Читать книгу Dr. Brinkmeier Classic 6 – Arztroman - Sissi Merz - Страница 3

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»Guten Morgen, Afra. Das duftet aber verführerisch. Was hast denn wieder Feines gezaubert?« Dr. Max Brinkmeier, der Landarzt von Wildenberg, einem kleinen Flecken im schönen Berchtesgadener Land, schnupperte genießerisch.

Die alte Hauserin lächelte. »Feine Pfannkücherl, wie du sie gern magst, Doktor. Geh nur in die Stube, dein Vater sitzt schon am Tisch. Ich hab’ extra ein paar Kücherln mehr gebacken.«

»Das läßt sich hören. Bist doch unsere Beste, Afra.«

»Ja, ja, bis der Magen gefüllt ist«, brummte die Hausperle mit der rauhen Schale und dem Herzen aus Gold.

Max mußte lächeln. Afra gehörte zu seinem Leben dazu, solange er denken konnte. Als der jetzige Landarzt noch ein kleiner Bub gewesen war und sein Vater die Praxis geführt hatte, war die Hauserin bereits der gute Geist im Doktorhaus gewesen. Josef Brinkmeier hatte seine Frau vor der Zeit verloren, für Max war Afra eine Art Mutterersatz und er hing auch heute noch an ihr.

Josef blickte von der Morgenzeitung auf, als sein Sohn die Stube betrat. Er und Max sahen einander recht ähnlich, beide waren sie hoch gewachsen und schlank, in das sandblonde Haar des pensionierten Mediziners schlichen sich aber immer mehr graue Strähnen. Doch wenn Josef verschmitzt lächelte, dann hatte er noch immer etwas Jungenhaftes. Jetzt allerdings blickte der Alte eher griesgrämig vor sich hin. Max bemerkte es und wollte wissen. »Hast was, Vater? Geht es dir net gut? Schmerzen?«

Vor einiger Zeit hatte Josef die Praxis aufgeben müssen, denn er litt zunehmend unter Herzbeschwerden. Daß sein Sohn auch sein Nachfolger werden würde, war nicht unbedingt selbstverständlich gewesen. Max war nach dem Studium zusammen mit der Frau seines Herzens nach Afrika in die Entwicklungshilfe gegangen. Er hatte dort zehn Jahre lang gelebt und gearbeitet, und die Entscheidung, nach Wildenberg zurückzukehren, war ihm alles andere als leicht gefallen. Bereut hatte er es nicht. Auch wenn die Sehnsucht nach Dr. Julia Bruckner, die er in Ruanda hatte zurücklassen müssen, zu seinem ständigen Begleiter geworden war.

Der Zustand des alten Brinkmeier hatte sich stabilisiert, seit er seinen Ruhestand genoß, nur noch ab und an in der Praxis aushalf. Und er litt auch an diesem kalten Januartag nicht unter Schmerzen, wie er seinen Sohn eher unwillig wissen ließ.

»Aber irgendwas hast doch. Du bist von Natur aus kein launischer Mensch, Vater. Was quält dich? Willst es mir net verraten?« hakte der junge Landarzt hartnäckig nach.

»Mei, Bub, ich hab’ schon was auf dem Herzen. Und ich weiß net, wie ich es dir sagen soll. Das Ganze ist… peinlich«, gab Josef da zögernd zu. »Am liebsten hätte ich die Sache für mich behalten, aber ich fürchte, du wirst es über kurz oder lang doch erfahren. Und wenn es schon sein muß, dann will wenigstens ich derjenige sein, der dir die Geschichte so erzählt, wie sie auch wirklich gewesen ist, verstehst?«

»Kein Wort.« Max bedankte sich bei Afra, die gerade die duftenden Pfannkuchen brachte, und nahm sich sofort einen. Sein Vater lehnte ab. Nun war der junge Arzt überzeugt, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Er hatte noch nie erlebt, daß Josef auf einen von Afras Pfannkuchen verzichtete.

»Schau, Max, ich war doch im letzten Jahr in Meran zur Kur«, fing Brinkmeier senior nun gequält an zu erzählen. »Und da hab’ ich jemanden kennengelernt. Net, was du denkst. Ich bin nicht darauf aus gewesen, das gewiß net. Und eigentlich, na ja, eigentlich wollte ich mit der Dame auch gar nix zu tun haben.«

Max steckte sich die Reste seines Pfannkuchens in den Mund und stellte mit unterschwelliger Ironie fest: »Du hast dir also doch einen Kurschatten zugelegt. Ich hab’ die ganze Zeit so was vermutet, als du früher heimgekommen bist. Ist die Dame vielleicht zudringlich geworden und wollte geheiratet werden?«

»Das ist net zum lachen!« brauste Josef erbost auf. »Ihr Name ist Valeska Kaiser, sie ist Witwe und in den sogenannten besten Jahren. Sie ist net eben häßlich, aber ich hab’ nie was von ihr gewollt. Du weißt ja, nach eurer Mutter hab’ ich keine Frau mehr angeschaut, das Kapitel war für mich abgeschlossen.«

»Demnach ist die Initiative von ihr ausgegangen«, schloß Max.

