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Kapitel 1


Alles auf Anfang

Lilly versuchte neu anzufangen. Die Feiertage, so schrecklich es auch war sie allein verbringen zu müssen, gingen irgendwann vorbei und mit ihnen das bedrückende Gefühl von Einsamkeit, das sie tief in ihrem Herzen verspürte. Drei Monate mit Ethan waren intensiver gewesen als ihr ganzes bisheriges Leben. Intensiv, weil sie in diesen 3 Monaten Gefühle kennenlernte, von denen sie sich immer sicher gewesen war, dass sie nicht in ihrer Brust wohnten. Ethan hatte sie trotz seiner zurückweisenden Art gelehrt mit allen Sinnen zu fühlen, mit ihrem Herzen zu denken, auf ihre Seele zu hören und genau deswegen war sie gegangen. Genau deswegen hatte sie entschieden, dass es für sie beide besser war den Kampf gegen ihre Dämonen ohne den Anderen auszufechten. Weil sie beide nicht stark genug waren den Anderen beschützen zu können. Sie waren ja nicht einmal mutig genug sich gegenüber einzugestehen, dass sie von ihrer Vergangenheit verfolgt wurden.

Lilly machte diese Feststellung schrecklich traurig. Nie in ihrem Leben hatte sie sich so geborgen und sicher gefühlt wie in Ethans Armen, doch ihn quälten Erinnerungen, die sie ihm nicht nehmen konnte. Nach allem was auf der Farm geschehen war, war sie nicht mutig genug seine Liebe, von der sein Vater behauptete, dass sie tief in seinem Herzen existierte, zu erzwingen.

3 Monate lang hatte sie darum gekämpft geliebt zu werden und tief in ihrem Herzen wusste auch sie trotz allem was er getan hatte, dass Ethan kein schwarzes Herz besaß. Sie hatte das wundervoll kindliche Leuchten in seinen Augen gesehen. Das Leuchten, dass mehr ausdrückte als Worte es jemals konnten. Das Leuchten, dass ihr jedes Mal verdeutlichte, dass Ethan genau wie jeder andere Mensch Liebe empfand. Dennoch gab es für sie keinen gemeinsamen Weg.

Lilly war sich an jenem Abend, als sie Carter auf den Caymans darum bat ihr einen Flug zu besorgen, sicher gewesen, dass Ethan sie unwiderruflich zerstören würde, klammerte sie sich weiter an der Hoffnung fest, dass sie sein verschlossenes Herz würde aufbrechen können. Ohne wirklich zu wissen warum Ethan glaubte nicht zur Liebe fähig zu sein, wusste sie, dass es ihr Untergang sein würde, wenn sie weiter an ihm festhielt und so war sie gegangen, brach alle Brücken hinter sich ab und suchte einen Weg ohne den göttlichsten Mann der Welt weiter zu machen. Und obwohl sie in einsamen Nächten insgeheim doch hoffte Ethan würde kommen und sie zurückholen, ihr endlich seine Liebe gestehen, blickte sie nach vorn.

Was blieb ihr auch anderes übrig?

Es war nicht wichtig, dass ihr lange Zeit jeder Atemzug weh tat, weil sie die Traurigkeit in ihrem Herzen erdrückte. Es war nicht wichtig, dass sie Ethan so schrecklich vermisste, dass sie zu weinen begann, wenn sie nur an ihn dachte. Ethan Blake war Vergangenheit. Er musste Vergangenheit sein, weil sie wusste, dass er sie zerstören würde und mit jedem Tag, der verging, fielen ihr die Schritte in ihr eigenes, neues Leben leichter.

Lilly beschloss ihre Lebensgeschichte zu veröffentlichen, … zumindest es zu versuchen. Also schickte sie, unter dem Pseudonym Katelyn Vernon Manuskripte an die größten Verlage des Landes. Sie wusste, dass sie damit endgültig die Beziehung zu ihrer Mutter aufs Spiel setzte, machte sich aber im Grunde kaum Hoffnung darauf, auch wirklich eine Chance zur Veröffentlichung zu bekommen. Trotzdem war sie bereit auf diese Weise ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie musste endlich verarbeiten was in Montana geschehen war, was ihr jahrelang angetan worden war. Aber vor allem half ihr die Arbeit an dem Manuskript Ethan zu verdrängen, … vergessen würde sie ihn niemals.

Niemals würde sie seine zärtlichen Lippen vergessen, die sie nachts, wenn sie schlaflos im Bett lag, auch nach Monaten immer noch auf ihrer Haut fühlen konnte.

Niemals würde sie seine Hände vergessen, die sie so liebevoll zu streicheln verstanden, dass sie Gänsehaut bekam, wenn sie nur daran dachte.

Niemals würde sie vergessen, was er im Stande war mit ihrem Körper anzustellen, welche Empfindungen er in ihr wecken konnte.

Lilly liebte Ethan … diese Liebe, die sie aus den tiefsten Gründen ihres Herzens empfand war so echt, so wirklich und so bedeutend wie sie nur sein konnte … aber sie war eben nicht stark genug für sie beide.


Obwohl Lilly sich bewusst war das wahrscheinlich niemand die Geschichte eines naiven, völlig weltfremden Mädchens lesen wollte, das von ihrem Bruder missbraucht wurde und nicht den Mut besaß sich zur Wehr zu setzen, musste sie diesen Schritt tun. Für Lilly war der Schritt an die Öffentlichkeit ein Weg um mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Wenn sie unter einem Pseudonym veröffentlichte konnte sie über ihr Schicksal sprechen ohne direkt damit in Verbindung gebracht zu werden. Denn nur wenige kannten die Wahrheit.

Für Lilly war die Arbeit an dem Buch wie eine Therapie, die ihr half sich selbst als Opfer zu sehen und zu begreifen, dass sie als solches nie eine Chance gehabt hatte etwas an der Situation zu ändern. In einer Selbsthilfegruppe, die sie lange Zeit 2mal die Woche besuchte, lernte Lilly, dass sie niemals stark genug gewesen wäre dem soziophatischen Verhalten ihres Stiefvaters und den widerlichen Übergriffen ihres Stiefbruders zu entgehen. Sie lernte zu verstehen, dass sie nicht schuld an all den schrecklichen Dingen gewesen war, die Dawson ihr antat.

Sie war ein Opfer. Sie war kein Mädchen gewesen, das einen jungen Mann provozierte, dass ein solch widerliches Verhalten herausforderte. Ganz egal was ihre Mutter behauptete, Lilly hatte all das was geschehen war weder gewollt noch angeheizt. An all den fürchterlichen Dingen, die auf der Farm geschehen waren war einzig und allein Dawson schuld. Er war dafür verantwortlich, dass sie sich über viele Jahre hinweg schmutzig und wertlos fühlte. Er war dafür verantwortlich, dass sie wieder und wieder an Selbstmord dachte und doch zu feige war es wirklich zu tun.

In den Gruppensitzungen lernte Lilly darüber zu sprechen, was geschehen war und sie merkte sehr bald, dass es ihr wirklich half den jahrelangen Missbrauch zu verarbeiten, sich einzugestehen ein Opfer gewesen zu sein.

Lilly fand ihren inneren Pol. Sie lernte langsam aber zielstrebig ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie freute sich darüber endlich nicht mehr klein gehalten und manipuliert zu werden, sondern ihre alltäglichen Entscheidungen selbst zu treffen.

Natürlich war es dabei sehr hilfreich, dass auf ihrem Konto 1,7 Millionen Dollar lagen. Geld, das Ethan ihr für 3 Monate, eine Woche und 4 Tage an seiner Seite bezahlte und Lilly schämte sich nicht dafür es zu behalten, denn es eröffnete ihr die Möglichkeit all ihre Träume zu verwirklichen. Machte ihr aber auch bewusst, dass er sich letztlich immer in allen Punkten zu 100% an diese erbärmliche Vereinbarung gehalten hatte ohne sie jemals unterschrieben zu haben. Lilly erinnerte sich daran, wie Ethan davon sprach, dass sie ein Leben nach ihm haben würde und dieses Geld auch dazu diente, eben dieses neue Leben gestalten zu können.

Diese dumme Vereinbarung … wie oft hatten sie sich deswegen in den Haaren gelegen?

Lilly erinnerte sich immer wieder an die unzähligen Auseinandersetzungen, weil sie nicht verstand, warum Ethan darauf bestand. Im Nachhinein kam ihr jedoch jeder einzelne Streit lächerlich vor. Denn letztlich tat auch sie nichts anderes, als sich Punkt für Punkt daran zu halten, was auf diesem dummen Papier stand. All die Zeit hatte sie sich Ethan untergeordnet, sich letztlich, trotz vieler Diskussionen, von ihm leiten lassen und auch nach der Trennung verlor sie nie ein Wort über ihre Beziehung zu Ethan Blake, obwohl sich die Presse sehr für ihre Geschichte interessierte. Lilly schloss einfach ab, weil ihr keine andere Wahl blieb, obwohl es immer wieder Augenblicke gab, in denen ihr Herz sie dazu bewegen wollte zum Penthouse zu fahren und sich ihm zu Füßen zu werfen. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm und doch blieb ihr Verstand vernünftig genug es nicht zu tun.

Allerdings ertrug Lilly es nicht länger in dem Apartment zu leben in dem ihr Ex mit seiner verstorbenen, großen Liebe leben, eine Familie gründen wollte. Dieses wunderschöne Apartment war einmal ihr Zufluchtsort gewesen, doch seit sie um die Hintergründe wusste, ertrug sie es einfach nicht mehr dort zu sein. Deshalb suchte sie nach einem kleinen Haus oder einer beschaulichen Wohnung außerhalb von Manhattan, wo sie neben ihrem Studium und den Kolumnen für jayzz.com in Ruhe an ihrem Buch arbeiten konnte.

Nach langer Suche fand sie ein hübsches, kleines Häuschen in Queens. Lilly war sehr glücklich, als sie dort nach kleineren Renovierungsarbeiten Anfang März endlich einziehen konnte.

Es war eine schöne Jahreszeit. Der Winter war noch nicht ganz vorbei, aber auch der Frühling schaffte es noch nicht sich durch zu setzten. Lilly liebte das. Es war eine so friedliche Zeit des Jahres und auch in ihrem Leben kehrte langsam Ruhe ein, nachdem sie viel Zeit gebraucht hatte um über Ethan hinweg zu kommen.

Trotzdem googelte Lilly ab und an seinen Namen, las die Artikel in der Klatsch-Presse. Dabei fragte sie sich immer wieder, woher diese sadomasochistische Ader plötzlich kam, denn jedes neue Foto von ihm und einer anderen Frau, war, als würde er ihr ein Messer in die Brust rammen und es genüsslich drehen um ihr auch wirklich den größtmöglichen Schmerz zuzufügen. Ethan hatte sie einfach ausgetauscht. Nicht einmal eine Woche dauerte es, bis die ersten Paparazzi-Fotos von ihm und einer gertenschlanken Blondine im Netz auftauchten. Lilly brach bei ihrem Anblick in Tränen aus.

Warum fühlte er sich nicht so beschissen wie sie sich fühlte?

Ja, Lilly wünschte sich, dass Ethan genauso unter der Trennung litt wie sie und doch war ihr längst bewusst, dass das niemals so sein würde. Ethan war kein Mann, der einer Frau nachtrauerte, weil er sein Herz hinter einer solch undurchdringlichen Mauer verborgen hatte, dass er offenbar wirklich nichts empfinden konnte. Er machte einfach weiter. Suchte sich ohne zu zögern die Nächste, der er seinen wunderschönen, kräftigen, athletischen Körper schenkte und Lilly wäre dieser Frau am liebsten an den Hals gesprungen. Aber sie wusste auch, dass dieser Frau kein Vorwurf zu machen war. Ihr genauso wenig wie all denen, die nach ihr kamen.

So war Ethan nun mal. Er sah sich selbst als gefühlloses Scheusal und zögerte nicht das Jedem zu beweisen der es sehen wollte. Aus dem wundervollen Mann der sie eine Zeit lang auf Händen trug und von dem Lilly wusste, dass tief in seiner Brust ein liebevolles Herz schlug, war wieder der eisenharte, kalte und berechnende Geschäftsmann geworden, der sich nahm wonach ihm der Sinn stand, der alles und jeden zu kontrollieren suchte und der nicht zuließ, dass irgendjemand erneut einen Blick hinter die wunderschöne Fassade warf.

Dennoch viel Lilly immer wieder auf, dass er verändert aussah. Nicht nur, weil er die Haare kürzer trug und fast nur noch mit Dreitagebart zu sehen war. Er wirkte noch ernster als sonst, seine Augen wirkten nicht mehr nur kalt, sondern beinahe so, als sei darin alles Leben erloschen und Lilly hoffte wirklich ein wenig darauf, dass sie ihm genau so sehr fehlte, wie er ihr. Aber sicher war das nur ein Wunschtraum. Schließlich lagen einem Mann wie Ethan Elias Blake die Frauen reihenweise zu Füßen. Wenn er Ablenkung suchte brauchte er nicht weit zu gehen. Ein Besuch im J's reichte dafür allemal aus. Nur zu deutlich bewies er, dass er niemals nur einer Frau gehören würde.

