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Die Konferenz der Caladrim

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Nur selten hatte Mauro hochrangige Würdenträger aus Orod Ithryn um sich versammelt. Die Gelegenheit war wie geschaffen für eine gemeinsame Konferenz der schwarzen und der weißen Zauberer. Mauro bot an, sein mittlerweile recht umfangreiches Wissen über Barrens Labyrinth der 1000 Schrecken zu teilen. Im Austausch hoffte er, die noch fehlenden Mosaiksteinchen zu erhalten.

Gastgeber war die schwarze Gilde von Orod Ithryn. Die großen Meister der Furukim waren allesamt vertreten.

Bei den weißen Zauberern galt die Einladung vor allem den Meistern der Caladrim. Dem Bund der Lichtbringer gehörte Mauro seit Ostgilgart an. Heute teilte er sein Wissen vorbehaltlos mit allen Zaubergilden, die unter Barrens Grausamkeiten gelitten hatten. Dadurch fühlten sich jene bestätigt, die damals für seine Aufnahme in die Gemeinschaft der Caladrim gestimmt hatten.

Die Altmeister materialisierten sich der Reihe nach im großen Versammlungssaal des Schlosses. Fürst Torren erschien erstmalig persönlich im Palast von Mandrilar. Er hielt es für unverzichtbar, sich als ranghöchster Zauberer von Furukiya in diesem Kreis sehen zu lassen. Schließlich war das Labyrinth, um das es heute gehen sollte, zum Teil seine Schöpfung.

Mauro hatte inzwischen keine Mühe mehr, auf den mächtigen Zauberer zuzugehen. Er begrüßte ihn freundlich und sagte ihm ein Vier-Augen-Gespräch zu.

König Kelros von Aglar war gekommen. Mauro hieß ihn herzlich willkommen. Noch größer war die Freude, als bald darauf Schlobart eintraf.

Die jüngeren Großmeister, die ihren Körper noch nicht mit durch den Äther nehmen konnten, nahmen mit ihrem Astralleib an der Zusammenkunft teil. Einer von ihnen war Iarwains Sohn Neldor.

Die anderen weilten schon länger in Mandrilar: Hohepriesterin Suza, Hohepriester Keor, die Herren aus Orod Ithryn und natürlich Gildemeister Malfarin. Hanok war anwesend, weil er das Labyrinth kannte. Yvo, Jago, Lucca und Shui postierten sich an den Seiten des Raumes. Ihre Aufgabe war, die Teilnehmer zu beobachten und die Inhalte der Konferenz zu memorieren.

Hohepriesterin Suza nahm Yerions protokollarische Aufgaben wahr. Die Königin der alten Völker hatte wegen ihrer Schwangerschaft abgesagt. Das Kind war in dem denkwürdigen Fruchtbarkeitsritual gezeugt worden, als der Feuergott der Erdgöttin beiwohnte. Weil das als besonders gutes Omen galt, durfte Yerion kein Risiko eingehen.

Mauro fasste die Erkenntnisse zusammen: „Barrens Schrecken lassen sich auf eine begrenzte Zahl von Grundmustern reduzieren. Sobald man eine Hauptgestalt aufgelöst hat, verlieren alle anderen aus dem gleichen Muster ihre Macht. Dieses Wissen allein hilft wenig. Sie entwickeln immer neue Erscheinungsformen, die wir nicht auf Anhieb zuordnen können. Deshalb brauchen wir ihre Namen. Spricht man ein Geistwesen mit seinem richtigen Namen an, muss es gehorchen.“

Fürst Torren runzelte die Stirn: „Das klingt plausibel. Dennoch kann ich euch nicht helfen. Ich habe am Labyrinth mitgebaut, aber die Anzahl der Grundmuster kenne ich nicht. Und dann erst die Namen…“

„Vielleicht kennt nicht einmal Barren den Bauplan des Labyrinths?“ Diesen Verdacht hegte Mauro seit längerem. Er hatte einige der Figuren gegen ihren Meister gekehrt. Barren war ihren Schrecken ebenso hilflos ausgeliefert wie alle anderen.

„Das würde bedeuten, dass Barren und Torren intuitiv eine Quelle uralten Wissens angezapft haben. Bewusst besitzen sie keinen Zugang dazu. Wir müssen uns durch die Bibliotheken der alten Völker wühlen. Gewiss gibt es Aufzeichnungen...“ Meister Neldor war Spezialist für solche Recherchen. Allerdings war zu befürchten, dass sie auf die Ergebnisse ein halbes Jahrhundert warten mussten.

