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Unglaube auf der Akropolis
ОглавлениеDie nachstehende Begebenheit hat sich vor einem Menschenalter, im Jahr des Kriegs zwischen Rußland und Japan, mit mir selbst ereignet. Ich habe sehr oft an sie gedacht und sie nie recht verstanden.
Ich pflegte damals alljährlich Ende August oder Anfangs September mit meinem jüngeren Bruder eine Ferienreise anzutreten, die mehrere Wochen dauerte und uns nach Rom, irgend einer Gegend des Landes Italien oder an eine Küste des Mittelmeers führte. In diesem Jahr erklärte mein Bruder, seine Geschäfte gestatteten ihm keine längere Abwesenheit, er könnte höchstens eine kurze Woche wegbleiben, wir müßten unser Reiseziel einschränken. So beschlossen wir, über Triest nach der Insel Korfu zu fahren, um dort unsere wenigen Urlaubstage zu verbringen.
In Triest machte der Bruder einen Besuch bei einem Geschäftsfreund, der dort ansässig war, ich begleitete ihn. Nach Erledigung der geschäftlichen Interessen erkundigte sich der freundliche Mann nach unseren weiteren Absichten und als er hörte, daß wir nach Korfu wollten, riet er uns dringend ab. »Was wollen Sie um diese Zeit dort machen? Es ist so heiß, daß Sie nichts unternehmen können. Gehen Sie doch lieber nach Athen, der Lloyddampfer geht nachmittags ab, läßt Ihnen drei Tage in der Stadt, Zeit genug, um das Wichtigste zu sehen, und holt Sie wieder auf seiner Rückfahrt. Das wird viel lohnender und angenehmer sein.« Als wir den Triestiner verlassen, waren wir beide in merkwürdig übler Laune. Wir diskutirten den vorgeschlagenen Plan, fanden ihn durchaus unzweckmäßig, sahen auch Hindernisse gegen seine Ausführung, unter anderem, daß wir ja keine Pässe hatten um in Griechenland eingelassen zu werden und irrten die Stunden bis zur Eröffnung des Lloydbureaus entschlußlos und misvergnügt in der Stadt herum. Als die Zeit gekommen war gingen wir an den Schalter und lösten Fahrkarten nach Athen, wie selbstverständlich ohne uns um die angeblichen Schwierigkeiten zu bekümmern, ja ohne die Gründe für unsere Entscheidung gegen einander ausgesprochen zu haben. Dies Benehmen war doch recht sonderbar. Wir anerkannten später, daß wir den Vorschlag, nach Athen anstatt nach Korfu zu gehen, sofort und bereitwillig angenommen hatten. Warum hatten wir also die Zwischenzeit bis zur Öffnung der Schalter in so übler Stimmung verbracht und uns Schwierigkeiten und Abhaltungen vorgespiegelt?
Als ich dann am Nachmittag nach der Ankunft auf der Akropolis stand und mein Blick die Landschaft umfaßte, kam mir plötzlich der merkwürdige Gedanke: Also existirt das wirklich, wie wir’s in der Schule gelernt haben. Genauer beschrieben, die Person, die eine Äußerung tat, sonderte sich weit schärfer als sonst merklich von einer anderen, die diese Äußerung wahrnahm, und beide waren verwundert, obwohl nicht über das Gleiche. Die eine benahm sich, als müßte sie unter dem Einfluß einer unzweifelhaften Beobachtung an etwas glauben, dessen Realität ihr bis dahin unsicher erschienen war. Mit einer mäßigen Übertreibung: als ob jemand, entlang des schottischen Loch Ness spazierend, plötzlich den an’s Land gespülten Leib des vielberedeten Ungeheuers vor sich sähe und sich zum Zugeständnis gezwungen fände: Also existirt sie wirklich, die Seeschlange, an die wir nicht geglaubt haben. Die andere Person war mit Recht erstaunt, weil sie nicht gewußt hatte, daß die reale Existenz von Athen, der Akropolis und dieser Landschaft jemals ein Gegenstand des Zweifels war. Sie war eher auf eine Äußerung der Entzückung vor Hochschätzung dieses Monuments vorbereitet.
