Читать книгу Der Bote - Sergio Bambarén - Страница 7
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VOR VIELEN Jahren wurde in einem fernen, von kargen Bergen umgebenen Land, dessen grüne Olivenbäume bis an den friedlichen, kristallblauen Ozean reichten, ein Bote geboren.
Der Legende nach schrie er nicht, als er aus dem Leib seiner Mutter kam, er lächelte. Denn er war auf diese Welt gekommen, um glücklich zu sein, nicht traurig. Er war mit einer Mission gekommen, einer Botschaft von Hoffnung und Liebe. Diese sollte in allen Teilen der Welt gehört werden und vielen anderen helfen, sich an das zu erinnern, was sie vor langer Zeit vergessen hatten.
DER BOTE wusste vom Augenblick seiner Geburt an, dass jedes Leben von Liebe und Verständnis berührt wurde und deshalb ein Lied der Freude werden könnte, wenn er seine Botschaft der Liebe und die während seines Lebens gewonnenen Erkenntnisse weitergab. Und weil er an seine Mission auf der Erde wirklich glaubte, wurde sie wahr.
ER WUCHS an einem sicheren und angenehmen Ort auf und wusste, dass ihm hier nichts Schlimmes zustoßen konnte. Aber er wusste auch, dass es ein Ort war, an dem er niemals die wahre Essenz und Schönheit des Lebens würde entdecken können. An diesem sicheren Ort, abgeschottet von allem, was es da draußen gab, war er unfähig, sich mit dem Strom des Lebens zu bewegen, ein stummer Zeuge der Strömungen und Gezeiten zu werden, die weit über die Gewässer der Insel hinaus zum Horizont und zur dahinter verborgenen Wahrheit ziehen. Er wusste, dass er in den Strom des Lebens eintauchen und sich zu fernen Inseln treiben lassen musste. Er durfte nicht auf seine Mitmenschen hören, die ihn warnten, niemals die Sicherheit des Bekannten zu verlassen und gefährliche Orte aufzusuchen, zu denen noch nie irgendjemand zu reisen gewagt hatte. Er musste die ihn umgebenden unsichtbaren Mauern und die Regeln derer, die ihm nahe waren, durchbrechen und sich in die Ferne wagen, um zu lernen, zu spüren, zu leiden, zu leben. Er wollte mit seinen eigenen Augen und seiner Seele sehen, was gesehen werden musste, und um andere schließlich an das zu erinnern, was sie bereits wussten, aber vergessen hatten oder nicht auszusprechen wagten. Deshalb ging er eines Nachts leise zum Ufer – nur die Sterne und der Mond waren Zeugen – und ließ sich vom Ozean seinem Schicksal entgegentreiben. Er umarmte das offene Meer, trieb in seinen Strömungen und Gezeiten und reiste an Orte, die er nie zuvor gesehen oder sich ausgemalt hatte.
MEHRERE MALE umrundete er die Welt und sah jede Gegend mit eigenen Augen. Er spürte im Herzen, dass es nahe der unberührten Natur und fern von Seinesgleichen einen Ort gab, an dem er sich frei von allen Dogmen fühlen und die Wahrheit erkennen und begreifen konnte, die er schon immer in seinem Herzen getragen hatte. Und er lernte.
BIS ER eines Tages am Horizont eine Insel erblickte, die er nie zuvor gesehen hatte, größer als alle anderen, die er bereist hatte. Und er hörte die Stimme des Meeres ihm sagen:
»Geh an Land, Bote, denn der Augenblick des Teilens ist gekommen. Lass deine Seele von all der Schönheit und Liebe, der Trauer, dem Leid und vielem mehr erzählen, die du erlebt und erfahren hast. Teile denjenigen, die bereit sind, dir zuzuhören und es sich zu merken, das mit, was du gelernt hast.«
»Das tue ich, wenn es das ist, was du willst«, antwortete er.
»Verbreite deine Botschaft der Wahrheit und der Erkenntnis in alle Regionen dieses schönen Ortes namens Erde, ohne deine Bescheidenheit je zu verlieren«, sagte das Meer. »Sorge dafür, dass sie sich erinnern, worum es im Leben wirklich geht, und hilf ihnen, dass sie es nie mehr vergessen.«
Schließlich sprangen die Tore seines Herzens auf, und seine Seele flog weit über den Ozean. Er schloss die Augen und betete im Stillen.