„Es gibt Aufzeichnungen. Ich habe in einer Vision ein Buch gesehen. Es stand in einer riesigen Bibliothek. Das Buch erkenne ich wieder, doch wo ist die Bibliothek?“

„Handelt es sich um die versunkene Bibliothek von Mandrilar?“ Fürst Torren war erstaunt. „Es gab Gerüchte, dass sie noch existiert. Barren und ich haben den Palast jahrelang durchsucht. Vielleicht gelingt es Euch….“

Schlobart war nicht bereit, so lange zu warten: „Eine jahrelange Suche bringt uns nicht weiter. Es muss einen anderen Weg geben.“

„Hat jemand eine spontane Eingebung? Sprecht sie aus!“

Hohepriesterin Suza rief aufgeregt: „Die Zahl sieben. Es gibt sieben Grundenergien, aus denen die Schöpfung gewoben ist.“

Barad war überrascht: „Auf den sieben Grundenergien basieren unsere Zaubertechniken. Könnten auch die 1000 Schrecken aus diesen Uressenzen gewoben sein?“

Fürst Torren überlegte: „Möglich wäre es.“

„Möglich?“ Suza geriet in Fahrt. „Alle energetischen Gebilde bestehen aus den sieben Urenergien. Ein Systembruch ist nicht denkbar. Ihr rüttelt an den Grundfesten unseres Weltbildes!“

König Mauro dachte zu Ende, was hier im Raum stand: „Wenn die 1000 Schrecken energetische Gebilde sind, die sich auf sieben Grundmuster reduzieren, und diese Grundmuster den Urenergien entsprechen, dann haben wir es hier mit den sieben Urängsten zu tun. Der Formenreichtum in Barrens Labyrinth basiert auf ihren Kombinationen und Abwandlungen.“

Im Raum wurde es still. Jeder reflektierte Mauros Worte für sich. Schließlich wiederholte Barad langsam: „Alles, was uns im Leben Furcht einflößt, basiert auf den sieben Urängsten. Das Labyrinth ist aus dieser Substanz gewoben.“

Torren bekräftigte: „Sieben mal sieben Kombinationsmöglichkeiten – mehr gibt es nicht.“

„In Barrens variantenreicher Bilderwelt sehen sie bloß nach mehr aus“, bestätigte Mauro.

Gildemeister Malfarin faltete die Hände vor dem Gesicht: "So einfach ist das! Mit diesem Wissen hätten wir viele wackere Männer retten können. Mein Vater war eines der Opfer. Erschöpft von den Kämpfen gegen Barrens Geister starb er eines frühen Todes."

König Kelros seufzte: "Wackere Männer haben im Labyrinth den Verstand verloren. Selbst die, die rausgekommen sind, litten bis an ihr Lebensende Höllenqualen"

Hanok wusste, wovon sie sprachen. Er selbst war in Barrens Labyrinth gefoltert worden. Bloß zuzuhören, wenn die anderen darüber redeten, war für ihn unerträglich. Kalter Schweiß lief über seinen Rücken hinunter. Immer wieder fokussierte er seine Augen. Er musste sich versichern, dass er nicht mit einem derben Sack über den Kopf vor Barren kniete. Sobald er die Augen schloss, fielen die Gespenster über ihn her.

"Wir Zauberer wissen mit Ängsten umzugehen. Schattenarbeit ist unser tägliches Brot.“ Zumindest für Mauro traf das zu.

Hohepriesterin Suza wollte das nicht gelten lassen: „Nach meiner Kenntnis habt ihr Zauberer mehr Erfahrung mit dem Kreieren von Ängsten als mit deren Heilung. Wie ich höre, setzt Ihr Euer Wissen inzwischen als Waffe ein."

Mauro ging nicht auf Suzas Kommentar ein. Er wollte nicht vor allen bekennen, dass sie Recht hatte. "Die Experten im Heilen von Ängsten sind die Hochelfen. Sie haben mich dereinst an ihrem Wissen teilhaben lassen. Vielleicht helfen sie uns, Leitlinien der Heilung zu erstellen."