Fast ein halbes Jahr verging. Ein halbes Jahr, indem Lilly ihr Studium beendete, ihr Buch, das von einem Verlag in Baltimore angenommen worden war, korrigierte und ihr zweites Buch zu Ende schrieb. Sie hatte ihre innere Mitte endgültig gefunden, war auf ihre Weise glücklich.

Lilly war nicht mehr allein. Obwohl es keinen neuen Mann in ihrem Leben gab, war sie zufrieden, weil sie Freunde gefunden hatte. Freunde, auf die sie sich verlassen konnte. Die sie nicht als die Schwester ”von” oder der Begleitung ”von” sahen, sondern einfach als Lilly Cole, eine junge Schriftstellerin, die ihren eigenen Weg sucht. Zoe, Pauline und Jack wurden zu guten Freunden. Vor allem Zoe, die Lilly in der Selbsthilfegruppe kennenlernte und mit der sie das erste Mal völlig unbefangen über ihre Erlebnisse sprechen konnte. Schon bald zog sie bei Lilly ein, kümmerte sich um das Haus, wenn Lilly wegen dem Buch nach Baltimore flog.

Zoe war etwas älter als Lilly, mit 1,65m kleiner, aber sie war witzig, strahlte Lebensfreude aus, brachte Lilly zum lachen wenn sie gestresst war oder über der Korrektur ihres Buches, das den Titel ”An einem Tag im Herbst” trug, verzweifelte. Ihre Lektorin Martha war sehr hartnäckig und unglaublich pingelig. Alles musste 150% perfekt sein und da interessierte es sie auch nicht, dass Lilly manchmal fast verzweifelte. Trotzdem war es die ganze Schinderei wert und Lilly unglaublich stolz auf ihre Arbeit, als das Buch endlich in Druck ging. Niemand konnte abschätzen ob es auch wirklich ein Erfolg werden würde, aber Martha war diesbezüglich auf Grund ihrer jahrelangen Erfahrung sehr optimistisch.

Martha war eine manchmal etwas missmutig wirkende Mittfünfzigerin, die, wenn man ihr ans Herz gewachsen war, alles für einen tat und Lilly war ihr sehr ans Herz gewachsen. Vielleicht lag das daran, dass Lilly leicht auch hätte ihre Tochter sein können oder aber auch daran, dass sie ihr Schicksal berührte. Auf jeden Fall war Martha sehr euphorisch, was das Buch anging: „Oh Schätzchen, das wird ein riesiger Erfolg. Da bin ich mir ganz sicher.” „Wenn ich nur auch so zuversichtlich sein könnte.” „Vertrau auf mein Gespür. Kann ich dich bezüglich des Pseudonyms immer noch nicht umstimmen?“ „Nein, das haben wir doch schon des Öfteren besprochen”, diesbezüglich war Lilly absolut kompromisslos. Niemals wollte sie ihre Lebensgeschichte, die sie in einen wundervollen Roman eingeflochten hatte unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen. Denn, ganz egal ob sie für den Rest ihres Lebens getrennte Wege gingen, Ethan durfte niemals von all dem erfahren, was in Montana geschehen war.

Martha war diesbezüglich nicht begeistert, obwohl es letztlich doch wirklich keine Rolle spielte unter welchem Namen die Veröffentlichung stattfand: „Ich wollte nur nochmal nachfragen. Komm, wir gehen feiern. Ich hab uns einen Tisch bei meinem Lieblingsitaliener reserviert.“ „Oh … aber eigentlich wollte ich heute noch nach New York zurück.“ „Verschieb einfach deinen Flug auf Morgen. Du musst mir unbedingt endlich von dem Kerl erzählen, mit dem du zusammen warst.” „Wie … um Himmels Willen … kommst du denn jetzt auf Ethan?“ „Weil dieser Milliardär ein richtig heißer Typ ist. Ich hab Bilder von euch gesehen. Ihr wart ein hübsches Paar.“ „Ja … wir waren und damit ist die Geschichte auch schon erzählt. Du wirst verstehen, dass ich mich nicht über unsere Beziehung äußern werde.” „Das ist aber sehr schade“, Martha sah Lilly ein wenig enttäuscht an. Wie so viele, die in den vergangenen Monaten versuchten sie über Ethan auszuquetschen.

Aber Lilly ließ sich auch davon nicht erweichen: „Schau mich nicht so an Martha. Das ändert nichts. Ethan ist ein Kapitel, das ich längst geschlossen habe. Schickst du mir ein Vorabexemplar zu?“ Lilly wechselte das Thema und Martha beließ es dabei: „Natürlich. Gehst du jetzt wirklich nicht mit mir essen?” „Sorry, aber ich kann dieses Mal nicht. Meine Freundin kommt heute von einer Urlaubsreise zurück und ich möchte mit ihr den Abend verbringen.” „Oh, naja … dann aber das nächste Mal.” „Natürlich … Bye”, sagte Lilly entschlossen.

Noch einmal drückte sie Martha herzlich und verließ dann ihr Büro. Lilly wollte mit der nächsten Maschine nach New York zurück. Zoe war drei Wochen weg gewesen und wenn sie nach Hause kam, wollte Lilly da sein, mit ihr auf der Couch herum lümmeln, Pizza essen und sich die halbe Nacht ihre Urlaubsgeschichten anhören. Sie wollte alles haarklein erzählt bekommen, was Zoe mit ihrer Mutter in Europa erlebt hatte. Keine Kleinigkeit durfte Zoe auslassen, träumte Lilly doch selbst davon einmal nach Europa zu reisen, die Alte Welt kennen zu lernen.

Als Zoe und ihre Mutter die Reise planten, baten sie Lilly immer wieder doch mit ihnen zu fahren, doch sie hatte einfach zu viel zu tun. Im Nachhinein bereute Lilly es sehr sich die drei Wochen nicht frei genommen zu haben. Schließlich war sie freiberufliche Schriftstellerin und konnte so eigentlich ihre Tagesabläufe selbst festlegen, im Grunde überall arbeiten. Doch Martha war sehr hartnäckig gewesen und so blieb Lilly nur, sich nun an den Geschichten ihrer Freundin zu erfreuen.

Im Gegensatz zu Lilly war Zoe ein unheimlich kontaktfreudiger, offener Mensch. Sie hatte sich ihr fröhliches Wesen bewahrt, obwohl sie als Teenager immer wieder von ihrem Onkel missbraucht worden war. Die beiden Frauen sprachen oft über das was ihnen angetan wurde und Lilly beneidete Zoe um ihre couragierte Mutter. Denn im Gegensatz zu Sharon, hatte Carla eingegriffen, ihre Tochter beschützt als diese endlich den Mut fand ihr von den Misshandlungen zu erzählen. Carla, die Zoe allein großzog, zögerte nicht ihren eigenen Bruder ins Gefängnis stecken zu lassen um ihre Tochter zu beschützen. Sharon dagegen gab Lilly auch noch die Schuld daran missbraucht worden zu sein.

- Über Jahre hinweg hätte sie ihren Bruder angeheizt und pubertierende Jungs könnten sich eben nur schwer kontrollieren- war ihre Aussage gewesen, als sie ”zufällig” das Manuskript ihrer Tochter lass, aus dem Lilly später ein Buch machte. Von Lillys Beteuerungen, sie sei das Opfer und nicht der Täter, wollte Sharon nichts hören. Sie wollte es nicht wissen, sich nicht mit dem Leid ihrer Tochter auseinandersetzen. Das schlimmste aber, was Lilly zu hören bekam, als sie ihre Mutter voller Verzweiflung um Hilfe bat war: Sie hätte doch keinen Schaden davongetragen.

Von den Seelenqualen, die ihre Tochter erleiden musste wollte Sharon nichts hören. Sie wiegelte ab, verharmloste die Taten ihres Stiefsohnes und machte dicht, als Lilly ihr bewusst zu machen versuchte, dass Harvey der Ursprung allen Übels war. Dabei wollte Lilly einfach nicht glauben, dass ihre Mutter wirklich so kaltherzig sein konnte. Vielleicht wurde ja auch sie von ihrem Mann misshandelt. Vielleicht war sie selbst nicht die einzige, die auf der Morton Farm misshandelt wurde. Lilly wusste es nicht und inzwischen war es ihr auch egal. Genauso wenig wie ihre Kraft ausreichte um für Ethan zu lieben, reichte sie aus um für ihre Mutter zu kämpfen. So weit war sie noch lange nicht.

Seit über neun Monaten war sie nun schon in New York und die ganze Zeit kam von ihrer Mutter kein Lebenszeichen, kein Anruf, keine Mail, nicht einmal eine altmodische SMS. Eine Zeit lang war Lilly deswegen sauer gewesen, doch inzwischen machte es sie nur noch traurig. Natürlich wäre es ein Einfaches gewesen, ans Telefon zu gehen und ihre Mutter selbst anzurufen, weil sie so gern wissen wollte, wie es ihr ging, doch was hätte sie ihr erzählen sollen? Was hätte sie sagen sollen, wenn statt ihrer Mutter Harvey oder vielleicht sogar Dawson ans Telefon gegangen wären?

Im Grunde gab es auch nichts Wichtiges zu berichten. Es ging ihr gut und die Geschichte mit Ethan war ohnehin durch die Presse gegangen. Es gab nichts wirklich Neues zu berichten und die Tatsache, dass sie ihr Studium an der Columbia mit Auszeichnung abgeschlossen hatte interessierte Sharon ohnehin nicht. Also verwarf Lilly den Drang mit ihrer Mutter zu reden immer wieder und machte einfach weiter. Ging ihren Weg ohne die Unterstützung ihrer Mutter.

Lilly hoffte auf einen entspannten Abend, als sie ihren Wagen, sie fuhr immer noch das Mini Cabrio das Ethan ihr geschenkt hatte, in der Hofeinfahrt parkte. Doch schon, als sie an ihr Haus heranfuhr, drehte sich ihr fast der Magen um. Denn auf den Stufen zur Eingangstür saß Dawson … ihr Stiefbruder … der Mann, der sie jahrelang missbrauchte.

Sofort sprang das kleine Engelchen auf ihrer Schulter auf und ab …

- Lauf weg, steig bloß nicht aus dem Auto aus, fahr einfach weiter - …

… rief es laut. Doch das Teufelchen war anderer Meinung und ermahnte sie, sich diesem Kerl zu stellen und Lilly fühlte sich stark genug um genau das zu tun. Also stieg sie, nachdem sie ihr Handy aus der Handtasche gezogen und die Zahlen 911 schon mal vorsichtshalber in das Tastenfeld getippt hatte, mit zitternden Knien aus. In der einen Hand hielt sie ihre Handtasche am Griff, als wolle sie daraus im Notfall eine Waffe machen, mit der sie sich verteidigen konnte, in der anderen das Handy. Lilly war bereit sich zu wehren, dennoch spürte sie die Angst, die Besitz von ihr ergriff und das erste Mal seit sie Ethan verlassen hatte, wünschte sie sich ihren Bodyguard zurück.

Die ganze Zeit, die sie mit Ethan verbrachte war ihr die ständige Kontrolle durch einen ihr fremden Menschen zuwider gewesen. Nur jetzt, wo der Mann vor ihr stand, der ihr so viel Leid zu fügte, der ihr Leben ruinierte, wollte sie jemanden um sich haben, der sie beschützen konnte. Mehr denn je fehlte ihr Ethan. Er wäre bei ihr gewesen, hätte seine Hand in ihrem Rücken gehalten und ihr so die Angst genommen ehe er sich schützend vor sie stellte.

„Was willst du?” Lilly blieb in gebührendem Abstand stehen. Trotz der Angst, die ihren ganzen Körper zittern ließ, versuchte sie selbstbewusst und stark zu wirken. Dawson sollte auf gar keinen Fall glauben, dass er sie allein durch seine Anwesenheit beeindrucken konnte. Trotzdem schwebte ihr Finger angespannt über der Wähltaste ihres Handys und ganz sicher würde sie nicht zögern Hilfe zu rufen.

„Kein freudiges Hallo?” Dawson sah Lilly unschuldig an. Seine grünen Augen funkelten und das Lächeln um seine Lippen verbarg die Bosheit, die in ihm steckte. Eigentlich war Dawson ein gutaussehender Kerl. Bei weitem nicht mit Ethan zu vergleichen, aber ein hübscher Typ, der den Mädchen um Fairbury herum schon immer im null Komma nix den Kopf verdrehte. Doch Lilly kannte seine dunkle Seele zu gut um auf sein Lächeln herein zu fallen: „Das erwartest du doch nicht wirklich im Ernst. Was willst du hier?” „Ich hab Cale besucht und dachte, das wäre doch eine gute Gelegenheit mal nach meiner kleinen Schwester zu sehen.” „Du hast Cale besucht? Wem willst du das erzählen? Ihr Beide hattet all die Jahre keinen Kontakt. Du hast ihn verteufelt, als er damals gegangen ist.” „Naja … vielleicht wollte ich dich ja einfach wiedersehen. Du hast dich in den letzten Monaten ziemlich rar gemacht”, mit einem schnellen Schritt trat Dawson Lilly entgegen und obwohl sie reagierte und zurückwich, war sie zu langsam.

