Читать книгу Der lautlose Schrei - Sophia Gabriel Hildesheimer-Kießling - Страница 5

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Vorwort

Es handelt sich um Impressionen aus dem Innern bei den folgenden Wortereignissen. Sie wurden geboren aus dem Nachklang des Gehörten – an einer Tagung zum Thema Transhumanismus..

Es entstand der Eindruck, daß der Mensch sich vom Menschen verabschiedet, insofern er bereit ist, sein Menschsein und alles, was ihn ausmacht, der sogenannten „künstlichen Intelligenz“ zu opfern und sich selbst dann restlos aufzugeben, ‚den Stecker zu ziehen‘ und sich dann töten zu lassen oder sich selbst umzubringen.

Die Erschütterung in der Seele und der innere Aufruf, zu diesem Geschehen in der Welt nicht schweigen zu können, gaben den Anlaß zu dieser Herausgabe.

Eine vorrangig eindrückliche Tatsache muß vorausgeschickt werden, um die Texte zu verstehen:

Es wurde an der Tagung mitgeteilt, daß den Visionisten des sogenannten Transhumanismus nicht mehr mit ethischen Vorstellungen beizukommen ist, sondern nur noch mit Logik argumentiert werden kann.


Was bleibt außer den Tränen über das menschliche Schicksal?

Nicht gemeint ist das Schicksal eines konkreten Menschen –

obwohl es uns nur, ja nur als einzelne angeht … – wie denn sonst? –

gemeint ist jedoch das Schicksal des Menschen überhaupt.

***

„Ecce Homo – siehe, das ist der Mensch!“

Johannesevangelium 19,5b

Der geschundene, dornengekrönte Leib im Purpurmantel der bewahrten Königswürde, da die Menschenwürde scheinbar herausgepeitscht ward, steht schweigend vor dir. –

Was ist Würde?

***


Würde, Ethik – keine Worte mehr, die verstanden werden. Die menschlichen Begriffe sind jenseits der Grenze des Fassungsvermögens geraten. Die Worte der Vernunft, aus dem Herzen gerufen, verhallen im Nichts. Der Schrei ist endlos. –

Wer bleibt noch horchend in dieses Entsetzen?

An wen geht der Appell, dieser Morgenruf aus den letzten Sternennächten, deren Gesang wieder hörbar werden möge, nachdem so viel künstliches Blaulicht die Augen schmähte?


Manche jungen Menschen lassen aufhorchen; die Engel und Wesen, die sie schauen, sehe ich noch nicht. Wer sagt darum, daß die Hoffnung zu Ende sei?

***

Eintauchend in die Welt der kindlichen Erinnerung, schaue ich den Apfelbaum im goldenen Septemberlicht unter seidenblauem Himmel und reinste Freude durchdringt mein Herz – … ich verkoste sie stark, daß sie Kraft werde, geboren aus dem Aufprall an der unsichtbaren Mauer der unheimlichen Macht, die sich lautlos verbreitet …

***

Was soll das?: Die Schlange hat doch die Wahrheit gesagt! –

Hat sie denn die ganze Wahrheit gesagt? Wißt ihr noch, was das Wort Ganzheit bedeutet, da ihr uns als ‚behinderte Biokonservative‘1 bezeichnet, weil wir keine unverwundbaren Prothesen tragen? Wie schmeckt euer Gott-geworden-Sein?

1 Die Vertreter des sogenannten Transhumanismus betrachten die „normalen“ Menschen als Vormenschen, als Zurückgebliebene, Behinderte – Bio-Konservative. Wer sich nicht seinen Körper durch unverletzbare Prothesen ersetzen läßt, ist – „behindert“ in ihren Augen …

Geschmacklos geworden ist die verheißene Zukunft.

Gilt auch hier: „Ach, Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, da sie versuchten, den Baum der Erkenntnis für sich zu erobern?

Lukasevangelium 23.34

„Wer Ohren hat, der höre …“

Apokalypse des Johannes 2.11

Was, wenn die künstlichen Organe, ja, das künstliche Scheinbewußtsein das Fassungsvermögen des Herzens nicht mehr hat? Dies liegt ja in der Un-Natur der Sache! Herz, Seele, Geist gibt es nicht mehr im neuen Lexikon.

Man hat aufgehört zu fragen nach dem Sinn. – Die Sinne sind abgestürzt in einen unendlichen Abgrund – das ist kein Trick mehr – das ist mehr!

Hört doch auf!



„liquid trust“

ein paar Tröpfchen nur … das Parfum, das den Chef betören möge, daß er die Gehaltserhöhung gebe … das künstliche Gewässer ist zum reißenden Fluß geworden, der trennt das Diesseits des Lebens vom Jenseits des kalten Todes, wo kein VERTRAUEN mehr hilft …

***

Unsere schöne Welt, die Erde und alles, was darauf west und lebt, winkt traurig hinüber jenen, die bereit sind, ihr Leben zu geben für das Nicht-Sein, für das sie sich entschieden haben …

Solange es nicht zu spät ist, ihr Mütter, bergt eure großen Kinder vor dem Abgrund. – Ach, die Freiheit ist das schwerste Los.