Suza protestierte: "Diese Kunst sollte den Tempeln vorbehalten bleiben. Selbstverständlich stehen wir allen Menschen zur Seite, die Heilung brauchen. Das ist unser göttlicher Auftrag. Dieses brisante Wissen darf nicht in die falschen Hände geraten. Ihr habt erlebt, welchen Unfug man damit anstellen kann.“

"Lasst uns das Wissen erst in Händen haben, ehe wir es zu hüten beginnen.“ Barad kannte Suzas Empfindlichkeit.

"Bisher waren die Hochelfen nicht gerade kooperativ. Königin Galbereth teilt ihr hehres Wissen nicht mit jedermann", sagte Suza spitz. Das Verhältnis zwischen beiden Damen war nicht gerade herzlich.

Natürlich hatte Elfenkönigin Galbereth die Konferenz verfolgt. Sie war als Ringträgerin selbst ein Mitglied der Caladrim. Jetzt hielt sie die Zeit für gekommen, sich im Kreise der Anwesenden zu zeigen.

Galbereths Auftritte waren atemberaubend (möglicherweise der Hauptgrund, weshalb Suza sie nicht ausstehen konnte). Jeder der anwesenden Männer hätte geschworen, nie eine schönere Frau gesehen zu haben. Ein Strahlen begleitete die Elfenkönigin, dessen Quelle in ihrem Innersten zu sitzen schien. Sie ging nicht, sie schwebte. Ihre Stimme tönte wie Glockengeläut. In ihren blauen Augen meinte man Meereswellen zu erkennen.

König Mauro verneigte sich tief (ebenso wie die anderen Herren). "Herrin, es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen. Die Welt der Menschen braucht Eure Hilfe."

"Auch Hochelfen sind durch den tückischen Zauber des Labyrinths ums Leben gekommen. Ich biete Euch meine Hilfe, den Bauplan zu entschlüsseln. Was müsst Ihr wissen?"

"Wir brauchen die Namen der Schreckgestalten, die Bezeichnung der sieben Urängste.“

"Welche habt Ihr bereits identifiziert? Beschreibt sie!“ forderte Galbereth.

Mauro begann mit der Beschreibung des Schreckgespenstes, mit dem er sich an Hagens Grab auseinandergesetzt hatte. Es war das erste gewesen, das er zu zähmen vermochte. Er beschwor das Bild der toten Shio Ban und schilderte das würgende Gefühl der Machtlosigkeit. Während des Sprechens fiel ihm auf, dass er nur noch ein Echo des alten Schmerzes empfand. Er dankte Shio Ban und ließ sie ziehen.

Die Elfenfürstin gab den Bildern einen Namen: "Ihr beschreibt das Gespenst der Schuld. Die Betroffenen werden von der Angst vor Wertlosigkeit gequält. Sie ziehen den Märtyrer-Tod der Schmach des Versagens vor. Diese Angst gaukelt ihren Opfern vor, dass sie schmerzvolle Erlebnisse durch mehr Einsatz verhindern könnten. Im Bestreben, nicht schuldig zu werden, überfordern sie sich selbst bis zum Scheitern.“

Mauro fuhr fort mit dem Gespenst, das er Barren entgegengeschleudert hatte, als er ihm auf den Distelfeldern gegenüber stand. Er hatte mittlerweile erkannt, dass dieses Gespenst für Barren wie für Hanok besonders gefährlich war. Ihn selbst ließ es weitgehend unbehelligt. So bat er Hanok um eine Beschreibung.

Hanok war dazu nicht mehr in der Lage. Er hatte die Grenze seine Leidensfähigkeit erreicht. Er biss die Zähne so hart zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. Alle Kraft, die ihm verblieben war, wendete er darauf, Haltung zu bewahren.

Die Anwesenden wussten um Hanoks Geschichte. Mauro erkannte, dass er dem Mann zu viel zugemutet hatte und schickte sich an, selbst mit der Beschreibung fortzufahren.

Galbereth gebot ihm Einhalt. Sie wandte sich Hanok zu: "Der Kampf hat Euch erschöpft. Ihr braucht Hilfe."

Hilfe war das letzte, was Hanok brauchte. Von einer Dame! Er machte eine abwehrende Handbewegung. Doch die Elfenkönigin ließ sich nicht abweisen. "Von wem könnt ihr Hilfe annehmen?"