Die beiden Phänomene gehören wahrscheinlich zusammen. Das erstere erscheint wie die Vorbereitung für’s spätere. Es mag leichter verständlich sein und uns zum Verständnis des anderen verhelfen. Ich meine, es ist auch nur der Ausdruck einer Ungläubigkeit. »Wir sollen Athen besuchen? Aber das geht ja gar nicht, das wird zu schwer sein.« Die begleitende Verstimmung ist vielleicht die Äußerung des Bedauerns, daß es nicht geht. Es wäre so schön gewesen! Und dann merkt man, es ist ein Fall von »too good to be true«, wie er uns so geläufig ist. Ein Fall von jenem Unglauben, der sich häufig zeigt, wenn man durch eine glückbringende Nachricht überrascht wird wie man einen Treffer gemacht, einen Preis bekommen hat, für ein Mädchen, daß der heimlich geliebte Mann bei den Eltern als Bewerber aufgetreten ist u. dgl.
Ein Phänomen konstatiren, läßt natürlich sofort die Frage nach seiner Verursachung entstehen. Es ist in der Tat befremdend, daß man den Versuch machen sollte, ein Stück der Realität abzulehnen – das will ja der Unglaube – nicht nur wenn es Unlust bringt, denn darauf ist man vorbereitet, sondern auch wenn es im Gegenteil hohe Lust verspricht. Ein paradoxes Verhalten! Ich erinnere mich, daß ich bereits früher einmal den ähnlichen Fall jener Menschen behandelt habe, die »am Erfolge scheitern«. Es wird diesmal ähnlich zugehen, eine innere Versagung an Stelle der äußeren. Die innere Versagung heißt einen, an der äußeren festhalten. Man gönnt sich das Glück nicht. Warum nicht? Weil, lautet die Antwort in einer Reihe von Fällen, man sich vom Schicksal nichts so Gutes erwarten kann. Also wiederum das »too good to be true«, die Äußerung eines Pessimismus, von dem soviel von uns ein großes Stück in sich zu beherbergen scheinen. In anderen Fällen ist es ganz wie bei denen, die am Erfolg scheitern, ein Schuld- oder Minderwertsgefühl, das man übersetzen kann: Ich verdiene es nicht, ich bin eines solchen Glückes nicht würdig. Aber keine Motivirungen sind im Grunde das nämliche. Die eine ist nur eine Projektion der anderen, denn das Schicksal, von dem man nur schlechte Behandlung erwartet, ist, wie längst bekannt, eine Materialisation des strengen Überichs, unser Pessimismus eine Projektion unseres Gewissens.
Somit, meine ich, ist unser auffälliges Benehmen in Triest erklärt. Wir konnten nicht glauben, daß uns die Freude bestimmt sein sollte, Athen zu sehen. Daß das Stück Realität, das wir ablehnten, zunächst nur eine Möglichkeit war, bestimmte die Eigentümlichkeiten unserer damaligen Reaktion. Als wir dann auf der Akropolis standen, war die Möglichkeit zur Wirklichkeit geworden, und die Reaktion äußerte sich in veränderter Form aber weit deutlicher erkennbar von Neuem. Ihr richtiger, unentstellter Ausdruck hätte lauten sollen: Ich hätte wirklich nicht gedacht, daß es mir je gegönnt sein würde, Athen mit meinen eigenen Augen zu sehen, wie es doch jetzt der Fall ist. Wenn ich mich erinnere, welch glühende Sehnsucht zu reisen und die Welt zu sehen, mich in den Gymnasialjahren beherrschte, und wie spät sie sich in Erfüllung umzusetzen begann, verwundere ich mich dieser späten Nachwirkung – ich war damals 48 Jahre alt – nicht. Ich habe meinen um ein Dezennium jüngeren Bruder nicht befragt, ob er Ähnliches wie ich verspürt. Eine gewisse Scheu lag über dem ganzen Erlebnis, sie hatte bereits in Triest unseren Gedankenaustausch behindert.
