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Marvin hetzte am Ufer der Schlei entlang. Er musste unbedingt untertauchen. Schnell.

Zwar hatte er heute Abend den bisher größten Deal seines Lebens gemacht, aber es war nicht ganz so glatt gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Als er nach Hause gekommen war, fand er das Mehrfamilienhaus von Einsatzfahrzeugen der Polizei umstellt vor. In seiner Wohnung brannte Licht und durch die Fenster hatte er beobachten können, wie Polizisten seine Sachen durchwühlten.

Bis jetzt hatte er keinen Schimmer, wer ihn verpfiffen hatte.

Doch darum musste er sich später kümmern, denn es gab eine viel wichtigere Frage zu klären: Wohin mit dem Rucksack voll Ketamine, der auf seinem Rücken auf- und abhüpfte?

Keiner seiner Kumpels würde ihn mit dieser heißen Fracht aufnehmen. Aber auf der Straße damit rumlaufen war auch keine gute Idee.

Er brauchte dringend eine Verschnaufpause. Keuchend setzte Marvin sich auf eine Bank an der Promenade. Tausend kleine Nadeln stachen in seine Lungen. Er zwang sich, seinen amoklaufenden Atem unter Kontrolle zu kriegen.

Seine Kondition ließ zu wünschen übrig. Aber was erwartete er bei dem wilden Cocktail aus Bier, Schnaps, Beruhigungsmitteln und Drogen, den er sich jeden Tag reinzog?

Sein Blick schweifte über die Schlei.

Undurchdringlicher Nieselregen hing über dem Flussbecken. Einzig die Umrisse des Schleswig Tower, der aus den Fluten herausragte, waren zu erkennen. Man sah ihn immer, bei jedem Wetter und von jeder Stelle der Provinzstadt aus. Er war die Attraktion. Seit das Hotel vor über einem Jahr eröffnet hatte, wurde es zwar von Urlaubern heiß geliebt, aber von den Einheimischen gehasst, weil er den Ausblick verbaute und für Touristenfluten sorgte.

Der kreisrunde Turm, der alle anderen Gebäude an Land weit überragte, verfügte über etliche Zimmer und Suiten, aber auch über eine Boutique, einen Wellness-Bereich, ein Restaurant, Bars und Cafés, sowohl unter dem Wasserspiegel als auch auf dem Dach. Sämtliche Außenzimmer hatten spiegelnde Glasfenster vom Boden bis zur Decke, weshalb der Turm wie eine glitzernde Glasrakete aus dem Flussbecken hervorstach. Oder wie ein Glasphallus, dachte Marvin. Direkt aus der Zukunft oder gleich von einem anderen Planeten. Zumindest aber sah er aus wie ein Fremdkörper inmitten der rauen nordischen Landschaft.

Grellrote Positionsleuchten, die in drei Querreihen um das Gebäude angebracht waren, bewahrten Schiffe und Flugzeuge vor einer Kollision, sorgten aber auch dafür, dass man den Turm sogar nachts sah.

Der Turm.

Ein Rucksack voll Ketamine.

Ein prall gefüllter Geldbeutel.

Marvin grinste.

Um die Polizei und seine Wohnung konnte er sich morgen kümmern. Oder nächste Woche.

Er stand auf, wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht und machte sich auf den Weg.

»Ich seh‘ ihn«, quäkte Lilly vom Rücksitz.

»Ich hab‘ ihn zuerst gesehen«, protestierte ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Ole neben ihr.

Lilly schnaufte. »Hast du gar nicht. Ich hab’s zuerst gesagt.«

Kai König warf einen Blick in den Rückspiegel. »Schluss jetzt. Alle beide.« Dann fügte er in versöhnlichem Ton hinzu: »Wer von euch Quälgeistern weiß noch, wie hoch der Schleswig Tower ist?«

Lilly kreischte: »250 Meter und damit ist er das höchste Gebäude in Schleswig Holstein!«

»Und wie viele Zimmer hat er?«

Lilly holte schon tief Luft - für eine Elfjährige hatte sie ein erstaunliches Erinnerungsvermögen -, doch Ole kam ihr zuvor: »280, davon 18 Luxussuiten in den oberen Etagen.«

»Und was befindet sich im Keller?«, fragte Kai.

Die Kinder schrien aus voller Brust: »Waterworld!«

Auf dem Beifahrersitz presste Sandra die Hände auf die Ohren. »Hört sofort mit dem Rumgeschrei auf, davon wird man ja wahnsinnig.«

»Aber Papa hat doch - «, setzte Ole an.

»Ich meine auch alle drei Nervensägen. Und das ist mein voller Ernst. Wenn ihr so weiter macht, dann werde ich verrückt. Ich fange an zu lachen, dabei sabbere ich und brabbele unverständliches Zeug vor mir hin. Ihr könnt mich dann hier in der Psychiatrie abgeben und ohne mich heimfahren.«

»Wieso?« Kai zuckte mit den Schultern. »Wo ist der Unterschied zu sonst?«

Er und die Kinder brachen in Gelächter aus, auch Sandra wieherte los und verpasste ihrem Mann einen Schlag auf die Schulter. »Na warte. Du wirst schon sehen, was -«

Der Gurt rammte in ihre Brust, sämtliche Luft schoss aus ihren Lungen.

Ihr Kopf wurde so brutal nach vorne gerissen, dass ihre Nackenwirbel knackten.

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