Читать книгу Das doppelte Venussymbol - Siegfried Mau - Страница 6

Оглавление

Kapitel 2

Der erste Hauptkommissar Kubischenko öffnet gerade seinen Mail-Account. Mal sehen, was denn über das Wochenende so angefallen ist, denkt er noch so für sich selbst, als ihm die E-Mail von Staatsanwalt Jochen Rupens ins Auge fällt.

Ein fettgedrucktes Wichtig kann eigentlich nichts Gutes bedeuten, zumindest nicht an einem Montagmorgen und nicht schon vor neun Uhr abgesendet. Hat sich mal wieder ein gut situierter Steuerzahler oder irgendein überwichtiger Rechtsanwalt über ihn beschwert, muss dringend wieder irgendeine mehr als unwichtige Statistik dringend auf den neuesten Stand gebracht werden, nur weil irgendein überflüssiger, wichtigtuender Politiker mal wieder irgendeine Anfrage an die Landesregierung gestellt hat?

Eigentlich wollte er sich erst einmal eine Tasse Kaffee holen, der übrigens gar nicht so schlecht schmeckt, wie die sonstige Plörre, die man so in deutschen Kriminalbehörden findet. Schon mehr als einmal hat Kubischenko gedacht, dass es mehr als super ist, dass seine Kollegin Kralle jetzt in seinem Kriminalkommissariat ihren Dienst versieht. Sie kennt nicht nur die Herkunftsorte der besten Kaffeebohnen und weiß, wie man durch richtiges Brühen die besonderen Geschmacksnoten herausstellen kann, nein, sie bereitet ihn sogar in einem schon fast morgendlichen Ritual mit besonderer Liebe zu und mehr als einmal passiert es, dass auch mal ein Kollege aus einer anderen Abteilung mit einem eigentlich fadenscheinigen Grund hereinschaut, nur um eine Tasse ihres vollkommenen Kaffees zu schnorren. Die besonderen Kaffeemischungen kauft sie übrigens immer in der Fußgängerzone in der Stadt Norden ein und Kubischenko wundert sich jedes Mal wieder darüber, wie lange es dauern kann, bis seine Kollegin eine Tüte Kaffee gekauft hat und wie lange man mit einem Kaffeeverkäufer beratschlagen muss, wie viel Gramm von einer bestimmten Sorte Kaffeebohnen unbedingt der Mischung beigefügt werden muss.

Aber gut, der Zweck heiligt die Mittel.

Heute siegt aber doch die Neugierde über den Wunsch nach diesem perfekten Gebräu und er liest den Inhalt der Mail. Darin steht geschrieben: »Heute zehn Uhr Besprechung in meinem Büro.« Mit dem Nachsatz in Fettdruck, man solle pünktlich sein.

Flüchtig schaut er auf die Uhr. Was, schon zwölf Minuten vor zehn Uhr, denkt er sich. Laut brüllt er durch die Zwischentür ins Nachbarzimmer: »Kralle, Gas geben, in zwölf Minuten müssen wir im Büro von Staatsanwalt Rupens sein, Mailzusatz, pünktlich sein.«

Die beiden schauen sich nochmals fragend an, Hauptkommissarin Kralle schaltet noch ihren viel zu langsam arbeitenden PC aus und schon geht es durch die langen Flure, zwei Etagen zu Fuß hinauf, weil natürlich der Aufzug – wie eigentlich immer – defekt ist und hinein in das Büro von Staatsanwalt Rupens, natürlich wie immer in letzter Minute und ohne anzuklopfen.

Dort sitzen Staatsanwalt Rupens und Polizeirat Dr. Wehmut am Besprechungstisch und lassen sich eine Platte mit Mettbrötchen schmecken, deren Zwiebelgeruch das Büro mehr an ein Frühstückzimmer eines mittelklassigen Hotels, als an ein Büro eines Staatsrepräsentanten erinnern lassen. Die beiden schauen überrascht nach oben, so als wenn sie sich selbst fragen, warum denn solche Eile angesetzt ist. Mit halbvollem Mund fordert der Staatsanwalt die beiden auf, sich doch schon einmal zu setzen, mit der Hand gerade wieder nach einem halben Mettbrötchen von der Platte greifend. Während Rupens noch genüsslich an dem besagten Mettbrötchen kaut, klopft es zaghaft an der Tür, worauf er immer noch kauend und mit immer noch halbvollem Mund »herein!« ruft.

Es tritt Kommissar Klaus Heidenreich herein, der ebenfalls mit einer Handbewegung aufgefordert wird, sich doch zu den anderen an den Tisch zu gesellen, was er zaghaft und moinsagend tut.

Das ist doch der Grünschnabelkommissar, der am Freitag an der Schleuse in Harlesiel war, denkt Kubischenko. Was soll der denn hier?, überlegt er so für sich. Dann beobachtet er aber Staatsanwalt Rupens dabei, wie er sich auch noch das letzte Mettbrötchen vom Teller nimmt und denkt sich, dass es wohl kein Zufall ist, dass seine Kollegen den Staatsanwalt immer Rubens statt Rupens nennen, denn die Figur spricht schließlich für sich selbst. Der Kerl scheint ja nur zu futtern und die Geschwindigkeit in der er jetzt die Mettbrötchen weggeputzt hat, scheint auch nicht übertreffbar zu sein, denkt er weiter so für sich.

