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Die Oase

Der Stern mit seinem langen, auffälligen Schweif warf ein verschmitzt schillerndes Licht auf die Oase. Es hatte sich stark abgekühlt und Kaspar, Idius, Melchior und Balthasar drängten sich eng um das Feuer. Schweigend hing jeder seinen Gedanken nach. Das lebendige Spiel der Flammen spiegelte sich aufmüpfig im Wasser der Oase wider.

Idius ließ seine Erinnerung zu dem Moment hin schweifen, in dem er das magische Zeichen erkannt hatte und dem Stern gefolgt war. Dieser würde ihn – dessen war er sich sicher – zum Ziel allen Sehnens und Strebens führen. Die nagende Unruhe, die ihn sein Leben lang um- und angetrieben hatte, war plötzlich abgefallen.

Er ließ seinen Blick über die glatte, lichtdurchspielte Wasseroberfläche gleiten und erschrak, als sich ihm seine lange und deutlich gekrümmt Nase entgegenstreckte. „Charakternase“ hatte seine Mutter liebevoll gesagt. Aber ein ums andere Mal war er in der Schule deswegen böse gehänselt worden. „Mohrrüben-Gesicht“ oder „Wurzel-Face“ waren noch die netteren Ausdrücke, mit denen seine Mitschüler ihn aufgezogen hatten.

Und mit diesem Haken im Gesicht sollte er nun dem Erlöser gegenübertreten, der ohne Zweifel am Ende der Reise auf sie warten würde? Völlig ausgeschlossen!

Idius wartete, bis seine drei Weggefährten tief eingeschlafen waren, packte leise seine Habseligkeiten zusammen, schwang sich auf sein Kamel und machte sich entschlossen auf den Weg zurück Richtung Heimat.

Zuhause angekommen, suchte er umgehend den Medicus auf, dem seine Familie seit Urzeiten schon ihr Vertrauen schenkte und bat diesen, seine Nase einer Operation zu unterziehen. Der tat, obwohl zögerlich, wie ihm geheißen. Wochen später entfernte er den Wundverband, und Idius blickte in sein neues Antlitz. Verwundert und fremd, aber doch zufrieden, schaute ihm sein Spiegelbild entgegen. Flugs schnürte er sein Bündel, um sich erneut auf den Weg zur Oase zu machen.

Er war noch nicht lange geritten, als er merkte, dass es ihm unangenehm am Bauch zwackte. Die Hose! Sie war ihm einfach zu eng geworden. Denn in den langen Wochen der Rekonvaleszenz hatte Idius sich wenig bewegen können und dabei sichtlich an Bauchumfang zugelegt. Ein kleiner Fettring schwabbelte lebhaft-lustig über seinem Hosenbund.

Nein! Das war ganz und gar unmöglich! Auch so durfte er den Retter der Welt nicht begrüßen! Da Idius ein Mann der Tat war, sah er sich um und ersann kurzerhand einen Trimm-dich-Pfad, der sich perfekt in die Landschaft der Oase hineinschmiegte. Dreimal täglich absolvierte er von da an sein ausgeklügeltes Fitness-Programm. Viele Reisende waren sehr erstaunt, als sie Idius bei seinen neumodischen Verrenkungen beobachteten.

Nicht wenige von ihnen blieben in der Oase, um es ihm gleichzutun. Schon nach wenigen Woche brachten gewiefte Fremdenführer mehr und mehr Urlauber in die Oase, welche sich schnell zum ersten ökologischen Fitness-Paradies des Orients entwickelte. Bereits nach wenigen Wochen war Idius' Bauchring verschwunden und viele neue Muskelstränge zierten einen festen Körper. Nun fühlte er sich stark genug, um seinen Weg wieder aufzunehmen.

