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Vittskövle

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Sonntag, den 26. März

Ein paar Tage später trug sich ein ebenso sonderbares Ereignis zu. Eine Schar wilder Gänse kamen eines Morgens und ließen sich auf einem Felde drüben in dem östlichen Schonen, nicht weit von dem großen Gut Vittskövle nieder. In der Schar befanden sich dreizehn Gänse von der gewöhnlichen grauen Farbe und ein weißer Gänserich, der einen kleinen Knirps auf dem Rücken trug. Der hatte eine gelbe Lederhose, und eine grüne Weste an und auf dem Kopfe eine weiße Zipfelmütze.

Sie waren nun ziemlich nahe an der Ostsee, und auf dem Felde, wo sich die Gänse niedergelassen hatten, war der Boden sandig, wie er es an der Küste zu sein pflegt. In der Gegend war allem Anschein nach früher Flugsand gewesen, denn an mehreren Stellen standen große Tannenanpflanzungen, offenbar um den Sand zu halten.

Als die wilden Gänse eine Weile gegrast hatten, kamen ein paar Kinder in der Ackerfurche entlang. Die Gans, die Wache hielt, schwang sich schnell mit klatschendem Flügelschlag in die Luft empor, damit die ganze Schar hören könne, daß Gefahr im Anzuge sei. Alle wilden Gänse flogen auf, aber der weiße Gänserich blieb ganz ruhig grasend auf dem Felde. Als er die andern fliegen sah, hob er den Kopf empor und rief ihnen nach: »Ihr braucht wirklich vor denen da nicht zu entfliehen. Es sind ja nur ein paar Kinder!«

Der kleine Knirps, den der weiße Gänserich auf dem Rücken gehabt hatte, saß auf einem Erdhügel am Waldesrande und zerzupfte einen Tannenapfel, um die Samenkörner herauszubekommen. Die Kinder waren so dicht in seiner Nähe, daß er nicht über das Feld hinüber zu dem weißen Gänserich zu laufen wagte. Er versteckte sich schnell unter einem großen, welken Distelblatt und stieß dabei einen warnenden Ruf aus.

Der Gänserich aber hatte offenbar beschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Er graste ruhig weiter auf dem Felde und achtete nicht einmal darauf, wohin die Kinder gingen.

Die bogen indessen vom Wege ab, gingen über das Feld und näherten sich dem Gänserich. Als der endlich aufsah, waren sie ganz in seiner Nähe, und nun erschrak er so und war so verwirrt, daß er ganz sein Fliegen vergaß und zu laufen anfing, um ihnen zu entkommen. Die Kinder folgten hinterdrein, jagten ihn in einen Graben und fingen ihn. Das größere von den beiden steckte ihn unter den Arm und ging mit ihm davon.

Als der Knirps, der unter dem Distelblatt saß, das sah, fuhr er in die Höhe, als wolle er den Kindern den Gänserich entreißen. Aber dann fiel ihm ein, wie klein und machtlos er war, und er warf sich statt dessen auf den Erdhügel nieder und schlug mit geballten Fäusten in die Erde hinein, ganz außer sich.

Der Gänserich schrie aus Leibeskräften um Hilfe: »Däumling, komm und hilf mir! Däumling, komm und hilf mir!« Aber da mußte der Junge doch mitten in all seinem Kummer lachen. »Ja, ich bin wohl der Rechte, jemand zu helfen!« sagte er.

Die Kinder hatten einen großen Vorsprung, aber dem Jungen wurde es nicht schwer, sie im Auge zu behalten, bis er an eine Vertiefung im Boden gelangte, wo ein Bach dahergebraust kam. Der war weder breit noch tief, aber er war trotzdem gezwungen, am Ufer entlang zu laufen, bis er eine Stelle fand, wo er hinüberspringen konnte.

Als er aus der kleinen Schlucht herauskam, waren die Kinder verschwunden. Aber er konnte ihre Spuren auf einem schmalen Steig sehen, der in den Wald führte, und er fuhr fort, sie zu verfolgen.

Bald kam er jedoch an einen Fahrweg, und hier mußten die Kinder sich getrennt haben, denn da waren Spuren nach zwei Richtungen hin. Nun war der Knirps nahe daran, den Mut zu verlieren.

Im selben Augenblick aber sah er auf einem Heidehügel eine kleine weiße Daune. Er verstand nun, daß der Gänserich die am Wegesrande hatte fallen lassen, um ihm zu zeigen, nach welcher Seite er gebracht war, und er setzte deswegen seinen Weg fort. Und dann folgte er den Kindern durch den ganzen Wald. Von dem Gänserich sah er nichts, aber überall, wo er unsicher in Bezug auf den Weg sein konnte, lag eine kleine, weiße Daune und zeigte ihn zurecht.

