Читать книгу Griechischer Zauber - Sophie Love, Софи Лав - Страница 6
KAPITEL EINS
ОглавлениеKeira schnupperte. Schinken. Sie konnte definitiv Schinken riechen.
Sie öffnete ihre Augen und es dauerte einen Moment, bis sie sich an das helle Tageslicht, welches von den zartblauen Wänden reflektiert wurde, gewöhnt hatte. Milos Zimmer. Sie lächelte in sich hinein.
Erneute Duftschwaden kochenden Essens erreichten ihre Nase. Yolanta und Nils, Milos Eltern, bereiteten wahrscheinlich unten in der Küche die Weihnachtsgerichte vor. Ihr lief bei dem Gedanken das Wasser im Mund zusammen.
Keira drehte sich um und sah den noch schlafenden Milo an. Die letzten paar Tage in Schweden mit ihm waren wundervoll gewesen. Magisch. Es hatte begonnen zu schneien und die Berghütten lagen nun unter einer dicken weißen Schneedecke. Sie hatten die Tage mit Wandern, Eisfischen und Schlittschuhlaufen auf dem gefrorenen See verbracht. Es hatte sich für Keira wie ein Traum angefühlt, fast so, als wäre sie die Heldin in einem Fantasy-Film. Die wunderschöne Umgebung wurde sogar noch besser, wenn sich der Abend näherte und die Nordlichter begannen, sich wellenartig am Himmel auszubreiten.
Keira wünschte, dass es nicht enden musste. Aber sie wusste, sie konnte nicht für immer in Schweden bleiben. Für morgen hatte sie einen Flug zurück nach Hause, nach New York City, gebucht. Es machte sie traurig, wenn sie daran dachte, diesen Ort, Milo und seine Familie hinter sich zu lassen. Die ganze Erfahrung war so erfrischend für sie gewesen. Verjüngend.
Auch die Beziehung hatte sich wie eine willkommene Befreiung vom Stress ihrer letzten romantischen Unterfangen angefühlt. Es war das erste Mal, dass Keira sich wirklich dazu in der Lage fühlte, im Jetzt zu leben. Zu wissen, dass weder sie noch Milo irgendwelche Erwartungen hatten, keine unrealistischen, überambitionierten gemeinsamen Zukunftspläne (so wie es mit Shane gewesen war), kein Druck zu heiraten (wie es mit Cristiano gewesen war). Sie bemerkte, dass dies das erste Mal war, dass der Gedanke in die Abreise nicht herzzerreißend war. Sie war einfach nur traurig, nicht so, als würde die ganze Welt und ihr ganzes Herz daran hängen, wie diese Beziehung zu Ende ging.
In dem Moment wachte Milo auf. Er sah zu ihr hinüber und lächelte. „Fröhliche Weihnachten.“
Keira lehnte sich hinunter und küsste ihn sanft. „Fröhliche Weihnachten.“
Milo lehnte sich gegen sein Kissen zurück und blinzelte ein paar Mal mit seinen Augenlidern, fast so, als wäre er noch nicht vollständig wach.
„Ich kann Schinken riechen“, sagte er verschlafen.
Keira kicherte. „Ich auch. Ich vermute, deine Eltern sind in der Küche.“
„Natürlich“, sagte er und gähnte. „Schwedische Weihnachten sind immer eine Zeit des Überflusses. Sie werden den ganzen Tag mit dem Kochen verbringen.“
„Wir sollten ihnen helfen“, schlug Keira vor.
Milo schüttelte den Kopf. Seine Augen waren wieder zu. Er war ganz offensichtlich noch nicht bereit völlig aufzuwachen.
Keira blickte in sein Gesicht, so gutaussehend und friedlich. Sie würde das hier sehr vermissen, die Nähe, die Leichtigkeit von allem. Noch nie zuvor hatte sich etwas so richtig zwischen ihr und einem Mann angefühlt, so ganz ohne Reibungspunkte und ohne Unsicherheiten.
Milo öffnete ein einzelnes Auge. „Was schaust du dir denn an?“, fragte er mit einem Grinsen.
Keira seufzte. „Nur dein wunderbares Gesicht.“
Er verzog das Gesicht und berührte sanft ihren Arm. „Warum so melancholisch?“ Er lächelte sanft und beruhigend. „Niemand darf an Weihnachten traurig sein.“
Keira lachte, fühlte aber trotzdem ein Ziehen in der Magengegend. „Du weißt schon, warum“, sagte sie, während sie tief ausatmete.