Hanok blickte in die Runde und schüttelte den Kopf.

"Er muss nicht hier sein. Nennt den Namen."

Hanok wählte den einzigen Freund, den er je gehabt hatte: seinen Sattelgefährten.

"Gut" sagte Galbereth und bewirkte, dass einer der Anwesenden die Gestalt des Ermordeten annahm. Sie gab dem Mann Anweisungen und verlangte von Hanok: "Euer Gefährte steht bereit, Euch zu helfen. Ihr müsst es einfordern. "

Hanok konnte kaum fassen, was er sah. Im ersten Moment meinte er, der ermordete Gefährte wäre wieder auferstanden. Dann machte er sich bewusst, dass es ein Trugbild war.

„Es spielt keine Rolle“, nahm Galbereth seinen Einwand vorweg. „Wir können auch von Verstorbenen Hilfe erhalten. Ich habe Euren Gefährten gerufen, und er ist bereit, Euch zu unterstützen. Ihr müsst Euch nur dazu entschließen, sein Geschenk anzunehmen. Lasst Euch in seine Arme fallen. Er wird Euch auffangen.“

Sich vor aller Augen solch eine Blöße zu geben, war unerträglich für den hochmütigen Hanok. "Herrin..." begann er seine Widerrede. Es nutzte ihm nichts. Galbereth erhöhte den Druck auf ihn. Er kämpfte verzweifelt ... und ließ sich am Ende fallen.

Der Gefährte machte seine Sache gut. Er schwankte kein bisschen. Sofort wollte Hanok sich aus der ungewohnten Lage befreien, doch wieder schritt Galbereth ein. "Lasst Euch darauf ein. Fühlt, was es bedeutet, Hilfe anzunehmen".

Ganz langsam entspannte Hanok sich. Der Gefährte hielt ihn sicher. „Wie sehr hätte ich mir zu Lebzeiten gewünscht, Dir behilflich zu sein“, sagte der Stellvertreter. „Du hast es nie zugelassen. Schade!“

Galbereth entzog Hanoks Hilfsbedürftigkeit gnädig den Augen der anderen, während sie weitersprach: "Was ihr soeben gesehen habt, ist das Gespenst des Hochmuts. Seine Opfer haben Angst, verletzt zu werden. Darum geben sie sich den Anschein der Überlegenheit und schotten sich ab. Ihnen kann nur geholfen werden, wenn ein anderer bereit ist, den Panzer von außen zu durchdringen. Das gilt für Hanok, aber auch für Barren.“

Barad hatte begriffen, worum es ging: „Der Herr der 1000 Schrecken kann nicht auf Hilfe von außen hoffen. Er hat keine Freunde, die bereit wären, für seine Rettung ein Risiko einzugehen. Er kann sich nur noch tiefer in sein eigenes Labyrinth verstricken.“

„Zwei der Grundängste haben wir kennen gelernt. Die Angst vor Schuld entspricht dem Urprinzip des Kriegers. Um Schuld zu vermeiden, stürzt er sich ins Märtyrertum. Die zweite, die Angst vor Verletzung, gehört zur Priesterenergie. Sie drückt sich in Hochmut aus“, fasste Suza die Erkenntnisse zusammen.

„Welchem Gespenst bin ich ausgewichen, als Fürst Torren mich an der Kammer im Labyrinth vorbeigelotst hat?“ fragte Mauro. Er ließ die Kammer vor ihren Augen entstehen. Die Dämonen, die dort ihre schaurige Arbeit verrichteten, hatten vierschrötige Tierköpfe mit ausladenden Hörnern, feurige Augen, Bocksbeine und den Schweif eines Löwen. In den Händen hielten sie entweder eine zwölfschwänzige Geißel oder eine Bullpeitsche. Sie konfrontierten die Betrachter gnadenlos mit allen ihren Versäumnissen. Mit langen Peitschen hetzten sie ihre Opfer hin und her. Je mehr einer anpackte, je mehr Versäumnisse blieben liegen. „Welche Bezeichnung würdet Ihr diesen Ungeheuern zuordnen?“ fragte er Galbereth, die sich als eine der wenigen nicht in das hektische Treiben hineinziehen ließ.