Wenn wir aber als den Sinn meines »Einfalls« auf der Akropolis richtig erraten haben, er drücke meine freudige Verwunderung darüber aus, daß ich mich an diesem Ort befinde, so wendet sich unser Interesse zur Frage, warum dieser Sinn im Einfall eine so entstellte und entstellende Einkleidung gefunden hat.
Der wesentliche Inhalt des Gedankens ist auch, in der entstellten Äußerung erhalten geblieben, ein Unglaube. (»Nach dem Zeugnis meiner Sinne befinde ich mich jetzt auf der Akropolis, allein ich kann es nicht glauben.«) Dieser Unglaube, dieser Zweifel an einem Stück der Realität, wird in der Äußerung aber in die Vergangenheit gerückt und von meiner Beziehung zur Akropolis auf etwas anderes, auf die Existenz der Akropolis selbst, verschoben. So kommt etwas zustande, was der Behauptung gleichkommt, ich hätte früher an der wahren Existenz der Akropolis gezweifelt, was die Erinnerung aber als unrichtig, ja unmöglich ablehnt. Man kann versuchen, sich in den Umsetzungsprozeß weiter zu vertiefen. Das Ursprüngliche mag eine Empfindung gewesen sein wie: an dieser Situation ist etwas unglaubwürdig, etwas unwirklich. Die Situation besteht aus meiner Person, der Akropolis und meiner Wahrnehmung derselben. Ich kann diesen Zweifel nicht gut unterbringen, ich kann ja meine Sinneseindrücke von der Akropolis nicht bezweifeln. Aber ich erinnere mich, daß ich in ferner Vergangenheit an etwas gezweifelt habe, was mit eben dieser Akropolis zusammenhängt. Also finde ich die Auskunft, den Zweifel in die Vergangenheit zu versetzen. Aber ich erinnere nicht einfach, woran ich damals gezweifelt, nämlich ob ich je die Akropolis sehen würde, sondern der Zweifel ändert seinen Inhalt, ich behaupte jetzt, daß ich damals an der wirklichen Existenz der Akropolis gezweifelt hatte. Das kann nur unter dem Einfluß der gegenwärtigen Situation möglich geworden sein, in ihr muß sich ein solcher Zweifel an einer Realität finden lassen. Kurz, die ganze anscheinend verworrene und so schwer darstellbare psychische Situation klärt sich durch die Annahme, daß ich auf der Akropolis stehend einen Moment lang das Gefühl hatte: was ich da sehe, ist nicht wirklich – man nennt das ein Entfremdungsgefühl – und daß ich einen Versuch machte, dieses Gefühl abzuwehren. Es gelang auf Kosten einer falschen Aussage über die Vergangenheit.
II
Die synthetische Funktion
Das Ergebnis vorstehender Untersuchung ist also, ich hätte in jenem Moment auf der Akropolis die Idee – und das sie begleitende Gefühl – haben sollen: was ich da sehe, ist nicht real, ist vielleicht geträumt oder ich hätte mir selbst merkwürdig verändert vorkommen müssen, als wäre ich nicht derselbe, was sich viel schwerer in Worte fassen läßt. Das erstere schlage ich vor, als Entfremdung zu bezeichnen im effektiven Sinn, das andere als Depersonalisation. Beide Phänomene scheinen einander sehr nahe zu stehen. Ich kenne eigentlich keines von beiden aus unzweideutiger eigener Erfahrung; ich stelle mir vor, es mag oft nicht leicht sein, sie zu unterscheiden. Was ich auf der Akropolis wirklich erlebt habe, war ja eine Abwehr eines solchen Fremdheitsphänomens, eine ungewöhnliche Entstellung desselben. Aus dem Studium dieser Entstellung hoffe ich etwas Einsicht in die Entstehung der typischen Phänomene zu gewinnen.