Dawson schlang seine kräftigen Arme um ihre Taille und zog sie fest an sich. Lilly wehrte sich mit aller Kraft gegen ihn, verlor ihr Handy bei dem Versuch sich gegen ihn zu stemmen: „Lass mich los … sofort … sonst …” „Was sonst? Rufst du die Bullen? Ach, komm schon Süße … lass uns ein bisschen Spaß haben … So wie früher.” „Nein … lass mich los”, Lilly versuchte verzweifelt sich gegen ihn zu wehren, stemmte ihre Fäuste gegen seine Schultern, versuchte sich aus seiner Umklammerung zu lösen. Doch sie hatte keine Chance und Dawson wusste das nur zu gut, als er seine Arme noch fester um sie klammerte, sie ein wenig hochhob und sich zur Haustür drehte.

Lilly strampelte, fing an nach ihm zu schlagen. Die fürchterliche Angst, die ihren Körper ergriff machte ihr klar, dass sie sich wehren musste. Dawson durfte es nicht schaffen sie ins Haus zu tragen. Mit aller Kraft trat sie ihm gegen die Beine, kratzte ihn. Doch Dawson grinste sie nur heimtückisch an: „Na komm schon … Du hattest doch immer deinen Spaß dabei.“ „Ich will nicht … lass mich sofort los”, Lilly spürte, wie ihr verzweifelte Tränen in die Augen stiegen. Die Machtlosigkeit ihm gegenüber war so schrecklich. Panik stieg in ihr auf … er würde ihr weh tun.

So wie früher …

„Hey Alter … lass die Kleine los”, plötzlich tauchte ein Kerl etwa Mitte 30, mit akkuratem Kurzhaarschnitt und gezogener Waffe hinter dem Mini auf. Lilly konnte ihn über Dawsons Schulter hinweg sehen. Sofort schlug ihr Herz schneller … ihr Verstand schöpfte Hoffnung. Ganz egal, wer dieser Typ in Sportklamotten auch war, er war ihre Rettung.

„Was zum Teufel …”, Dawson wollte gerade losschimpfen, als ihm in der Drehung bewusst wurde, dass dieser Fremde mit einer 22iger auf ihn zielte. Dabei wirkte dieser Mann nicht nur todernst, sondern auch, als wüsste er, wie er mit einer Waffe umzugehen hatte.

Sofort ließ Dawson Lilly fallen: „Hey Mann, steck die Knarre weg.” „Alles in Ordnung Ma’am”, der Kerl mit der Waffe ließ seinen Blick nicht von Dawson, während er Lilly zu sich winkte.

Ängstlich, völlig verstört kam sie seiner Aufforderung nach, lief so schnell sie konnte zu dem Fremden hin, versteckte sich hinter seinem breiten Rücken, während Dawson ihn böse anstarrte. Er schien die Situation abzuwägen und kam wohl offensichtlich zu dem Schluss, dass es besser war das Feld zu räumen: „Ist ja schon gut … darf man denn in New York nicht einmal seine Schwester begrüßen?” „Sie hat eindeutig klargestellt, dass sie losgelassen werden wollte … Also verschwinden sie … und tauchen sie hier nicht noch mal auf”, der Kerl mit der Waffe schob Lilly immer weiter hinter seinen Rücken. Er verhielt sich wie ein ausgebildeter Bodyguard.

Doch wo kam er so plötzlich her?

Wer war er?

Lillys Herz raste, ihr ganzer Körper zitterte vor Angst. Ihr Verstand war bei Weitem noch nicht in der Lage klar zu denken, die Situation auch nur im Entferntesten zu erfassen.

„Wir sehen uns wieder meine Süße”, mit einem breiten, boshaften Grinsen im Gesicht schob Dawson beide Hände in die Hosentaschen und wandte sich ab. Lilly konnte in seinen Augen sehen das er sich nur zurück zog, aber sicher nicht aufgab. Dawson gab niemals etwas auf was er als sein Eigentum ansah. Eine Eigenschaft, die ihn durchaus mit Ethan verband. Und für Dawson war Lilly genau das … sein Eigentum.

Erst, als Dawson aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, drehte der Fremde sich zu Lilly um, steckte die Waffe in den Knöchelholster unter seiner Jogginghose zurück und fragte besorgt: „Ist mit ihnen alles in Ordnung Ma’am? Hat er ihnen weh getan?” Lilly schüttelte nur den Kopf.

Sie zitterte so sehr, dass sie nicht in der Lage war etwas zu sagen. Der Fremde sah Lilly besorgt an: „Kommen sie … ich begleite sie hinein.”

Zielstrebig griff er Lilly am Ellbogen. Sie kannte diesen Griff … es war derselbe, den auch Bryan oder Carter ausübten, wenn Lilly sich in eine bestimmte Richtung bewegen sollte. Dieser Kerl konnte keinesfalls zufällig vorbeigekommen sein. Aber der Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss, war einfach zu absurd.

Im Lauf hob der Typ mit der Waffe Lillys Tasche und ihr Handy vom Boden auf ohne dabei sein Tempo merklich zu verlangsamen. Nur allmählich begann Lillys Verstand wieder zu arbeiten, als er ihr die Tasche reichte und sie darin nach dem Hausschlüssel kramte: „Wer sind sie?” „Daniel Barnes, Ma’am.” „Vielen Dank Mr. Barnes …”, Lilly wusste nicht, was sie sagen sollte. Der in ihr aufkeimende Verdacht verhärtete sich immer mehr … niemand, außer Ethans Leuten nannte sie Ma’am.

„Das ist mein Job Ma’am”, erwiderte Daniel als er Lilly den Haustürschlüssel aus der Hand nahm. Sie zitterte viel zu sehr um jemals das Schlüsselloch zu treffen, aber ihr wurde immer bewusster das sie recht hatte: „Es ist ihr Job?” „Ja Ma’am … bitte schön …”, Daniel schob die Tür auf und bot Lilly Vorrang.

Sie schlüpfte schnell an ihm vorbei, während er in der Tür stehen blieb: „Kann ich noch etwas für sie tun Ma’am?” „Nein … doch … Was tun sie hier?” „Ich wurde beauftragt sie zu schützen Ma’am.” „Von wem?“ „Von Mr. Ethan Blake … meinem Boss Ma’am.” „Wie bitte? Seit wann?” „Seit 6 Monaten.” „Oh mein Gott”, Lilly schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Ethan stalkte sie.

Warum tat er das?

Sie hatten doch einen Schlussstrich gezogen. Seit Miami gingen sie getrennte Wege ohne jemals wieder ein Wort miteinander zu sprechen … sicher führte Ethan längst eine neue Vereinbarung. Möglichkeiten gab es für einen Mann wie ihn schließlich mehr als genug. Warum also schickte er ihr einen Bodyguard hinterher? Was interessierte es ihn denn noch, was aus ihr wurde?

„Gehen sie … und richten sie ihrem Boss aus, dass er aufhören soll mich zu stalken”, aus der Angst vor Dawson wurde langsam Wut. Wut auf Ethan, aber auch auf sich selbst.

Warum war ihr nie aufgefallen, dass sie beobachtet wurde?

„Mr. Blake wird nicht damit einverstanden sein, wenn ich sie in der gegebenen Situation allein lasse. Dieser Kerl kann jederzeit wiederauftauchen.” „Ich werde schon mit ihm fertig”, Lilly versuchte sich selbst etwas einzureden. Niemals wurde sie mit Dawson fertig, dass hatten nicht nur die vergangenen Jahre deutlich gezeigt, sondern vor allem der jüngste Angriff auf allzu plastische Weise verdeutlicht.

Nicht einmal Daniel nahm ihr das ab: „Verzeihen sie bitte Ma’am … aber das denke ich nicht. Wenn sie erlauben, möchte ich gerne hier im Haus bleiben um sie besser im Blick zu haben.” „Nein”, Lilly fuhr ihn empört an: „Ich erlaube nicht. Ich will keinen Bodyguard im Haus.” „Es ist nur zu ihrem eigenen Besten … dieser Kerl wird sicher wiederkommen.” „Ich werde vorsichtig sein … aber ganz sicher werde ich nicht dulden das mir ein Aufpasser auf Schritt und Tritt folgt.” „Es ist mein Job und ich glaube nicht, das Mr. Blake einverstanden sein wird, wenn ich sie gerade jetzt allein lasse.” „Ich werde das regeln … geben sie mir mein Telefon”, Lilly streckte Daniel die Hand entgegen, der immer noch sowohl Handy als auch Handtasche in der Hand hielt. Ohne zu zögern reichte er ihr beides. Aber er dachte im Traum nicht daran das Feld zu räumen während Lilly die Kurzwahltaste drückte, auf der sie damals aus völlig absurder Nostalgie heraus Ethans Nummer abgespeichert hatte.

Schon so oft, in den letzten Monaten, dachte Lilly darüber nach, die Nummer wieder von ihrem neuen Telefon zu löschen. Doch aus seltsam nostalgischen Gründen brachte sie es einfach nicht übers Herz. Jetzt war sie froh darüber, obwohl sie die Nummer des Mannes, der ihr auf so bittere Weise das Herz gebrochen hatte auch auswendig gewusst hätte.

Es klingelte gerade ein Mal, bis Ethan ranging: „Hey.”

Eine winzige Sekunde lang hallte der liebevolle Klang seiner Stimme bis in Lillys Innerstes wieder, ließ sie sich fühlen wie früher, wenn er ihr gegenüberstand, liebevoll lächelte und denselben Tonfall anschlug, doch sie wollte sich davon nicht beirren lassen: „Pfeif deinen Wachhund zurück.” „Wovon redest du?” „Tu nicht so als wüsstest du nicht wovon ich rede … der Bodyguard, den du auf mich angesetzt hast. Hör auf mich zu stalken.” „Gib ihn mir”, Ethans Tonfall glich einem General, der kurz davor war seine Untergebenen zusammenzufalten und insgeheim tat ihr Daniel wirklich leid, als sie ihm das Telefon reichte: „Hier, er will mit ihnen sprechen.”

Daniel sah Lilly mit selbstbewusstem Blick an, als hätte er keine Angst vor Ethan. Aber sicher war das nur Show: „Ja … Sir”.

Lilly konnte nicht verstehen was Ethan sagte, doch sie sah und hörte Daniel: „Ja Sir … Nein Sir … Ich musste mich zu erkennen geben … Ja Sir … Miss Cole wurde angegriffen … Nein Sir … Es geht ihr den Umständen entsprechend gut … Natürlich …”, Daniel sah Lilly mit ruhigem Blick an und gab ihr das Handy zurück. Lilly hielt es an ihr Ohr: „Pfeif ihn zurück.” „Ich denke gar nicht daran … Wer war der Kerl, der dich angegriffen hat?” „Nur mein Bruder … Dawson ist eben manchmal etwas grob.” „Mir egal … Daniel wird bei dir bleiben.” „Hör auf damit Ethan. Wir sind nicht mehr zusammen”, Lilly versuchte ihm klarzumachen, dass er sich aus ihrem Leben heraushalten musste. Sie waren kein Paar mehr. Was sie tat, oder was um sie herum geschah, ging ihn nichts mehr an.

Doch Ethan wäre nicht Ethan gewesen, wenn ihn ihr Einwand auch nur im Geringsten interessiert hätte: „Das spielt jetzt keine Rolle … ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.” „Ethan”, Lilly klang verzweifelt und ermahnend zugleich, „mein Leben geht dich nichts mehr an.” „Glaubst du?” „Das weiß ich. Pfeif ihn zurück. Ich kann auf mich selbst aufpassen.” „Dessen bin ich mir nicht so sicher”, erwiderte Ethan und legte den Hörer einfach auf.

Hatte er das jetzt wirklich getan?

Fassungslos starrte Lilly ihr Handy an. Hatte er sie wirklich aus der Leitung geschmissen, wo sie doch ihn anrief um ihn zur Schnecke zu machen?

Es gab wirklich Momente, da konnte sie Ethan absolut nicht leiden … nämlich immer dann, wenn er sie wie ein dummes Schulmädchen dastehen ließ. Und das konnte er wirklich verdammt gut … besser als jeder andere.

„Ich darf sie nicht aus den Augen lassen, bis meine Ablösung eintrifft Ma’am. Also bitte … lassen sie mich meinen Job machen”, fast schon flehend sah Daniel Lilly an. Er schien darüber Bescheid zu wissen, dass Bodyguards an Lillys Seite eine recht kurze Karriere-Erwartung hatten. In den Monaten, die sie mit Ethan zusammen gewesen war hatten ihre Personenschützer ihretwegen immer wieder Ärger mit ihrem Boss gehabt. Ray hatte seinen Job damals sogar verloren, weil sie so eigensinnig war und Daniel sah nun aus, als fürchte er genau dieses Schicksal. Dennoch war sie nicht gewillt Mitgefühl zu zeigen und ihren eigenen Unmut zu vergessen. Gerade in dem Moment als Lilly Daniel voller Zorn zusammenstauchen wollte, polterte Zoe mit ihrem riesigen Koffer zur Haustür herein.