»Ja, so kann man sagen. Ich hab’ mich rar gemacht, bin ihr ausgewichen, als sie angefangen hat, von einer Bindung und einer gemeinsamen Zukunft zu reden. Es hat aber nix genützt, sie war hartnäckig. Da hab’ ich mein Heil eben in der Flucht gesucht und bin früher heimgekommen.« Josef lächelte schmal. »Ich war sicher, sie nie wieder zu sehen. Leider hab’ ich mich geirrt.«

Max hob die Augenbrauen. Verwundert fragte er: »Sie ist hier? In Wildenberg? Heißt das, sie ist dir nachgelaufen? Darauf kannst dir aber was einbilden.«

»Ganz gewiß net. Ich will mit dieser Frau nichts zu schaffen haben, Bub, hörst? Ich mag sie nicht treffen und auch meine Zeit nicht mit ihr verbringen. Aber ich kann ihr das net begreiflich machen. Sie versteht es einfach nicht.«

»Weil sie es nicht verstehen will, ganz klar.« Der Landarzt nahm sich noch einen Pfannkuchen und riet seinem Vater: »Du mußt deutlich werden, wenn du sie los werden willst.«

»Ich fürchte nur, das wird nix nützen. Sie hat so eine Art, alles, was ihr nicht paßt, zu überhören, die kann einen recht krank machen. Und deshalb habe ich dir die ganze Geschichte ja auch erzählt. Weil ich nämlich deine Unterstützung brauche, Max. Allein werde ich nicht mit dieser Frau fertig.«

»Du willst, daß ich mit ihr rede? Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie auf mich hört. Und wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hat, dich zu erobern, dann wird es ganz bestimmt nicht leicht, sie wieder davon abzubringen.«

»Ja, mag sein. Aber wenn du bestimmt auftrittst und sehr streng mit ihr redest, dann…«

Ein Klingeln an der Haustür ließ Josef regelrecht zusammen zucken. Er blickte unsicher zur Tür und murmelte: »Ich hoffe sehr, das ist nicht Valeska. Aber wenn doch, dann könntest du vielleicht…«

»Vater, ich bitt’ dich, was soll denn das? Du wirst doch vernünftig mit dieser Frau reden können. Sie wird dich gewiß net gleich zum Traualtar schleppen.«

»Gleich vielleicht net, aber ich weiß, was sie im Schilde führt. Und ich möchte von ihr befreit werden, hast mich?«

In diesem Moment erschien die Hauserin und ließ Max wissen, daß drunten ein Notfall warte. »Der Stumpf hat sich den Fuß verknackst.« Afra lächelte spöttisch. »Wundert mich, daß die armen Füß’ net schon viel früher gestreikt haben. Bei dem Gewicht, das sie allerweil schleppen müssen.«

»Ist die Christel schon da?« wollte Max wissen.

»Noch net. Es ist ja erst siebene. Soll ich sie anrufen?«

»Net nötig. Das schaffe ich auch allein.« Der junge Landarzt erhob sich, sein Blick begegnete dem des Vaters, und er riet Josef besonnen: »Rede mal in aller Ruhe mit dieser Valeska. Sie wird schon einsehen, daß du nicht der Rechte für sie bist.«

»Und wenn net? Die Frau ist noch im Stande und macht mir einen Heiratsantrag«, kam es panisch vom alten Brinkmeier.

Max konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, obwohl sein Vater ihn überaus ärgerlich musterte. Er verkniff sich lieber einen weiteren Kommentar, denn aufs Streiten war er nicht aus.

»Ich schau jetzt nach dem Anderl, und hernach mache ich meine Runde. Magst mich vielleicht begleiten, Vater?«

Josef lächelte säuerlich. »Na, dank schön. Wennst mir schon net helfen willst, dann kann ich auch daheim bleiben.«

Anderl Stumpf, der langjährige Dorfgendarm von Wildenberg, stöhnte und jammerte in einem fort, als Dr. Brinkmeier seinen Knöchel untersuchte und dann feststellte:

»Eine leichte Zerrung, net weiter tragisch. Du kriegst eine Salbe und einen elastischen Stützverband, dann ist es in einer bis zwei Wochen vergessen.«

»Bist sicher, daß net mehr dahinter steckt, Doktor? Bei den starken Schmerzen, die mich quälen…«

»So stark können die net sein. Beiß halt die Zähne ein bisserl zusammen, Anderl. Es wird schon wieder.«

»Soll ich was beachten?« fragte der Gendarm da beleidigt.

Max nickte. »Den Fuß net übermäßig belasten. Aber das versteht sich eigentlich von selbst. Ich seh in den nächsten Tagen wieder nach dir. Warte, ich geb dir auch Krücken mit, damit du den Fuß richtig schonen kannst.«

Das war nun schon eher nach dem Geschmack des Dorfpolizisten. Dekorativ humpelte er von dannen und ließ sich von jedem, der ihm über den Weg lief, ausgiebig bedauern.

Christel Brunner, die langjährige Sprechstundenhilfe in der Praxis Brinkmeier, trat wenig später ihren Dienst an. Sie wollte wissen, ob Anderl Stumpf sich bereits gemeldet habe, und als Max dies verdutzt bejahte, stellte sie mit einem ironischen Lächeln fest: »Der Stumpf hat gestern abend einen über den Durst getrunken. Der Ochsenwirt hat gesehen, wie er auf der Treppe vor dem Wirtshaus einen rechten Tanz aufgeführt hat. Und später hieß es dann, er hätte sich in Ausübung seiner Dienstpflicht verletzt. Na, was sagst dazu, Doktor? Unser Anderl ist schon ein rechter Held, oder?«

Dr. Brinkmeier mußte lachen. »Mei, Christel, laß das nur net unseren Gendarmen hören, sonst hast bald einen Feind fürs Leben. Pfüat di, ich mache jetzt die Hausbesuche. Wir sehen uns später wieder. Wenn was ist, kannst mich jederzeit anrufen.«

»Ist schon recht. Aber was den Stumpf betrifft; wieso soll ich das Geschichterl denn net weitererzählen? Es ist doch die Wahrheit. Und die darf man immer sagen.«

Max Brinkmeier enthielt sich eines weiteren Kommentars und machte sich auf den Weg zu seinen Patienten, die nicht in die Sprechstunde kommen konnten. Meist handelte es sich dabei um alte, gebrechliche Menschen. In Wildenberg wurden diese noch in den Familien gepflegt, das war auf dem Land selbstverständlich. Der junge Arzt freute sich darüber, denn leider war das in der heutigen Zeit längst nicht mehr die Regel.

