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Ökonomie und Psychologie: Warum wir bei Hunger mehr arbeiten
// Von Professor Dr. Hanno Beck

E4 mag Tom Collins, Felsameisen und den Immobilienmarkt. E4 ist eine Ratte. Und sie zeigt uns, warum wir alle ein bisschen Ökonomen sind.

Einmal Shopping Queen

Nina heißt sie, die Glückliche. Nina kommt aus Hamburg. Sie hat sich für ein rotes Abendkleid, High Heels und eine Handtasche entschieden. Ihre Tätowierungen – Arme, Hände, Hals – arbeiten sich wunderbar in ihren Look ein, wie Guido erklärt.

Guido – das ist Guido Maria Kretschmer, ein deutscher Modedesigner, Moderator und Schiedsrichter der Fernsehshow “Shopping Queen”. Nina hat es geschafft: Mit ihrem Look wird sie zur Shopping Queen 2013 gewählt, gewinnt eine Krone, eine Reise für zwei Personen in die Mode-Metropole New York, 1000 Euro Shopping-Geld und Tickets für die New York Fashion Week.

More bang for the buck

Das Fernseh-Format “Shopping Queen” ist einfach und unterhaltsam: Jede Woche treten fünf Frauen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen gegeneinander an. Ihre Aufgabe: Sich, mit einem vorgegebenem Geldbetrag ausgestattet, möglichst geschmackvoll und elegant nach einem vorgegebenem Motto zu kleiden und zu stylen. Anschließend wird jedes Outfit von allen Teilnehmerinnen und von Guido bewertet, die Dame mit der höchsten Punktzahl wird Shopping-Queen.

Bevor man dieses als “Reality-TV” belächelte Format als Unterschichtenfernsehen abkanzelt, ein Blick auf die Spielregeln: Man bekommt einen festen Betrag X und muss damit haushalten – also das wenige Geld so ausgeben, dass man einen möglichst großen Effekt erzielt. More bang for the buck, wie die Angelsachsen sagen – mehr Wumms für die sauer verdiente Kohle.

Ökonomie begleitet uns durchs Leben

Kennen Sie das? Natürlich, jeder kennt das, das fängt schon an mit dem Taschengeld: Man steht im Supermarkt und überlegt, wie man die zehn Euro Taschengeld sinnvoll ausgibt – Eis oder Schokolade? Oder beides? Und wenn beides, in welchem Verhältnis? Acht Euro für Schokolade, zwei für Eis? Halbehalbe?

Dieses Problem begleitet uns durch unser ganzes Leben: Wir müssen mit einem gegebenen Einkommen, einem fixen Geldbetrag – Ökonomen sprechen von einem Budget – auskommen und überlegen, wie wir dieses Budget am geschicktesten aufteilen auf die vielen Wünsche, die wir uns erfüllen wollen.

Die Haushaltstheorie

In der ökonomischen Fachwelt untersucht man dieses Problem unter der Rubrik “Haushaltstheorie”, und Ökonomen verstehen sich auf die Kunst, einfache Probleme kompliziert zu beschreiben:

Um den Nutzen zu maximieren… wird ein Individuum solche Mengen von Gütern kaufen… für die die psychische Tauschrate zwischen zwei Gütern (die Grenzrate der Substitution) gleich ist der Rate, zu der die beiden Güter getauscht werden.

Man braucht Zeit und Muße, um dieses Kauderwelsch zu verdauen, erst Recht, wenn das Ganze mit Formeln und bunten Grafiken garniert ist. Und selbst wenn man es versteht – wer glaubt denn so was? Und vor allem: Wer verhält sich so?

E4 – die Ratte, die rechnen kann

Jemanden, der sich so verhält, finden wir in Texas. In den Animal Laboratories der Texas AundM University und an der Washington University. Dort, zwischen sterilen Gängen, Reihen voller Käfigen unter Neonlicht, haben John H. Kagel, Raymond C. Battalio und Leonard Green die elementaren Ideen der Mikroökonomen dem Realitätstest ausgesetzt – sind die Ideen der Ökonomen lebensnah? Sind sie. Und die Kronzeugen tragen Fell. Oder Federn.

Tiere bieten eine einfache Möglichkeit, elementare ökonomische Prinzipien zu testen, sagen die drei Forscher: Man kann Experimente wiederholen, beobachten, verändern, man kann die Versuchspersonen – pardon, Tiere – belohnen und bestrafen – viele Dinge, die man mit menschlichen Versuchspersonen nicht ohne weiteres machen kann, jedenfalls nicht, ohne vor dem Staatsanwalt oder in der Bild-Zeitung zu landen.

Mehr arbeiten bei Hunger?

Beispielsweise können die Forscher testen, ob ihre Schützlinge mehr arbeiten, wenn sie Hunger haben. Oder ob sie mehr riskieren, wenn der Futternapf leer ist. Oder ob die Stütze vom Sozialamt dazu führt, dass sie weniger arbeiten.

Auch wenn das nicht nett ist – mit Ratten und Tauben kann man Experimente machen, die sich mit Menschen verbieten. Aber wenn Ratten und Tauben den Lehrbuchtheorien der Ökonomen folgen, bedeutet das, dass wir damit wissen, wie Menschen sich verhalten? Kann man das Verhalten von Tieren auf Menschen übertragen?

Ökonomische Gesetze im Käfig

Schwer zu sagen. Die Forscher argumentieren anders: Wenn in einfachen Laborexperimenten ökonomische Ideen versagen, wieso sollten sie dann in einer viel komplexeren Welt jenseits der Käfige funktionieren?

Tierexperimente sind sozusagen der Versuch, ökonomische Theorien zu widerlegen – wenn schon Tiere sich nicht daran halten, warum dann Menschen? Also, wie testet man komplizierte wirtschaftliche Hypothesen an Tieren? Wie muss man sich das vorstellen? Lassen Sie uns ein Experiment entwerfen. Nehmen wir einmal Ratten.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen

Beispielsweise eine Ratte namens E4. Forscher sind wenig sentimental – während wir unseren Haustieren liebevolle Namen geben – Schatz, Liebling, Hasi, Engelchen oder Mistvieh – werden Tiere, die eigentlichen Stars der Experimente, in wissenschaftlichen Papieren lediglich mit Buchstaben und Nummern versehen. Ein wenig herzlos.

Aber zurück zu E4. Zunächst geben wir E4, einer stattlichen Ratte, freien, unbegrenzten Zugang zu normalem Futter und Wasser, ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Doch ein wenig Luxus muss sein, also hat E4 die Wahl zwischen zwei weiteren Getränken: Root Beer – eine furchtbar süße, alkoholfreie Mischung aus Kräuter- und Wurzelextrakten – und einen Tom-Collins-Mix, das ist ein Cocktail aus Zitronensaft und Zuckersirup. Den Gin, der diesen Mix normalerweise veredelt, lassen wir aus naheliegenden Gründen weg.

Text stammt aus: Das Leben ist ein Zoo: Geschäftstüchtige Affen, gefiederte Panzerknacker und Fische in der Waschstraße. Die erstaunlichen Parallelen zwischen Mensch und Tier (2015) von Professor Dr. Hanno Beck, erschienen bei FAZ Verlag, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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