„Was Ihr hier seht, ist das Ungeheuer der Ungeduld. Todesangst und Todessehnsucht – die Urangst des Königs. Ständig treibt ihn die Furcht, sein Vermächtnis nicht vollenden zu können“, erläuterte Galbereth. „Das ist Eure Hauptangst. Ich dachte, ich hätte Euch gründlich darauf vorbereitet?“

Mauro hatte auch diesmal wieder Mühe, sich der Hetzjagd zu entziehen, die sich in seinem Kopf abspielte: „Vorbereitet? Naja, wie man es nimmt. Hätte Fürst Torren mich nicht durch die Abkürzung geführt, wäre ich in dieser Kammer gescheitert“, bekannte er. „Monate später kehrte ich zurück. Da konnte ich bestehen. Doch ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen machen mir immer noch zu schaffen.“

„Die Hauptangst löst sich nie völlig auf, da sie eine Funktion zu erfüllen hat“, wusste Meister Schlobart. „Sie stellt Reibung zur Verfügung für unser Wachstum. Deshalb begleitet sie uns durch unser Leben. Je besser wir damit umgehen lernen, je mehr Bewegungsspielraum gewinnen wir.“

„Ich denke, es ist genug für heute“, meinte Barad. „Wir haben die Astralkörper unserer Gäste hinreichend strapaziert. Wie wäre es, wenn wir ein andermal fortfahren? Lasst uns erst Erfahrung sammeln mit dem, was wir heute gelernt haben!“

Während die anderen sich verabschiedeten, setzte Barad sich neben Hanok und fühlte dessen Energiebahnen. „Mit diesem Wissen könnt ihr nun arbeiten. Macht Euch Eure Ängste bewusst, dann geht es Euch besser. Ihr wisst ja: im Lichte der Betrachtung schmilzt Angst wie Schnee in der Sonne.“

Hanok quittierte Barads Versuch der Ermutigung mit der Andeutung eines Lächelns. Er fühlte sich hundeelend.

Nach der Konferenz der Zauberer zog Mauro sich mit Fürst Torren in sein Kaminzimmer zurück. Zum ersten Mal seit ihrem Zusammentreffen im Tempel von Knyssar war er mit dem alten Zauberer allein. Nur Fräulein Jorid hatte er mitgebracht, um sein Gedächtnis zu entlasten. Ihre Gegenwart würde der Altmeister ohnedies nicht zur Kenntnis nehmen.

„Yvo hat sich für Knyssar entschieden“, berichtete Mauro.

Fürst Torren wusste es bereits. „Ich werde dafür sorgen, dass er etwa die Hälfte des Jahres im Tempel verbringt und die andere Zeit an Eurer Seite. Ich möchte ihn nicht völlig aus dem alltäglichen Leben herausreißen. Er tut sich schwer genug, sich in die Gesellschaft einzufügen. Ihm fehlten Rollenvorbilder für seine Orientierung.“

Mauro nickte: „Manchmal tut er absonderliche Dinge. Wie die Sache mit Iorghe und Swanje. Als ich davon erfuhr, fragte ich mich, ob der Junge bei Verstand ist.“

„Er hat es nicht leicht“, pflichtete Torren ihm bei. „Doch die alte Macht ist stark in ihm. Wenn er sich gut entwickelt, wird er Euch eine wertvolle Stütze sein. Ich bin optimistisch, dass ich ihn angemessen auf seine Aufgabe als Jäger vorbereiten kann.“

„Welche Aufgaben hat ein Jäger?“

„Er steht Euch im Kampf gegen den Dämon zur Seite. Doch er ist gleichzeitig ein Risiko: fällt er, reißt er Euch mit.“

„Wie Barren seinen Bruder Curon?“

„Genau so. Barren und ich waren König Curons Jäger. Als Barren die Seite wechselte, konnte auch Curon nicht mehr bestehen. Sein Kampf war verloren, noch ehe er richtig begonnen hatte.“

„Erzählt mir mehr darüber.“

„Ein andermal. Im Moment müsst Ihr nicht mehr wissen, als Ihr ohnedies schon erfahren habt. Ihr wart bei Val d’Ossar und König Kelros. Ihr habt mit Hohepriesterin Suza gesprochen. Jetzt erst kommt Ihr zu mir. Was soll ich davon halten?“

„Dass ich Euch nicht über den Weg traue“, bekannte Mauro unumwunden.

