bitten meiner Gattin Gehör zu schenken, aber vorher möchte ich die Sache mit Frau Rangela hinter mich bringen. Und da sage ich, dass sie von mir aus ruhig ungerächt bleiben kann, und ich werde auch meine Diener nicht aussenden, um ihretwegen Blutarbeit zu leisten, denn ich bin sicher, dass ihre bösen Taten sie ereilt haben.«

Als er das gesagt hatte, wandte er sich Frau Lucia zu, und nun war seine Stimme so mild, dass man kaum hätte glauben mögen, dass solcher Klang in seiner Kehle wohnte.

»Aber meiner geliebten Gattin möchte ich antworten, dass ich ihr gern verzeihe, so, wie ich hoffe, dass sie mir meine Heftigkeit vergibt. Und da es ihr Wunsch ist, werde ich dem König mitteilen, dass er sich einen anderen Berater suchen muss, denn nun möchte ich bei zwei edlen Damen in Dienst treten. Die eine ist meine Gattin, die andere die heilige Lucia von Syrakus, für die ich in allen Kirchen und Kapellen auf meinen Ländereien einen Altar aufstellen werde, um sie zu bitten, dass sie in uns, die wir in der Kälte des Nordens verschmachten, die Flamme und den Leitstern der Seele, die Barmherzigkeit genannt werden, am Leben erhalten möge.«

Am 13. Dezember, in früher Morgenstunde, wenn Kälte und Dunkelheit auf Värmland lasteten, kam noch in meiner Kindheit die heilige Lucia von Syrakus in alle Häuser, die zwischen den Bergen Norwegens und dem Fluss Gullspångälv lagen. Sie trug noch immer, zumindest in den Augen der kleinen Kinder, ein Kleid aus weißem Sternenlicht und in den Haaren einen Kranz aus brennenden Lichtblumen, und sie weckte die Schlafenden mit einem warmen duftenden Trunk aus ihrer Kupferkanne.

Ich kannte keinen schöneren Anblick, als wenn die Tür sich öffnete und die heilige Lucia in die Dunkelheit der Kammer trat. Und ich wünschte mir, sie hörte niemals auf, sich auf den värmländischen Höfen zu zeigen. Denn sie ist das Licht, das die Dunkelheit besiegt, sie ist die Legende, die das Vergessen überwindet, sie ist die Herzenswärme, die gefrorene Stellen mitten im Winter angenehm und sonnig werden lässt.

Übersetzung von Gabriele Haefs

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