Читать книгу Der Tod des gelben Wolfes - Sophie Wörrishöffer - Страница 4

I.

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Die Stunde hatte geschlagen, da es galt von dem Mandanerdorf Abschied zu nehmen. Doppelgesicht erschien, um seine Gäste aus ihrer Hütte abzuholen. Er führte sie in das Beratungszelt, wo alle angesehenen Rothäute versammelt waren. Der Trapper sass am Ehrenplatz und auch Hugo und Everett durften ihre Matten im Halbkreis um den freien, mittleren Raum wie die andern einnehmen, obwohl alle jüngeren farbigen Krieger fehlten und Frauen und Kinder nur von draussen hereinsahen.

Jeder Gast hatte als Sitz sein Büffelfell und als Tisch eine kleine, zierlich geflochtene Strohmatte, auf der die Honigschüssel mit dem spitzen Stäbchen Platz fand. Für das Messer musste er selbst sorgen.

Dame Doppelgesicht, — die Rübenmajestät, wie Everett höchst unehrerbietig unter vier Augen mit Hugo die wohlbeleibte alte Frau zu nennen pflegte — trug auf, was sie besass. Hundebraten, Büffelbraten, Rübenpudding, gekochte Maisähren, Trauben, Pflaumen und eine Suppe, die in dem Magen eines Tiers aus seinem Blute, seinem Herzen und verschiedenen Kräutern zubereitet worden war. Von jedem dargebotenen Gericht mit Ausnahme der Früchte, gossen und packten die Rothäute etwas in ihre Schüsseln.

Als der Suppenmagen kam, liess Hugo ihn voll unbesieglichen Schauders vorübergehen. „Das ist das Herz, das lebensmüde,“ raunte Everett, „seine Klagen schlossen immer mit einem plötzlichen Triller, wenn eins meiner Wurfgeschosse in furchtbarer Prosa dieselben unterbrach. Fleuch, Graugesprenkelter!“

Er gab mit der höflichsten Bewegung den fettigen, kleberigen, auch stellenweise etwas angeräucherten Beutel dem Trapper, der geschickt einige Tropfen des kostbaren Inhaltes dem Gemisch auf dem Boden seiner Schüssel beigesellte, dann, als der Braten kam, vollführte er über dem irdenen Geschirr eine Bewegung, die genau so aussah, als wolle er zärtlichst eines Hundes Kopf streicheln, — Hugo hielt es nicht mehr aus, ein Hustenanfall, zuerst erkünstelt, dann so echt, dass ihn Everett dienstbeflissen schüttelte und klopfte, — brachte ihn für den Augenblick in eine der halbdunklen Ecken des grossen Raumes, wo er Zeit fand, sich zu erholen und dabei zugleich jene verhängnisvollen Gerichte, die Leib- und Magendelikatessen der Häuptlinge, in guter Ruhe verschwinden zu lassen, ehe er selbst wiederkehrte, um sich an den Büffelrippen schadlos zu halten. Obgleich ohne Salz (aber auch ohne Wasser) in ihrem eigenen Safte zubereitet, schmeckten sie köstlich, die gekochten Maiskörner liessen sich mit der kräftigen Fleischbrühe wenigstens einigermassen erträglich herunterzwingen und die frischen Früchte waren vortrefflich, so dass der hungrige Magen weisser wie roter Festteilnehmer gleichermassen befriedigt wurde und niemand ungesättigt blieb. Draussen wanderten sämtliche Überreste in die Hände der Frauen und Kinder und nach diesen zu den Hunden, welche ungestört aus denselben Schüsseln das Ihrige verzehren durften. Manche höchst ergötzliche Streitigkeiten zwischen den Beherrscherinnen der Küche und den andrängenden Vierfüsslern klangen in die Gespräche der Häuptlinge hinein, mancher Einzelkampf erforderte die ungesäumte Einmischung stärkerer Fäuste.

Nach dem Essen wurde die Heiterkeit allgemein. Unsere Freunde sahen zum ersten Male die würdevollen Häuptlinge den gewohnten Ernst ablegen und sich in zwangloser Unterhaltung mit jüngeren weniger bedeutenden Personen ergehen, sahen sie lachen und scherzen wie ganz gewöhnliche Hausväter, welche im Kreise gleichgesinnter Freunde nach des Tages Last und Mühe ausruhen und im geselligen Gespräch über Vergangenes und Künftiges ihre Ausichten tauschten. Selbst der Punkah lächelte. Er wiegte auf seinen Knien Doppelgesichts jüngstes Enkelchen und liess das Kind die Federn auf seinem Kopfe nach Herzenslust zerzausen. Wer so dies milde schwermütige Männerantlitz gesehen hätte, der würde den „tollen Häuptling“ in keinem Zuge wiedererkannt haben.

Als die Nacht herabsank, suchten alle, auch unsere Freunde, ihr Lager, und mit dem Frühesten des folgenden Tages machten sie sich auf, um im Mandanerdorfe von liebgewordenen Menschen für immer Abschied zu nehmen. Die Punkahs und Schwarzfüsse begleiteten sie, der Weg wurde schnell und ohne Unfall zurückgelegt; etwas nach drei Uhr mittags hielten die Pferde vor den Pallisaden des befestigten Dorfes. Noch eine letzte Nacht hinter seinen schützenden Mauern und dann hinaus, der ungewissen Zukunft entgegen.

Mr. Everett begrüsste Bob und die Pelzhändler, Hugo suchte den Biberfänger, Jonathan dagegen sprach unter vier Augen mit der Grossen Klapperschlange in dessen Hütte.