Der Knirps folgte getreulich den Daunen. Sie führten ihn zum Walde hinaus, über ein paar Felder, einen Weg entlang und schließlich eine Allee hinauf bis an ein Schloß. Am Ende der Allee konnte man einen Schimmer von Giebeln und Türmen und roten Steinen sehen, die mit hellen Streifen und Ornamenten geschmückt waren. Als der Knirps sah, daß da ein Schloß lag, konnte er sich wohl denken, was aus dem Gänserich geworden war. »Die Kinder sind gewiß mit dem Gänserich nach dem Schloß gegangen und haben ihn verkauft, und dann wird er wohl schon geschlachtet sein,« sagte er zu sich selbst. Aber er wollte sich nicht beruhigen, ehe er richtigen Bescheid hatte, und lief noch eifriger weiter. Er begegnete niemand in der Allee, und das war ja gut. Denn alle, die von seiner Art sind, pflegen sich davor zu fürchten, von Menschen gesehen zu werden.

Das Schloß, zu dem er kam, war ein prächtiges, altes Gebäude. Es bestand aus vier Flügeln mit einem Burghof in der Mitte. An der Ostseite befand sich eine tiefe Torwölbung, die auf den Burghof führte. Soweit lief der Knirps, ohne sich zu bedenken, als er aber dahin gekommen war, blieb er stehen. Er wagte nicht, sich weiter zu begeben, sondern stand still und dachte darüber nach, was er nun tun sollte.

Er stand noch mit dem Finger an der Nase da, als er Schritte hinter sich hörte, und als er sich umwandte, sah er eine ganze Schar Menschen die Allee hinaufkommen. Schnell schlüpfte er hinter eine Wassertonne, die zufällig dicht neben dem Tor stand, und verbarg sich dort.

Was ihn so erschreckt hatte, waren ungefähr zwei Dutzend junger Leute von einer Hochschule; sie befanden sich in Begleitung eines Lehrers auf einer Fußwanderung, und als sie das Tor erreicht hatten, hieß er sie dort warten, während er hineinging und fragte, ob sie die alte Burg Vittskövle besehen könnten.

Die Neuangekommenen waren erhitzt und müde, als wenn sie weit gegangen wären. Einer von ihnen war so durstig, daß er an die Wassertonne trat und sich hinabbeugte, um zu trinken. Er hatte eine Botanisiertrommel auf dem Rücken und meinte offenbar, daß sie ihm hinderlich sei, denn er warf sie ab. Dadurch tat sich der Deckel auf, und man konnte sehen, daß einige Frühlingsblumen darin lagen.

Die Botanisiertrommel fiel dem Knirps gerade vor die Füße, und er fand, daß dies eine vorzügliche Gelegenheit sei, ins Schloß hinein zu gelangen und zu entdecken, wo der Gänserich geblieben war. Schnell schlüpfte er in die Botanisiertrommel und versteckte sich, so gut er konnte, unter Anemonen und Huflattich.

Kaum war es ihm gelungen, sich zu verbergen, als der junge Mann die Botanisierkapsel aufnahm, sie sich auf den Rücken hängte und den Deckel zuklappte.

Der Lehrer kam jetzt zurück und sagte, sie hätten die Erlaubnis erhalten, das Schloß zu besichtigen. Vorerst führte er sie jedoch nur auf den Burghof. Dort blieb er stehen und erzählte ihnen von dem alten Gebäude.

Schließlich ging die ganze Gesellschaft in das Schloß, aber wenn der Knirps gehofft hatte, daß er Gelegenheit haben würde, aus der Botanisiertrommel herauszuschlüpfen, so sah er sich getäuscht, denn der Schüler behielt die Botanisiertrommel auf dem Rücken, und der Knirps mußte alle Stuben mit durchwandern.

Es war eine langweilige Wanderung. Jeden Augenblick blieb der Lehrer stehen, um zu erklären und zu erzählen. Er beeilte sich wahrlich nicht. Aber er wußte ja auch nicht, daß ein armes kleines Wurm in einer Botanisierkapsel verborgen lag und sich nur danach sehnte, daß er aufhören sollte.

Schließlich ging der Lehrer wieder in den Burghof hinaus und blieb abermals stehen und sprach zu den Schülern.