Bevor Max zum Doktorhaus zurückkehrte, machte er noch einen kleinen Abstecher zum Bauernhof der Familie Haag. Der Besitz lag etwas außerhalb, auf halber Strecke zwischen Wildenberg und dem Nachbarort Schlehbusch. Es war ein kalter, klarer Wintermorgen, die Sonne schien in einem zarten Pastell und ließ die verschneite Landschaft rund um den Königssee wie verzaubert erscheinen. Obwohl Max Brinkmeier hier geboren und aufgewachsen war, nahm er die malerische Umgebung doch nicht als selbstverständlich hin. Er genoß die Schönheiten der Natur und ließ seinen Blick stets schweifen. Weit im Norden waren da die himmelhohen Gipfel des Tennengebirges zu erkennen, davor der Nationalpark mit dem Königssee und dem weltberühmten Kloster St. Bartholomä. In südlicher Richtung fand sich der Untersberg, der Hausberg des Ortes. An seinem Südhang stand noch ein Berghof, der traditionell bewirtschaftet wurde. Unweit davon stürzte ein Wildbach in eine tiefe Klamm. Östlich schlossen sich Ramsau und der Zauberwald an, der bei Wanderern sehr beliebt war. Und Markt Berchtesgaden lag schließlich im Westen. Wildenberg wurde von einem sanften Tal umschlossen und so vor den Unbilden des Wetters geschützt. Die Landwirtschaft gedieh hier seit einigen hundert Jahren. Und neben dem Tourismus setzte man in Wildenberg auch weiterhin auf das freie Bauerntum. Hier gingen die Uhren eben noch anders. Max Brinkmeier fand das angenehm. Wildenberg erschien ihm wie ein Hort der Ruhe und Beschaulichkeit in all der oberflächlichen Hektik unserer Zeit.

Als der Landarzt seinen Wagen nun im Wirtschaftshof abstellte, trat Thomas Haag aus dem Stall und kam auf ihn zu. Der Bauer begrüßte den Doktor per Handschlag und stellte fest: »Ich freu mich, dich zu sehen, Doktor. Es ist nett, daß du nach der Birgit schaust. Aber es geht ihr recht gut, kein Grund für Klagen.«

»Sicher? Als sie letzte Woche in meiner Sprechstunde war, bin ich nicht recht zufrieden mit ihr gewesen. Hat sie sich denn an meine Anweisungen gehalten?«

»Freilich. Du weißt ja, wie sehr sie sich ein Butzerl wünscht. Und weil es beim letzten Mal net hat sollen sein, ist sie jetzt gleich doppelt vorsichtig. Sie hebt nix Schweres und macht auch beizeiten immer wieder mal eine Pause.«

»Das klingt vernünftig. Ich will dich net beunruhigen, Thomas, aber deine Frau neigt zur Fehlgeburt. Das läßt sich leider nicht ändern. Und ich kann euch auch diesmal kein Wunder versprechen.«

Der Bauer wurde eine Spur blasser. »Aber wenn die Birgit sich an alles hält, sich schont und aufpaßt, dann muß es doch klappen. Das hast selbst gesagt, Doktor«, erinnerte er den Landarzt nachdrücklich.

»Nach menschlichem Ermessen schon. Trotzdem kann ich keine Garantie geben, es tut mir leid. Ihr müßt halt das Beste hoffen, mehr bleibt euch leider nicht übrig.«

Thomas Haag vergrub die Hände in den Hosentaschen und blickte zu Boden. »Mei, Doktor, das sagst der Birgit lieber net so deutlich. Ich fürchte, wenn es diesmal wieder nix werden wird mit dem Nachwuchs, dann haben wir ein ernstes Problem.«

Max horchte auf. »Wie meinst das?«

»Ja, mei, es macht sie halt so fertig. Sie hat jetzt schon furchtbare Angst. Jedesmal, wenn sie nur einen ganz leichten Schmerz verspürt, gerät die Birgit gleich in Panik. Ich hab’ versucht, sie zu beruhigen. Gelungen ist es mir leider nicht.«

»Ich werde mal mit deiner Frau reden, Bauer«, versprach der Landarzt, als sie gemeinsam das Haus betraten.

In der Küche werkelte Birgit Haag, die Bäuerin, zusammen mit einer Magd und ihrer jüngeren Schwester Tina Gruber. Der Hof hatte den Eltern der beiden jungen Frauen gehört, die vor drei Jahren bei einem Lawinenabgang ums Leben gekommen waren. Thomas Haag hatte eingeheiratet, er stammte aus dem Nachbarort, seine Eltern hatten die Landwirtschaft bereits aufgegeben. Thomas aber war Bauer mit Leib und Seele. Er hatte den Erbhof wieder in Schwung gebracht. Der junge Mann war eine praktische Natur, ein Macher. Birgit dagegen konnte man als sehr feinsinnig und sensibel betrachten. Die beiden ergänzten sich gut und führten eine glückliche Ehe. Nur manchmal wunderte Thomas sich darüber, daß Birgit alles im Leben so ernst und schwer nahm. Das war nicht seine Art.

»Der Doktor ist da und will mal nach dir schauen«, ließ er seine Frau nun wissen, die Max Brinkmeier freundlich begrüßte und versicherte: »Es geht mir gut, ich hab’ keine Beschwerden.«

»Das höre ich gern. Trotzdem würde ich dich gern kurz untersuchen, Birgit. Nur um sicherzugehen, daß auch wirklich alles in Ordnung ist«, schlug der Landarzt vor.

