Читать книгу Sehe was ich sehe - Simone Jerosch - Страница 3
Kapitel 1 Sehe was ich sehe
ОглавлениеMeine Mutter hat heute Geburtstag. Es muss über acht Jahre her sein, als ich das letzte Mal etwas in ein Buch geschrieben habe. Viel zu lange. Früher habe ich es fast täglich getan aber, wie so vieles, ist es irgendwie im Sande verlaufen. Obwohl sich in meinem Kopf ein Beben aus Ideen und Fantasie erhebt, fällt es mir wahnsinnig schwer es in Worte zu fassen oder gar auszudrücken. Die Angst ist groß, dass ich missverstanden oder als verrückt angesehen werde. Wenn ich so zurückdenke, bin ich seit meiner frühen Kindheit so. Bin ich so geboren worden oder gab es einen Auslöser für manch andere Denkweisen? Ich weiß es selber nicht, aber meinem Gefühl nach, bin ich so geboren worden. Sehr in mich gekehrt, schüchtern, ja sogar fast still. Ich hatte wegen meiner Schüchternheit oft Probleme in der Schule. Fast täglich und das über viele Jahre. Genau aus diesem Grund bildete ich eine sogenannte Mauer um mich herum und vergrub mich in meine Gedanken, Träume, all das was die Welt zu bieten hat. Wie viel werde ich von dieser wunderschönen Welt erleben? Jedenfalls fällt es natürlich auf, wenn ein junges Mädchen stets still und für sich ist. Demnach kann ich es teilweise verstehen, dass manch einer sich davon distanziert und damit nicht in Berührung kommen möchte. Und so war es auch. Jeden Tag frage ich mich, warum bin ich so? Will man mich damit bestrafen oder ist es eine Art Gabe, welche ich nicht richtig einzusetzen weiß? Nun bin ich 27 Jahre alt und habe noch immer keine Antwort gefunden, nach der ich so sehnlichst suche. Doch die Gewissheit ist da. Ich bin anders. Vielleicht liegt es an der Art wie ich aufgewachsen bin...Ich weiß es nicht. Noch nie habe ich jemandem erzählt, wie ich mich fühle, aus Angst verstoßen zu werden oder nicht ernst genommen zu werden. Aus diesem Grund, belasse ich es dabei, es mit mir selber vereinbaren. Wo soll ich denn bloß anfangen? Jedes mal, wenn ich darüber nachgedacht habe etwas von meinen Gedanken schriftlich festzuhalten, prasselten so viele Gedanke durch meinen Kopf, dass ich eine Art Blackout entwickelt habe und mein Gehirn platzen würde. Gerade um diese Blackouts zu bekämpfen, machte ich es mir zum Ziel einfach alles auf Papier zu bringen. Vielleicht hilft es mir ja dabei, diverse psychische Erkrankungen und negative Erfahrungen aufzuarbeiten. Um es auf den Punkt zu bringen, ich versuche mein Leben und meine negativen Erfahrungen zu schildern und woran ich immer mehr merkte, dass ich anders bin, als „normale“ Menschen. Zu Beginn muss ich sagen, dass ich viel lieber normal wäre, als ständig Angst zu haben oder Zwangsgedanken zu produzieren. Seit meiner Kindheit leide ich an einer Sozialphobie, welche aber nie als derart erkannt wurde, sondern ich eigentlich nur als bockig eingestuft wurde. Ein Mädchen, was sich einfach stumm stellt, aus welchen Gründen auch immer. Keiner sah was los war. Vielleicht wollte es aber auch niemand sehen. Viele Jahre später, im Jahr 2008, habe ich meine erste Panikattacke bekommen, welche sich noch bis heute erkenntlich zeigen. Des weiteren bekam ich schwere Depressionen und litt an einer unbewussten Essstörung. Bei 1,70cm Körpergröße wog ich nur noch knapp 40kg. Ich denke, dass ich schon mein Leben lang an diesen Dingen erkrankt bin, es jedoch erst viele Jahre später quasi ausgebrochen ist. Nach all den Jahren dachte ich, ich könnte damit leben und umgehen. Naja, was soll ich sagen? Bis heute konnte ich mich nicht daran gewöhnen. Vielleicht will ich das aber auch nicht. Wie kann man sich an so eine tägliche Qual gewöhnen? Am schlimmsten empfinde ich die tägliche Angst, eine weitere Panikattacke zu bekommen. Jetzt genau in diesem Moment. Die Angst vor der Angst selber. Es ist ein Teufelskreis. Mein Kopf spielt in diesen Augenblicken Achterbahn. Zuerst fühlt es sich an, also ob der Kopf von Innen heiß wird. Ein taubes Gefühl in den Ohren und auf der Zunge. Wie , als wenn ich einen Klos im Hals hätte, der sich langsam und meinen gesamten Hals schnürt und mir die Luft raubt. Schlucken fällt immer schwerer. Die volle Konzentration ist nun auf meine Atmung fixiert….Ich könnte ersticken, schießt mir durch den Kopf. Mir wird unglaublich heiß und ich fange an zu schwitzen. Ein Stuhl, ein Bett, irgendetwas zum hinsetzen oder gar liegen. Mir wird kotzübel, schwindelig. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt, als ob alles nur ein schlimmer Alptraum ist. Die ganze Umgebung fühlt sich irreal an wie, als wenn ich direkt neben meinem Körper stehen würde. Jetzt ist der Höhepunkt da und der Moment an dem ich endgültig meinen Verstand verliere...dann spüre ich nur noch Herzrasen. „Gleich bekomme ich einen Herzstillstand. Ich werde sterben“, schießt es mir durch den Kopf. Diese Qual soll endlich aufhören und ein Ende nehmen. Ich ziehe den Tod in diesen Momenten vor. Einfach in Ohnmacht fallen und alles hat ein Ende. Es dauert in der Regel ca. 30 Minuten bis es anfängt abzuflachen. Danach folgt totale Erschöpfung des Körpers und Geistes. Der komplette Körper zittert unkontrollierbar und entspannt sich sehr langsam. Total durchgeschwitzt. Ich kann mich an so etwas nicht gewöhnen oder es sogar akzeptieren. Warum bin ich so? Wieso kann ich nicht wie jeder andere, normale Mensch sein? Seit 2008 nehme ich zwei verschieden Arten Antidepressiva täglich ein. Morgens eine Dosis Serotonin, welche gegen ständige Zwangsgedanken, Grübeleien und soziale Phobien ankämpfen soll und Abends eine kleine Tablette, die sedierend wirkt, damit ich müde werde und die Nacht durchschlafen kann. Die Tabletten helfen in einigen Punkten sehr. Ohne diese wäre mein Leben noch um einiges schwieriger zu bewältigen. Aber gegen die Panikattacken hat es kaum geholfen. Diese treten oft so akut auf, dass ich jede Stunde Angst habe vor der nächsten. Selbst wenn es schon einen Monat her ist seit der letzten Attacke, die Angst ist allgegenwärtig. Sie ist jede einzelne Sekunde in meinem Kopf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich ein ähnliches Gefühl hatte. Ich muss um die 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein. Damals war es Wochenende und ich habe zu der Zeit oft bei einer meiner damaligen besten Freundin übernachtet. Sarah. Wir hatten und zum Schlafen hingelegt und über alles mögliche gequatscht. Über Gott und die Welt, bis das Thema Weltall kam. Ein Thema was mich eigentlich so gut wie gar nicht interessiert. Doch dann schoss mir dieser Gedanke in den Kopf, den mit Sicherheit schon etliche Menschen hatten, aber jeder abstempelt, als „unlösbar“. „Sara, das Weltall ist doch unendlich, oder? Das geht doch nicht. Nichts ist endlos. Es muss doch etwas dahinter sein.“ Sarah grübelte und nuschelte im Halbschlaf :“Ich glaube nicht, aber das wird man eh nie erfahren...“ dann drehte sie sich weg und schlief ein. Für mich ging das Grübeln erst richtig los. Obwohl ich so jung war, zerbrach ich mir über scheinbar unlösbare Phänomene dermaßen den Kopf, dass ich dachte, ich werde verrückt. Richtig verrückt. Plötzlich nahm ich Dinge wahr, die mir noch nie bewusst aufgefallen sind, da es tägliche, normale Dinge sind, welche jeder einzelne Mensch auf diesem Planeten hat. Meine Atmung wurde immer flacher, ein Gefühl der Enge im Hals. Mein Herz klopfte mir so stark gegen die Brust, dass ich dachte, gleich fliegt es mir um die Ohren. Das Weltall kann nicht unendlich sein. Das ist doch keine logische Erklärung, womit man sich zufrieden geben kann. Wie wurde die Erde erschaffen? War die Welt früher wirklich so, wie es uns in den Medien und zahlreichen Büchern erzählt wird? All die Geschichten über Jesus und die Bibel. Wissenschaftlich gesehen ist das natürlich totaler Unsinn. Ich glaube vielleicht nicht an DEN Gott, aber ich glaube an etwas. Ich weiß nur noch nicht genau an was. Die Geschichte mit Adam und Eva macht, logisch betrachtet, keinen Sinn. Nicht für mich. Was ist mit der Evolution? Wie sind Menschen zu dem geworden was sie heute sind? Wir haben Gefühle, ein Gedächtnis, eine verdammte Seele! Wie arbeitet der menschliche Körper und warum tut er es? In diesem Moment, als ich so da lag, an die Decke starrend, bekam ich so ein beklemmendes Gefühl, wie ich es noch nie bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hatte. Mein Kopf wurde heiß und ich dachte, dass es jetzt