Milo drückte sich auf seinen Ellenbogen hoch, wobei die Bettdecke hinunterrutschte und seinen schön geformten Oberkörper enthüllte. „Du denkst an morgen“, kommentierte er. „Daran, abzureisen. Und an die Zukunft. Und daran, was als Nächstes kommt.“
Sie nickte und blickte auf die Bettdecke hinunter.
Milo lehnte sich zu ihr hinüber, schlang seine Arme um sie und zog sie nah an seine warme Brust.
„Alles wird gut werden“, sagte er zu ihr. „Wir können die Zukunft nicht voraussagen, aber was auch immer passiert, wir werden okay sein. Jede Beziehung, romantisch oder nicht, lehrt uns etwas. Über die Liebe, über Freundschaft, über die menschliche Psyche, über uns selbst. Kein Moment, in dem du dir selbst erlaubst, dich völlig hinzugeben, ist jemals verschwendet. Und das hast du getan. Du hast Weihnachten in einem fremden Land weit weg von deiner Familie verbracht und das zum ersten Mal in deinem Leben. Die Zukunft ist nichts, worum wir uns Sorgen machen müssen. Du schaffst das.“
Keira fühlte, wie er einen Kuss auf ihre Stirn drückte. Seine positive Herangehensweise an das Leben und an Beziehungen beruhigte sie und sie war froh, dass er nichts Übertriebenes gesagt hatte, so wie es ihre Ex-Freunde getan hätten. Es gab keinerlei Heuchelei, keine Versprechen, nur das Jetzt.
Sie versprach sich selbst, den Tag zu genießen, genauso wie Milo es vorgeschlagen hatte.
„Komm schon“, sagte sie und entzog sich seiner warmen, starken Umarmung. „Lass uns nachsehen, was deine Leute da kochen. Ich möchte noch ein paar mehr verrückte schwedische Rezepte kennenlernen.“
Milo kicherte. „Hausgemachte Leberpastete? Glaubst du wirklich, du bist bereit dafür?“
Keira grinste und spannte ihre Muskeln an. „Ich wurde bereit geboren!“
*
Unten in der Küche trafen sie Milos Eltern, Nils und Yolanta, und seine Schwester Regina, die alle geschäftig hin und her wuselten. Anders als bei ihrer eigenen Familie zu Hause, schien die Nilson Familie es zu lieben, beschäftigt zu sein. Wäre dies die Küche ihrer Mutter, mit Mallory und Bryn darin, gäbe es mindestens eine verschüttete Pfanne auf dem Fußboden, einen ausgetrockneten, zu lange gekochten Schinken, der im Ofen schwelte und ein unachtsam zur Seite geworfenes Geschirrhandtuch, welches an der Flamme des Herdes Feuer fing.
„Guten Morgen!“, rief Nils quietschvergnügt mit seinem niedlichen schwedischen Akzent.
„Seid ihr hier, um kochen zu helfen?“, fragte Regina. Von allen Familienmitgliedern war sie diejenige, die am unentspanntesten war, dachte Keira. Sie schien es zu genießen, Stress zu verbreiten und alle herumzukommandieren, während ihre Eltern alles wesentlich leichtherziger angingen.
„Oh, Regina, lass sie in Ruhe“, sagte Yolanta. „Keira ist unser Gast, darf ich dich daran erinnern? Und außerdem haben wir sie nur noch für einen weiteren Tag. Sie rührt auf gar keinen Fall einen Finger.“
Keira lächelte über den süßen Kommentar, aber fühlte, wie ihre Melancholie wuchs. Yolanta hatte den Fakt erwähnt, dass sie sich dem Ende des Countdowns näherten und dass ihre Zeit hier fast vorüber war.
„Aber Milo muss helfen“, sagte Regina.
„Das würde ich liebend gern tun, liebste Schwester“, witzelte er und schlang seinen Arm um sie. „Womit kann ich behilflich sein?“
„Du kannst mit der Leberpastete beginnen“, sagte sie und zeigte auf ein Brettchen auf der anderen Seite des Küchentischs. Daneben lag ein Haufen von furchterregend aussehendem Fleisch. Keiras Magen drehte sich um.