Die Bäuerin war nur zögernd einverstanden. Und nachdem Dr. Brinkmeier sie in der guten Stube untersucht hatte, war ihm auch klar, warum. »Es geht dir net gut, Birgit, oder? Dein Blutdruck ist zu hoch, du hast Beschwerden. Soll der Thomas es net wissen, oder warum tust so, als wäre alles in Ordnung?«

Die junge Bäuerin mit dem dunkelblonden, schulterlangen Haar und den klaren haselnußbraunen Augen seufzte leise. Sie senkte den Blick, als sie zugab: »Ich fühle mich schon seit einer Weile schlecht. Aber ich kann dem Thomas doch net allerweil was vorjammern. Er ist so fleißig, arbeitet so hart. Nur ihm haben wir es zu verdanken, daß unser Hof jetzt besser dasteht als früher. Er hat was anderes verdient als eine Frau, die sich die ganze Zeit immer nur beschwert.«

Dr. Brinkmeier musterte die junge Frau nachdenklich. »Es ist eine Sache, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Aber es ist was ganz anderes, sich zu beschwindeln. Und das hat wirklich auf Dauer keinen Sinn. Dein Mann sorgt sich um dich, Birgit, er will für dich da sein. Es gibt gar keinen Grund, alles mit sich allein abzumachen. Das ist nicht recht.«

»Ja, ich weiß. Trotzdem ist das eine Sache, mit der ich dem Thomas nimmer kommen kann. Wir wünschen uns schließlich schon seit einer ganzen Weile ein Butzerl. Es muß jetzt einfach klappen, sonst werde ich meines Lebens nimmer froh.«

»Du solltest mit deinem Mann offen reden, Birgit. Auch über deine Ängste. Dann wird es dir bessergehen«, riet der Landarzt seiner Patientin beim Abschied noch einmal eindringlich. »Und schau in den nächsten Tagen mal wieder im Doktorhaus vorbei.«

»Das tu ich gewiß. Danke für alles, Doktor.« Sie lächelte ein wenig verschämt. »Ich will mir deine Worte auch zu Herzen nehmen. Das verspreche ich.«

»Schön, dann bis bald!« Max verließ wenig später den Erbhof und fuhr zurück nach Wildenberg. Er wurde den Verdacht nicht los, daß Birgit Haag ihm nur nach dem Mund geredet hatte. Die Bäuerin schien nichts so sehr zu fürchten wie eine neuerliche Fehlgeburt. Sie hatte sich da in etwas hineingesteigert, das böse ausgehen konnte. Dr. Brinkmeier nahm sich vor, ein strenges Auge auf die Erbhofbäuerin zu haben.

*

Nachdem der Landarzt abgefahren war, kehrte Birgit Haag in die Küche zurück. Ihre jüngere Schwester schaute sie fragend an. Tina Gruber war ein hübsches Madel Anfang der Zwanzig. Sie und Birgit sahen sich recht ähnlich. Doch das Haar der Jüngeren war etwas dunkler, zudem hatte sie strahlendblaue Augen. Die Schwestern verstanden sich von klein auf gut, hatten sich stets alle kleinen und großen Geheimnisse gegenseitig anvertraut. Tina wußte, daß es Birgit nicht gutging. Und sie machte sich Sorgen um ihre große Schwester.

»Und? Was hat er gesagt?« wollte sie wissen, als Birgit keine Anstalten machte, von sich aus etwas zu erzählen.

Die Bäuerin schickte zuerst die Küchenmagd hinaus, dann gestand sie: »Der Doktor ist net zufrieden mit mir. Er sagt, ich soll dem Thomas reinen Wein einschenken. Aber das kann ich net. Er würde sich doch wieder nur Sorgen um mich machen. Und er hat schon so viel am Hals.«

»Dein Mann hat dich lieb, er ist immer für dich da«, erinnerte Tina die Schwester besonnen. »Warum willst net mit ihm reden?«

»Ich mag ihn net mit meinem Problemen belasten. Du weißt doch, daß er mir schon nach der

ersten Fehlgeburt beigestanden hat. Dabei ist mir aufgefallen, wie sehr der Thomas darunter gelitten hat. Ich will nicht, daß das noch einmal passiert.«

Tina musterte ihre Schwester nachdenklich. »Ihr zwei habt euch sehr lieb. Da sollte es eigentlich selbstverständlich sein, daß man immer ehrlich zueinander ist. Finde ich jedenfalls.«

»Ich werde schon mit ihm reden, falls es mir schlechter gehen sollte. Aber jetzt wollen wir das Thema wechseln.« Birgit lächelte ein wenig. »Wie steht es denn zwischen dem Bastian und dir? Seid ihr euch schon einig?«

Eine feine Röte überzog das hübsche Gesicht des jungen Mädchens, das aber abwehrte: »Zwischen dem Bastian und mir ist nix, wir sind uns nur sympathisch.«

»Das nehme ich dir nicht ab. Ich kenne doch unseren Großknecht ganz genau. Bislang ist er keinem Flirt abgeneigt gewesen. Aber seit einer Weile hat er nur noch Augen für dich. Du kannst mir net erzählen, daß das nix zu bedeuten hat.«

Tina hob die Schultern. Es war eine Geste, die gleichmütig wirken sollte, aber eher hilflos aussah. Wenn das schöne Mädchen an den feschen Sebastian Brand dachte, dann schlug ihr Herz schon schneller. Sie hatte den Burschen lieb, aber sie mochte es nicht eingestehen; nicht ihrer Schwester, nicht ihm, ja, nicht einmal sich selbst. »Ich weiß nicht, was ich vom Bastian halten soll«, verriet sie Birgit schließlich zögernd. »Er ist eine ehrliche Haut, ich mag ihn. Aber ich muß immer daran denken, daß er allen Madeln in Wildenberg schöne Augen gemacht hat. Und dann frage ich mich, ob er auf Dauer nur mir treu sein könnte.«

»Das wirst erst erfahren, wennst ihm die Möglichkeit gibst, es dir zu beweisen«, war die Bäuerin überzeugt.