Es ist nicht zu gewagt anzunehmen, daß gewisse Erinnerungstäuschungen wie das Déjà vu trotz ihrer anscheinend gegensätzlichen Richtung der gleichen Reihe angehören. Einen allgemeinen Charakter der Fremdheitsphänomene haben wir an unserem Beispiel mühelos erkannt, ihre Absicht, sie diene der Abwehr, es soll etwas fern gehalten werden. Mit einem raschen Schritt stellen wir sie an die Seite der Mechanismen, die Ähnliches bezwecken wie Verdrängung und Verleugnung. Da sie aber ganz anders aussehen und ein wesentlich verschiedenes Ergebnis liefern als die Verdrängung, müßten sie sich auch in einem maßgebenden Punkt von den anderen Vorgängen mit ähnlicher Absicht unterscheiden.
Ein Schritt weiter: Dieser Unterschied ist am ehesten ein logischer. Die Verdrängung vollzieht sich zwischen Vbw und Ubw. Nichts dergleichen bei den Entfremdungen. Aber da das Ergebnis des Entfremdungsvorgangs stets ein Unglaube ist, ein Zweifel an der Realität, so liegt es nahe, ihn dorthin zu verlegen, wo es sich um die Funktion der Realitätsprüfung handelt, also in das Ich selbst, das, obwohl dem Vbw soviel näher, doch auch soviel wenig bekannte Pro…ngen und Funktionen umschließt. Also die Entfremdungsphänomene sind Abwehrvorgänge innerhalb des Ichs, in denen sich ein Theil des Ichs gegen einen anderen Theil kehrt und ihm etwas verweigert. Das Ergebnis ist, daß entweder ein Stück des Ichs fremdartig erscheint – dem anderen, oder daß ein Stück der objektiven Außenwelt für unreal gehalten wird. Man soll dieses Dilemma aber nicht in seiner Bedeutung überschätzen. Die Fälle unterscheiden sich nur durch eine Projektion, denn die Außenwelt ist uns nur durch unsere Wahrnehmungen gegeben, und an einem Stück von ihr zweifeln heißt doch nur, an jenem Stück von unserem Ich, an jenen Wahrnehmungen zweifeln, durch die jene Außenwelt repraesentirt ist. Der Zweifel ist also immer im Ich. Es fragt sich dann, was die beiden Teile des Ichs einander verweigern.
Unter allen Vorwürfen, die die Psychoanalyse seit ihrem Beginn hat hinnehmen müssen, ist einer ganz besonders flach und unhaltbar, weil er ohne Beziehung auf den Sachverhalt nur aus dem Namen geschöpft ist. Er lautet, die Psychoanalyse sei ein unvollständiges Verfahren, sie bedürfe zu ihrer Ergänzung eines gegensinnigen Eingriffs einer Psychosynthese! Sonst wirke sie schädlich her…end. Als hätte die Analyse jemals angestrebt, die einzelnen seelischen Elemente sauber herauspraeparirt, aus dem Zusammenhang gelöst, vielleicht die gleichartigen zu Bündeln verschnürt oder in Häufchen angeordnet an gesonderte Stellen im psychischen Raum hinzulegen oder hätte es erreichen können, wenn sie es gewollt hätte. Der unsinnige Einwand übersieht, daß im Seelenleben, genauer gesagt in unserem Ich, unausgesetzt und unaufhaltsam ein Vorgang der Synthese am Werk ist, so daß ein Element, kaum aus seinem bisherigen Zusammenhang gelöst, von einem neuen ergriffen wird und in ihm seine Einreihung findet. Von dieser synthetischen Funktion des Ichs wissen wir freilich lange nicht genug, aber wir haben nie ihre Bedeutung unterschätzt. Sie mag wie alle anderen seelischen Leistungen ihre Bedingungen und ihre Schwierigkeiten haben. Phänomene wie die Entfremdungen werden wahrscheinlich dazu verhelfen, diese zu studiren. Im folgenden werde ich versuchen, jene Grundvorstellungen anzugeben, die wir an ein solches Studium heranbringen.