Milo drehte sich zu ihr und wackelte mit den Augenbrauen. „Habe ich dir doch gesagt.“
Die Familie begann zu kochen und Keiras Versuche dabei zu helfen, wurden immer wieder abgewehrt. Am Ende beschäftigte sie sich damit, den Tisch für das Frühstück zu decken und gab sich ganz besonders viel Mühe dabei. Sie zog die kitschige, mit Rentieren bedruckte, Tischdecke gerade und stellte die ausladenden silbernen Kerzenhalter und Weihnachtsmannfiguren darauf. Dann begann sie das Zimmer aufzuräumen und alle Bilder an den Wänden geradezurücken. Gestern Abend hatten sie einen fröhlichen Abend damit verbracht, das gesamte Haus mit weihnachtlicher Kunst zu verschönern – mit seltsamen Bildern, die winterliche Waldnymphen zeigten. Man hatte ihr versichert, dass sie auch etwas traditionell Schwedisches waren.
Während sie half den hohen dicht gewachsenen Weihnachtsbaum mit schwedischen Flaggen, Girlanden, farbigen Weihnachtskugeln und elektrischen Lichtern zu dekorieren, lernte Keira, dass die Weihnachtszeit in Schweden eine fröhliche, lebhafte und oft bizarre Angelegenheit war. Aber sie fand es überhaupt nicht seltsam. Es gab den gewöhnlichen Überfluss an gutem Essen – den klassischen Weihnachtsschinken, gemeinsam mit anderen schwedischen Delikatessen, sowie einem Mix aus Eiern und Anchovis, Hering (eingelegt, als Pastete und in Salatform), Roggenbrot, Kartoffeln, Fleischbällchen, Rote-Bete-Salat, Leberpastete und ein Fischgericht, welches Lutefisk hieß. Obwohl die Tage kurz waren, war der Himmel immer blau gewesen, die Sonne hatte geschienen und der Schnee unter den Füßen glitzerte weiß. Wenn die langen dunklen Abende anbrachen, zündete Yolanta die Kerzen an und man fühlte sich bei ihrem warmen Schein ganz wohlig. Es gab immer frische Hyazinthen, die das Haus mit ihrem starken Duft erfüllten.
In dem Moment hörte Keira ein Klappern hinter sich und drehte sich zu der Familie um, die mit voll beladenen Armen mit Gerichten und Tabletts hereinkam, und begann, diese auf dem Tisch auszubreiten. Der Überfluss an Essen, den es zum Weihnachtsfrühstück gab, war sogar noch leckerer, als der der letzten Tage. Keira leckte sich voll Vorfreude ihre Lippen.
Alle setzten sich und begannen Essen auszuteilen. Keira füllte ihren Teller mit Brot und Käse und nahm dankbar eine Tasse des besonders starken, frisch gebrauten Kaffees entgegen.
„Weißt du bereits, was dein nächster Auftrag sein wird, Keira?“, fragte Yolanta, als sie ihr eine Schüssel mit geschnittenen Tomaten reichte.
Keira nahm die Schüssel und füllte ihren Teller mit einigen Tomatenscheiben. „Noch nicht“, sagte sie. Dann fügte sie kleinlaut hinzu: „Genau genommen, habe ich den, an dem ich im Moment arbeite, noch nicht einmal beendet.“
„Nicht?“, fragte Nils.
Keira schüttelte ihren Kopf. Sie wollte nicht an die Arbeit denken, die ihr noch immer im Nacken saß. Aber die Dinge waren mit Viatorum, dem Magazin, für welches sie schrieb, etwas angespannt geworden und das Ende für ihre Geschichte, nach dem sie verlangten, war nicht das gewesen, welches sie geliefert hatte. Sie war noch immer dabei, darüber zu verhandeln, wie viel Freiheit ihr in ihrer Arbeit zustand. Aber sie wusste auch, dass sie es vor sich herschob, um lieber jeden Moment zu genießen, anstatt sich über ihren Job Sorgen zu machen. Der Genuss würde zu einem abrupten Ende kommen, wenn sie nach New York City zurückkehrte.
„Ich hoffe, das nächste Mal fährst du an einen warmen Ort“, kommentierte Nils. „Du solltest die Bahamas verhandeln. Oder Neuseeland. Es ist ein wunderschöner Ort.“
Keira lächelte, als sie sich erinnerte, wie weitgereist Milos Vater war. Er war in der Tat das komplette Gegenteil seines Sohnes. Milo hatte ihr gestanden, dass er nur selten sein Heimatland verließ, weil er Flugangst hatte und außerdem unter schrecklichem Heimweh litt.
„Wir müssen anstoßen“, sagte Yolanta plötzlich und hielt ihre Kaffeetasse hoch. „Auf Weihnachten!“
Lachend hob Keira ihre eigene Tasse und stieß nacheinander mit allen Familienmitgliedern an und wünschte jedem von ihnen ebenfalls fröhliche Weihnachten.