„Du kennst mich, Schlange,“ sagte er, „Wi-ju-jon hat ein gegebenes Versprechen noch niemals gebrochen. Deine Kanoes gehen höchstwahrscheinlich verloren, aber ich ersetze dir die Felle, so wahr mir der Grosse Geist die Büffel dafür in den Weg schicken möge. Du sollst das Opfer nicht bereuen, alter Freund, weder du noch deine Krieger! — Wollt ihr uns aus der Not helfen?“

Klapperschlange reichte ihm die Hand. „Nicht nötig, davon zu sprechen, Wi-ju-jon,“ sagte er. „In dieser Nacht, wenn ganz dunkel, alle Kanoes hinbringen an Stelle, die hinter den Felszacken liegt. Weiss schon, weiss schon, unterhalb seichtem Übergang, wo Dakotas von anderer Seite kommen und zusammentreffen mit Krähen. Ihr nur eins beachten müsst! Von einem das Leben abhängt! — Ihr schneller hinkommen als Dakotas!“

Der Trapper schüttelte den Kopf. „Das können wir nicht, Schlange, und das ist auch nicht nötig. Einen Tag und die Hälfte einer Nacht ziehen wir auf unseren Pferden des Weges, überall bewacht von Kundschaftern, — dann kommt der Wald! Die Pferde der Mönnitarier mit Donnerwolke und dem Blitz, aber ohne Reiter, müssen die Verfolger irre führen bis an das zerklüftete steinige Gebiet, wo sich unterdessen schon die Dakotas in den Hinterhalt gelegt haben, während wir selbst rechts abgehen, eure Kanoes besteigen und weit fort in Sicherheit sind, bevor die Halunken überhaupt den Betrug entdecken. Einmal dort, kommen uns schon nach zwei Tagen sechshundert Schwarzfusskrieger entgegen.

Die Klapperschlange nickte. „Der Plan gut sein,“ sagte er, „er mir sehr gefallen. Wi-ju-jon ihn erdacht haben?“

„Nein, Häuptling, nicht ich, sondern der Blitz, ein junger Krieger meines Stammes, der es aber im Kriege noch einmal weit bringen wird, wie ich glaube. Mir selbst fehlen solche Fähigkeiten, ich erhebe ungern im Zorne die Hand gegen meinen Nebenmenschen, aber auf dieser ganzen Reise war ich wider meinen Willen leider dazu gezwungen. Gott gebe nur, dass jetzt die Sache ein gutes Ende nehme! — Also auf dich und deinen Beistand darf ich rechnen, Schlange?“

„Das gewiss. Nicht nötig, davon sprechen. Wir nur noch verabreden, wo Wi-ju-jon und seine Freunde die Kanoes finden wollen!“

Der Trapper wiegte den Kopf. „Nun, ich denke, am buschigen Ufer hinter der scharfen Ecke, wo das Wasser die Biegung macht!“

Klapperschlange streckte die Hand aus. „Hugh! der Häuptling das nicht denken. Er so denken. Wi-ju-jon wissen, wo in Bucht das angeschwemmte Treibholz liegen?“

„Gewiss. Aber das ist für ein Versteck nicht hoch genug, Schlange!“

„Das viel hoch genug. Abgestorbene Äste hintragen, wachsen Gras und Schilf und Ranken darauf, bauen Vögel ihre Nester, — ist das gute Stelle für hundert, vierhundert Kanoe!“

„Schön! — Und dahin besorgst du sie, Schlange?“

„Dahin ich sie selbst rudern mit Sohn und Schwiegersohn. Eigene Hand das beste, sie nicht täuschen, nicht warten lassen.“

Der Trapper dankte gerührt. „Du bist ein Ehrenmann, Schlange. Gott vergelte dir’s reichlich. Ich selbst will allerwege bemüht sein, den Dienst, welchen du mir durch das Opfer deines Eigentums leistest, redlich zurückzuzahlen. Und nicht wahr, für diese Nacht gibst du uns noch Quartier?“

„Wi-ju-jons Bett steht immer an selber Stelle, wo es finden, so oft er kommen, — allein, mit Freunden, im Winter oder im Sommer, wie er will.“

Sie drückten sich die Hände, und dann schickte Klapperschlange von Hütte zu Hütte einen Läufer, um der Lederboote wegen mit den Kriegern zu unterhandeln. Noch vor Abend lagen alle am Wasser versteckt, bereit, während der Nacht stromab bis zu der zwischen dem Trapper und dem Häuptling verabredeten Stelle gerudert zu werden. Die Weissen reichten Klapperschlange die Hand.

„Wir müssen hier Abschied nehmen, Schlange. Sobald die Sonne aufgeht, besteigen wir unsere Pferde.“

Der Mandaner schüttelte den Kopf. „Söhne und Vater warten in Versteck, bis weisse Männer kommen,“ antwortete er einfach. „Doch vielleicht gut, wenn Freund nahe.“

„Immer!“ rief hocherfreut der Trapper, „immer, Schlange! Es tut wohl, auf jedem bedrohten Punkte ein treues Herz zu wissen. Auf Wiedersehn also!“

Die dunkeln Gestalten verschwanden in der umgebenden Finsternis schon nach Sekunden den Blicken der Zurückgebliebenen. Jetzt war der erste Schritt des neuen Unternehmens geschehen, — binnen wenigen Stunden sollte der zweite folgen.

Niemand schlief in dieser Nacht. Ernster als seit vielen Wochen standen am Morgen unsere Freunde vor den Mandanern, um sich von ihnen zu verabschieden.

Everett hielt die widerstrebende Hand der jungen Häuptlingstochter. „Fahre wohl, Prinzessin!“ sagte er halb gerührt, halb scherzend, „du hast mir das Dasein versüsst durch Büffelrippen und Rübenpudding! Möchte dir das Schicksal dafür einen Gemahl schenken, der dich möglichst wenig prügelt.“

Nach ihm kamen die Pelzhändler. „Wenn man so etwas wie ein Trinkgeld für dich hätte, Mädchen, dann sollte das grösste Stück nicht zu gross sein, aber wir sind arm wie die Kirchenmäuse, wären verhungert ohne deines Vaters Gastfreundschaft. Auf ein anderes Mal denn! Wir kommen zu besserer Stunde wieder hierher und wollen die Schuld im Gedächtnis behalten!“

„Leb wohl! leb wohl!“ riefen auch die Knaben. „So lange wir leben, bleibt uns der Augenblick unvergesslich, wo dein freundliches Gesicht in unser Versteck sah, und wo du uns mit den Tannenzapfen überschüttetest. Leb wohl! leb wohl!“