a). Ein solcher Prozeß der Synthese geht nur in dem Theil der Seele vor sich, den wir das Es heißen. Wir haben von ihm nur eine unbestimmte Empfindung, auf die wir unseren Glauben an eine Einheit des Ichs gründen. Störungen desselben machen sich viel deutlicher fühlbar. Im Es giebt es diesen Prozeß nicht, ja das Fehlen desselben stellt einen der wesentlichen Unterschiede der beiden seelischen Formationen dar. Nur dies Fehlen ermöglicht es, daß im Es die einzelnen Triebregungen im Allgemeinen unabhängig von einander bestehen und vereinzelt ihrer Erfüllung nachstreben.
b). Diese synthetische Funktion wird bestritten von einer überall im Ich wirksamen, nach unserer Terminologie dazugelieferten Libido, die den Hauptcharakter der Libido, die Tendenz zur Herstellung immer größerer Einheiten, in besonders plastischer Weise zeigt. Es besteht keine Schwierigkeit, diese Libido aus dem Vorrat des ursprünglichen Narzißmus hervorgehen zu lassen.
c). Auf welche Weise diese Libido ihre Ziele erreicht, wäre eines der interessantesten Probleme unserer metapsychologischen Spekulation, die derzeit leider nur auf unbestimmte Annäherungen beschränkt ist und in Wahrheit nicht weit über die theoretischen Vorstellungen hinausreicht, die vor 40 Jahren von Breuer in seinem theoretischen Beitrag zu den »Studien über Hysterie« dargelegt wurden. Wahrscheinlich geschieht es auf dem Weg einer Überbesetzung, die die ursprünglich aus dem Es übernommene Energiebesetzung (Ladung) überlagert und sie dabei auf ein anderes, höher zu benennendes Niveau hebt. Für eine weitere Verdeutlichung fehlt es uns an geeigneten physikalischen Parallelen. Es ist aber diese Überbesetzung, welche die im Es gangbaren Vorgänge der Verdichtung und Verschiebung erschwert und so den dort herrschenden Primärvorgang in den im bewußtseinfähigen Ich allein zulässigen Sekundärvorgang umwandelt.
III
Wenn es Störungen und Verweigerungen der synthetischen Funktion giebt, so gehören die Fremdheitserscheinungen zu ihnen. Aber es giebt offenbar viele solche Störungen, und es fragt sich, welche sind die besonderen Bedingungen der Fremdheitsphänomene.
Die allgemeinste Überlegung mahnt, daß das Ich von zwei Seiten her neue Elemente zur Aufnahme in die Synthese erhält, von der Welt der Wahrnehmungen und von der Innenwelt sowohl des Ichs als auch des Es. Für unsere Untersuchung kommen nur Elemente der ersteren Herkunft in Betracht, also ein kritisches Verhalten des Ichs gegen Stücke der Realität |…| der Wahrnehmung.
Man hält einen Moment wie verwirrt inne, wenn man erfaßt, wie mannigfaltig das zu untersuchende Verhalten des Ichs sein mag. Ein eindrucksvolles Beispiel: Das berühmte Klagelied der spanischen Mauren »Ay de mi Alhama« erzählt, wie der König Boabdil die Nachricht vom Fall seiner Stadt Alhama aufnimmt. Er weiß, daß dieser Verlust das Ende seiner Herrschaft bedeutet:
»Cartas le fueron venidas
de que Alhama era ganada
las cartas echo en el fuego
y al mensagero mataba.«
Das Vorgehen des Maurenkönigs mahnt an gewisse neurotische Praktiken, die ein unliebsames Geschehen ungeschehen machen wollen. Er verleugnet eigentlich die Thatsache nicht, daß Alhama gefallen ist, aber er demonstrirt gegen sie, indem er die Briefe verbrennt und den Boten tödten läßt. Der psychische Mechanismus dieser Reaktion ist, wie man leicht einsieht, der, daß er, von der Einsicht in seine Ohnmacht bedrängt, in anderer Weise seine Macht bethätigen will. Ein davon weit abliegender Fall ist der der negativen Halluzination, wenn jemand es zustande bringt, die unerwünschte Wahrnehmung überhaupt vom Bewußtwerden abzuhalten. Und dazwischen liegen ungezählte andere Methoden, die dieselbe Absicht kennen, die Abwehr einer wahrgenommenen Realität durchzusezen.