Als sie die Familie um den Tisch herum anblickte, fühlte Keira einen Schwall der Liebe für sie alle. Sie hatte die Zeit, die sie mit ihnen verbrachte, wirklich geliebt und würde sie für immer in ihrem Herzen tragen. Man hatte ja nicht jeden Tag die Gelegenheit, eine solch warme, freundliche, liebevolle Familie zu treffen, die einen mit offenen Armen und offenem Herzen über die Weihnachtszeit empfing. Sie würde sie, nachdem sie Schweden verlassen hatte, ganz schmerzlich vermissen.
„Können wir jetzt die Geschenke öffnen?“, fragte Regina, sobald die Teller leer waren.
Nils kicherte: „Im Herzen ist sie noch immer eine Siebenjährige. Wenigstens schaffen wir es inzwischen, zuerst zu frühstücken. Damals mussten wir mit ihr verhandeln, dass sie uns etwas länger als bis fünf Uhr morgens schlafen ließ!“
Yolanta lachte: „Kommt, wir setzen uns um den Baum.“
Alle standen auf, ließen die Unordnung auf dem Frühstückstisch für später zurück und gingen ins Wohnzimmer.
„Ich kann es nicht erwarten, Keira ihr Geschenk zu geben“, sagte Yolanta, während sie zum Wohnzimmer gingen. „Es ist etwas ganz Besonderes.“
Es berührte Keira sehr, zu wissen, welchen Aufwand Milos Familie für sie betrieben hatte. Bevor sie zugestimmt hatte, noch über Weihnachten zu bleiben, hatten sie ihr bereits alle ihre Geschenke gegeben, um sie mit nach New York zu nehmen und sie war bereits damals von Dankbarkeit überwältigt gewesen. Aber dann hatte es sich so ergeben, dass sie noch blieb und die Geschenke hatten sich unter dem Weihnachtsbaum multipliziert, zu einer Menge, die Keira peinlich berührte. Sie fühlte sich nicht, als verdiene sie so viel Güte. Im Vergleich zu Weihnachten bei ihr zu Hause, fühlte sie sich extrem verwöhnt.
„Ich habe ebenfalls etwas ganz Besonderes für Keira“, sagte Milo.
Sie errötete. Sie murmelte ihm leise zu: „Du weißt, ich hatte keine Zeit, etwas zu besorgen.“
Milo lachte. „Das wissen wir. Es macht niemandem etwas aus. Wir verschenken nichts mit der Erwartung, dafür im Gegenzug auch etwas zu erhalten. Das würde den Zweck des Schenkens verfehlen.“
„Ich weiß“, sagte Keira, „aber ich fühle mich so schuldig. Alle sind so unglaublich zuvorkommend.“
„Mach dir nicht so viele Sorgen“, kicherte Milo. „Deine Anwesenheit ist uns Geschenk genug!“
Keira rollte wegen des kitschigen Spruchs mit ihren Augen, fühlte sich aber ein bisschen besser.
Sie betraten das Wohnzimmer und setzten sich alle hin. Nils setzte sich auf den Fußboden und machte sich bereit Geschenke auszuteilen. Er hob das erste Geschenk hoch. Es war in wunderschönem, silbern glänzendem Papier eingewickelt.
„Dieses hier ist für Keira“, sagte er, als er ein Kärtchen in Schneeflockenform vorlas. „Es ist von Yolanta.“
Er gab es zunächst Yolanta, die es dann an Keira weiterreichte, offensichtlich einem Familienritual folgend. Keira nahm die große rechteckige Box entgegen und fühlte noch immer ein wenig Restschuld, darüber, dass sie nichts im Gegenzug geben konnte.
Um das wunderschöne Papier nicht zu zerreißen, bemühte sich Keira sorgfältig, das Klebeband zu entfernen als sie ihr Geschenk auspackte. Die Kiste, die nun zum Vorschein kam, war weiß und hatte einen schwedischen Markennamen aufgedruckt, den Keira nicht lesen konnte. Aber der Rest der Familie machte ein Geräusch, was darauf schließen ließ, dass sie alle genau wussten, was sich darin befand.
Keira hob den Deckel und faltete das weiße Füllpapier zurück. Zu ihrem Schock und ihrer Freude befand sich darin ein kompletter Schneeanzug. Bis jetzt hatte sie sich einen Ersatzanzug von Yolanta ausgeliehen, der ihr viel zu groß gewesen war, und außerdem leuchtend rot. Dieser hier war dunkel, elegant geschnitten und die richtige Größe.