Freudestrahlend stand sie plötzlich da: „Hey Süße.“

Sie musterte Daniel von oben bis unten: „Ich wusste gar nicht, dass du Herrenbesuch hast.” „Hallo Zoe”, erleichtert schloss Lilly ihre Freundin, die nach einem dreiwöchigen Europa Trip braungebrannt und bestens gelaunt vor ihr stand, in die Arme. Sie hatte ihr wirklich gefehlt.

„Willst du mir diesen schnuckeligen Kerl nicht vorstellen”, Zoe war so hin und weg davon einmal einen Mann im Haus zu haben, dass sie die Wiedersehensfreude ihrer Freundin nicht wirklich teilte.

„Der schnuckelige Kerl wollte gerade gehen”, Lilly belegte Daniel mit einem bitterbösen Blick, dem er jedoch locker standhielt. Offensichtlich kannte er Ethan als Boss gut genug um zu wissen, dass sein Zorn das größere Übel sein würde, wenn er Lilly nachgab und sich zurückzog: „Verzeihen sie Ma’am, aber meine Anweisungen sind andere. Ich werde mich erst hier wegbewegen, wenn mein Boss es mir gestattet.” „Oh man Lilly … was ist das denn für ein Typ”, Zoes anfänglich überschwängliche Freude wich langsam Unverständnis. Sie war im Umgang mit Bodyguards genauso unerfahren und auch genauso freiheitsliebend wie Lilly damals als sie Ethan kennen lernte.

Aber Daniel ließ sich auch von zwei störrischen Damen nicht einschüchtern: „Bitte beachten sie mich gar nicht.” „Ich will sie nicht im Haus haben.” „Diesen Wunsch kann ich ihnen leider nicht erfüllen”, erwiderte Daniel. Dabei drehte er sich einen Moment lang um und bezog Posten neben der Eingangstür. Lilly wusste, dass keiner von Ethans Angestellten sich gegen eine seiner Anweisungen stellte, also war ihr auch klar, dass sie Daniel nicht wieder aus dem Haus bekam. Nicht bevor Ethan es ihm befahl. Also musste sie das Problem mit ihm persönlich regeln. Aber erst einmal war Zoe dran.

Lilly zog Zoe am Arm in die Küche: „Los, erzähl schon … Wie war`s in Europa?” „Du hättest dabei sein müssen … aber viel wichtiger ist doch, was ist das für ein Typ? Warum und seit wann hängt der hier rum?” „Allem Anschein nach schon seit Monaten.” „Was?“ „Mein Ex hat ihn offensichtlich schon kurz nach unserer Trennung auf mich angesetzt”, das erste Mal seit sie sich kannten, sprach Lilly mit Zoe über Ethan und einen Moment lang fragte sie sich, ob das bei der Neugier ihrer Freundin wirklich eine gute Idee war.

„Was? Ex-Freund? Stalked der Typ dich etwa?” Zoe war verwirrt und neugierig zugleich und Lilly wusste, dass es keinen Sinn machen würde um die Sache herum zu reden „Nein … So ist das nicht … Ethan ist einfach nur sehr besorgt.” „Ethan? Von was für einem Ex-Freund reden wir denn hier? Hab ich da irgendwas verpasst als ich in Europa war?” „Nein … hast du nicht. Ich bin nach wie vor glücklicher Single … aber ein bisschen froh bin ich schon, dass Daniel hier gewesen ist.” „Warum?” „Als ich nach Hause kam hat Dawson auf mich gewartet.” „Oh mein Gott”, natürlich kannte Zoe die ganze Geschichte und begriff sofort was die Stunde geschlagen hatte. Wenn Dawson in der Stadt war bedeutete das Gefahr für Lilly.

„Ich hatte wirklich Angst“, ohne dass sie es verhindern konnte kamen Lilly mit einem Mal die Tränen. Vor ihrer Freundin brauchte sie nicht stark zu sein. Sie konnte sich fallen lassen und genau das tat sie. Lilly sank in Zoes Arme und heulte bitterlich vor Angst. Gerade war ihr Leben noch in Ordnung gewesen und nun drohte alles was sie sich in den vergangenen Monaten aufgebaut hatte, auseinander zu brechen. Niemals hätte sie geglaubt, dass Dawson ihr bis nach New York folgen würde. Dennoch war er plötzlich da und seine, vor Boshaftigkeit funkelnden Augen, stellten eindeutig klar, was er wollte.

Er wollte sie zurück.

Doch dass durfte nicht geschehen … niemals. Eher wollte Lilly sterben als sich jemals wieder von ihrem Stiefbruder demütigen und missbrauchen zu lassen.

Lilly war sich sicher, dass es Dawson nicht einmal vorrangig um Befriedigung ging, wenn er sich an ihr verging. Er wollte demonstrieren, wer der Herr im Haus war. So wie es Harvey bei ihrer Mutter tat. Sie beide wurden all die Jahre erniedrigt und gedemütigt um sie gefügig zu machen, um ihren Willen zu brechen. Aber Lilly ließ genau das niemals wieder zu. Sie war bereit zu kämpfen … für sich selbst, aber auch für ihre Mutter. Es musste einen Weg geben auch ihr zu helfen. Denn Sharon war genauso ein Opfer wie sie selbst. Anders konnte Lilly sich das Schweigen ihrer Mutter nicht erklären. Gab es doch einmal eine Zeit in der sie, wenn auch kein besonders gutes, doch ein Team gewesen waren.

„Es tut mir leid”, Lilly schniefte, wischte sich verlegen die Tränen aus dem Gesicht. Zoes aufmunterndes Lächeln wirkte wahre Wunder: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Süße. Du kannst dich immer bei mir ausheulen. Was willst du tun?” „Keine Ahnung. Ich will das Dawson ein für alle Mal aus meinem Leben verschwindet, aber den Gefallen wird er mir nicht tun.” „Nein … ganz bestimmt nicht freiwillig. Aber was ist mit deinem Ex? Ihm muss viel an dir liegen, wenn er dich heimlich beschützen lässt.“ „Überwachen ist das bessere Wort. Ethan ist ein gefühlloser Kontrollfreak. Ihm ist nichts wichtiger als Macht und Kontrolle über andere Menschen zu besitzen und mich kontrolliert er besonders gerne.” „Also irgendwie genauso ein Psycho wie dein Bruder.“ „Keine Ahnung … irgendwie schon.“ „Aber er kann dir trotzdem helfen”, Zoes Feststellung war einfach und dennoch traf sie den Nagel direkt auf den Kopf. Ethan konnte ihr helfen.

Aber wollte Lilly das?

Oder ging es ihm wirklich nur darum sie kontrollieren?

„Ja, er könnte, … aber ich will es nicht. Ich will ihn nicht wieder in meinem Leben haben.“ „Warum? Und warum hast du nie von ihm erzählt? Der Kerl muss ziemlich reich sein, wenn er dir einfach so einen Bodyguard hinterherschickt.“ „Du bist doch New Yorkerin … Du müsstest seinen Namen kennen.” „Sag ich dir, wenn du ihn mir verrätst“, mit neugierigen Augen sah Zoe Lilly an und Lilly wusste, dass sie aus der Nummer erst wieder rauskam, wenn sie ihrer Freundin alles erzählt hatte. In Zoes liebevollen, blauen Augen lag etwas, das Lilly immer zum Sprechen brachte. Wahrscheinlich war es grenzenloses Vertrauen, das sie darin las.

„Ethan Elias Blake“, Lilly sprach den Namen voller Andacht und Wehmut aus. Sie spürte zu deutlich, wie sehr er ihr doch fehlte.

„Oh Gott … nein … der?“ Fassungslos, ungläubig fast sank Zoe auf den Küchenstuhl neben der Anrichte, auf dem normalerweise immer ein Einkaufskorb stand.

„Kann es sein, dass du mir nicht glaubst?” Lilly wurde fast ein wenig wütend doch Zoe wiegelte sofort ab: „Jedes Wort … man Lilly … warum hast du dich denn von dem getrennt? Hast du eigentlich eine Ahnung wie viele notgeile Weiber dem nachlaufen?“ „Oh ja, das weiß ich aus Erfahrung. Einen Mann wie ihn besitzt man nicht Zoe … man genießt ihn vielleicht eine Weile, aber für mehr ist er nicht geboren.“ „Gott”, Zoe fiel es wie Schuppen von den Augen: „Du bist immer noch in ihn verliebt.” „Das leugne ich nicht mal”, Lilly setzte sich niedergeschlagen auf den Tisch und zog sich einen Stuhl heran um die Beine aufzustellen. Mit gesenktem Blick wurde ihr bewusst, was Zoe ausgesprochen hatte: Sie liebte Ethan nach wie vor und genau deswegen hatte er in ihrem Leben keinen Platz mehr. Niemals wieder gab es für sie beide eine Chance, ganz egal wie sehr sie ihn nach wie vor noch liebte.

„Weißt du Zoe … Ethan ist wunderschön, eine Granate im Bett und reicher als du dir vorstellen kannst. Aber sein Herz hat er irgendwann verloren und ich wollte nicht mehr damit leben nur das Anhängsel zu sein das ihn zu irgendwelchen Dinnern oder Galas begleitet. Er hat mir immer alles gegeben was er zu geben bereit war … aber von Liebe hat er keine Ahnung.“ „Das klingt für mich als wolltest du ihn retten.“ „Nein … ich wollte einfach nur wenigstens das Gefühl haben geliebt zu werden. Aber dieses Gefühl kann man nicht mit teuren Geschenken kaufen”, traurig sah Lilly zu Boden.

Ja … genau das war was sie empfand. Sie war enttäuscht davon es nicht in sein schwarzes Herz geschafft zu haben. Dabei hatte es diese Augenblicke gegeben. Die Momente, in denen sie sich sicher war, dass er sie liebte. Aber es waren eben nur Augenblicke gewesen, flüchtige Momente, die Ethan genauso schnell wieder zerstörte, wie sie aufkeimten. Und Lilly war sehr traurig deswegen … liebte sie ihn doch noch immer. Aber sie suchte nach liebevollem Halt, nach der Gewissheit geliebt zu werden und genau das war es, was Ethan ihr vehement verweigerte. Also gab es für sie Beide einfach keine gemeinsame Zukunft.

„Was glaubst du denn”, Zoe sprach sehr bedächtig, als würde sie ihre Worte abwägen, „warum er dich beschützen lässt?“ „Keine Ahnung … Ethan neigt dazu zu übertreiben. Als wir zusammen waren ist er total durchgedreht, wenn ich meinem Bewacher abgehauen bin. Ray hat er deswegen sogar mal verprügelt und kurz darauf rausgeschmissen.“ „Was?” „Ja … das war vielleicht ein Veilchen … Ethan ist einfach kontrollsüchtig.“ „… und er ist wahrscheinlich der größte Womanizer der Stadt. Wenn er all seine Ex-Tussen bewachen lässt, dann beschäftigt er bei seinem Verschleiß eine Armee von Bodyguards. Bist du sicher, dass da nicht mehr im Spiel ist?“ „Absolut … so ziemlich die letzten Worte, die er in meinem Beisein gesprochen hat, waren, als er mich vor seinem Vater eine Hure nannte”, Lilly drängten sich bei dem bloßen Gedanken an jenen Morgen die Tränen in die Augen.

„Oh-ha … das ist starker Tobak“, Zoe pfiff schockiert aus. Ganz offensichtlich hatte sie dem smarten Sonnyboy Ethan Blake solche Worte nicht zugetraut. „Ethan ist eben so … und er selbst ist am wenigsten glücklich damit. Aber ändern wird er sich nie. Und letztlich hatte er ja recht.“ „Was meinst du?” „Mich als Hure zu bezeichnen … immerhin hat er mich fürstlich dafür bezahlt, dass ich mit ihm ins Bett gegangen bin.“ „Nein … das glaub ich jetzt nicht … ehrlich?“ Zoe war schockiert und Lilly begriff sofort, dass sie ihre Worte hätte überdenken sollen, bevor sie sie aussprach, deshalb versuchte sie zurück zu rudern: „Naja … ich hatte ein gewisses monatliches Budget, das ich für Klamotten und Styling ausgeben sollte. Aber du kennst mich … Ich geh weder gern shoppen, noch sehe ich ein täglich zur Kosmetikerin zu rennen und ein Vermögen für Dinge auszugeben, die ich auch selbst machen kann. Ich hab nie Victoria Secret Unterwäsche gebraucht und dementsprechend ist da schon ziemlich was übriggeblieben.“ „Jetzt versteh ich“, Zoes breites Grinsen reichte mit einem Mal von einem Ohr zum anderen, „und ich hab mich die ganze Zeit gefragt, wie du es dir leisten kannst nicht zu arbeiten.“ „Hey … Moment mal … ich arbeite sehr wohl.“ „Ja Süße … du schreibst zwei Mal die Woche eine Kolumne und korrigierst dein Buch … davon kann hier in New York kein Mensch leben.” „Ich weiß … und auch nur deshalb kann ich es mir leisten dich ohne Mietanteil hier wohnen zu lassen.” „Genau”, Zoe grinste, „sag mir aber frühzeitig Bescheid, wenn dir das Geld ausgeht, damit ich mir einen Nebenjob suchen kann.” „Ich glaub, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.” „Was soll das heißen?“ „Das ich genug Geld hab und falls es doch mal eng wird kann ich immer noch das Apartment an der Upper East Side verkaufen”, nun hatte Lilly die Klappe endgültig zu weit aufgerissen, das wurde ihr bewusst, als sie in Zoes fassungsloses Gesicht sah.