Als er sich reisefertig machte, nahm er erstmals bewusst die vielen Menschen wahr, die jetzt in der Oase sein Fitness-Programm absolvierten. Da erfasste ihn eine rasende Wut! Er, Idius, hatte diesen Pfad erschaffen, und keiner dieser Gäste hatte ihm je gedankt, geschweige denn etwas dafür gezahlt! Eine solch himmelschreiende Ungerechtigkeit konnte nun wirklich nicht im Sinne des Schöpfers sein! Umgehend machte sich Idius daran, einen kleinen Stand aus Sand und Palmzweigen am Eingang der Oase aufzubauen, um von nun an ein paar Taler von jedem zu kassieren, der seinen immer beliebter werdenden Naturtrimmpfad nutzen wollte.

Bald lief sein Geschäft so gut, dass er nur noch ganz selten Zeit hatte, an Kaspar, Melchior oder Balthasar zu denken. Und auch der Stern hatte schon längst seinen hellen und langen Schweif verloren, der ihm einst die Richtung gewiesen hatte.


Als er eines Abends stolz seinen Gewinn gezählt hatte, blickte er auf den kleinen Oasensee, der sich im sanften Licht des Mondes wiegte. Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sein Geiz und seine Habgier hatten ihn blind gemacht und von seinem wahren Ziel abgelenkt. Von diesen Lastern musste er sich so schnell wie möglich befreien!

Idius nahm all sein Angespartes, ritt zurück in die Stadt, um sich nach Armen und Bedürftigen umzusehen, die aus seinem beträchtlichen Vermögen etwas Rechtes würden machen können. Als er sein ganzes Hab und Gut mehr oder weniger fruchtbar verausgabt hatte, machte er sich zum dritten Mal auf den Weg Richtung Oase.

Aber ach, diese verflixte Oase! Als ob ein seltsamer Zauber über ihr läge, hielt sie Idius jedes Mal einen neuen Spiegel vor. Unbarmherzigkeit, Unmäßigkeit, Verzweiflung, Pickel, Falten, Doppelkinn … Es gab so vieles, was der arme Idius an sich entdeckte und das er, so gut es eben ging, zu besiegen suchte. Doch es war wie verhext: Hatte er gerade den Sieg über das eine errungen, schaute das andere keck aus der nächsten dunklen Ecke hervor!

Dieser ungleiche Kampf hielt Idius derart in Atem, dass er nur noch ganz selten an sein eigentliches Ziel dachte und auch der Kunde von den Wundertaten eines mächtigen Heiligen im Westen kaum Aufmerksamkeit beimaß. Selbst die Nachricht, dass seine einstigen Weggefährten eine nicht unbeträchtliche Rolle in diesem Geschehen gespielt hatten, drang nicht allzu nah an Idius heran.

Einige Jahrzehnte vergingen so seit jener Nacht, in der er Kaspar, Melchior und Balthasar in der Oase zurückgelassen hatte. Da erstrahlte eines Abends ein besonders helles Sternengespann am Himmel und Idius' Blick fiel auf sein eigenes, müde gewordenes Antlitz, das sich im Oasenteich spiegelte. Er sah die operierte Nase mit der kleinen Narbe, fühlte seinen inzwischen beträchtlichen Bauchumfang, nahm den Funken von Habgier wahr, der in seinen Augen aufblitzte. Seine Härte, seine schiefen und dunkel gewordenen Zähne … Er sah Eifersucht, Stolz und vieles mehr. Jede noch so kleine Verdunkelung wurde vom Licht der Oase unbarmherzig zurückgeworfen.

Auch seine Talente sah er und mit ihnen die guten Taten, die er vollbracht hatte. Er versank völlig in dieses faszinierende Schauspiel des Auftauchens und Verschwindens. Zeit und Raum verloren ihre Bedeutung. Und eine tiefe Ruhe kehrte in ihn ein. Idius schaute und schaute. Er schaute einfach, ohne irgendetwas zu tun. Menschen erzählen, dass er viele Stunden und Tage dort gesessen habe und nicht einmal aufblickte.

Da geschah es. Völlig unerwartet und gleichsam so selbstverständlich, als wäre es nie anders gewesen, blickte Idius demjenigen ins Auge, der er wirklich war. Und so war auch Idius, viele Jahre nach Kaspar, Melchior und Balthasar, schließlich an der Krippe angekommen.

Himmlisch vergnügt

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