Kehren wir zur Beobachtung zurück, von der wir ausgegangen, zur Äußerung des Unglaubens auf der Akropolis. Einen Anteil von ihr haben wir kaum gewürdigt und gerade dieser verspricht für die Aufklärung des Pathologischen jenes Einfalls am meisten zu thun. Es ist der Einfluß der Vergangenheit, von dem irgend eine Störung ausgeht am Ende wird ja auch eine falsche Behauptung über jene Vergangenheit aufgestellt. Ich hatte damals in den Gymnasialjahren an der realen Existenz von Athen gezweifelt. Es ist nicht wahr, ich habe vielmehr daran gezweifelt, daß ich je Athen selbst werde sehen können. So weit zu reisen, erschien mir als außerhalb jeder Möglichkeit, das hing mit der Enge und Armseligkeit unserer Lebensverhältnisse in meiner Jugend zusammen, die Sehnsucht zu reisen war gewiß eine Folge des Wunsches, jenem Druck zu entkommen, verwandt dem Drang, der soviel halbwüchsige Kinder dazu antreibt, vom Hause durchzugehen. Es war mir längst klar geworden, daß ein großes Stück der Lust am Reisen in der Erfüllung dieser frühen Wünsche besteht, also auch in der Unzufriedenheit mit Haus und Familie wurzelte. Wenn man zuerst das Meer sieht, den Ozean überquert, Städte und Länder als Wirklichkeiten erlebt, die so lange ferne, unerreichbare Wunschdinge waren, so fühlt man sich, als hätte man größte Thaten vollbracht, die man sich nicht zugetraut hätte. Ich hätte damals in Athen meinen Bruder fragen können: Erinnerst du dich noch, wie oft wir in unserer Jugend Tag für Tag denselben Weg gegangen sind, vom Haus in der und der Straße zum Gymnasium und am Sonntag höchstens in den Prater, und jetzt stehen wir auf der Akropolis! Wir haben es doch weit gebracht.
Und wenn man so Kleines mit Größerem vergleichen darf, hat nicht der erste Napoleon während der Krönung in Notre Dame sich umgewendet und zu einem seiner Brüder (gewiß war es der älteste Josef!) bemerkt: Was würde Monsieur notre père dazu sagen, wenn er jetzt dabei sein könnte? Gewiß, an der Befriedigung, es so weit gebracht zu haben, ist etwas unrechtes dabei, woran sich ein Schuldgefühl knüpfen kann. Etwas, was mit der Kritik am Vater, mit seiner Geringschätzung zu thun hat, als ob das Wesentliche am Erfolg wäre, es weiter zu bringen als der Vater, und als ob es noch immer unerlaubt wäre, den Vater zu übertreffen.
Zu dieser allgemein giltigen Motivirung gesellen sich in meinen Falle noch jene besondere Momente. Erstens, daß das Thema Athen und die Akropolis schon an und für sich einen Hinweis auf den |…| Unterschied zwischen dem Vater und den Söhnen enthielt. Denn er war Kaufmann ohne Gymnasialbildung. Zweitens, daß in meinem Leben eine frühe Reise eine große Rolle spielt und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben muss.
Ich war drei Jahre alt, als wir von unserem kleinen Wohnort in Mähren mit der Eisenbahn nach Leipzig reisten, um dort eine neue Existenz zu beginnen, die lange nicht so schön war wie die frühere, und mit dieser Übersiedlung nahm alles seinen Anfang, was das Kind dazu brachte, an der Größe des Vaters zu zweifeln. Diese Dinge der Vergangenheit, so weit entrückt, halb vergessen und dem Verdrängten so benachbart, besaßen wohl die Eignung, den Ausdruck der Empfindung in jenem Moment auf der Akropolis zu stören.
Sigm. Freud