„Wie bitte?“, ungläubig sah Zoe ihre Freundin an, „dir gehört eine Wohnung an der Upper East und du wohnst freiwillig hier in Queens?” Nun war Zoe geradezu schockiert und Lilly lachte: „Ja … das hat er mir geschenkt, weil ich ihn um etwas Freiraum gebeten habe. Ich wollte nicht ständig von irgendwelchen Angestellten belagert werden.” „Du dumme Kuh … mach das du auf Knien zu dem Kerl zurück kriechst”, fassungslos starrte Zoe Lilly an und nun lachte sie: „Nun … an materiellen Dingen hat es mir in den drei Monaten wirklich nicht gefehlt. Aber mir war das einfach nicht genug. Ich wollte nie sein Geld, sondern seine Liebe.” „Ich kenn ihn nicht Süße, aber ich glaube schon, dass du ihm nicht ganz gleichgültig gewesen bist”, Zoe setzte sich neben Lilly, schlang ihren Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Zoe spürte immer instinktiv, ob es Lilly schlecht ging und gerade war sie kurz davor los zu heulen.

Über Ethan zu reden wühlte sie schrecklich auf und Lilly war ihrer Freundin dankbar für ihre lieb gemeinten Worte: „Vielleicht … aber es ist eben vorbei und ich denke, dass es besser so ist.” „Bist du gegangen oder hat er dich verlassen?” „Ich hab es beendet … auf meine Weise.” „Was heißt das?” „Das ist eine lange Geschichte. Irgendwann erzähl ich sie dir vielleicht”, Lilly versuchte sich aufzurappeln, kletterte vom Tisch und wollte gerade nachsehen, ob Daniel immer noch neben der Tür stand, als eine ihr wohlbekannte Stimme ihren Namen rief: „Alyssa.”

„Oh mein Gott”, Lilly brauchte nicht einmal nachzusehen wer nach ihr rief. Sie kannte diese Stimme und den strengen Tonfall erstrecht. Auf diese Weise stellte er klar, dass er nun das Kommando übernehmen würde. Zoe dagegen kannte Ethan nicht, konnte mit der Situation und dem entsetzten Gesichtsausdruck ihrer Freundin nichts anfangen, deshalb sah sie Lilly verwirrt an: „Wer ist das denn?” „Scheiße…“ „Lilly … wer ist das? Du bist ja plötzlich kreidebleich.” „Geh rüber … sag ich bin nicht da”, nervös starrte Lilly die Durchgangstür zwischen Küche und Wohnzimmer an, kaute an ihren Nägeln. Zoe machte das Angst: „Lilly …” „Los Zoe … geh.” Unsanft schob Lilly ihre Freundin zur Tür, machte ihr deutlich, dass sie gehen sollte, doch es war bereits zu spät. Denn gerade als Zoe begriff was sie tun sollte und die Schwingtür aufschieben wollte, flog sie ihr schon entgegen und vor ihr stand der Mann mit den unglaublich blauesten Augen der Welt. Augen, die ihr Herz einen winzigen Augenblick stillstehen ließen.

Panisch wanderte Lillys Blick von ihm zu ihrer Freundin. Sie bemerkte sehr wohl, dass auch sie auf Ethan reagierte wie alle anderen Frauen, die ihm das erste Mal in die Augen blickten. Zoe gaffte ihn mit offenstehendem Mund an und Lilly fragte sich eine Sekunde lang, ob sie ihm das erste Mal auch so bescheuert dreinschauend gegenübergestanden und ihn angestarrt hatte?

Jawohl … Ethan Blake entfaltete wieder einmal seine unwiderstehliche Wirkung auf das andere Geschlecht …

und Ja … er war sich dessen bewusst

„Warum antwortest du nicht?” Ethans Stimme klang unterschwellig böse, als er Zoe zwar einen Augenblick musterte, sich dann aber an Lilly wandte. Beinahe unerträglich war dabei der Blick, den er Lilly schenkte. Seine eisblauen Augen durchbohrten sie fast und Lilly fühlte sich mit einem Mal wie damals im Club, als er das erste Mal vor ihr stand … ihre Knie zitterten, ihr Herz raste und ihre inneren Stimmen, die all die Monate verschwunden gewesen waren, flehten sie im Einklang an, davon zu laufen … so wie damals.

„Hey Ethan … Was machst du hier?” Lillys Stimme zitterte genauso wie ihr ganzer Körper. Die unglaubliche körperliche Präsenz dieses Mannes wirkte genauso einschüchternd wie eh und je.

Ethans Blick wurde noch strenger, obwohl man eigentlich glauben mochte, dass das gar nicht mehr möglich war: „Dafür sorgen, dass du keine Dummheiten machst.” „Spinnst du? Du hast doch sicher besseres zu tun, als mitten am Tag nur meinetwegen nach Queens zu kommen?” „War mir schon jemals etwas wichtiger als deine Sicherheit?” „Nein…” antwortete Lilly kleinlaut. Dabei war sie sich sicher, dass er sie mit seinem kalten Blick töten wollte, nur um zu unterstreichen, dass er es konnte.

„Also”, Ethan schien sich aufgrund ihrer Einsicht ein wenig zu entspannen, „pack ein paar Sachen zusammen und komm mit.” „Was? Wohin?” „Ins Penthouse … Was soll die dumme Frage?” „Ich denk gar nicht daran”, mit einem Mal keimte Lillys, im Tiefschlaf schlummernder, Kampfgeist wieder auf und Ethan sah aus, als ob er nur darauf gewartet hätte: „Wir werden das nicht diskutieren Alyssa … hier kann ich nicht für deine Sicherheit garantieren. Also pack zusammen was du brauchst und lass dich von Daniel zum Penthouse fahren.” „Nein verdammt”, Lilly erhob ihre Stimme.

- Jawohl, sie ist zurück - …

… jubelte das kleine Engelchen mit erhobenen Armen und meinte damit die Lilly, die Ethan immer entgegengetreten war. Und auch Lilly erinnerte sich plötzlich wieder daran, dass sie einen eigenen Willen besaß und diesen nicht über Bord warf, nur weil Mr. Sexprotz persönlich in all seiner bewundernswerten Pracht vor ihr stand.

Doch Ethan imponierte das kein bisschen, hatte er doch damit gerechnet, dass sie sich ihm widersetzen würde. Schließlich kannte er Lilly ziemlich gut. Zoe sah die beiden währenddessen ängstlich verwirrt an ohne sich sicher zu sein, was sie von dem Kampf halten sollte, den Lilly mit Ethan ausfocht.

„Alyssa”, ermahnend trat Ethan einen Schritt näher, „du wirst mir ohne weitere Diskussion gehorchen! Hast du mich verstanden?” „Einen Scheiß werde ich Ethan. Wir sind schon lange nicht mehr zusammen. Also nimm deinen Bodyguard mit und verschwinde. Ich kann selbst auf mich aufpassen.” „Bist du dir da sicher? Ich nämlich nicht. Wer war der Kerl, verdammt?“ „Das war nur mein Bruder … Reg dich wieder ab.” „Daniel hat mir gerade in allen Einzelheiten beschrieben, was passiert ist und ich denke nicht, dass das eine so harmlose Situation gewesen ist wie du darzustellen versuchst. Was will er von dir? Und warum hast du Angst vor ihm?” „Woher willst du wissen, dass ich Angst vor ihm habe?” „Weil Daniel es dir angesehen hat. Also … nochmal … pack dein Zeug zusammen und lass dich zum Penthouse fahren.” „So“, aufgebracht trat Lilly näher an Ethan heran und baute sich vor ihm auf: „Jetzt hörst du mir mal zu … Mr. Blake … ich werde nirgendwo hingehen. Wir sind seit langem kein Paar mehr und genau deswegen geht dich mein Leben nichts mehr an. Verschwinde … lass mich in Ruhe. Im Moment machst du mir mehr Angst, als er.”

Einen schier unendlichen Augenblick starrten sich beide an. Ihre Blicke kämpften miteinander … so sehr das Zoe fast bange wurde. Doch plötzlich wich Ethan zurück, wandte sich entnervt von Lilly ab deren schwerer Atem beinahe ihre Brust sprengte. Eine Sekunde lang, während Ethan sich verzweifelt die Haare raufte, fühlte sie sich als Siegerin. Doch dann sah er sie hilflos, fast flehend an: „Ich bitte dich Alyssa … lass dich ins Penthouse bringen oder von mir aus auch in dein Apartment … ganz egal. Alles ist besser als hier zu bleiben. Ich werde dir aus dem Weg gehen, wenn ich es bin der dir Angst macht. Aber Daniel besitzt eine sehr verlässliche Menschenkenntnis und wenn er mir sagt das dieser Kerl gefährlich ist, dann vertraue ich darauf. Also lass mich dich beschützen.“ „Warum Ethan? Was interessiert es dich noch?“ „Du hast über unsere Trennung entschieden und alles in allem hattest du Recht damit … aber das bedeutet noch lange nicht, dass du mir gleichgültig bist. Ich fühle mich einfach verpflichtet dich zu beschützen.“ „Oh Ethan …, wenn du nur einmal die richtigen Worte finden würdest“, resigniert ließ Lilly die Schultern sinken. Eine Sekunde lang hatte sie darauf gehofft, dass er in den vergangenen Monaten vielleicht doch sein Herz entdeckt hätte. Doch stattdessen erzählte er ihr etwas von Pflichtbewusstsein.

- Typisch Ethan - …

… motzte der kleine Engel auf ihrer Schulter und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Und er hatte Recht. Ein Ethan Elias Blake änderte sich eben nicht. Er verbarg sich hinter seiner wunderschönen, undurchsichtigen Fassade. Eine Tatsache, die Lilly beinahe zum Heulen brachte.

Niedergeschlagen sog Lilly den Atem tief in sich hinein. Ihr war klar, dass sie nicht mehr aus dieser verworrenen Situation herauskam bevor sie nicht zumindest einlenkte. Dazu war Ethan, was ihre Sicherheit anbetraf, viel zu stur. Trotzdem verstand sie nicht, warum es ihm nach allem, immer noch so wichtig war.

„Hör zu Ethan … ich will mich hier nicht ewig mit dir streiten. Wenn du so versessen darauf bist, dann kannst du von mir aus 5 Leute auf dem Grundstück postieren, aber ich werde mein Haus nicht verlassen … nicht wegen Dawson.” „Das ist absolut inakzeptabel. Im Penthouse bist du in Sicherheit. Du weißt, dass dort niemand reinkommt, der den Code nicht kennt. Niemand kommt am Sicherheitsdienst vorbei.” „Oh Ethan bitte … Wir können das hier bis zum Sankt Nimmerleinstag diskutieren. Ich werde mich nicht noch einmal in deinen Elfenbeinturm sperren lassen.” „Wie konnte ich nur vergessen was für eine unglaublich sture Person du bist?” Ethan drehte auf dem Absatz um und verließ leicht resigniert die Küche. Die Diskussion war beendet.

Lilly und Zoe konnten hören, wie Ethan eine ganze Kommandotirade auf Daniel abfeuerte. Dabei sahen sie sich ungläubig an. Lilly, weil sie offensichtlich den Machtkampf gewonnen hatte und das nicht wirklich glauben konnte und Zoe, weil sie Ethans Anblick immer noch sprachlos machte: „Herr Gott Lilly … der ist ja sowas von heiß.“ „Beruhig dich wieder … auch er ist nur ein Mensch“, Lilly war genervt. Von Ethan, weil er sich ungefragt wieder in ihr Leben drängte und glaubte er könne einfach so das Kommando übernehmen und von Zoe, weil sie wie jede andere Frau auf diesem Planeten reagierte. Sie gaffte Ethan nach als sei er mit zuckersüßer Schokolade überzogen, die sie unbedingt von seinem Körper lecken wollte.

- Welch widerliche Vorstellung - …

… das Engelchen schüttelte angewidert den Kopf während nun auch der Teufel erwachte und mit heraushängender Zunge nach der Schokolade lechzte.

Lilly konnte dieses Verhalten einfach nicht verstehen. Sie selbst hatte lange Zeit zu viel Angst vor ihm gehabt um ihn derart anzuhimmeln und wenn Zoe ihn so gesehen hätte wie sie, würde sie das auch nicht mehr tun. Sie hatte ihn von seiner widerlichsten Seite kennen gelernt. Die Erinnerung an den Morgen auf der J, als er sie mit Sex bestrafte, weil sie seiner Meinung nach seine Autorität untergraben hatte, ließ sie innerlich schaudern. Niemals würde Lilly diese erbärmliche Demütigung vergessen. Oft hatte sie seither darüber nachgedacht, ob es nicht besser gewesen wäre ihn damals schon zu verlassen. Vieles wäre einfacher gewesen und ganz sicher gäbe es das aktuelle Problem nicht. Zumindest nicht was Ethans Einmischung betraf. Doch es hätte eben auch die schönen Momente nicht gegeben. Die Augenblicke, in denen sie seine Liebe so sehr spürte, das sie beinahe greifbar war und genau das waren die Momente gewesen, für die sie während ihrer 3 ½ monatigen Beziehung lebte, die ihr die Kraft gaben eben auch seine andere Seite zu ertragen.