„Eben. Vertrauen kann man nicht erzwingen. Immerhin habt Ihr heute einen ersten Schritt gemacht. Weitere werden folgen. Ich stehe zu Eurer Verfügung.“

„Ich danke Euch, Altmeister Torren. Auch dafür, dass Ihr heute hierhergekommen seid.“

„Es war spannend. Die Frage nach der Systematik hatte ich mir nie gestellt. Heute konnte ich erkennen, wie hilfreich sie ist. Und ich habe die zauberhafte Königin Galbereth gesehen. Selbst für meine alten Augen ist das ein Vergnügen!“ Für kurze Zeit lag ein fast verklärtes Lächeln auf Torrens Gesicht. Dann wurde er schlagartig ernst und fragte Mauro: „Wie weit seid Ihr in der Entscheidung wegen der Lehen?“

Diesmal war Mauro auf die Frage vorbereitet: „Mit Euch würde ich mir rasch handelseinig, doch ich bin unsicher, wer gerade in Tolego das Sagen hat. Wie mir scheint, tobt ein Machtkampf zwischen Eurem Sohn Vreden und Eurem Enkel Nôrden. Der Ausgang ist für mich nicht absehbar.“

Torren nahm sich mit der Antwort Zeit. Mauros unumwundene Art, auf den Punkt zu kommen, brachte ihn aus dem Konzept. Schließlich fragte er: „Wie würde Euer Angebot aussehen, wenn Ihr es nur mit mir zu tun hättet?“

Die Antwort fiel Mauro nicht schwer: „Ich würde Burg Amrun an Yvo geben. Er braucht früher oder später eine eigene Burg. Welche der Burgen, über die ich noch verfügen kann, ich Euch als Ersatz anbiete, bin ich mir noch nicht schlüssig. Vielleicht Passar.“

Torren hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Wollte der König den Tolegos zwei Burgen anbieten? Längst betrachtete Torren Yvo als Angehörigen seines Clans. „Was hindert Euch daran, uns diese Lösung vorzuschlagen?“ fragte er vorsichtig.

Mauros Antwort ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Solange Nôrden mir den gebührenden Respekt vorenthält, kann Tolego nicht mit meiner Großzügigkeit rechnen.“

Fürst Torren verhielt sich, als wüsste er nichts über das gespannte Verhältnis zwischen Mauro und Nôrden: „Eure Worte höre ich mit Besorgnis. Was hat mein Enkel falsch gemacht?“

Mauro berichtete über ein paar Situationen, bei denen er sich über Nôrdens Verhalten geärgert hatte.

Fürst Torren hörte schweigend zu. Nichts an seiner Haltung ließ erkennen, wie er zu der Sache stand. In seinem Kopf jedoch arbeitete es. Er wusste genau, was los war: Nôrden hatte keinerlei Respekt vor dem Sohn seines früheren Herrn Curon. Seine Geringschätzung vermochte er nicht zu verbergen. Mauro, der nur wenige Jahre älter war als der Tolego, schätzte diesen ebenso gering. Er duldete ihn, solang seines Großvaters Macht ihn schützte. War das nicht mehr der Fall, würde Mauro den ersten sich bietenden Vorwand nutzen, um Nôrden wie eine lästige Gewandlaus zu zerquetschen. Konnte er ihm gar Hochverrat anhängen, fiel der gesamte Clan mit ihm. Fürst Torren sah vor seinem geistigen Auge Horrorvisionen aufsteigen, dass Tolego bald genauso von Almanen regiert werden könnte wie die Nachbarprovinz Neylar. Das durfte nicht geschehen. Doch er konnte sich von Mauro keine Vorschriften machen lassen. Die Wahl des Clanchefs war eine interne Angelegenheit, in der der König kein Mitspracherecht besaß. Das musste auch in Zukunft so bleiben. Fürst Torren saß in der Klemme und brauchte Zeit zum Nachdenken. Geschickt ermutigte er Mauro, seinem Ärger über Nôrden freien Lauf zu lassen.

Mauro durchschaute das Manöver nicht und wetterte weiter: „Alle Fürsten schickten fünfundzwanzig ihrer besten Männer für meine Garde. Nôrden gibt mir die, die er nicht haben will. Nichts gegen die Männer aus Amrun. Sie machen einen guten Job. Ich werde sie auf jeden Fall behalten. Doch ich hätte bessere Qualität von Tolego erwartet.“

Fürst Torren nickte nur. Wieder verzog er keine Mine. „Was noch?“ fragte er.