Aber die Rede brauchte der Knirps nicht mit anzuhören, denn der Schüler, der ihn trug, war wieder durstig geworden und schlich in die Küche hinaus, um einen Trunk Wasser zu erbitten. Als sie da hinein kamen, fiel dem Knirps ein, daß der Gänserich hier gewiß sein mußte. Er fing an, sich zu rühren, und dabei drückte er unversehens zu stark gegen den Deckel, so daß der aufsprang. Aber die Deckel von Botanisiertrommeln springen ja immer auf, und der Schüler dachte nicht weiter daran, und drückte ihn nur wieder zu; die Köchin fragte jedoch, ob er eine Schlange darin habe. »Nein, ich habe nur einige Pflanzen,« antwortete der Schüler. »Aber es rührte sich doch etwas darin,« behauptete die Köchin. Der Schüler öffnete den Deckel ganz weit, um ihr zu zeigen, daß sie irre. »Da können Sie selbst sehen, daß ...«

Aber weiter kam er nicht, denn nun wagte der Knirps nicht länger, in der Botanisiertrommel zu bleiben, mit einem Satz war er an der Erde und stürzte zur Küche hinaus. Die Mägde hatten kaum gesehen, was es war, das da lief, aber sie rannten hinterdrein.

Der Lehrer stand noch da und redete, als er durch laute Rufe unterbrochen wurde: »Fangt ihn! Fangt ihn!« riefen alle, die aus der Küche kamen, und die sämtlichen jungen Leute jagten hinter dem Knirps drein, der schneller lief als eine Maus. Sie versuchten, ihn zu fangen, indem sie von der andern Seite in das Tor hineinliefen, aber es war nicht so leicht, jemand zu erwischen, der so klein war, und er gelangte glücklich ins Freie hinaus.

Der Knirps wagte nicht, die offene Allee hinabzulaufen, sondern bog nach einer andern Seite ab. Er stürzte durch den Garten in den Hinterhof. Die ganze Zeit jagten sie unter Lachen und Rufen hinter ihm drein. Der arme Kleine rannte, so schnell er konnte, aber es sah trotzdem so aus, als wenn sie ihn einholen würden.

Gerade als er an einer kleinen Tagelöhnerwohnung vorüber kam, hörte er eine Gans gackern und sah eine kleine weiße Daune auf der Treppe liegen. Da war er, da war der Gänserich! Er war auf falscher Spur gewesen. Er dachte nicht mehr an Mägde und Knechte, die hinter ihm selber dreinjagten, sondern krabbelte die Treppe hinauf und lief auf den Flur. Weiter konnte er nicht kommen, denn die Tür war geschlossen. Er konnte den Gänserich da drinnen schreien und jammern hören, aber es war ihm nicht möglich, die Tür aufzubekommen. Die wilde Jagd, die hinter ihm her war, kam immer näher, und da drinnen in der Stube schrie der Gänserich immer jammervoller. In dieser höchsten Not faßte der Knirps schließlich Mut und donnerte aus Leibeskräften gegen die Tür.

Ein Kind kam und öffnete, und der Knirps sah sich in der Stube um. Mitten darin saß eine Frau, die den Gänserich festhielt, um ihm die Schwungfedern abzuschneiden. Ihre Kinder hatten den Gänserich gefunden, und sie wollte ihm kein Leides tun.

Sie wollte ihn nur zu ihren eigenen Gänsen hinauslassen, sobald sie ihm die Flügel gestutzt hatte, damit er nicht davonfliegen konnte. Aber es konnte dem Gänserich ja kein größeres Unglück widerfahren, und er schrie und jammerte aus Leibeskräften.

Ein Glück war es, daß die Frau nicht früher angefangen hatte zu schneiden. Jetzt waren nur zwei Federn vor der Schere gefallen, als die Tür aufging und der kleine Knirps auf der Schwelle stand. Aber so einen hatte die Frau noch nie im Leben gesehen. Sie konnte sich nichts anderes denken, als daß es der Koboldenvater in eigener Person sei, und vor Schrecken ließ sie die Schere fallen, schlug die Hände zusammen und vergaß, den Gänserich festzuhalten.

Sobald der sich frei fühlte, lief er nach der Tür. Er ließ sich keine Zeit, still zu stehen, packte aber in der Eile den Knirps beim Hemdbund und nahm ihn mit. Und auf der Treppe breitete er die Flügel aus und hub sich in die Luft empor. Gleichzeitig machte er eine flotte Bewegung mit dem Halse und setzte den Knirps auf seinen glatten Rücken hinauf.

So ging es mit ihnen dahin, in die Luft hinauf, und ganz Vittskövle stand da und starrte ihnen nach.

Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen

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