Gerade, als Lilly durch die Tür ging und endlich ihren Koffer nach oben bringen wollte, drehte Ethan sich noch einmal zu ihr um. In seinem Blick lag nichts Böses mehr. Ganz im Gegenteil, er lächelte versöhnlich und Lilly spürte sofort, wie ihre Knie weich wurden, wie sich ein Gefühl wie Wackelpudding durch ihren ganzen Körper zog, dass sie nur zu gut kannte … Liebe.

„Mein Vater ist in der Stadt … möchtest du mich vielleicht heute Abend zum Dinner mit ihm begleiten?“ „Nein … aber du kannst Peter viele liebe Grüße von mir ausrichten.“ „Das ist schade … er hätte sich sehr gefreut. Falls du es dir anders überlegst, ich treffe mich um halb neun mit ihm im Fabergé … Daniel kennt den Weg”, ohne weiteren Kommentar verließ Ethan mit Carter, der Lilly verstohlen lächelnd ansah, das Haus.

Lilly blieb zurück. Sie sah zur Tür, als warte sie darauf das Ethan doch zurückkam. Aber nichts geschah. So aufrecht sie ihm auch entgegengetreten war, so sehr vibrierte nun ihr ganzer Körper, als sie begriff, dass sie gegen diesen Mann niemals immun sein würde. Er sah so unfassbar gut aus in seinem maßgeschneiderten, dunkelblauen Anzug, der die imposante Statur seines Körpers aufs deutlichste betonte. Ein paar winzige Fältchen um seine eisblauen Augen, die bestimmt davon stammten, dass er seine Augen immer böse zusammenkniff, waren dazu gekommen, doch das machte ihn noch schöner, es machte ihn noch männlicher und Lilly spürte ganz deutlich, dass sie das nicht kalt ließ.

Voller Wehmut dachte sie daran, dass ihr dieser Mann einmal gehörte. Aber sie wusste auch, dass es besser war, wie es war. Er würde ihr niemals geben, was sie brauchte, was sie sich wünschte und das war weitaus mehr als körperliche Befriedigung und Reichtum.

„Wollen sie da jetzt den Rest des Tages stehen bleiben”, barscher als eigentlich gewollt, blaffte Lilly Daniel an.

Er reagierte gelassen auf ihren Unmut: „Solange es nötig ist Ma'am.“ „Können sie nicht draußen Wache schieben?“ „Nein Ma'am … ich habe eindeutige Anweisungen. Solange meine Verstärkung nicht eingetroffen ist muss ich sie im Auge behalten.” „Ich dreh mit diesem Mann noch durch“, frustriert griff Lilly nach ihrem Koffer und zog ihn polternd die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer.

Noch vor drei Stunden, als ihr Flieger aus Baltimore am JFK gelandet war, war ihre Welt in Ordnung. Doch nun war einfach alles durcheinander. Nicht nur das Dawson aufgetaucht war und ihr zweifelsohne Angst machte, platzte gerade deswegen nun auch noch Ethan wieder in ihr Leben. Gerade wo sie mehr oder weniger erfolgreich ihre Gefühle für ihn verdrängt hatte kam nun alles wieder hoch und es hatte sich rein gar nichts geändert. Ihr Herz schlug in seiner Nähe nach wie vor ein wenig schneller, sie fühlte sich größer, stärker. Die sexuelle Energie zwischen ihnen war da gewesen und Lilly war sich sicher, dass nicht nur sie sie fühlte. Aber es gab keine Zukunft für sie und Ethan Blake … niemals … nicht solange er nicht in der Lage war sie wirklich von Herzen zu lieben.

Vielleicht gerade deswegen saß Lilly wie ein Häufchen Elend auf ihrem Bett, als Zoe kam um nach ihr zu sehen: „Der Kerl da unten macht mir irgendwie Angst.” „Ich weiß“, natürlich wusste Lilly was Zoe meinte, ging es ihr doch früher nicht anders. Ständig jemanden um sich zu haben, der einen beobachtete, beschützte, war eine Situation an die man sich als freiheitsliebender Mensch, als Person, die nicht im Reichtum aufgewachsen war, erst einmal gewöhnen musste. Mit Bodyguard war man eigentlich nie allein und mit einem Mal begriff Lilly endlich, warum Ethan darauf bestanden hatte das sie ins Penthouse zog. Er kannte sie in und auswendig und er wusste, dass seine Möglichkeiten sie zu beschützen dort nicht nur größer, sondern auch erträglicher waren. Denn sowohl zum Penthouse als auch zum Apartment gab es nur begrenzte Zutrittsmöglichkeiten, die zudem leicht zu überwachen waren. Die Bodyguards konnten sich leichter zurückziehen und die neuralgischen Punkte über Videokameras beobachten. In ihrem Haus gab es diese Möglichkeit nicht. Für eine Person, die Lilly etwas antun wollte, war es ein Leichtes einzudringen und das Vorhaben zu Ende zu bringen. Es sei denn Ethan postierte wirklich 5 oder gar 10 Leute rund um das Haus herum, aber nicht einmal das gebot absolute Sicherheit. Außerdem wollte Lilly Zoe das nicht antun. Es reichte, wenn ihre eigene Freiheit beschnitten wurde.

„Ich werde auf Ethan hören müssen“, kleinlaut gestand Lilly sich ihre eigene Niederlage ein und diese schmeckte fürchterlich bitter. Wieder einmal hatte sie den Machtkampf gegen Ethan zwar gewonnen, musste sich aber im Nachhinein eingestehen, dass er Recht hatte. Dass er die Lage doch besser einschätzen konnte, dass er der Kerl war, der immer und zu jeder Zeit den Überblick behielt und die Situation vernünftiger, rationaler zu beurteilen im Stande war.

„Und was heißt das”, Zoe sah Lilly überrascht an.

„Das heißt, dass ich mir mein künftiges Gefängnis aussuchen kann und da es mein Gefängnis ist, wird es nicht dieses Haus sein. Ich will dich da nicht mit reinziehen.” „Lass es Lilly, wenn der Kerl hier gewesen ist, dann stecke ich längst mit drin. Ich werd dich nicht allein lassen.” „Dawson will nichts von dir und wenn Daniel dir da unten schon Angst macht, dann stell dir mal vor wie es sich anfühlt, wenn noch mehr von der Sorte hier herumhängen. Außerdem werden das Penthouse und das Apartment Video überwacht. Da kannst du nicht einfach nackt in der Wohnung rumlaufen ohne das dir irgendwo ein Bodyguard zu sieht”, Lilly versuchte Zoe bewusst noch mehr Angst zu machen, weil sie wusste wie es war in einen goldenen Käfig gesperrt zu werden. Dabei lief ihr selbst ein eiskalter Schauer den Rücken hinab, als sie noch einmal über ihre Worte nachdachte. Sie und Ethan hatten es im Penthouse beinahe überall getrieben und Lilly schauderte bei der Vorstellung Carter könnte sie dabei jemals beobachtet haben.

„Aber du bist meine Freundin…“, Zoe protestierte, während Lilly zu ihrem Kleiderschrank ging und nach einem geeigneten Kleid für ein Dinner mit den Blakes suchte: „Natürlich bist du das … daran ändert sich ja auch nichts. Das Einzige was anders sein wird, ist das du an die Upper East Side kommen musst, wenn du Lust hast dich mit mir vor den Fernseher zu lümmeln.“ „Das ist total bescheuert. Warum musste denn dieses Arschloch hier auftauchen?” „Keine Ahnung … aber er macht mir Angst. Sehr viel mehr als Ethan das tut.” „Das hört sich ja an, als würdest du aus zwei Übeln das Kleinere wählen.“ „Nein, denn ich gehe ja nicht zu Ethan zurück … ich komme nur seiner Anweisung nach. Ich denke nicht daran ins Penthouse zu ziehen, sondern werde mich im Apartment einquartieren.“ „Ja natürlich“, Zoes sarkastischer Kommentar machte Lilly erst bewusst, wie dekadent ihr Vortrag eigentlich war: „Es tut mir leid. Ich hab mich immer so sehr gegen seinen Luxus gewehrt und jetzt ist es schon fast eine Selbstverständlichkeit. Das ist ja schrecklich.“ „Warum? Genieß es … ein so perfekter Kerl läuft dir nicht alle Tage über den Weg.“ „Niemand ist das und schon gar nicht Ethan. Nur weil er aussieht wie ein griechischer Gott und so reich ist wie Rockefeller ist er lange nicht perfekt.“ „Aber du liebst ihn trotzdem”, Zoe besaß ein besonderes Talent dafür die Dinge auf den Punkt zu bringen und auch dieses Mal hatte sie recht: „Ja … aber er ist einfach nicht gut für mich.“ „Hast du mir deswegen nie von ihm erzählt?“ „Vielleicht … keine Ahnung … Bis vor einer Stunde war er einfach nicht mehr wichtig für mich. Ich hab ihn verlassen, weil ich seine abweisende, introvertierte Art einfach nicht mehr ertragen konnte.” „Wieso abweisend?” „Weißt du, Ethan kann in einem Flugzeug 5 Stunden lang neben dir sitzen und kein Wort sagen. Er trifft Entscheidungen, die mich betreffen, ohne mit mir darüber zu reden. Für ihn ist absolute Kontrolle, über alles und jeden, eine Selbstverständlichkeit und das nervt mich unheimlich. Ich bin doch keine Angestellte.” „Nein”, Zoe grinste bis über beide Ohren, „aber du warst seine Hure.” „Ja …”, Lilly musste lachen, „und darin waren wir wirklich verdammt gut.” „Mach mich jetzt bloß nicht eifersüchtig. Soll ich dir die Haare machen?” „Häh?” „Na, mit dem Kleid in der Hand willst du doch sicher zum Dinner ins Fabergé.” „Schon … ich würde Peter gern wiedersehen, aber ich hab all meine Cocktailkleider damals im Penthouse gelassen, als ich gegangen bin.” „Bist du irre?” „Nein … du hast keine Ahnung, wie groß der begehbare Kleiderschrank im Penthouse ist. Das Zeug hätte ich hier niemals untergebracht.“ „Na, dann gehen wir eben shoppen …”, Zoe strahlte. Shoppen war ihre große Leidenschaft. Im Gegensatz zu Lilly besaß sie ein untrügerisches Gespür für Mode, weswegen sie auch Design studierte. Doch bislang war ihr der Durchbruch im hart umkämpften Modegeschäft verwehrt geblieben. Stattdessen arbeitete Zoe in der Praxis eines Gynäkologen als Praxisgehilfin. Was zwar durchaus praktische Seiten hatte, Zoe aber nicht wirklich glücklich machte.

„Spinnst du? Ich hab keine Lust shoppen zu gehen”, Lilly protestierte. Das dunkelblaue, ärmellose Satin-Kleid in ihrer Hand würde es in Kombination mit einer weißen Jacke schon tun um mit Ethan und seinem Vater zu Abend zu essen. Zoe allerdings war da ganz anderer Meinung: „Leg den schrecklichen Fummel weg. In dem Ding siehst du aus wie meine Oma. Los … wir haben noch genug Zeit um in die Stadt zu fahren und ein wenig Geld auszugeben.” „Nein … bitte … wir sind gerade erst nach Hause gekommen. Wie kannst du nach einem Interkontinentalflug Lust auf Shopping haben?” „Ich hab immer Bock zu Shoppen.” „Hast du denn nichts in deinem überfüllten Kleiderschrank?” Lilly setzte all ihre Hoffnung darauf das Zoe etwas Passendes finden würde, schließlich hatte sie nach der Begegnung mit Dawson und dem plötzlichen Auftauchen ihres Ex-Lovers keine Lust in die Stadt zu fahren, unter Zeitdruck zu Shoppen und sich dann hübsch zu machen, nur um wieder nach Manhattan chauffiert zu werden.

„Du bist eine Nervensäge Lilly”, mit bockiger Schnute zog Zoe in Richtung ihres Kleiderschranks von dannen.

Lilly konnte hören, wie Kleiderbügel klapperten und über die metallene Stange geschoben wurden und fast hatte sie die Hoffnung darauf, um eine Einkaufstour mit Zoe herum zu kommen, aufgegeben, als ihre Freundin quer über den Flur brüllte: „Ich glaub ich hab da was gefunden … los … schieb deinen hübschen Arsch rüber.” „Ich komm ja schon”, antwortete Lilly und eilte in das angrenzende Zimmer. Dort stand Zoe vor dem Spiegel und begutachtete ein zartrosa Ballonkleid mit weißen Stickereien, dass sie sich an den Körper hielt. Lilly bekam fast Schnappatmung. Sie hatte Zoe bereits in diesem schulterfreien Kleid gesehen und es schon damals als zu kurz empfunden. Nun war Zoe aber ein Stückchen kleiner als sie selbst. Wie kurz sah dieses Ding dann erst an ihr aus?