Rupens zieht ein scheinbar benutztes, ziemlich fleckiges Taschentuch aus seiner Tasche, wischt sich damit über den Mund, putzt sich noch einmal oberflächlich die Hände ab und fängt dann an zu reden:

»Hauptkommissarin Kralle, meine Herren, das ist Polizeirat Dr. Wehmut, den Sie ja wahrscheinlich alle kennen«, und mit dem Finger auf ihn zeigend, fährt er fort: »Er hat sich noch am Samstag betreffend des Körperteilfundes in Harlesiel am vergangenen Freitag davor mit mir kurzgeschlossen. Der Fall ist ein bisschen delikater, als er sich zunächst darstellt. Leider hat es schon mehrere dieser Funde an verschiedenen Stellen gegeben, einen an der Neiderplate vor Langeoog, einen an der Schleuse Altfunnixsiel und der Ihnen bekannte an dem Schöpfwerk Harlesiel. Von weiteren nicht entdeckten Fundorten ist wohl auszugehen. Der Innenminister Borisko Pistazius ist nicht gerade amused darüber. Gerade ist ein zweistelliger Millionenbetrag von der niedersächsischen Landesregierung freigegeben worden, um den Tourismus in dieser Region anzufeuern und weitere EU-Mittel wurden beantragt. Da kommt es gar nicht gut, wenn irgend so ein durchgeknallter Massenmörder irgendwelchen jungen Frauen die Beine beziehungsweise die Unterschenkel abschneidet. Da keinerlei Personen mit diesen Verletzungen in irgendwelchen Krankenhäusern oder bei privaten Ärzten versorgt wurden, muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es sich um Mordfälle handelt. Da dürfen im Moment absolut keine Infos an die Presse gehen. Offiziell handelt es sich um Selbstmörderinnen, deren Körperglieder von Schiffsschrauben abgetrennt wurden. Da belehre ich Sie ausdrücklich. Polizeirat Dr. Wehmut und ich haben deshalb beschlossen, eine Sonderkommission mit dem Namen Venusfalle einzurichten. Venusfalle deshalb, weil der erste Unterschenkel der gefunden wurde eine Tätowierung an der Wade hat, mit dem Symbol der Venus. Sie kennen ja sicher das Symbol. Ein Kreis mit einem Kreuz darunter, der angeblich den Handspiegel der Göttin der Liebe, Schönheit und des erotischen Verlangens darstellt. Und Venusfalle, weil die Dame ja wohl in eine Falle gelockt wurde, bevor sie ermordet wurde. Es ist wohl nicht denkbar, dass sie sich freiwillig dem Prozedere unterzogen haben. Daher der geniale Name, der übrigens aus meiner Feder stammt. Sicher wundern Sie sich, dass der Neffe von Dr. Wehmut, äh, ich meine Kommissar Klaus Heidenreich, hier ist. Er hat sich bislang in Aurich die ersten Sporen verdient und ist ein Fachmann, was Recherche und Backgroundarbeit betrifft. Außerdem war er ja bei dem dritten Körperteilfund quasi persönlich anwesend. Er gehört also ab sofort zu Ihrer Sonderkommission, die von Ihnen, erster Hauptkommissar Kubischenko, geleitet wird. Wenn Sie weiteres Personal benötigen, dann lassen Sie es mich sofort wissen, wobei die SOKO so klein wie möglich gehalten werden soll, damit gar nichts, aber absolut gar nichts nach außen dringt. Ach Kubischenko, von Ihnen verlange ich natürlich, dass Sie auch die Ihnen unterstellten Polizeikräfte und Kollegen darüber informieren, dass über diese Fälle absolut nichts, aber auch gar nichts, nach außen dringen darf. Alles, aber wirklich alles an dem Sie gerade arbeiten, ist mit sofortiger Wirkung nebensächlich. Kein Urlaub, kein Überstundenabbau, keine Krankenfehltage ab sofort, ich hoffe, das ist klar. Die Venusfalle hat absolute Priorität. Sie berichten mir täglich. Die Unterlagen zu den Fällen müssten schon auf ihrem Schreibtisch liegen. Noch Fragen? Also bitte, sofort an die Arbeit. Ach, Herr Heidenreich, Ihre Dienststelle in Aurich ist schon informiert und der Hausmeister richtet Ihnen gerade einen Arbeitsplatz im Büro von Hauptkommissarin Kralle ein. Willkommen in Wittmund. Sie können also sofort loslegen. Folgen Sie jetzt einfach der Frau Hauptkommissarin. Viel Glück und Tschüss.«

Daraufhin nickt der erste Hauptkommissar nur, kneift sein linkes Auge etwas zusammen, steht auf und zeigt seiner neu gebildeten SOKO nur mit einer kurzen Handbewegung, dass sie ihm folgen mögen.

Der Einzige, der sich beim Verlassen des Büros verabschiedet, ist der neue Kollege Klaus Heidenreich. Die anderen verlassen das Büro so stumm, wie sie gekommen sind.

Das doppelte Venussymbol

Подняться наверх