»Na ja, das stimmt schon. Aber das ist nicht alles.« Tina sah ihr Gegenüber sehr ernst, fast bedrückt an. »Sag, Birgit, meinst net, daß der Bastian aufs Einheiraten ausgeht? Ich will ihm nicht Unrecht tun, aber der Gedanke ist doch nicht so abwegig, oder? Und wenn ich daran denke, die Seine zu werden, dann will ich das nur, weil er mich liebhat und mich um meiner selbst willen heiratet. Verstehst mich?«

»O ja, das tu ich.« Die Bäuerin seufzte leise. »Das war auch zwischen dem Thomas und mir lange ein Thema. Er wollte nicht, daß ich den gleichen Eindruck kriege. Deshalb hat er sich auch geweigert, nach der Heirat die Hälfte von meiner Hofhälfte auf den Namen zu nehmen.« Sie lächelte ein wenig. »Das hätte es fei net gebraucht, ich hab’ nie an so etwas gedacht. Aber es stimmt schon, man sollte nicht zu blauäugig sein.«

»Meinst, ich kann dem Bastian in der Beziehung auch vertrauen? Ich bin so unsicher und weiß net, was ich machen soll.«

Die ältere Schwester wußte darauf keine direkte Antwort. »Es ist immer ein Risiko, einem anderen Menschen zu vertrauen. Aber wenn du den Bastian wirklich liebhast, dann mußt es einfach versuchen. Es gibt keine andere Möglichkeit, wenn man glücklich miteinander werden will…«

Die Worte der Schwester gingen Tina noch lange durch den Kopf. Als sie am Abend zusammen mit Sebastian noch einen Gang durch die frische Luft machte, fragte sie sich im Stillen, ob sie wirklich ein so großes Risiko eingehen und dem Burschen vertrauen wollte. Sie wußte es nicht, sie wußte nur, daß sie Sebastian gern hatte. Aber ob das ausreichte…

Als habe er ihre Gedanken erraten, nahm Sebastian nun Tinas Hand und schaute ihr mit einem Lächeln in die Augen. Er stahl ihr ein kleines Busserl, lachte und bekannte: »Wenn du bei mir bist, Engerl, dann geht es mir richtig gut. Nur schade, daß wir nicht mehr Zeit miteinander verbringen können.«

»Aber wir sehen uns doch jeden Tag«, hielt sie ihm entgegen. »Wie sollen wir denn noch öfter beisammen sein?«

»Du weißt schon, was ich meine, gelt?« Er zog sie in seine starken Arme und verschloß ihre süßen Lippen mit einem langen, innigen Busserl, das sie beide eine Weile alles andere vergessen ließ. In solchen Momenten der Seligkeit dachte das schöne Mädchen nicht über seine Vorbehalte und Unsicherheit nach, da war alles wie weggewischt. Wenn Sebastian sie im Arm hielt, war Tina einfach nur glücklich und wünschte sich, diese zauberhaften Momente würden nie vorbeigehen. Leider taten sie es aber doch, mit Vorliebe viel zu schnell.

»Willst net die Meine werden, Engerl?« fragte der Bursch seine Liebste, nachdem er sie nur widerwillig freigegeben hatte. »Ich hab’ dich von Herzen lieb. Und ich spür, dir geht es net anders. Laß uns heiraten, dann können wir unser Leben endlich ganz teilen. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche…«

Tina errötete ein wenig und senkte verlegen die Lider. Sebastian nahm ihre Hand, sie setzten ihren Weg durch den frischen, knirschenden Schnee fort. Kleine Atemwölkchen stoben in den klaren Abendhimmel, der am Horizont noch rosa überhaucht war. Das schöne Madel lehnte den Kopf an die Schulter seines Begleiters und gestand ihm leise: »Ich hab’ dich wirklich sehr gern, Bastian. Aber ich mag noch net heiraten. Weißt, ich glaube, daß ich einfach zu jung bin. Findest das dumm?«

»Freilich nicht. Es ist eher klug, sich nicht zu früh zu binden. In der ersten Verliebtheit macht man leicht einen Fehler. Und dann wird man vielleicht sein Leben lang unglücklich. Aber in unserem Fall ist das doch anders.«

Sie schaute ihn fragend an. »Was meinst?«

»Schau, wenn sich zwei Herzen gefunden haben, wenn zwei Menschen wissen, daß sie beisammen bleiben wollen, dann gibt es keinen Grund mehr zu zögern. Und das ist bei uns beiden doch der Fall. Oder irre ich mich?«

Tina hob leicht die Schultern. »Eigentlich nicht…«

»Aber?« Der Bursch blieb stehen und schaute sie forschend an. »Was ist mit dir, Tina? Was hast du auf dem Herzen? Da ist doch was. Willst es mir nicht verraten?« Doch sie schwieg und wich auch seinem Blick aus. Da meinte Sebastian, zu wissen, was ihr durch den Kopf ging. Seine Miene verhärtete sich, als er streng wissen wollte: »Unterstellst du mir vielleicht, daß ich es auf deine Hofhälfte abgesehen habe? Daß ich mich vom Knecht zum Herrn aufschwingen will, obwohl mir das nicht zusteht?«

Tina erschrak und versicherte: »Nein, auf den Gedanken würde ich nie kommen. Ich verstehe gar nicht…«

»Aber ich.« Er lachte bitter auf. Und plötzlich hatte sie den Eindruck, mit ihrem Zögern einen Fehler begangen zu haben. Sie hatte Sebastian das Gefühl vermittelt, daß sie ihm nicht glaubte, ihm nicht vertraute. Und dafür schämte Tina sich.