„Niemals Zoe … in dem Kleid kriegst du mich nicht aus dem Haus. Da kann ich ja gleich nackt gehen.” „Jetzt stell dich nicht so an. Du hast wunderschöne Beine. Ich bin sicher du siehst darin umwerfend aus.” „Sicher nicht … ich will zu einem Dinner und nicht zu einer Party.” „Hab dich nicht so … geh duschen … dann mach ich dich schick.” „Du spinnst echt”, Lilly sah ihre Freundin fast schon verzweifelt an. Auch wenn sie Zoes Geschmack in punkto Mode durchaus vertraute, war sie sich sicher, dass dieses Kleid für ein Dinner in einem noblen, französischen Restaurant eine Spur zu gewagt sein würde. Doch Zoe ließ sich nicht umstimmen: „Ach Süße … Du bist ein cleveres Mädchen, aber von Männern hast du keine Ahnung. Mit dem Kleid und den passenden Heels verdrehst du Ethan spielend den Kopf.” „Genau das will ich nicht. Er und ich sind zusammen eine Katastrophe. Das einzige was bei uns je funktioniert hat war Sex.” „Prima … du könntest dringend welchen gebrauchen”, ohne weitere Einwände zu dulden schob Zoe Lilly ins Badezimmer und zog einfach die Tür zu.

Lilly stand hilflos da. Wie nur konnte ihr wundervoll geordnetes, langweiliges Leben in wenigen Stunden so aus den Fugen geraten? Mit einem Mal verlor sie die Kontrolle über alles was sie sich mit Mühe aufgebaut hatte, war gezwungen Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht wollte. Sie war weder scharf darauf ins Apartment zu ziehen, noch darauf in einem für ihren Geschmack viel zu kurzen Ballonkleid mit Ethan zu Abend zu essen. Aber sie wollte Peter gern wiedersehen, wenn sich die Gelegenheit schon mal bot. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen, obwohl sie großen Bammel davor hatte den Abend ausgerechnet mit dem Mann zu verbringen, vor dem sie vor 6 Monaten Hals über Kopf davongelaufen war. Ein Schritt, den sie nicht bereute, weil sie tief in ihrem Herzen wusste, dass es keinen Weg gab, den sie auf Dauer miteinander gehen konnten.

Andererseits sah es fast so aus, als läge ihm immer noch und trotz aller Beteuerungen etwas an ihr. Weshalb sonst sollte er so darauf versessen sein sie zu beschützen? Weshalb ließ er sie sonst Monate lang bewachen? Oder war es eher ein beobachten? Wollte er sie heimlich unter Kontrolle halten? Lilly war verwirrt. Es fiel ihr schwer die Lage einzuschätzen.

Redete sie sich die ganze Stalking Sache etwa schön?

Lilly wollte daran glauben, dass Ethan diese ganze Aktion gestartet hatte, weil sie ihm was bedeutete. Jeder andere Gedanke hätte ihr den Mut genommen wirklich ins Fabergé zu fahren und den Abend mit den Blakes zu verbringen.

Andererseits wollte sie wirklich nur zu diesem Dinner, weil sie sich darauf freute Peter wiederzusehen. Auf Ethans Gesellschaft hätte sie dabei gut und gerne verzichten können. Aber diesen Gefallen würde er ihr sicher nicht tun.

„Mein Gott“, Lilly schlug sich fast schon schockiert die Hände vors Gesicht, nachdem Zoe ihr nach anderthalb Stunden Styling erlaubte in den Spiegel zu sehen. Sie fühlte sich wie damals, als Cale und Carlos sie ins J's geschleppt hatten … unwohl.

Obwohl sie während ihrer Zeit an Ethans Seite in ihrem gesamten Auftreten selbstsicherer geworden war, war doch dieses kleine bisschen Unwohlsein geblieben. Zumal das Kleid wirklich sehr kurz war, aber dennoch, entgegen ihrer Befürchtungen, nicht billig, sondern sehr feminin und eine Spur sexy wirkte. Zoe hatte sich viel Mühe damit gegeben Lillys Haar hoch zu stecken und sie dezent zu schminken.

- Scheiße siehst du gut aus - …

… der kleine Teufel auf ihrer Schulter nickte anerkennend und je länger sie sich hin und her drehte und sich von allen Seiten ansah, desto besser gefiel auch Lilly sich selbst. Zumal ihr verspielter Look von weißen Manolo Planique High Heels und einer weißen Jacke abgerundet wurde.

„Hier“, Zoe legte Lilly eine feine Kette mit einer einzelnen, weißen Perle als Anhänger um den Hals.

„Das ist ja die Kette deiner Mutter”, überrascht sah Lilly Zoe im Spiegel an. Ihre Freundin liebte diese Halskette abgöttisch: „Die passt perfekt zu deinem Outfit. Du siehst aus wie eine Prinzessin.” „Danke …”, gerührt strich Lilly über die Perle, die wie ein Tropfen eingefasst war, „ich hab Angst.” „Wovor?” „Vor Ethan … am liebsten würde ich gar nicht hin gehen.” „Niemand zwingt dich … aber wo du jetzt schon mal so hammergeil aussiehst wäre das ziemlich schade. Was glaubst du denn, was passiert?” „Keine Ahnung …“ „Na los … geh. Du siehst toll aus, wir haben deine Sachen gepackt und der Typ unten wartet nur darauf dich zu bewachen.” „Du hast ja recht”, Lilly griff nach ihrer Clutch, zog noch einmal den aufgebauschten Ballonrock zurecht und atmete tief durch. Auch wenn sie eigentlich noch lange nicht bereit war Ethan gegenüber zu treten, wusste sie doch, dass es die einzig richtige Entscheidung war.

Was spielte es auch für eine Rolle? Ethan war im Penthouse und sie wohnte im Apartment. Also waren sie weit genug voneinander entfernt um sich nicht sehen zu müssen.

„Bringen sie bitte den Koffer zum Wagen”, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nichts Anderes getan als Personal herum zu kommandieren, trat Lilly Daniel entgegen, der inzwischen sein Sportoutfit gegen einen schwarzen Anzug und Krawatte getauscht hatte und frisch geduscht roch.

Sie wirkte dominant

Zoe bemerkte die Veränderung an ihrer Freundin sehr wohl. Mit einem Mal war Lilly nicht mehr das Mädchen, das in Joggingklamotten auf der Couch lungerte, sondern eine junge Dame, die genau wusste, was sie wollte.

„Jawohl Ma’am … darf ich Mr. Blake Bescheid geben das sie zum Dinner erscheinen?” Daniel griff pflichtbewusst nach dem Koffer während Lilly den Kopf schüttelte: „Nein … fahren sie mich bitte zum Apartment.” „Verzeihen sie Ma’am, aber ich fürchte dafür sind wir bereits etwas spät dran. Ich werde ihre Sachen während des Essens in die Wohnung bringen.” „Danke”, Lilly drehte sich noch einmal zu Zoe um, „ruf mich bitte an, wenn du was brauchst und komm mich möglichst bald besuchen. Und wenn dir hier irgendetwas komisch vorkommt, dann sag Bescheid. Dann Sorge ich dafür, dass du auch einen so schicken Bodyguard bekommst.” Mit einem verschmitzten Grinsen deutete Lilly auf Daniel, der mit dem Koffer in der Hand Richtung Tür marschierte. Zoe lachte: „Oh ja … aber such mir bitte ein besonders hübsches Exemplar aus. Eine Kopie von deinem Superlover wäre toll.” „Natürlich … By Süße”, mit einer innigen Umarmung und einem Schmunzeln im Gesicht verabschiedete sich Lilly von Zoe und ging zur Tür, wo sie darauf wartete das Daniel vom Wagen zurückkam.

Mit einem Mal war alles wieder wie früher. Sie war wieder in dem Leben angekommen, aus dem sie ganz bewusst geflohen war und wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte.

All die Abläufe waren wieder da. Wie selbstverständlich wartete sie darauf, dass Daniel sie zum SUV begleitete, ließ sich die Tür öffnen und sich beim Einsteigen helfen. Dabei kam sie sich so unendlich verloren vor, als Daniel den schweren Wagen ausparkte um in Richtung City zu fahren. Fehlte nur noch Ethan, der stillschweigend neben ihr saß und an seinem Handy herumfummelte oder wortlos aus dem Fenster starrte.

Nein … gefehlt hatte ihr das all die Monate nicht. Aber Ethan … er fehlte ihr und das wurde ihr immer bewusster, je näher sie ihm kam. Ihn wieder zu sehen, war wie plötzlich wieder leben. Ihr Herz schlug schneller, ihre Knie wurden weich und sein bloßer Anblick reichte aus, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Ja, sie war definitiv immer noch scharf auf ihn. Aber das war mit Sicherheit jede Frau, die Ethan Elias Blake über den Weg lief.

„Ich begleite sie Ma’am”, sagte Daniel, als sie kurz nach halb neun am Fabergé eintrafen und er Lilly beim Aussteigen half. Wieder zupfte sie ihren Rock zurecht. Die Nervosität fraß sie beinahe auf, obwohl sie sich so sicher gewesen war das Richtige zu tun.

Doch, als Daniel sie durch das Restaurant führte zitterten ihre Knie wie Espenlaub. Lilly hatte das Gefühl von allen angestarrt zu werden. Obwohl sie von ihrem eigenen Spiegelbild absolut überzeugt gewesen war, war ihr nun der Rock zu kurz, das Bustier zu eng und der Ausschnitt zu tief. Lilly fühlte sich nicht mehr wohl in ihrem Outfit. Trotzdem versuchte sie selbstbewusst zu wirken, als Daniel sie an den Tisch heranführte: „Mr. Blake!“

Ethan und Peter unterhielten sich angeregt. Worüber? Lilly hatte keine Ahnung, irgendetwas Geschäftliches, was offensichtlich so wichtig war das Beide sie nicht bemerkten. Erst als Daniel sie ansprach reagierte zumindest Peter und während er sie einen Augenblick mit offenem Mund anstarrte und Lilly schon vor Scham im Erdboden versinken wollte, hörte Ethan abrupt auf zu reden, weil ihn offensichtlich die Reaktion seines Vaters auf die Person, die in seinem Rücken stand, irritierte. In seiner ihm so eigenen, gelassenen Art wandte er sich Lilly zu … sein Blick klebte förmlich an ihrem Körper, als er von unten nach oben wanderte: „Hey Ethan.“

Lillys Stimme klang durchsichtig, kaum mehr als ein Hauch. Sie spürte den bewundernden Blick seiner eisblauen Augen, der sich durch sie hindurch zu bohren schien.

„Hey Alyssa“, galant erhob er sich von seinem Platz, griff Lilly wie selbstverständlich unter den Arm und schob sie an den Tisch heran, „Dad … du erinnerst dich sicher.“ „Aber natürlich“, sehr viel euphorischer als sein Sohn begrüßte Peter die Frau die er so gern als Schwiegertochter gesehen hätte. In einer herzlichen Umarmung zog er Lilly an seinen Körper, schob dabei sogar Ethan zur Seite, der nun direkt hinter ihr stand: „Es ist schön dich wieder zu sehen Lilly, du siehst unglaublich aus.” „Danke Peter“, etwas verlegen klammerte Lilly sich an ihrer Clutch fest. Sie konnte die Blicke der anderen Restaurant Besucher in ihrem Rücken spüren und sie spürte Ethan, seinen Atem, seine unglaubliche Nähe. Lilly wurde heiß. Ihr ganzer Körper reagierte auf diesen Mann, der galant den freien Stuhl vom Tisch zog, damit sie sich setzten konnte und als er ihr den Stuhl schließlich unterschob, beugte er sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: „Für dieses Kleid brauchst du einen Waffenschein.“

Lilly fröstelte … Sie wusste ganz genau, was er damit meinte. Sie sah es in seinen Augen, als er sich entspannt neben sie setzte und ihr ein Glas Wein ein goss.

Darin, in seinem Blick, spiegelte sich dieselbe Lüsternheit wieder, wie an jenem Abend, als sie das erste Mal in seiner Hurenbehausung miteinander zu Abend aßen und er ihr eindeutig zu verstehen gab, dass er sie ficken würde.