„Uhu!“ sagte verlegen das junge Mädchen, „Obo! — Der Grosse Geist begleite euch mit seinem Segen!“

„Danke! — Danke — —“

Vor dem Tore standen Honigesser und Biberfänger. Der letztere reichte für Bob noch ein in grosse Blätter gewickeltes Etwas hinauf und fügte bei: „Das schickt Mutter! Alte Squaw sehr freuen über Holz für Winter.“

„Und du junger Tunichtgut hilfst ihr nie dabei?“

„Nie! — Das nichts für Krieger.“

Und seine Hahnenfeder befühlend, nickte er stolz den lachenden Weissen nach. Jetzt waren sie draussen, der scharfe Wind umspielte ihre Köpfe, die Wirklichkeit, ernst und drohend, liess für wehmütige Empfindungen keinen Raum. Rechts und links erhoben sich von ihren Lagerstätten die Punkahs und Schwarzfüsse.

Bob teilte mit den übrigen sein Geschenk, ein paar gebratene Biberschwänze, die allen sehr gut mundeten. Es wurde wenig gesprochen, der Tag verging ohne Störung, überall gesellten sich zu den Anführern die versteckten Läufer, und von jedem dieser Männer kam die Botschaft, dass die Krähen scharfe Wacht hielten. Im Lager des Fliessenden Feuers musste der Verdacht immer reger geworden sein.

Gerade das beruhigte den Trapper.

„Wir müssen mit den Freunden beraten,“ sagte er. „Nein, Kinder, nicht hier! — Dergleichen will ruhig erwogen sein.“

Sie gelangten ohne Unfall in das Dorf der Mönnitarier, wo Doppelgesicht am Beratungsfeuer der Ankommenden schon harrte. In aller Stille waren achtzig bis hundert Pferde auf der Prärie eingefangen worden und zusammengekoppelt in das Dorf gebracht, — sobald es dazu dunkel genug schien, sollten sie unter Donnerwolkes und des Blitz Anführung seitab von der offenen Strasse durch den Wald bis an die Stelle geführt werden, wo der Reiterzug nach dem Ufer des Knifeflusses hin den Weg verliess und wo also, um dies Manöver zu decken, andere Pferde die gerade Bahn weiter verfolgen und durch ihre Spuren die Krähen irreleiten mussten.

„Können nicht fehlschlagen dieser Plan!“ meinte der Punkah.

„Hast du“ — und Jonathan sah halb beschämt, halb vertrauensvoll in das Gesicht des Häuptlings — „hast du im Traume ein gutes Ende vorausgesehen, Donnerwolke?“

Der Punkah nickte. „Kein Ende,“ sagte er sinnend, „nichts Bestimmtes, — aber doch gut. Mich selbst gesehen mit Vorderpferd an Zügel, alles Nacht, schleichen durch Wald, hören keinen Laut, aber Herz so froh, so glücklich, kennen das gar nicht im Wachen. Brust sehr frei, — viel Sonnenschein sehen in weiter Ferne.“

Tiefe Stille folgte diesen Worten. Den tollen Punkah umgab ein so geheimnisvoller Zauber, dass sich niemand dem Eindruck desselben zu entziehen vermochte. Was Donnerwolke träumend sah, das musste in Erfüllung gehen.

Doppelgesicht brach endlich das entstandene Schweigen. „Es ist gut,“ sagte er, „wenn wir vertrauensvoll vorwärts gehen, aber Vorsicht bleibt geboten. Was gedenkt Wi-ju-jon den Kundschaftern an diesem Abend zu befehlen?“

Der Trapper liess für einen Augenblick die Pfeife sinken. „Ich meine so, Häuptling,“ sagte er. „Rechts vom Dorfe fliesst der Knifefluss, — ob auch an seinem entgegengesetzten Ufer die Dakotas lauern, so ist doch eine Beobachtung von dort her ganz unmöglich.“

„Ganz unmöglich!“ bestätigte der Häuptling.

„Gut, und bis hierher vor die Zugänge des Dorfes können auch die Blicke der Krähen nicht dringen?“

„Auch nicht!“

„Dann bleibt folgendes für diese Nacht zu tun übrig. Aber es ist keine leichte Aufgabe, Häuptling, es erfordert alle deine Kräfte und deine Besonnenheit!“

Doppelgesicht nickte. „Nur sprechen,“ sagte er.

„Gut, dann höre mich an, Mönnitarier. Du musst mit deinen Leuten einen Scheinangriff ausführen, und zwar bald. In dieser Nacht noch, es geht nicht anders. Ihre Kundschafter stehen vor den Toren deines Dorfes, sie lauern hinter jedem Baum, sie liegen im Walde bis zu den Mandanern hin auf jedem Schritt Weges versteckt, nicht wahr, Donnerwolke?“

Der Punkah nickte. „Sie dicht wie die Flocken im Winter.“

Auch Doppelgesicht bestätigte die Sache.

Jonathan hob die Hand. „Du kannst das bemerkt haben, Doppelgesicht,“ sagte er, „und du willst dein Gebiet säubern. Es wäre dies zwar eine unkluge Handlungsweise, aber dennoch geschieht dergleichen. Die Krähen werden vor deinen Kriegern Schritt um Schritt zurückweichen, sie wollen ihre Kräfte nicht zersplittern im unnützen Kampfe mit den Mönnitariern, sondern nur an den Weissen Rache nehmen; daher findest du in den Dickichten niemand und kannst zum Dorfe zurückkehren, wenn — die Pferde weit genug von hier sind, um unter dem Schutze der Nacht die Stelle vor den Gebirgszügen sicher zu erreichen. Unterhalb derselben wartet die Klapperschlange mit hundert Lederbooten.“

Der Punkah nickte. „Das gut,“ sagte er wieder, „sehr gut!“

Etwa dreihundert Mönnitarier, nackt bis auf den Gürtel, in allen Farben an Gesicht, Brust und Armen greulich bemalt, sammelten sich vor den Toren, und als der Abend hereinbrach, schwärmten sie aus, wobei ihnen die Punkahs und Schwarzfüsse als Boten dienten.