Wenn ihr Mütter selbst die Tränen verloren habt, was soll aus uns werden?

***

„Im blauen Norden der Windrose wachend zur Nacht,

schon eine Knospe Tod auf den Lidern

weiter zur Quelle …“

Nelly Sachs

Und wenn die Quelle nicht mehr gewußt wird?

Im Land des Vergessens ist ewiger Tod.

Ich rufe nicht mehr:

Seid gut, nicht böse!

Nur noch mit der Stimme, die bleibt:

Bleibt doch am Leben!

***

Wißt ihr denn nicht mehr, was Leben ist?

Den Baum des Lebens, so wird behauptet,

wollte der eifersüchtige Gott für sich behalten …

nach dem ersten Buch der Bibel Gen 2.17/3.3.

Wie können die Leute mit der höchsten Intelligenz nur so dumm sein!

Was sie tun, geht

haarscharf am Leben vorbei!

„Zwischen Himmel und Hölle ist nur ein Haar.“ …

jüdisches Sprichwort

***

I am a rock, I am an island –

and a rock feels no pain

and an island never cries …2)

2 aus einem Lied von Simon & Garfunkel – US-amerikanisches Folk-Rock-Duo, das im Jahre 1957 von den Schülern Paul Simon und Art Garfunkel gegründet wurde.


Es kann schon sein in dieser Welt und Zeit, daß du an Liebeskummer leidest, an Liebeskummer an der Welt … und keinen Schmerz mehr fühlen willst und kannst. Doch ich sage dir mit der letzten Stimme:

Wenn du keinen Schmerz mehr fühlst, hast du nicht unendliches Leben gewonnen – ich sage dir, du hast das Leben dann endgültig verloren.

Und ich bin unendlich, unendlich traurig, wenn du das nicht mehr verstehst.

Mein Kind, dann schreie ich um dich mit unsagbarem Schmerz!

***


„Freude, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken,

Himmlische, dein Heiligtum.

Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng geteilt,

Alle Menschen werden Brüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt.“

Friedrich Schiller

Wenn du mir sagst:

„Was sollen wir mit dem sentimentalen Gesäusel?“,

dann hast du etwas verkannt – und nicht du bist Wissender, denn wenn du die Freude nicht mehr kennst, weißt du nichts mehr.

***

Die Sprache verrät dich, mein Freund. Wenn wir alle nur noch nett miteinander sind, dann hat die eingespeicherte Dankbarkeit keinen Sinn, keinen Wert …

was tue ich, wenn du die Worte nicht mehr verstehst? Wenn du die Welt nicht mehr siehst …

Worte kommen aus der Mitte – wir Alten nennen das Herz …

Doch wenn es keines mehr gibt, wenn es kein Herz mehr gibt, was dann?


***

Und: Was denkst du eigentlich?

Ein Gedanke – ich bin sicher, ein wahrer Gedanke kommt auch aus dem Herzen, aus der Mitte. Kann ich mit dir noch reden darüber, was Wahrheit sein könnte? Laß es uns versuchen, bevor du den letzten Schritt tust.


Laß uns das Leben wieder leise lernen …


***

„Alles ist Windhauch.“

Kohelet 1,2 – ein alttestamentliches Buch

Der alte Kohelet hatte auch schon beinahe aufgegeben.

Sie ist gar nicht so modern, diese Art Fluchttendenz.

Fliehen – wohin?

Wo ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?

Kannst du stoppen vor dem Abgrund des Wahnsinns?

***


„Der Schein trügt.“ – Diese „alten Kamellen“.

Früher hat man die Alten geschätzt mit ihrer Weisheit und Lebenserfahrung.

Mit deinen Worten – übersetze mir:

– Was ist Schein?

– Was ist Weisheit?

– Was ist Erfahrung?

– Was ist – Leben?

Finden wir uns irgendwo?

***


Aus meiner Schatztruhe hole ich alles –

und du hinterfrägst all das nicht mehr.

Es ist nicht mehr vorhanden.

Aus meiner Schatztruhe hole ich

Worte der Sehnsucht.

Du siehst, kennst, hörst, weißt

nichts mehr.

Imitation ist es, was bleibt

und ein Eigenleben bekommt,

eine hohle Eigendynamik.

Du wirst an der Oberfläche, an der Peripherie kleben,

das sage ich dir voraus!

Mit wem rede ich noch?

***

Die Märchen und Mythen habt ihr umgedichtet – ganz schlau.

Weise ist das nicht, und die alte Weise kennt ihr nicht.

Auf welche Weise wollt ihr

weitermachen?


Ich mahne nicht,

ich schimpfe nicht –

ich rufe nur

in die lautlose Wüste.

Wo niemand mehr ist.

Bevor du das Messer dir an die Brust setzt,

hörst vielleicht noch meinen verzweifelten Ruf:

Die Kostbarkeit deines Wesens

wiegen Trillionen nicht auf.

Es ist hinausgeschmissenes Geld –

es verflattert in der Wüste …


Glaub mir, ich weiß es besser – oder sagen wir

– ich weiß es noch anders, als dein Allwissen zu sein scheint.

Der lautlose Schrei

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