Mauro hatte fast alle Pfeile verschossen. Zuletzt kam ihm die Gesellenprüfung der Kombat-Zauberer in den Sinn: „Was soll ich davon halten, dass alle anderen Clans ihre talentierten Leute zu mir schicken – nur der Jahrgangsbeste kehrt heim nach Tolego?“ ereiferte er sich. „Gildemeister Malfarin lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihn. Er meinte, der Junge wäre >wie geschnitzt für die Ithryn des Königs<. Genau das waren seine Worte. Ist der Junge jetzt bei mir? Nein!“

Das waren in der Tat die Worte des Gildemeisters gewesen, sie hatten sich allerdings nicht auf Stork bezogen. Mauro merkte nicht, dass ihm ein Fehler unterlaufen war, aber Fürst Torren hakte sofort ein: „Ich wusste nicht, dass Ihr Stork von Amrun für Eure Ithryn haben wollt“, sagte er in einem Tonfall, als wäre er höchst verwundert. „Selbstverständlich bekommt Ihr ihn. Es ist mir sogar eine Ehre. Der Junge weilt noch in der Stadt und wird sich gleich morgen früh zum Dienst melden!“

Mauro stutzte. Irgendetwas kam ihm merkwürdig vor.

Fürst Torren ließ Mauro keine Zeit, darüber nachzudenken. Er griff das ursprüngliche Thema wieder auf: „Es wäre nicht klug, einen Mann zum Clanchef zu ernennen, der dem König missfällt. Dennoch bitte ich Euch, zu verstehen, dass ich in den Machtkampf um meine Nachfolge nicht eingreifen möchte. Zu viele Nachfolger habe ich schon auserkoren, die dann vor mir diese Welt verließen.“

Mauro war überzeugt, dass Torren sehr wohl eingreifen würde, sobald sein Vermächtnis in Gefahr geriet. Im Moment musste er ihm die Chance geben, das Gesicht zu wahren. So sagte er nur: „Ihr versteht, dass es mir nicht einerlei sein kann, wer über Tolego herrscht.“

„Wenn Ihr wollt, könnt Ihr in aller Ruhe abwarten, wer sich am Ende durchsetzt“, bot Fürst Torren an. „Bis dahin bewirtschaften wir weiterhin Burg Sevas.“ Dann fügte er fast jovial hinzu: „Und der junge Stork ist ab sofort Euer Mann!“

„Ich wusste doch, dass wir uns verstehen“, sagte Mauro zufrieden.

Im Gehen mahnte Fürst Torren: „Meine Zeit währt nicht ewig. Der zweite Jäger – findet ihn!“

Nach Fürst Torrens Abgang hing Mauro eine Weile lang schweigend seinen Gedanken nach.

Jorid unterbrach ihn nicht. Sie genoss es, wenn sie, wie jetzt, allein mit Mauro arbeiten konnte. Meist sprach er dann freimütiger mit ihr.

Schließlich schlug Mauro mit der Faust auf den Tisch. „Ich hätte mich niemals hinreißen lassen dürfen, wie ein Waschweib über Nôrdens Verfehlungen herzuziehen. Von Anfang an hatte ich nichts Konkretes gegen ihn vorzubringen. Torren hat mich einfach ins Leere laufen lassen – bis ich selbst bemerkt habe, wie unsinnig meine Argumente sind…“

„Kann es sein, dass Ihr dem Fürsten unbeabsichtigt ein Angebot gemacht habt?“ begann Jorid vorsichtig.

„Ein Angebot?“ wunderte sich Mauro. „Meint Ihr, weil ich Passar erwähnte? Er wird sich wohl denken, dass ich Vreden nicht zum Spaß dort eingesetzt habe.“

Jorid schüttelte den Kopf: „Ihr habt ihm gesagt, dass Ihr Stork für die Ithryn haben wollt.“

Mauro griff sich an den Kopf: „Stork sollte zur Garde und nicht zu den Ithryn berufen werden!“ Jetzt erst merkte er die Verwechslung. „Damit habe ich dem greisen Fürsten in der Tat ein unbeabsichtigtes Geschenk gemacht. Torren forderte schon die längste Zeit, ich solle einen Jungen aus seinem Clan in den engeren Kreis aufnehmen. Nun hat er, was er wollte. Stork ist ab morgen dabei!“ Mauro überlegte, was das für ihn bedeutete. Dann sagte er zu Jorid: „Es ist nicht schlimm. Ich habe bereits verkündet, dass die Neuen nicht automatisch die gleichen Privilegien genießen wie ihr Alten. Stork scheint immerhin talentiert zu sein. Feren soll sich um ihn kümmern. Die beiden kennen einander.“