Es war ein aufregender, alle Sinne und Nerven aufs äusserste anspannender Augenblick. Donnerwolke und der Blitz standen neben den Pferden, mehrere hundert unerschrockene Männer bildeten zwischen ihnen und den Anführern der Mönnitarier eine lebende Kette, deren einzelne Glieder von Mund zu Mund in kurzen Zwischenräumen Bericht abstatten. „Doppelgesicht bis zum Fluss!“ hiess es zuerst, „er den ganzen Weg freihalten.“

Und dann kam neue Kunde. „Krähen weichen! Sie verschwinden vor den herankommenden Mönnitariern.“

Jonathans breite Brust hob sich zu erleichterndem Seufzer. „Ich dachte es,“ murmelte er, „ich danke dir, Vater im Himmel!“

Eine dritte Meldung gelangte in das Hauptquartier. „Die Pferde können ihren Weg aufnehmen. Es regnet, Spuren verwischt, — keine Gefahr!“

Donnerwolke reichte dem Trapper die Hand. „Wir treffen uns, wo Ausläufer von Felsen beginnen, — morgen um diese Stunde.“

„Der Himmel gebe es,“ murmelte Jonathan. „Er beschütze euch!“

Der Häuptling lächelte. „Ich sah so schönen Sonnenschein,“ sagte er halb träumerisch, „so hellen Glanz! — Aber weit.“

„Das wollen wir für ein gutes Zeichen nehmen, Punkah! Auf Wiedersehn!“

Er verschwand, und nach ihm zeigte der Blitz sein schelmisches Antlitz. „Mein Plan das! — Wi-ju-jon in den Winterquartieren der Schwarzfüsse sagen, dass Blitz ein tapferer? Dass er bald Häuptling werden?“

„Wenn ich selbst je wieder dorthin komme, dann gewiss, Junge, gewiss! — Sei nur vorsichtig, tue immer, was der Häuptling befiehlt, obgleich er von anderem Stamme ist wie du.“

Blitz nickte. „Ich ihn sehr lieben. Auf Wiedersehn!“

„Alles gut!“ klang Doppelgesichts Botschaft. „Krähen flüchten, wir sie nur hören. Ganzer Raum bis Wasser frei für Pferde.“

Jonathan stand und sah in die Nacht hinaus. Zuerst Klapperschlange mit den jungen Söhnen seines Hauses, dann der Punkah und der Blitz, so zogen sie einer nach dem anderen dem ungewissen Schicksal entgegen, vielleicht, um aus den Tiefen des Waldes nie wieder hervorzugehen in das Licht und die Freude des Lebens, vielleicht teure Opfer, die schon der nächste Morgen erschlagen, in ihrem Blute schwimmend sehen würde — —

Ein Grauen rann durch alle Adern des alten Mannes. „Ich will nie,“ dachte er, „nie, so lange ich atme, wieder dem Namen nachforschen, den einst mein Vater trug.“

Der Gedanke seines bekümmerten Herzens glich fast einem Gelübde. Wenn die Pläne des kurzsichtigen Sterblichen von höherer Hand gewaltsam durchkreuzt werden, dann hält er so leicht den Wunsch selbst für sündhaft, dann glaubt er die ewigen Mächte beleidigt und will freiwillig entsagen, nicht ahnend, dass eben in der scheinbaren Heimsuchung nur der Weg zum Ziel gebahnt ist.

Jonathan sollte die Spur, welche er suchte, finden, aber auf andere als die von ihm beabsichtigte Weise. Jeder Schritt seiner Getreuen war ein solcher, der nahen Entdeckung entgegen! Und doch wähnte er verzichten zu sollen, nur um ihr Dasein nicht zu gefährden. — —

Gegen Morgen kam Doppelgesicht zurück und mit ihm Mann nach Mann, die Mönnitarier und Punkahs. Die Leute des Gelben Wolfes waren draussen geblieben, um zwischen den Vorposten der Krähen und dem Zuge der leeren, von Blitz und Donnerwolke geführten Pferde eine undurchdringliche Mauer zu bilden.

So konnte denn mit dem Erscheinen des neuen Tages die Reise vor sich gehen. Hier verstimmte kein Abschied die Herzen, denn Doppelgesicht und Hermelin zogen mit hinaus, um die Gefahren ihrer Gastfreunde zu teilen; es regnete ziemlich stark, ein kühler Wind pfiff über die Wipfel, Mr. Everett schauderte heimlich. Die Brust schmerzte ihm bei jeder Bewegung noch immer.

Doppelgesicht gab das Zeichen, und der stattliche Reiterzug setzte sich in Trab. Hinter unseren Freunden versanken die friedlichen Hütten, an deren Feuer sie so lange und so sicher gerastet, — vor ihnen lag wieder der Wald, vor ihnen lag wie ein weites trügerisches Meer das ungewisse Schicksal. — —

Von den Krähen zeigte sich keine Spur. Ein paar besonders kecke Burschen aus Donnerwolkes Schar waren unter dem Schutze der Nacht über den Fluss geschwommen und hatten das entgegengesetzte Ufer durchsucht. Sie fanden die Anzeichen eines schnell abgebrochenen Lagers, aber von den Dakotas selbst keinen einzigen mehr. Beide feindliche Heere hatten also eine ununterbrochene Verbindung miteinander unterhalten; obgleich Jonathan davon immer überzeugt gewesen war, sah er jetzt den Beweis.

„Sie warten unter den Felsklippen!“ sagte er, „und kämen wir wirklich dahin, so würde unser kleines Häuflein von der Übermacht vollkommen erdrückt werden. Aber gleichviel, — es gibt kein Zurück. Auch das schlimmste Schicksal muss sich erfüllen.“

„Meine Läufer bringen von Zeit zu Zeit Botschaft,“ tröstete Doppelgesicht, „sie stehen mit Blitz und Donnerwolke in immerwährender Verbindung.“

Nach einigen Minuten näherte sich von der vollkommen gesicherten rechtsbelegenen Seite her auch wirklich schon ein Indianer und brachte gute Kunde. „Die Pferde stehen im Versteck, etwas oberhalb der Klippe, — es ist nichts Feindseliges bemerkt worden.“

„Am Tage wird kein Angriff unternommen,“ nickte der Trapper. „Sie warten, weil sie ihrer Sache sicher zu sein glauben.“

Doppelgesicht schwang den Wurfhammer. „Bringen mehr als einen Skalp nach Hause!“ murmelte er frohlockend.