„Wundervoll“, sagte Keira. „Der sieht so bequem aus. Ich werde ihn so viel tragen.“
Aber sie fühlte, wie sich ihre Brust zusammenzog, als sie sich daran erinnerte, dass sie es vielleicht nicht tun würde. Ihre Tage in Schweden waren fast vorbei.
„Für deinen nächsten Besuch“, beruhigte Yolanta sie, als hätte sie intuitiv die leichte Veränderung in Keiras Stimmung bemerkt.
„Vielen Dank“, sagte Keira mit tiefer Dankbarkeit.
Nils zog ein weiteres Geschenk unter dem Baum hervor, welches, via Regina, an Milo gereicht wurde, der es öffnete und eine neue Uhr herauszog.
„Danke, Schwesterherz“, sagte er und bewunderte die Uhr an seinem Arm.
„Das nächste Geschenk“, sagte Nils von seinem Platz am Fußboden umgeben von Tannennadeln, „ist für … Keira. Von Milo.“
Er gab das flache rechteckige Geschenk an Milo, der es dann an Keira weiterreichte.
Keira hob eine Augenbraue. Sie hatte keine Ahnung, was es sein könnte.
Sie begann es auszupacken und erkannte dann, dass es eine Art Gemälde war. Schnell zog sie den Rest des Papiers herunter und drehte das Rechteck herum, sodass es richtig herum vor ihr lag. Was sie sah, verschlug ihr den Atem. Die darauf gemalte Landschaft war eine Szene des gefrorenen Sees mit Schlittenhunden, die darüberfuhren. Es war wunderschön und so unglaublich gedankenvoll.
„Das ist der gleiche See, auf dem wir Eisfischen waren“, erklärte Milo. „Es wurde von einem berühmten schwedischen Maler gemalt. Ich dachte, es würde dir helfen, dich an Schweden zu erinnern.“
Keira stiegen die Tränen in die Augen, so gerührt war sie von der Geste. Sie warf ihre Arme um Milo. „Es ist wundervoll!“, rief sie und drückte Küsse auf seine Wangen.
Nils verteilte weitere Geschenke, gab eines an Yolanta für Regina und ein anderes an Regina, die es ihm direkt wieder zurückgab.
„Was ich dir wirklich schenken wollte“, sagte Milo in Keiras Ohr, als seine Familie mit ihren Geschenken beschäftigt war, „war eine richtige Fahrt mit den Schlittenhunden.“
Keira lachte.
„Leider haben wir nicht genug Zeit dafür“, fuhr er fort. „Also habe ich dir das hier gekauft.“
Er zog etwas hinter seinem Rücken hervor. Keira hielt die Luft an, geschockt, dass es noch ein weiteres Geschenk für sie gab und davon, dass es nicht den offiziellen Nilson-Familienweg gegangen war.
„Ein geheimes Geschenk?“, fragte sie in einer witzelnden, verschwörerischen Stimme.
Milo nickte. „Mach es auf“, drängelte er. Tief bewegt, entfernte Keira vorsichtig das Papier. Sie hielt eine kleine schwarze rechteckige Schachtel in der Hand und konnte bereits erkennen, dass es sich um Schmuck handelte. Sie klappte das Kästchen auf und hielt die Luft an. Darin befand sich eine Kette aus Weißgold verziert mit hellen Saphiren.
„Oh, Milo, sie ist wunderschön“, sagte sie atemlos.
Sie griff danach, hob die Kette an ihren Hals und legte das delikate Schmuckstück über ihre Schlüsselbeine.
„Lass mich dir helfen“, bot er an.
Sie drehte sich, strich ihr Haar über eine Schulter und Milo schloss den kleinen Verschluss. Seine Finger fühlten sich warm auf ihrer Haut an und ein Kribbeln breitete sich durch ihren ganzen Körper aus.
„Obwohl wir hunderte Kilometer entfernt voneinander sein werden“, flüsterte er ihr ins Ohr, „hast du jetzt etwas von mir und von Schweden, das immer bei dir sein kann.“
Keira drehte sich zu ihm um. Sie war zutiefst berührt. „Ich werde sie, wie einen Schatz hüten“, sagte sie und blickte in seine Augen. „Vielen Dank, dass du dies zum besten Weihnachten überhaupt gemacht hast.“
„Nein, ich danke dir“, sagte Milo bedeutungsvoll.