»Bitte, Bastian, laß uns nimmer davon reden«, bat sie ihn leise, aber er schüttelte nur leicht den Kopf, hatte den Blick gesenkt und hörte ihr gar nicht mehr zu.

»Ich hätte es besser wissen sollen. Das ist ja auch der Grund gewesen, weshalb ich meine Gefühle für dich so lange verschwiegen habe. Es ist immer das alte Lied. Wenn man nichts vorzuweisen hat außer der eigenen Hände Arbeit, dann wird man immer schräg angesehen.«

»Das stimmt nicht, du tust mir Unrecht!« widersprach sie ihm erschrocken. »Ich hab’ in dir nie den Knecht gesehen, sondern einfach einen Burschen, den ich liebhab’. Freilich hab’ ich mir auch die Frage gestellt, ob du aufs Einheiraten ausgehst, ich will ehrlich zu dir sein. Aber im Grunde habe ich das nie geglaubt. Bitte, Bastian, sei mir net bös’…«

»Ich bin dir nicht böse. Warum auch? Du sagst bloß, was alle anderen denken.« Er hob die Schultern, tat gleichmütig, obwohl ihm ganz anders ums Herz war. »Wir wollen nimmer davon reden.«

Tina warf ihm einen unsicheren Blick zu, den er gar nicht zu bemerken schien. Es war ihr nicht recht, daß Sebastian schlecht von ihr dachte. Gern hätte sie ihm etwas Versöhnliches gesagt, denn sie konnte es nicht ertragen, wenn sie einander nicht gut waren. Aber sie zögerte. Solange ihre Bedenken nicht völlig ausgeräumt waren, hatte es keinen Sinn, sich zu ihren Gefühlen zu bekennen. Ja, sie hatte Sebastian lieb, dieser Erkenntnis konnte die schöne Hoftochter nun nicht mehr ausweichen. Aber dieses Gefühl allein konnte nicht ausreichen als solide Basis für eine Ehe. Erst wenn Tina wußte, daß sie dem Burschen hundertprozentig vertrauen konnte, wollte sie die Seine werden.

*

Als Thomas Haag aus dem Stall kam, kehrten Tina und Sebastian eben von ihrem Spaziergang zurück. Der Bauer merkte gleich, daß etwas nicht stimmte. Der Großknecht verschwand wortlos im Gesindehaus, während Tina noch eine Weile an der Haustür stand und ihm unschlüssig nachschaute.

»Na, habt ihr Streit?« fragte Thomas seine Schwägerin.

»Schmarrn, es ist alles in Ordnung«, behauptete diese jedoch und lief die Stiege hinauf zu ihrer Kammer. Thomas schüttelte leicht den Kopf. Er betrat die gute Stube, wo Birgit noch vor dem Fernseher saß. Ihm fiel auf, wie blaß seine Frau ausschaute und er mußte wieder an das denken, was Dr. Brinkmeier ihm gesagt hatte. Sorge schlich sich in sein Herz, er gab sich aber Mühe, es nicht zu zeigen. Mit einem Lächeln setzte er sich neben seine Frau aufs Sofa und legte einen Arm um ihre schmalen Schultern. Birgit schmiegte sich an ihn und wollte wissen: »Im Stall alles in Ordnung? Du warst heut länger drüben als sonst.«

»Die Milli, die bald kalben soll, macht mir ein bisserl Sorge. Der Viehdoktor hat mir geraten, sie gut im Auge zu behalten. Ist immerhin eine unserer besten Milchkühe.«

»Mit dem Kalben hat sie Probleme, das ist nix Neues.« Die Bäuerin lächelte verloren. »Leider geht es da den Tieren wie den Menschen, net wahr?«

»Wie fühlst dich denn? Hat der Doktor dir was Bestimmtes geraten, ist er denn mit dir zufrieden?«

»Ich denke schon. Du mußt dir auch net immer so viele Sorgen um mich machen. Schließlich bin ich nicht die erste Frau, die ein Butzerl erwartet.« Sie schaute ihn fragend an. »Magst noch was essen? Oder ein Glaserl Wein trinken?«

Thomas gähnte verhalten. »Na, lieber net. Ich möchte am liebsten gleich ins Bett.«

»Ja, hast recht. Ich bin auch müde.« Sie schaltete den Fernseher aus. »Ist die Tina schon zurück?«

»Eben heimgekommen. Ich glaub, sie hat einen Streit mit dem Bastian gehabt. Sagen wollte sie mir nix, ist rasch in ihrer Kammer verschwunden. Meinst, aus den beiden wird was werden? Ich würde es gerne sehen, der Bastian ist fleißig und rechtschaffen. Aber deine Schwester kann sich wohl net recht entscheiden.«

»So einfach ist es nicht. Die zwei haben sich, glaube ich, schon lieb. Aber die Tina ist nicht sicher, ob der Bastian es nicht vielleicht nur aufs Einheiraten abgesehen hat.«

»Da tut sie ihm Unrecht. Der Bursch ist ein ehrlicher Mensch, ich meine, sie kann ihm vertrauen. Einen Besseren wird sie eh net finden. Er hat sie von Herzen lieb.«

»Hast mit dem Bastian über die Tina geredet?«

»Hin und wieder. Er gibt sich da eher verschlossen. Aber was er so sagt, klingt aufrichtig. Wennst mich fragst, dann könnten wir beide zufrieden sein, so einen Schwager zu bekommen.«

»Warten wir es ab.« Die Bäuerin lächelte schmal. »In erster Linie muß er schließlich der Tina gefallen…«

Das junge Mädchen lag noch lange wach, der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Zu viel ging Tina im Kopf herum. Sie fragte sich, ob sie an diesem Abend einen Fehler gemacht hatte. Und sie wurde das Gefühl nicht los, Sebastian verletzt zu haben. Am liebsten wäre sie jetzt noch zu ihm gegangen und hätte ihn um Verzeihung gebeten. Aber das ging natürlich nicht.