„Merkwürdig“, sagte Jorid. „Darüber, dass Ihr Feren aufgenommen habt, verlor Fürst Torren kein Wort.“

Mauro stutzte einen Moment. Dann sagte er: „Wenn Ihr mir ein Goldstück anbietet, würde ich auch nicht sagen, dass ich schon eines habe!“

Der nächste Morgen begann für Hanok qualvoll. Er hatte kaum die Kraft, auf die Beine zu kommen. Hanok musste sich eingestehen, dass die Ereignisse des gestrigen Tages ihm zusetzten. Nach längerer Pause hatte er sich wieder den Schrecken des Labyrinths stellen müssen. Der Horror saß tief. Das Wiedersehen mit seinem Sattelgefährten hatte alte Wunden aufgerissen. Wie Elfenkönigin Galbereth ihn mit seinem Hochmut konfrontierte, beschäftigte ihn sehr. Sein Verstand arbeitete mit Hochdruck. Er hatte kaum geschlafen und bräuchte dringend Ruhe, doch Schonung kannte er nicht.

Galbereths Auftritt hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ungeachtet der Erschöpfung verspürte Hanok Erleichterung. Es hatte ihm gut getan, Hilfe anzunehmen. Ob es ihm auch ein zweites Mal gelingen würde, wenn die Elfenkönigin ihn nicht unterstützte? Er würde es versuchen. Vielleicht wurde er dann endlich wieder gesund.

Was stand für heute an? Hanok riss sich zusammen und konzentrierte sich auf den nächsten Schritt. Ingram wollte einen Mann an ihn abgeben, mit dem er nicht zurechtkam. Am besten ging er gleich zu ihm.

Ingram saß im Kreise der Männer, die gerade keinen Dienst hatten. Hanok setzte sich dazu. Man tauschte die üblichen Höflichkeiten aus. Das Verhältnis zu Ingram hatte sich in letzter Zeit gebessert. Je sicherer Ingram im Umgang mit seiner Truppe wurde, je eher war er bereit, sich von Hanok etwas sagen zu lassen.

Irgendetwas im Raum aktivierte Hanoks Wachsamkeit. Eine Störung des Energiefeldes. Die Präsenz eines fremden Zauberers... Er erkannte den Mann sofort, der neben dem Kaminfeuer am Boden hockte. Rücken an der Wand, Beine angewinkelt und Unterarme locker auf die Knie gelegt – so war er schon immer gesessen. Feren war ein Freund fester Gewohnheiten. Wie eine Katze liebte er warme Plätze und schlief, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte. Offenbar verfügte er auch über neun Leben.

Soeben blickte Feren in Hanoks Richtung, ohne ihn anzusehen. Die Augen waren leicht zusammengekniffen. Er las Hanoks Energiefeld aus.

Hanok fühlte eine leichte Beklemmung. Was er seit Jahren gefürchtet hatte, war geschehen. Feren war wieder aufgetaucht, und mit ihm der Makel einer verheerenden Niederlage – die Schlacht der steinernen Särge. Erstaunlich lange konnte Hanok sich vor der Verantwortung drücken. Das Desaster hatte seiner Karriere nicht geschadet, weil keiner der Zeugen jemals zu Wort gekommen war. Nun waren die letzten Überlebenden von den Wirren des Krieges in die Hauptstadt gespült worden. Unweigerlich würden sie ihn mit der Schuld konfrontieren. Aber warum gerade jetzt? Im Moment fehlte ihm die Kraft, sich damit auseinanderzusetzen.

Hanok entschied, Feren erst einmal zu ignorieren. Mit einiger Mühe konzentrierte er sich auf den Mann, den Ingram ihm gerade vorstellte. Er fühlte sich unendlich müde.

Als er die Unterkunft der kethischen Garde wenig später verließ, deutete nichts darauf hin, dass er von Ferens Anwesenheit Notiz genommen hatte.

Ferens Heimkehr

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