Es wurde im vollkommensten Frieden an diesem Tage zweimal Halt gemacht, um zu essen. Man konnte getrost ein Feuer entzünden, denn es unterlag keinem Zweifel, dass die Krähen jeden Schritt ihrer Feinde auf das genaueste überwachten und aus dem Hinterhalt den offen reisenden Zug fortwährend beobachteten. Jonathan seufzte, als er daran dachte. „Ob sie sich täuschen lassen? Ob sie wirklich an gar keine Kriegslist denken?“

„Das ganz einerlei. Können nicht durch Postenkette sehen. Können nichts beobachten, was rechts von uns geschieht. Knifefluss sehr nützlich, ungeheuer gut.“

Gegen Abend kam ein Indianer und meldete, dass er die Grosse Klapperschlange wohlbehalten angetroffen. Alle Fahrzeuge waren ohne Hindernis unter das Treibholz gebracht und konnten binnen einer Viertelstunde wieder flott sein. Die Klapperschlange, Bär und Moskito hatten keinen Feind bemerkt.

Und allmählich ging dies Gefühl der Sicherheit über in die Herzen unserer Freunde. Noch bis zwei Uhr nachts, — dann war, wenn die Flucht auf dem Wasser gelang, wenigstens ein ganz bedeutender Vorsprung erreicht, wenigstens der Plan des Feindes, soweit er fertig vorlag, vollkommen zerrissen.

Nach dem Abendessen ging der Ritt über die ganz baumlose, scheinbar unbegrenzte wellenförmige Prärie.

Stunde nach Stunde verrann, Meile nach Meile versank hinter den Reitern; die Herzen pochten stärker, die Augen suchten das Dämmergrau zu durchspähen, fest lag die Hand am Drücker der Waffe oder am Bogen, dessen Sehne den Pfeil hinaussenden sollte, dem Feinde entgegen — —

Nichts! — Nichts!

Durch das Halbdunkel schimmerte ein fester unbeweglicher Höhenrücken, — das war der Wald mit seinen wogenden Wipfeln!

Unter ihnen lagen die beiden kecken Männer, Blitz und Donnerwolke, mit den Pferden. Ganz allein in der schweigenden Wildnis, verlassen von aller menschlichen Hilfe, hatten sie vierundzwanzig Stunden dort verbracht, immer den Tod vor Augen, bedroht in jeder Sekunde. Zumeist auf ihren Schultern ruhte die Last der Gefahr.

Noch eine Stunde, dann hatte man sie erreicht.

Auf dem gefährdetsten Punkt am Waldessaum stand der Gelbe Wolf. Er reichte dem Häuptling und den Weissen die Hand. „Meine Leute schon ausgeschickt auf Kundschaft. Sechshundert Krähen und Dakotas liegen unter den Klippen, eine Hälfte rechts, eine links, — der Weg führt mitten hindurch.“

Jonathans Herz klopfte. „Ein Höllenplan,“ murmelte er.

„Ja, Höllenplan. Das wahr und darum Grosser Geist ihn nicht gelingen lassen. Schlagen die Räuber mit Blindheit.“ —

Jonathan wiegte den Kopf. „Das ist es ja eben, Sagamore! Sie sind es, die uns überlisten.“

Der Häuptling sah umher. „Das nicht glauben,“ antwortete er. „Wo sie versteckt liegen? — Keine Stelle da!“

„Können sie nicht von jenseits des Flusses beobachten? Können sie nicht jetzt schon genau wissen, dass und wozu die Boote unter dem Treibholz liegen?“

„Der Häuptling es nicht glauben. Ganzes Ufer besetzt.“

„Von deinen Leuten, Sagamore?“

„Ja. Zwanzig Krieger dort.“

„Ach, das ist gut. Und du unterhältst Verbindung mit ihnen?

„Immer. Sie hinüberschwimmen zu Klapperschlange, er mir Läufer schicken. Alles still.“

„Gottlob! Gottlob! — Begleitest du uns jetzt, Wolf?“

„Noch nicht. Müssen Kette bilden, bis Läufer mir sagen, dass Wi-ju-jon und Freunde sicher in Booten.“

„Dann lebe wohl. Gefällt’s Gott, so sehen wir uns bald.“

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, bis dichter, undurchdringlicher Wald so Männer wie Pferde in seinen Schatten verbarg.

Es war ein Losungswort verabredet: „Knifefluss!“ — Wer das aussprach, der zeigte sich im Dunkel den anderen als Freund — —

Doppelgesicht und der Trapper blieben voran, sie kannten die Gegend auf jedem Fussbreit Bodens. Hier, gerade hier mussten Blitz und Donnerwolke versteckt liegen.

Eine Hand fasste den Arm des Trappers. „Ich bin’s, Donnerwolke, — mir nach! —“

Und „Knifefluss!“ lief’s leise von Mund zu Mund, „Knifefluss! — Hierher, es gehen Kundschafter voran.“

„Wo habt ihr denn die Pferde?“

„An der Hand. Ihnen sind die Mäuler verbunden, und die Füsse umwickelt.“

Wirklich lagen und standen alle diese geduldigen, vortrefflich erzogenen und geschulten Tiere, ohne den mindesten Laut von sich zu geben, neben ihren Herren unter den Bäumen, ohne Speise und Trank wie diese, aber auch an alle mögliche Unbill gewöhnt wie diese, — erkorene Opfer, von denen höchstwahrscheinlich auch nicht ein einziges dem Grimm der Feinde entgehen würde.

