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VORWORT

Almans wurden vor Gericht gestellt und verurteilt. In diesem Leseheft finden Sie sechs Urteile über die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland.

Die deutsche Gesellschaft hat ein Rassismusproblem, und sie muss in ihrer hiesigen rassistischen, sexistischen, behinderten-, trans- und homofeindlichen Form schnellstmöglich abgeschafft werden. Die Entscheidung, Neonazis in den Bundestag, in Landesparlamente oder ins Europäische Parlament zu wählen, liegt nicht an einer Enttäuschung, die etablierte deutsche Parteien verursacht haben sollen. Diejenigen, die über ein Verständnis darüber verfügen, was Rassismus und andere menschenfeindliche Ideologien bei Betroffenen anrichten können, wissen, dass man mit seinem Stimmrecht nicht spielen darf, als wäre das politische Klima eine Knetmasse, die man formen kann, wie und wann man will, und niemand leidet darunter. Die sogenannte Enttäuschung ist lediglich eine Ausrede und ein Ventil zur Freilassung desjenigen Rassismus, der angeblich seit 1945 nicht tolerierbar sei. Die rassistische Kontinuität wie die NSU-Morde, die Progrome in Hoyerswerda, die Hetzjagden, wie sie etwa in Chemnitz 2018 stattgefunden haben, der Mord an Walter Lübcke und die Morddrohungen an politisch agierende nicht-alman Figuren wie İdil Baydar und Seda Başay-Yıldız beweisen jedoch, dass ein aufgeklärtes und antirassistisches Deutschland keine gesellschaftliche Realität, sondern allein Wunschdenken von Almans ist.

Überleben, Glaubwürdigkeit und Repräsentation können nicht von einander getrennt werden. Daher ist es eine Frage des Überlebens, wessen Perspektiven sich in deutschen Medien wiederfinden. Laut der Ergebnisse des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes hatten 2015 21 Prozent der Deutschen eine Zuwanderungsgeschichte. Der Anteil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in deutschen Redaktionen betrug im selben Jahr schätzungsweise lediglich 4-5 Prozent (Pöttker, Lieserwetter, Lofink; 2015, S.15). Die gesellschaftliche Realität spiegelt sich in deutschen Redaktionen also nicht wider.

In Deutschland berichten Almans über alle möglichen Themen und werden als Auslandskorrespondent*innen eingesetzt. Ihre gesellschaftliche Position, so die Begründung, ermögliche ihnen eine kompetente Berichterstattung. Beispielsweise hat die ARD eigenen Angaben zufolge 53 Korrespondent*innen im Ausland1. Nur zwei davon sind keine Almans.

Viele dieser Almans qualifiziert nichts weiter für den Job als ihre bloße Anwesenheit vor Ort. Ein Alman, der*die Zeit in einem ihm*ihr völlig fremden Land verbringt, kann als Expert*in Bericht erstatten, Bücher veröffentlichen und zu Talkshows eingeladen werden.

Nach demselben Kriterium bin ich mit meinen inzwischen zehn Jahren in Deutschland längst Expertin für die deutsche Gesellschaft. Ich nehme es daher als feierlichen Anlass, um Ihnen ein wenig über die Gesellschaft in Deutschland zu erzählen: ein Kartoffelgericht. Viel Spaß!

Sibel Schick

P.S.: Ich nutze das Wort Alman, um jene Deutsche zu markieren, die angeblich keine Zuwanderungsgeschichte haben. Alle Almans sind Deutsche, nicht alle Deutsche allerdings Almans.

1 http://korrespondenten.tagesschau.de

Deutschland schaff' ich ab

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