Die Uhr zeigte schon weit nach Mitternacht, im Haus war es ganz still, als Tina aufstand und nach unten in die Küche ging. Sie wollte sich ein Glas Milch wärmen, hoffte, danach endlich schlafen zu können. Als sie die Stiege nach unten ging, erschrak sie aber heftig. In der Diele ging jemand herum. Wie ein Schattenriß wirkte die Person, die Tina nicht erkennen konnte. Sie trat leise an den Fuß der Stiege und schaltete das Licht an.

»Birgit! Was machst du denn um die Zeit hier unten? Ist dir was?« Die zweite Frage erübrigte sich eigentlich, dann die Bäuerin war überblaß, Schweiß stand auf ihrer Stirn und sie hatte beide Hände vor den Bauch gepreßt. »Birgit, was…«

»Es ist nix, ich hab’ nur leichte Schmerzen. Mußt dir keine Sorgen machen«, wollte sie abwiegeln, aber die Schwester gab sich damit nicht zufrieden. Sie legte einen Arm um Birgits Schultern, führte sie langsam in die Küche zur Eckbank und setzte sich dann zusammen mit ihr nieder. »Soll ich den Doktor anrufen? Solche Schmerzen, die sind doch ein Alarmzeichen. Weißt nimmer, beim letzten Mal…«

»Es ist aber net so wie beim letzten Mal! Es ist… ganz anders«, fauchte Birgit, dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte: »Ach, Tina, ich weiß nicht, was werden soll. Ich bin doch erst im vierten Monat. Wie soll ich den Rest der Zeit bloß überstehen, wenn es mir jetzt schon so schlecht geht?«

Das Mädchen schwieg, es hatte darauf auch keine Antwort. Statt dessen erhob Tina sich, goß etwas Milch in einen Topf und wärmte zwei Becher, in die sie etwas Honig und Muskat gab. Birgit lächelte schwach. Sie hatte sich wieder gefangen, bat leise: »Entschuldige, ich hab’ mich eben nimmer in der Gewalt gehabt.«

»Ist schon recht. Wennst net willst, daß ich den Doktor hole, dann versprich mir wenigstens, in den nächsten Tagen zur Untersuchung zu gehen.« Sie merkte, daß ihre Schwester widersprechen wollte, und beharrte: »Es ist ja nur zu deinem Besten. Falls was net stimmt, kann der Doktor Brinkmeier dir schon frühzeitig helfen.«

Birgit senkte den Blick. »Ja, du hast wahrscheinlich recht. Ich werde zu ihm gehen. Auch wenn ich mich davor fürchte…«

*

Max Brinkmeier wollte eben das Haus verlassen, als am Klingelstrang gezogen wurde. Es war Samstagabend und er war bei Anna Stadler, der Apothekerin von Wildenberg, zum Essen eingeladen. Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an, hatten nun nicht nur beruflich miteinander zu tun, sondern waren auch privat befreundet. Daß die hübsche Blondine ein wenig in ihn verliebt war, wußte Max natürlich. Aber bisher hatte sie die Tatsache respektiert, daß sein Herz einer anderen gehörte.

»Ich mache auf«, rief der Landarzt, während er die Stiege nach unten lief. Gleich darauf stand ihm eine elegante Blondine in mittleren Jahren gegenüber, die er noch nie gesehen hatte. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und flötete: »Sie können nur Max Brinkmeier sein. Josef hat mir viel von Ihnen erzählt. Und Sie sind Ihrem Vater wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten.« Sie lächelte zuckersüß. »Ich bin Valeska Kaiser.«

»Oh, aha.« Max erwiderte ihr Lächeln ein wenig gezwungen. »Sie wollen gewiß zu meinem Vater. Er hat mir gesagt, daß Sie hier in Wildenberg ein wenig Urlaub machen.«

»Na ja, Urlaub würde ich das nicht nennen. Ich bin ja extra wegen ihm hier. Wissen Sie, wir haben uns in Meran so gut verstanden. Und es heißt ja nicht umsonst, nur wer die Sehnsucht kennt…« Sie lachte gekünstelt. »Ist er denn daheim?«

»Ja, er ist oben. Warten Sie, ich sage ihm rasch Bescheid. Kommen Sie doch herein, es ist kalt draußen.«

»Danke schön.« Valeska blickte sich neugierig um, während Max die Wohnung seines Vaters betrat, der bereits hinter dem Fenster in der guten Stube stand. »Ist sie es?« fragte er angespannt. Und als sein Sohn nickte, bat er eindringlich: »Schick sie weg, Max, bitte! Die Frau raubt mir den letzten Nerv. Und sie kennt die Bedeutung des Wortes ›nein‹ nicht.«

»Mei, Vater, so einen schlechten Eindruck hat sie gar nicht auf mich gemacht«, hielt Max ihm entgegen. »Rede du halt mir ihr. Ich muß jetzt los, sonst komme ich zu spät zur Anna.«

»Typisch! Du verbringst einen netten Abend mit der Stadlerin und ich…« Er verstummte, als die Tür zur guten Stube geöffnet wurde, und Valeska Kaiser freudestrahlend auf ihn zukam. »Josef, wie schön, daß du daheim bist. Ich habe mich schon so auf einen gemütlichen Abend in deiner Gesellschaft gefreut!« Sie maß auch Max mit einem interessierten Blick. »Dein Sohn kann uns gern Gesellschaft leisten, ich glaube, er ist ebenso nett wie du.«

Der junge Landarzt verzog leicht gequält das Gesicht. »Ein andermal gerne, aber ich bin schon verabredet. Dann noch einen schönen Abend«, wünschte er und machte sich rasch aus dem Staub.