Dann lachte er und zog sie in seine Arme, während die Familie um sie herum weiterhin Geschenke öffnete.
*
Der Rest des Tages war eine geschäftige und fröhliche Angelegenheit und doch war Keira erleichtert, als sie sich am Ende des Abends auf der Veranda wiederfanden, mit Milos gesamter Familie schon im Bett, und es waren nur noch sie beide. So sehr sie seine Familie auch liebte, war es doch wichtig, dass sie ein paar wertvolle Momente nur für sie beide allein hatten.
Sie saßen nebeneinander, teilten sich eine Flasche wärmenden Likörs und schauten über die Berge. Es würde für Keira das letzte Mal sein. Wie traurig, dass der erste Moment, den sie heute allein verbrachten, auch ihr letzter gemeinsamer Moment für eine unbestimmte Zeit sein würde.
Der Nordstern schien hell über ihnen und wegen der dicken Schneedecke sah es so aus, als würden all die kleinen Berghütten, die überall am Hang verteilt lagen, tief im Schnee versinken. Am Waldesrand sah Keira die dunklen Tannenbäume, die so majestätisch in ihrer natürlichen Umgebung von tiefem, tiefem Schnee standen.
Milo griff nach Keiras Hand. Sie sah zu ihm hinüber und sein Gesicht war genauso atemberaubend wunderschön wie die Umgebung, von der sie ihre Augen soeben abgewandt hatte. Sie fühlte, wie seine warmen Finger ihre drückten.
„Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich so schnell in jemanden verlieben könnte“, sagte er mit seiner gewöhnlichen offenen Art. „Ehrlich gesagt, dachte ich immer, dass Liebe auf den ersten Blick nur ein Mythos sei; dass die Leute Liebe und Lust verwechselten.“
Keira errötete. Sie hatte das mit Sicherheit auch schon getan. Aber sie hatte außerdem auf ihrer Reise der Selbstfindung akzeptiert, dass „Lust auf den ersten Blick“ eine genauso echte Erfahrung sein konnte wie ihre Cousine, die Liebe. Nicht jede Beziehung sollte für immer sein, aber das war noch lange kein Grund, den Möglichkeiten, die einem das Leben präsentierte, den Rücken zuzukehren.
„Du hast mich eines Besseren belehrt“, vor Milo fort. „Es ist real. Und es ist mir passiert.“
Sie lächelte ihm zärtlich zu und nickte zustimmend. Es sollte nicht bedeuten, dass er ihre Meinung über das Sich-Verlieben geändert hatte – sie wusste sehr genau, dass sie sich in der Vergangenheit sehr leicht verliebt hatte – aber in Zustimmung dessen, dass es die Liebe auf den ersten Blick wirklich gab.
Dieser Gedanke erinnerte sie plötzlich daran, dass, obwohl sie in diesem Moment fühlte, dass Milo der Richtige war, sie die Erfahrung gelehrt hatte, dass es auch ganz einfach falsch sein könnte. Und dieser Gedanke führte sie zu einem Weiteren. Zum ersten Mal freute sich Keira sogar darauf, nach Hause zu fahren, zu ihrer eigenen kleinen neuen Wohnung. So sehr sie es geliebt hatte, in Schweden und mit Milo zusammen zu sein, wusste sie doch, dass dieser Moment in ihrem Leben zu Ende gehen musste.
In dem Augenblick bemerkte Keira, dass Milo sie erwartungsvoll ansah. Sie war zu lange still gewesen. Er hatte ihr seine Liebe gestanden und alles was sie getan hatte, war zu nicken!
„Woran denkst du?“, fragte er mit einem niedergeschlagenen Ausdruck.
„Um ehrlich zu sein, denke ich an morgen“, gab sie zu. „Daran, dass ich abreisen werde.“
Er atmete tief aus. „Das dachte ich mir schon.“
Sie drückte seine Hand, die noch immer ihre festhielt. „Es tut mir leid, wenn dich das enttäuscht.“
„Nein“, sagte Milo schnell und sah ihr tief in die Augen. „Ich würde niemals wollen, dass du dich schuldig fühlst, dafür, dass du abreist oder dafür, dass du es willst. Ich weiß selber, dass es enden muss. Es ist nur eine so magische Erfahrung gewesen. Du hast mich so viel über die Liebe und über mich selbst gelehrt.“
Keira lehnte sich vor und küsste ihn zärtlich. „Ich fühle genauso.“