Rechtsab glitten sämtliche Reiter mit ihren Tieren, um hier am Saume des Waldes dahinzuschleichen bis an den Fluss, wo die Freunde warteten. Von Strecke zu Strecke wechselten die Führer, — der Dienst unter diesen roten Söhnen des wilden weiten Westens war besser und vortrefflicher geordnet, als unter manchen gebildeten Völkern, wo die Treue bezahlt wird, während sie der Indianer dem Stammesgenossen bedingungslos und freiwillig schenkt.

Als der letzte Reiter verschwunden war, wurden den Pferden die Maulkörbe abgenommen, sie konnten jetzt wiehern und fressen, soviel sie mochten. Donnerwolke näherte sich dem Blitz und legte die Hand auf dessen Schulter. „Wir ein Feuer entzünden?“

„Das guter Gedanke. Zeit dadurch gewinnen.“

„Dakotas glauben, wir rasten hier. Pferde laut wiehern, — das gut.“

Und die beiden machten sich daran, ein Feuer herzustellen. Noch immer blieb drüben alles still, — sie konnten eine Stunde zögern, bevor sie die leeren Tiere in den Engpass hineinritten und für sich selbst in schleuniger Flucht das Heil suchten.

Blitz lachte behaglich. „Alles gut abgelaufen,“ murmelte er.

Die Flammen schlugen hell an den trockenen Ästen und harzreichen Tannenzapfen empor, — froh der eingefädelten Kriegslist streckten sich die beiden tollkühnen Männer in das Gras und flüsterten miteinander von der rasenden Wut der Krähen.

Vor den Blicken des Trappers und seiner Begleiter dehnte sich unterdessen der blaue plätschernde Knifefluss. Aus dem Schatten trat Klapperschlange, während Bär und Moskito wie die Biber in das Wasser plumsten, um unter dem Treibholz hervor die Lederboote in das freie Stromgebiet zu bringen. Ein besseres Versteck konnte es nirgends in der Welt geben. Aufgestaute Massen von Treibholz und Schlinggewächsen, Baumstämmen und Flechten waren seit Jahren hier liegen geblieben, neben- und übereinander getürmt, eine undringliche, verfilzte und verwachsene Mauer bildend, unter der Hunderte von schmalen Kanälen, durch die Strömung offen gehalten, hin und zurück den Weg freigaben.

„Alles gut! — Alles gelungen!“

Händedrücke wurden gewechselt, Blick um Blick getauscht. Hier draussen war es heller, man sah und erkannte einander vollkommen.

Ein Teil der Männer half den Söhnen des Mandanerhäuptlings die Fahrzeuge flott zu machen, ein anderer brachte Pferd nach Pferd quer über den Fluss an das entgegengesetzte Ufer. Es war sicherer, die Reise dort als hier fortzusetzen. Der Strom machte eine scharfe Biegung, — mit nur vierundzwanzig Stunden Vorsprung konnten die Weissen gerettet sein.

Der Trapper versammelte um sich die Häuptlinge. Er war zu sehr Indianer, als dass ihm bei Fragen von bedeutender Wichtigkeit ein Kriegsrat der Freunde entbehrlich gewesen wäre.

„Was schlagen mir meine Genossen, die Häuptlinge, vor?“ fragte er, „soll ich die Pferde mit den Kriegern vorausschicken oder sie dem langsameren Gange der Boote folgen lassen?“

Klapperschlange sprach zuerst. „Nicht wegschicken,“ sagte er.

„Das auch meine Ansicht. Können Dakotas heranschwimmen, zu viele, um Boote zu halten, dann flüchten auf Pferde. Sie an anderer Seite keine haben.“

„Ich so denken wie Blitz und Schlange,“ erklärte Doppelgesicht. „Nicht richtig, ohne Pferde. Tragen auch Lebensmittel.“

„Gut,“ nickte der Trapper, „dann ist’s entschieden. Ich wollte nur meine eigene Ansicht bestätigen hören. Und wo denkst du im Falle des glücklichen Gelingens die Boote wiederzufinden?“

„Das einerlei. Der Bär mitgehen, alle aneinander binden und nach Hause bringen. Sie brauchen, solange sie nützen können.“

Der Vorrat von Pemmikan war in die leichten, von weissen Männern nicht wohl zu handhabenden Kanoes gebracht, und nun konnte die Einschiffung stattfinden. Mandaner und Mönnitarier verliessen hier den Zug, um in ihre unbeschützten Dörfer zurückzukehren; im Nachhausegehen sollten sie die Schar des Gelben Wolfes über das Wasser und den vorausgeeilten Freunden nachschicken.

Vier und vier bestiegen jedes Boot, ein Lebewohl vom Herzen zum Herzen flog herüber und hinüber.

„Leb wohl, Hermelin!“ rief Hugo, — „das Scheiden von dir wird mir schwer.“

„Uhu!“ presste der junge Indianer hervor. „Uhu — ich dich lieb haben! Noch denken an Feuergeist in Prärie, — noch wissen, armen Inschin auf Pferd genommen?“

„Das war nur Pflicht, Hermelin, und du hast’s tausendfach vergolten! Leb wohl! Leb wohl!“

Bob stand abseits, er wagte es nicht, den Mönnitariern die Hand zu geben, — in seiner Brust tobte das ganze Weh des Verlassenseins.

„Fluche mir nicht, Häuptling,“ bat er noch vorm Scheiden. „Ich will, wenn ich meinen Vater jemals wiedersehe, ihn bitten, euch das geraubte Geld zu ersetzen.“

Doppelgesicht gab ihm freiwillig die Hand. „Leb wohl,“ sagte er. „Können auch Sohn guter Mensch sein, wenn Vater Schuft. Mönnitarier Bob nichts nachtragen.“

Jonathan mahnte zum Aufbruch. Noch ein letztes Lebewohl wurde gewechselt. „Leb wohl, Schlange, grüsse das Prinzesschen! — Leb wohl, Doppelgesicht, Gott segne euch, ihr braven Menschen!“

Die Lederboote wurden in die Mitte des Stromes gebracht, ein Signal setzte drüben die Männer bei den Pferden in Kenntnis, und so schnell als es Menschenkräfte erlaubten, eilten die Fahrzeuge mit Wind und Wellen der veränderten Richtung entgegen.