Valeska lächelte nachsichtig. »Ihr Brinkmeiers seid ein bißchen schüchtern, nicht wahr? Das finde ich allerliebst!«

Josef räusperte sich ungehalten. Er wünschte Max von Herzen einen langwierigen Notfall, damit diesem zumindest auch der Abend verhagelt wurde. Recht unfreundlich fragte er: »Hast vielleicht auch noch Hunger, Valeska? Ich fürchte, was ich da hab’, wird nicht für uns beide reichen. Und meine Hauserin hat heut abend frei. Vielleicht wäre es besser, du ißt beim Ochsenwirt zu Abend…«

»Daran denke ich gar nicht, wenn wir zusammen sind«, meinte sie leichthin. »Weißt noch, was für eine schöne Zeit wir in Meran hatten? So könnte es doch wieder werden, finde ich…«

»Das wird nicht möglich sein.« Brinkmeier senior setzte eine Leidensmiene auf. »Weißt, Valeska, in der Kur ging es mir doch viel besser als daheim. Da lebe ich sehr bescheiden. Wenn ich meinen Haferschleim gegessen hab’, heißt es auch schon bald wieder, ab ins Bett. Ich muß mich schonen.«

»Aber es ist ja erst acht Uhr am Abend. Das finde ich doch ein wenig übertrieben. Weißt was? Ich glaube, ich sollte dich ein bisserl aufmöbeln. Jetzt koche ich uns was Feines und dann gönnen wir uns noch ein Flascherl Wein. Was sagst?«

»Wein? Nein, das geht nicht. Dann muß ich wieder die ganze Nacht sauer aufstoßen. So willst mich doch net quälen. Und wenn ich am Abend ein schweres Essen zu mir nehme, leide ich unter Alpträumen und Verdauungsstörungen.«

Valeska hob leicht die Augenbrauen. Sie wirkte nicht sehr begeistert. Josef hoffte schon, sie abgeschreckt zu haben, doch sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.

»Dann sitzen wir halt nur beisammen und machen uns einen gemütlichen Abend«, schlug sie unverdrossen vor. »Vielleicht mit etwas flotter Musik?«

Josef war zu großer Form aufgelaufen. Er genoß es, sich als unleidlichen Mummelgreis darzustellen. »Musik? Davon bekomme ich Ohrensausen. Ich fürchte, Valeska, du bist einfach noch viel zu aktiv für einen alten Mann wie mich. Das hat keinen Sinn.«

»So? Der Meinung bin ich nicht. In Meran warst ein flotter Tänzer, daran erinnere ich mich noch ganz genau. Wennst also glaubst, ich nehme dir hier deine Show ab, dann…«

»Au, auweh! Ich hab’ ganz vergessen, mir den Rücken einreiben zu lassen. Jetzt kommen wieder die Schmerzen.« Er schaute sie treuherzig an. »Sag, Valeska, wo du gerade hier bist, wärst so lieb und würdest das übernehmen? Die Afra ist ja weg und…«

Nun reichte es der Besucherin aber doch. »Am besten legst dich ins Bett, dann wird es schon besser werden«, riet sie ihm kalt. »Und deinen Haferschleim kannst allein essen!« Damit rauschte sie aus dem Zimmer und knallte die Tür erbost hinter sich zu.

Josef Brinkmeier lächelte zufrieden. Er war zwar überzeugt, daß er Valeska damit noch nicht endgültig in die Flucht geschlagen hatte, doch er war sie zumindest fürs Erste los…

Währenddessen verbrachte Max einen netten Abend bei Anna Stadler. Sie hatte einen saftigen Schweinsbraten mit Knödeln und Blaukraut auf den Tisch gebracht und dafür bereits Lob geerntet. Max wußte die deftige Küche seiner bayerischen Heimat durchaus zu schätzen. »Das war etwas, das ich in Ruanda doch vermißt habe«, gab er zu, ohne lange nachzudenken. »Du bist wirklich eine gute Köchin, Anna. Steckst voller Überraschungen.«

»Die Julia versteht sich wohl nicht so aufs Kochen«, stichelte die hübsche Apothekerin. Ihre unterschwellige Eifersucht auf Dr. Julia Bruckner, die Frau, der Dr. Brinkmeiers Herz gehörte, hatte neue Nahrung erhalten, als diese in Wildenberg zu Besuch gewesen war. Über Weihnachten hatte Anna sich überzeugen können, daß die beiden ein Herz und eine Seele waren. Sie hatte erwartet, daß Julia bleiben und Max endlich heiraten würde. Schließlich waren sie schon seit über zehn Jahren ein Paar. Doch die Arbeit in Afrika schien der engagierten Medizinerin mehr bedeuten als ihre Liebe zu dem jungen Landarzt. Anna konnte das nicht verstehen. Und sie fand es ungerecht. Hätte Max ihr die gleichen Gefühle entgegengebracht, wie sie ihr Herz bewegten, er wäre in ihrem Leben immer die Nummer eins gewesen. Doch leider sahen die Tatsachen anders aus.

Dr. Brinkmeier Classic 6 – Arztroman

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