Ja … Ethan war nach wie vor scharf auf sie. Doch Lilly, deren Herz raste und ihr eine charmante Röte ins Gesicht zauberte, löste sich von seinen hungrigen Augen und wandte sich Peter zu, um sich selbst zu retten: „Ich hoffe es ist dir recht das Ethan mich eingeladen hat. Wir haben uns zufällig getroffen.“

Lilly war sich sicher, das Ethan seinem Vater nichts von den Ereignissen des Nachmittags erzählt hatte und Peters Lächeln bestätigte diese Annahme: „Aber natürlich … du bist herzlich Willkommen. Es ist doch immer schön eine so bezaubernde, junge Dame beim Dinner neben sich sitzen zu haben. Vielleicht findet mein dummer Sohn dann auch endlich ein anderes Gesprächsthema als die langweiligen Geschäfte, die er den ganzen Tag so tätigt. Erzähl … Wo hast du in den letzten Monaten nur gesteckt?” „Ich hab mir ein hübsches Haus in Queens gekauft.” „Queens?“ Lilly konnte das Unverständnis in Peters Gesicht sehen: „Ja, es ist sehr schön dort. Ich lebe mit einer Freundin zusammen.“ „Gibt es denn einen Mann, dem du dein wunderschönes Lächeln schenkst?“ Peter lächelte verschmitzt. Ethan schien die Frage überhaupt nicht zu gefallen, denn er blaffte seinen Vater barsch an: „Dad … das geht dich nichts an.” „Ist schon in Ordnung“, Lilly versuchte zu beschwichtigen: „Nein. Ich bin glücklicher Single. Weißt du … mein Herz reagiert sehr empfindlich auf Enttäuschungen.“

Lillys Seitenhieb saß, denn Ethan griff stumm, mit vor Zorn zusammen gekniffenen Augen nach dem Weinglas und trank es in einem Zug aus. Peter grinste. Ihm gefiel ihre Schlagfertigkeit: „Ja das ist so eine Sache mit dem Herzen.“ „Was macht denn Melody?“ Lilly versuchte geschickt das Thema zu wechseln, da Ethans zorniger Blick bereits auf ihrer Haut zu brennen begann und schon an Peters Reaktion war zu sehen, dass sie offenbar bei ihm einen wunden Punkt gefunden hatte. Aber nicht Peter, sondern Ethan antwortete: „Melody ist leider Geschichte … nicht war Dad?”

Peter reagierte ziemlich gelassen auf Ethans gehässigen Unterton: „Naja … ich suche wenigstens nach dem Glück, anders als mein dummer Sohn, der es mit Füßen tritt, anstatt mit beiden Händen danach zu greifen. Würdest du vielleicht mich heiraten?” Lilly lachte herzlich: „Das ist ein wirklich lieb gemeintes Angebot, aber danke … nein. Ich bin schon Blake geschädigt.“ Auch Peter konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen, nur Ethan verzog keine Miene. Ganz offensichtlich ging ihm das Geplänkel der Beiden ganz ordentlich gegen den Strich und Lilly spürte das.

Er hatte sich in den vergangenen Monaten wirklich nicht verändert. Lilly spürte in welchem Gemütszustand Ethan sich befand. Sie konnte es in jeder Faser seines Körpers lesen. Durch das oberflächliche Geplänkel zwischen ihr und seinem Vater fühlte er sich angegriffen. Jeder Muskel war angespannt, vor allem die seines Kiefers. Ethan war kurz davor zu platzen und Lilly wusste instinktiv, dass sie dem entgegensteuern musste. Deshalb fragte sie Peter möglichst unverfänglich: „Im Ernst Peter, … wie geht es dir?“ „Gut … es ist schön einen Sohn zu haben, der es einem ermöglicht Privatier zu sein.“ „Aber gerne doch Dad“, beide, sowohl Ethan als auch Lilly verstanden Peters Bemerkung und die Situation entspannte sich merklich. Zumindest äußerlich. Aber Lilly sah an Ethans Augen, das es in ihm brodelte und sie war klug genug um zu wissen, dass dieser Vulkan irgendwann ausbrechen würde.

Ethan bestellte in seiner gewohnt souveränen Art das Essen für sich und Lilly und wieder einmal hatte sie keine Ahnung was letztlich auf ihrem Teller landen würde, weil sie weder französisch sprach noch sich traute, sich von Ethan erklären zu lassen, was er denn bestellt hatte. Dennoch vertraute sie darauf, dass Ethan sie gut genug kannte, um die richtige Entscheidung zu treffen. Und auch Peter erklärte dem Kellner was er haben wollte und welchen Wein er zum Essen bevorzugte. Dann sah er Lilly an und sagte, während der Kellner verschwand: „Entschuldige mich bitte einen Moment Liebes.” „Aber natürlich“, erwiderte Lilly.

Was hätte sie auch anderes sagen sollen? Nein … lass mich nicht mit deinem Sohn bloß allein? Das wäre wohl nicht so besonders gut angekommen.

Peter stand auf und verschwand in Richtung Waschraum, während Ethan lässig auf seinem Stuhl saß und Lilly todernst ansah. Ihr wurde allein von diesem Blick ganz heiß. War es doch derselbe wie damals an ihrem ersten Abend in der Hurenbehausung: „Willst du mich eigentlich provozieren?“

Ohne eine Miene zu verziehen musterte Ethan die Frau, die neben ihm saß und Lilly wusste, dass es besser war ihre Worte sorgfältig abzuwägen: „Nein. Ich möchte einfach nur mit Peter zu Abend essen.“ „Okay … kein Problem. Soll ich gehen? Willst du mit meinem Vater allein sein?” „Werd nicht albern Ethan … aber, wenn du gehen möchtest, werde ich dich nicht hindern!“ Lilly war sich bewusst, dass sie ihn provozierte. Dennoch erschrak sie, als Ethan sich ihr plötzlich entgegen reckte und sie mit lüsternem Blick ansah: „Glaub mir, wenn ich tun könnte, was ich jetzt gerade in diesem Moment, tun möchte, würde ich dich ficken … hier und jetzt … Wenn du mir gehören würdest, würde ich dich sicher nicht in solch einem Fummel auf die Straße gehen lassen.“ „Früher hat es dir gefallen, wenn ich heiß ausgesehen habe. Aber davon mal abgesehen hab ich dir nie gehört … und daran wird sich niemals etwas ändern.” „Ha”, Ethan lachte hämisch, „immer noch die Alte. Kampfeslustig wie immer. Schön, dass sich gewisse Dinge nie ändern.” „Arschloch.” „Danke … darauf hab ich gerade noch gewartet”, Ethans abfälliger Unterton ließ Lilly dieses Mal nicht zurückweichen: „Bitte schön.”

„Hört ihr Zwei auf zu streiten?” Peter war schneller zurückgekommen, als die Beiden dachten und erwischte sie in einem Disput, den keiner von ihnen jemals gewinnen würde, aber genauso wenig je verloren gab.

„Wir streiten nicht Peter … wir führen eine gesunde Diskussion”, erwiderte Lilly und trank einen Schluck Wein ohne ihren Blick von Ethan zu lösen. Gebannt starrten sie sich an, als wollten ihre Blicke den verbal begonnenen Kampf zu Ende bringen. Zumindest bis Peter erneut einschritt: „Na kommt schon … auffressen könnt ihr euch später. Ich möchte das essen genießen.” „Aber natürlich … Vater”, Ethan war auf 180 und Lilly freute sich innerlich diebisch darüber.

Hatte er wirklich geglaubt, sie würden da weitermachen, wo sie in Miami aufgehört hatten?

Nein … Lilly wollte keine Re-Union. Sie wollte einfach ihr Leben weiterleben, ganz egal wie sehr sie dieser Mann mit den eisblauen Augen auch faszinieren mochte, wie sehr er ihr mit seinem schönen Gesicht und seinem unglaublichen Körper auch imponierte. Lilly wollte einfach mit Peter zu Abend essen, sich ein wenig unterhalten und sich dann im Apartment an der Upper East Side vor Dawson verstecken.

Natürlich musste sie Ethan, für seinen zwanghaften Wahn sie zu beschützen, letztlich dankbar sein. Denn ohne Daniel wäre Dawson über sie hergefallen, hätte sie missbraucht, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre, sich zu wehren. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie sich wieder auf ihren vermeintlichen Retter einlassen wollte. Ethan hatte sein gewohntes Leben genauso weitergelebt, wie sie ihres geändert hatte. Beide waren sie auf ihrem Weg weitergegangen und zumindest für Lilly gab es kein Zurück. Nicht wenn er nicht in der Lage war sie zu lieben.

Lilly grenzte Ethan während des Essens ganz bewusst aus. Sie unterhielt sich angeregt mit Peter, führte Konversation, was sie sonst so verabscheute, weil sie gezwungen war sich mit Menschen zu unterhalten, deren Ablehnung sie spüren konnte. Wenn sie Ethan zu irgendwelchen Geschäftsessen oder Galas begleitete fühlte sie sich fehl am Platz. In der ganzen Zeit an seiner Seite war sie sich immer minderwertig vorgekommen, wenn sie sich auf die öffentliche Bühne begeben musste, weil sie spürte, dass sie für die, immer immens wichtigen Geschäftspartner, mit denen Ethan sich umgab, eben nur das dumme Landei blieb. Ganz extrem war dieses Gefühl bei Ethans Mutter Amanda und seiner Ehefrau in Spe Corinne. Gerade sie hätte alles getan um Ethan an Land zu ziehen. Doch weil er sie ablehnte und sich stattdessen mit dem Bauerntrampel aus Montana abgab, blies Lilly von allen Seiten ein rauer Wind entgegen. Schließlich waren Corinne und Amanda in den gehobenen Kreisen von New York aufgewachsen, besaßen Einfluss und Lilly litt darunter. Doch damals stand Ethan hinter ihr, stärkte ihr den Rücken, ließ nicht zu, dass jemand schlecht über sie sprach. Trotzdem blieb sie in seinen Kreisen einsam.

Lilly hatte ihren Spaß an diesem Abend. Auch Peter lachte viel. Nach der Trennung von Melody, seiner nun schon fünften Ex-Frau, tat es ihm gut sich mal wieder nett zu unterhalten.

Nur Ethan saß die meiste Zeit stumm am Tisch, trank ein Glas Wein nach dem anderen. Sicher fühlte er sich ausgegrenzt, missachtet und versuchte seinen Frust zu ertränken. Es nervte ihn das Lilly ihn einfach links liegen ließ und er spürte, dass er diesen Frust loswerden musste, also stand er irgendwann einfach auf, verabschiedete sich kurz und knapp und ging.

Lilly sah ihm verwirrt nach: „Hab ich ihn jetzt verärgert?“ „Tu nicht so unschuldig Lilly … Ethan hat durchaus einen kleinen Denkzettel verdient, aber du hast ihn ganz schön missachtet.“ „Naja … Vielleicht begreift er ja mal, wie weh es tut, sich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen.“ „Er liebt dich … das tut er wirklich.” „Selbst, wenn das so wäre, spielt es längst keine Rolle mehr.“ „Sei nicht so hart. Er hat viel falsch gemacht, aber wir wissen Beide, dass er ein guter Kerl ist.” „Natürlich … jeder erzählt mir das, aber das nutzt mir nichts. Er wird sich nie ändern und ich brauche einen Mann der fähig ist mich zu lieben.“ „Das tut er.” „Wenn das wirklich so ist, dann ist er wirklich ein Meister darin, das zu verbergen. Aber was soll`s? Bitte … lass einfach gut sein. Ich will den schönen Abend nicht mit einer Diskussion zu Nichte machen die im Grunde völlig sinnlos ist. Wenn es dir wichtig ist werde ich mich Morgen für mein Verhalten bei ihm entschuldigen, aber zwischen ihm und mir ist es endgültig vorbei. Selbst wenn er mir noch so viele Bodyguards an den Hals hängt. Wusstest du davon?” „Ja … er hat es mir erzählt. Er wollte einfach sichergehen, dass dir nichts passiert.“ „Was glaubst du wie lange er die Nummer durchzieht?” „Ewig …, weil er wirklich bis über beide Ohren in dich verknallt ist.” „Lass gut sein … Wir sollten langsam aufbrechen. Es ist schon spät“, Lilly hatte genug. Sie wollte nicht anfangen über Ethans verkorkste Gefühlswelt zu diskutieren und schon gar nicht mit seinem Vater. Natürlich sah Peter in seinem Sohn einen guten Menschen, einen Mann der fähig war zu lieben. Aber für Lilly war die Sachlage eine Andere. Sie brauchte einen Mann, der ihr Halt gab, der sie liebte, der ihr half zu vergessen, was geschehen war, einen Anker, der sie vor dem Ertrinken rettete. Sie brauchte keinen Kerl, der sie mit den Augen verschlang, dem Sex wichtiger war als alles andere. Aber Ethan war eben wie er war und Lilly kam damit nicht mehr zurecht. Sie wollte es einfach nicht mehr.

Was sie von einem Mann verlangte war mehr als Geld und Sicherheit. Dabei war es ganz egal, wie sehr sein Körper, sein wunderschönes, markantes Gesicht sie faszinierte. Ganz egal wie groß die Anziehungskraft auch war, die er auf sie ausübte, wie sehr ihr Herz und ihr Verstand auch zu fliegen begannen, wenn er ihren Körper liebte, Lilly suchte nach tiefer, ehrlicher und echter Liebe und die war Ethan nicht in der Lage ihr zu schenken.

Sicher, … es gab in den vergangenen 6 Monaten viele Augenblicke, in denen sie ihn um Verzeihung anflehen wollte. Momente, in denen sie sich nichts mehr wünschte, als in seine Arme zu sinken und ihn einfach so zu akzeptieren wie er nun mal war. Doch ihr Verstand zwang sie dazu diesen Wunsch zu vergessen, weil er den Schmerz, den ihr Herz zu gern vergessen wollte, als rationale Angelegenheit ansah. Irgendwann würde er vergehen. Irgendwann würde Lilly die Leidenschaft, die sie in seinen Armen suchte, vergessen und mit einem anderen Mann glücklich werden. Für sie und Ethan gab es einfach keine Zukunft. Dazu verlangte sie zu viel und er gab ihr zu wenig.

Black Heart

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