Ein Läufer sagte es am Lande dem anderen, alle Schwarzfüsse sammelten sich um ihren Häuptling, und die ganze Schar glitt lautlos ins Wasser, um an der entgegengesetzten Seite den Punkahs zu folgen. Zweihundert Krieger befanden sich in den Kähnen, ihrer sechzig bei den Pferden am Ufer. Wenn die Sonne aufging, lagen zwischen den Bedrohten und den Flüchtlingen zehn Stunden.

Es war für das Zusammentreffen mit dem Punkahhäuptling und dem Blitz kein bestimmter Ort verabredet; sie sollten vielmehr dem Laufe des Flusses folgen und sich den Freunden zugesellen, wo sie dieselben treffen würden.

Über dem Strom lagerte die Stille der Nacht. Je zwei Indianer ruderten stehend, ein dritter kauerte im Hinterteil des Bootes, und der vierte sass zwischen ihnen für den Augenblick müssig. An Schlaf war während dieser Nacht durchaus nicht zu denken, die schmalen, überaus leichtgebauten, aber möwenartig dahinschiessenden Fahrzeuge boten dazu keinen Raum und keine Gelegenheit, — sie gaben indessen den Flüchtlingen durch die Entfernung vom Ufer das Gefühl einer angenehmen, ja nach der Aufregung der letzten Stunden geradezu entzückenden Sicherheit, und das war den frischen jungen Burschen genug, des Schlummers bedurften sie nicht.

Vom anderen Ufer tönte der Schrei des Eichhörnchens, — der Gelbe Wolf mit den Seinen war zu den Punkahs gestossen.

„Jetzt fehlen nur noch Donnerwolke und der Blitz,“ rief Hugo, „wären sie doch erst hier in unserer Mitte!“

„Das kann noch nicht geschehen, noch während mehrerer Stunden nicht!“ versetzte der Trapper. „Sie müssen das Lager der Feinde umschleichen, da sie es nicht zu sprengen vermögen.“

„Also im Halbkreis um ihre äusserste Vorpostenkette?“

„Ja, es gibt kein anderes Mittel.“

Alle schwiegen. Blitz und Donnerwolke standen auf dem gefährlichsten Punkt des Unternehmens.

Die Indianer bei den Rudern wurden von Zeit zu Zeit abgelöst, endlich dämmerte im Osten der erste Tagesschein, und still und friedlich lag rings das weite Land. An den Ufern zur Linken erhoben sich vielzackige Klippen, auf deren höchsten Ausläufern ganze Herden von Bergschafen mit kurzen dicken Hörnern im Morgensonnenschein wie Steinbilder lagen und standen. Es war doppelt unmöglich, eins dieser Tiere zu erjagen, und zwar weil der Knall des Feuergewehres auf mehrere Stunden Entfernung die vollkommene Stille der entlegenen menschenleeren Gegend unterbrochen und dadurch den Aufenthalt der Flüchtlinge verraten haben würde, dann aber auch, weil das Bergschaf zwischen den Klippen, den unzugänglichen Schluchten, Felskegeln und Vorsprüngen der Ufergebirge aller Verfolgung entrinnt, ohne sich jemals fangen zu lassen.

Die jungen Böckchen spielten und schlugen Purzelbäume, als schwelgten sie im Gefühle vollkommener Sicherheit, die alten standen auf den äussersten Vorsprüngen und beobachteten die Umgebung, während ruhende Mütter sorglos ihre kleinsten Sprösslinge tränkten oder an den seltenen grünbewachsenen Stellen das junge Gras abnagten; überall lag das Leben der Natur im tiefsten Frieden, auch an den seichten Uferstellen, wo Schilf und weisse nickende Wasserrosen zwischen dem Strome und dem festen Lande ein grünes wallendes, von Wogenspitzen durchflimmertes Bette zu bilden schienen. Schöne Wasservögel sassen auf ihren Nestern, zahllose Gänse und Enten bevölkerten das Schilf, und Raubgeier und Adler mit klugen Augen segelten geneigten Kopfes, spähend und horchend durch die Luft, um sich den Morgenimbiss zu sichern.

Jonathan musterte mit den Blicken des erfahrenen Jägers die Umgebung. „Hier liegt kein Feind im Versteck,“ sagte er, „was denkst du, Indianer?“

Der Mann am Ruder schüttelte den Kopf. „Niemand da.“

„Aber jetzt könnten Blitz und Donnerwolke hier sein,“ meinte nachdenklich Mr. Everett.

Der Trapper beobachtete den Stand der Sonne. „Wenn sie überhaupt kommen, so muss es bald sein!“ gestand er. „Gott gebe nur, dass ihnen der kecke Handstreich gelingt.“

„Und dass sie nicht — bis zu uns — verfolgt werden!“

Jonathan nickte. „Wir müssten dann die Schwimmer Mann für Mann im Wasser töten, — der Fluss würde sich rot färben von dem Herzblute tapferer Krieger.“

Noch war während des eifrigen Ruderns seit dem vorigen Abend keine Pause gemacht; die Entfernung von dem gegenwärtigen und dem Punkte der Abfahrt konnte fünfzehn Stunden betragen, aber jetzt begannen die Kräfte der indianischen Ruderer zu weichen, und der Trapper gab den Reitern am jenseitigen Ufer das Zeichen zum Halt. Es musste gegessen und auch mit den Bootsführern getauscht werden; die bisher auf den Rücken der Pferde in untätiger Ruhe die Reise fortgesetzt hatten, mussten nun die Riemen ergreifen und dafür ihre Plätze in den Sätteln den ermüdeten Schiffern abtreten.

In sicherer Mitte auf dem Strome lagen enggedrängt die schlanken Lederboote, während am Ufer die Pferde weideten und ihre Gebieter den Umtausch bewerkstelligten. Es war jetzt mindestens acht Uhr morgens, und noch liessen sich Blitz und Donnerwolke nicht sehen. Wenn ihnen ein Unglück zugestossen wäre!

