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Obgleich Carola in Minnesota geboren war, wußte sie nicht viel von den Präriedörfern. Ihr Vater, ein lächelnder, etwas schäbig aussehender, gelehrsamer und freundlich scherzender Mann, stammte aus Massachusetts und war während ihrer Kindheit Richter in Mankato gewesen, das keine Präriestadt, sondern mit seinen von Gärten eingesäumten Straßen und Ulmenanlagen ein wiedergeborenes weiß-grünes Neu-England ist. Mankato liegt zwischen Felsen und dem Minnesota River, hart an der Traverse des Sioux, wo die ersten Ansiedler Verträge mit den Indianern machten und Viehdiebe einst auf der Flucht vor wie besessen reitenden Polizeitruppen vorübergaloppierten.

Wenn Carola an den Ufern des dunklen Flusses umherstieg, lauschte sie seinen Märchen von dem großen Land der gelben Wasser und gebleichten Büffelknochen im Westen; von den Flußniederungen im Süden mit den singenden Negern und den Palmen, wohin er, ewig rätselhaft, glitt; und sie hörte die aufgeregten Glocken der Flußdampfer wieder, die vor sechzig Jahren auf Sandbänke aufgefahren waren. Auf den Verdecks sah sie Missionare, gewerbsmäßige Spieler mit hohen Zylinderhüten und Dakotahäuptlinge mit purpurroten Decken … Fernes Pfeifen in der Nacht, das Echo von Ruderschlägen in den Föhren, ein Schimmer auf schwarzen, gleitenden Wellen.

Carolas Familie kam in ihrem phantasiereichen Leben mit sich allein aus; Weihnachten war eine Feier voll Überraschungen und Zärtlichkeiten, es gab improvisierte vergnügt komische »Maskeraden«. Die Tiere in der Milford'schen Kindermythologie waren nicht scheußliche Nachtwesen, die aus Kammern herausspringen und kleine Mädchen auffressen, sondern freundliche, helläugige Geschöpfe – das Tapp-tapp, das wollig und blau ist und im Badezimmer lebt und schnell läuft, um die kleinen Füßchen zu wärmen; der eiserne Ölofen, der schnurrt und Geschichten weiß; und das Heinzelmännchen, das vor dem Frühstück mit den Kindern spielt, wenn sie, noch während der Vater beim Rasieren die erste Strophe seines Liedes singt, aus dem Bett springen und das Fenster zumachen. Richter Milfords pädagogisches System bestand darin, daß er die Kinder alles lesen ließ, was ihnen in die Hände fiel; und in seiner braunen Bibliothek verschlang Carola Balzac, Rabelais, Thoraux und Max Müller. Er lehrte sie ernsthaft die Buchstaben auf dem Rücken des Lexikons, und wenn höfliche Besucher nach den geistigen Fortschritten der »Kleinen« fragten, hörten sie entsetzt die Kinder eifrig wiederholen: A–And, And–Aus, Aus–Bis, Bis–Cal, Cal–Cha.

Als Carola neun Jahre alt war, starb ihre Mutter. Ihr Vater zog sich aus dem Amt zurück, als sie elf war, und brachte die Familie nach Minneapolis. Dort starb er zwei Jahre später. Ihre ältere Schwester, eine emsige brave Seele, die immer guten Rat zur Hand hatte, war ihr schon fremd geworden, als sie noch zusammen in einem Haus lebten.

Aus diesen frühen braun-silbernen Tagen bewahrte sich Carola in ihrer Unabhängigkeit von Verwandten die Bereitwilligkeit, anders zu sein als energische, tüchtige Menschen, die keine Bücher kennen; den Trieb, das Hasten zu beobachten und sich darüber zu verwundern, auch wenn sie daran teilnahm. Aber als sie ihre Laufbahn des Städtebauens entdeckte, merkte sie zufrieden, daß es sie jetzt trieb, selbst energisch und tüchtig zu sein.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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