zu Ende geht. Meine Atmung wurde unregelmäßiger, sodass ich anfing mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Was, wenn ich plötzlich keine Luft mehr bekomme? Obwohl ich weiß, dass es quasi unmöglich sei, aus heiterem Himmel keine Luft mehr zu bekommen, ist dieses beklemmende Gefühl da. Dieser Zwangsgedanke, der bis zum heutigen Tage anhält, ausgelöst durch eine einfache Frage. Seitdem mache ich mir ,Tag für Tag, Gedanken über alltägliche Sachen, die jeder andere schon übersieht oder nicht wahrnimmt, da der Körper automatisch arbeitet. Mein eigener Körper kommt mir in diesen Momenten vor wie ein Gefängnis, aus dem kein Entkommen ist. Eine Maschine, die nicht richtig arbeitet. Von Ärzten mehrere Male durchgecheckt. Alles in Ordnung. Mir ist bewusst, dass es meine Psyche ist, die mir Tag für Tag das Leben erschwert. So etwas merkt man. Ich kann nicht genau erklären, woran man es merkt, aber man tut es. Das Umfeld wird es aber niemals merken, weil sie es nicht verstehen können, da sie keinerlei Erfahrung damit haben. Das verstehe ich und deswegen habe ich mich darüber nie geäußert und habe versucht mit dem Strom mit zu schwimmen. Das ging auch eine Zeit lang gut, bis mich die alltäglichen Gedanken einholten. Mit 20 Jahren ging es dann wieder los. Seit diesem Zeitpunkt „lebe“ ich damit. Versuche es. Ich drehe zu dem Zeitpunkt, als es täglich los ging um Menschen meine Denkweise zu erklären, deren Alltag davon nicht betroffen ist. Bevor ich hier zu weit aushole, erkläre ich meine persönliche Empfindung einer akuten Panikattacke. Dann kann ich mich Detail für Detail weiter vor arbeiten. Es ist ein ganz normaler Sonntagabend. Ich schaue mal wieder meine Lieblingsserie „The walking Dead“. Die fünfte Staffel ist es mittlerweile schon. Neben mir etwas zu trinken und ein paar Knabbereien. Plötzlich, aus dem Nichts, zuckt mein Kopf von Innen. Nur ein Bruchteil einer Sekunde. Ich frage mich, was das war und bemerke, dass mein Herz anfängt immer schneller zu pochen. Alles wird ganz heiß, mein Kopf, meine Ohren und meine Brust. Ich versuche kontrollierter zu atmen, aber genau das Gegenteil erfolgt und es folgt eine Art Hyperventilation. Die Konzentration ist so verkrampft auf die Atmung, dass mir das Gefühl der Atemnot emporsteigt. Obwohl ich genau weiß, dass mir nicht schlimmes passieren kann, überkommt mich schreckliche Todesangst. Ich stehe neben mir, wie in einem Traum. Es wirkt wie in Trance. Paralysiert. Keine körperliche Bewegung ist möglich. Bei der kleinsten Bewegung könnte ich in Ohnmacht fallen, was natürlich nicht der Fall ist. Mein Kopf ist so schrecklich heiß. Es kribbelt. Ein Gefühl, den Verstand komplett zu verlieren. Die Hitze frisst meinen Verstand weg. Schweiß, ich fange an zu schwitzen, obwohl ich jemand bin, der sehr selten anfängt zu schwitzen. Der ganze Körper steht wie unter Strom und zittert. Schmerzen, wie bei einem Muskelkater,breiten sich über den ganzen Körper aus. Die Kraft schwindet um dagegen anzukämpfen. Ich schließe meine Augen und hoffe, dass es bald vorbei ist. Kurz darauf muss ich anfangen zu weinen. Mehrere Tränen wandern über meine Wangen hinunter bis zur Lippe. Voller Wut und Verzweiflung beiße ich mir auf die Lippe und kauere leise vor mir hin. Warum habe ich so etwas nur? Aus heiterem Himmel, ohne irgendeinen Grund oder gar eine Bedrohung. Mein Kopf weiß, dass es nichts gefährliches ist, aber mein Körper sendet Signale an mein Gehirn, als wenn ich gerade Todesängste durchstehen muss. Wie kann man denn etwas therapieren, wo man genau weiß, dass es „nur“ körperliche Symptome sind und keine Gefahr besteht? Ich möchte es ja so gerne kontrollieren können, gerade weil ich ja weiß, dass keine Gefahr besteht. Der Verstand steuert den Körper. Ein Neurologe sagte mal: „Wenn der Patient genau weiß, dass es rein psychisch ist und keinerlei körperliche Gefahr besteht, dann ist es sehr schwer diesen zu therapieren, da ihm genau bewusst ist, dass es mit dem Verstand zu steuern ist.“ Und das gab mir recht wenig Hoffnung. Nach dem Motto „sieh zu wie du damit klar kommst“. Ich gehe auch nicht (mehr) zu einem Therapeuten, da ich der Überzeugung bin, dass es mir nicht viel bringen wird.