»Du kamst auf die Welt, um eine Botschaft der Hoffnung zu verbreiten«, sagte das Meer. »Wenn du das tust, werden sie mit Sicherheit kommen. Wenn du die Botschaft weitergibst, werden sie dir zuhören. Lass dein Herz sprechen, und sie werden in deiner Nähe bleiben. Sprich liebevoll und leidenschaftlich und von der Wahrheit, die du erkannt hast. Deine Botschaft wird ihnen helfen, sich daran zu erinnern, dass sie sich nie mehr ängstlich oder einsam fühlen müssen, denn Wahrheit und Glück sind allgegenwärtig und benötigen nur einen Boten, um sich im Herzen des Zuhörers einnisten zu können.«
So ging er an Land und kam an einen Ort, den er nie zuvor gesehen hatte, an einen Platz, an dem er sein Herz sprechen und keinen einzigen Gedanken unerwähnt lassen würde. Er würde seine Seele ein für alle Mal ausschütten und den anderen seine Erkenntnisse mitteilen.
DIE GESCHÖPFE der Insel starrten ungläubig zum Strand, als sie ihn aus dem Meer steigen sahen, denn das hatte es zuvor noch nie gegeben.
Sie begannen von einer uralten Legende zu erzählen, von der ihre Vorfahren vor langer Zeit berichtet hatten: Dass eines Tages einer, den sie den Boten nannten, mit einer Botschaft von Liebe und Verständnis aus der Weite des Meeres kommen würde. Deshalb fingen sie an, sich um ihn zu scharen, sie versuchten, ihn zu berühren, ihm nahe zu sein, und sie fragten sich, was er wohl sagen würde.
Der Bote sah sie aus allen Teilen der Inseln herbeiströmen, genau wie das Meer es ihm gesagt hatte, und er nahm seine Bestimmung demütig an. Wenn seine letzte Mission darin bestand, anderen mitzuteilen, was er gelernt und entdeckt hatte, dann würde er das tun und sich niemals gegen den Strom des Lebens wenden, denn seine Aufgabe war in Stein gemeißelt. Er musste das letzte Kapitel dessen, worin seine Mission immer bestanden hatte, abschließen. Deshalb ließ er seine Seele für das, was kommen würde, ausruhen. Er war am Ende seiner Reise angelangt und fühlte sich bereit, seiner endgültigen Bestimmung entgegenzugehen.
ER STIEG auf einen Felsen, der sich in der Mitte eines unberührten Sandstrands erhob und auf dem ihm eine kleine Hütte Schutz bot. Tagelang meditierte und betete er, und nur das Rauschen des Windes und des Regens sowie die Musik der Brandung leisteten ihm Gesellschaft, während sich immer mehr Seinesgleichen am Fuß des Felsens versammelten, auf dem er Zuflucht gefunden hatte. Nach einer Woche kam er heraus und sah, wie viele gekommen waren, um ihm zu lauschen.
Fast nackt setzte er sich auf den Felsen. Er schloss die Augen, denn er hatte gelernt, dass er, um sich eins mit dem Universum zu fühlen, zuerst mit seinem inneren Licht in Kontakt treten und sich einfach selbst treu sein musste, während die Stimme seines Herzens von dem sprach, was er gesehen und erfahren hatte.
Die Geschöpfe, die ihm auf seinen Reisen begegnet waren, leisteten ihm Gesellschaft: Bären, Hirsche und Wölfe stiegen von den Bergen und Wäldern herunter, während Seelöwen und Wasserschildkröten aus dem Meer kamen. Möwen und alle mögliche Vogelarten kreisten am Himmel, selbst Krebse und Echsen kletterten auf den Felsen, auf dem er saß.
Nahe am Ufer schwammen Delfine und Wale und leisteten ihm Gesellschaft, sodass er sich nicht mehr einsam fühlte.
DIE SEELEN, die sich um ihn geschart hatten, beobachteten ihn und schwiegen, bis nicht einmal mehr der Atem eines einzigen Herzens zu hören war.
Und er sagte:
»Geschätzte Brüder und Schwestern: Ihr seid heute hier, weil ihr hier sein wollt, und ich bin hier, weil ich bei euch sein will. Aber ich bin vor allem deshalb hier, weil ich lediglich ein Bote bin, ein bescheidener Tropfen Liebe in Menschengestalt.
Erschafft keine Legenden oder falsche Propheten, wenn ihr das tut, wird alles, was heute gesagt oder gehört wird, seine Bedeutung verlieren. Ich bringe lediglich eine Botschaft der Wahrheit, die schon immer Bestand hatte und die ihr bereits kennt, die viele aber vergessen haben oder nicht auszusprechen wagen. Würde ich sie nicht mit euch teilen, würde es sich anfühlen, als würde ich mein Herz, das Universum und alles, an das ich glaube und das mir anvertraut wurde, verraten.«
Er streichelte einen zahmen Seelöwen, der den Kopf an seine Brust gelegt hatte, und küsste einen roten Krebs, der versuchte, sich an seiner Schulter zu wärmen. Dann blickte er auf die um ihn Versammelten und sagte:
»Denn ich wurde durch dieselben Lebenslektionen geprägt und komme von Orten, von denen ihr alle kommt, die viele aber vergessen haben.«