Da gerieten plötzlich die Schafe auf den Bergspitzen in Unruhe, die wilden Vögel flogen vom Nest und die Geier hoben sich kreischend höher empor in das weite, sonnenhelle Blau. Ein Eichhörnchen grüsste hell herüber, und ehe noch der Trapper ein „Gott sei Dank, sie sind da!“ aus tiefstem Herzen stammeln konnte, zeigten sich der Blitz und der tolle Punkah am Ufer.

Als echte Söhne der Wildnis gaben sie nur Zeichen, ohne irgendeinen Laut auszustossen, ihr ganzes Benehmen aber verriet auf den ersten Blick, dass sie sich vollkommen sicher wussten. Ein Boot stiess ab, um die beiden Helden aufzunehmen, und fünf Minuten später befanden sie sich inmitten der Ihrigen.

„Das lustige Fahrt!“ rief der Blitz. „Freilich kein Skalp. Mir etwas Tabak geben, Wi-ju-jon?“

Er erhielt das Verlangte, und auch Donnerwolke sog in langen Zügen aus der Pfeife des Gelben Wolfes. Jonathan fragte nach den Ereignissen des letzten Abends.

Der Blitz lachte. „Ich erzählen dürfen?“ fragte er.

Der Punkah nickte. „War sehr einfach, das Ganze,“ bemerkte er. „Taten nur, was jeder Krieger getan haben würde.“

„Ich erzählen!“ rief der Blitz. „Viel Spass das!“

Seine Augen leuchteten, er gestikulierte lebhaft. „Wir grosses Feuer anzünden,“ begann er, „stellen Pferde so, dass Krähen sie nicht sehen können, liegen eine Stunde, zwei Stunden in Versteck, denken immer, Wi-ju-jon und andere Krieger kommen weiter auf Fluss, Krähen können warten. Machen viel Vergnügen das für Häuptling und Blitz! Sie immer beobachten Dakotas und Krähen, wie ganz nahe heranschleichen, sie endlich sehen Fliessendes Feuer und Steinernes Herz, kommen zusammen auf Kundschaft, haben lose Pferde hinter sich, ganz nahe. Da Häuptling ein Zeichen geben, er lachen leise für Blitz und deuten auf Felsklippe über Köpfen von Dakota und Krähe. Blitz ihn verstehen, er gleich wissen, was Donnerwolke will, und ihm nachklettern auf Felsen. Leise, so leise wie Fuss von Katze, niemand ihn hören.

Fliessendes Feuer und Steinernes Herz stillstehen. Sie beraten. ‚Schwarzfüsse und Punkahs doch dumm wie Fische,‘ sie sagen, ‚nicht denken, dass Inschin hier warten. Stellen Vorposten ganzen Tag, wo nicht nötig, und schlafen wie Murmeltiere am Abend, wenn Feind wacht. Ihre Anführer Rock von Squaw tragen sie dumm.‘

‚Sehr dumm. Was mein Bruder denken, wir angreifen?‘

‚Nein, — warten, bis in Schlucht kommen. Müssen hindurch auf jeden Fall. Wir hundert — zweihundert Skalpe nehmen, wir kleinen Punkahstamm ganz vertilgen vom Erdboden.‘

‚Das Donnerwolke hören, seine Augen leuchten, er leise sagen zu Blitz: ‚Mir nach!‘ und springen wie Pantherkatze von Felsen über Häuptlinge weg auf Pferd von Fliessendem Feuer. Blitz folgen, so schnell er können, er nehmen Pferd von Steinernem Herz, und beide geben Kriegsgeschrei, dass die Luft zittern. Davon reiten wie Wind, wie Sturm, lachen viel, — lachen immer noch!“

„Und es verfolgte euch niemand?“

„Ich hätte die Wut, die Raserei sehen mögen!“

„Ja,“ rief der Blitz, „ja, das viel schade, nicht sehen können lange Gesichter, wie sie finden leere Pferde.“

„Hörtet ihr denn kein Geschrei?“

„Soviel Geschrei, dass Erdboden dröhnte. Wolfsgeheul, Brüllen, Kreischen wie böse Squaw! Ungeheuer viel Vergnügen!“

Der Punkah lächelte still, aber in seinen Augen blitzte es. „Wollten ja kleinen Stamm ganz vertilgen vom Erdboden,“ sagte er in tiefen Tönen, „wollten zweihundert Skalpe nehmen, — nun beinahe zu Tode geärgert und das viel gut.“

„Ich kann mir’s denken,“ nickte Jonathan. „Wahrhaftig, ich kann mir’s denken. Die Enttäuschung ist furchtbar gewesen.“

„Hat euch niemand verfolgt?“ wiederholte Mr. Everett.

„Ja. Doch verfolgt, aber zu spät, in drei, vier verschiedener Richtung, nur nicht auf Spur von Häuptling und Blitz. Wir absteigen, legen Ohr auf Erdboden, hören es wohl, aber keine Gefahr entdecken können, zu dunkel, um auf Prärie finden Spur.“

„Dann musstet ihr einen sehr bedeutenden Umweg machen.“

„Ja, viel Umweg. Reiten über verbrannte Strecke und gehen dann eine Meile im Bach. Wasser behalten keine Spur.“

„Und was habt ihr mit den Pferden angefangen?“

„Stechen tot!“ antwortete kaltblütig der Blitz. „Doch nicht lassen Krähen und Dakotas Pferde, sie uns verfolgen, he?“

Hugo unterdrückte den Ausruf des Bedauerns, welcher ihm bereits auf den Lippen schwebte. Es musste so sein, der Blitz hatte recht.

Jonathan sass immer und sah rauchend vor sich hin. Die Lederboote glitten längst wieder windgetrieben stromab, Meile nach Meile verschwand hinter den Flüchtigen, — nach wenigen Stunden mussten sie notwendig den Fluss verlassen und in etwas veränderter Richtung durch den Wald weiterziehen, um das Dorf der Tschippewäer zu erreichen, jedenfalls aber, um die entgegenkommenden Schwarzfusskrieger so schnell als nur möglich zu treffen. Dakotas und Krähen besassen zusammen nicht so viele Streiter, wie sie der Gelbe Wolf allein befehligte.

„Nun sag einmal, Häuptling,“ begann der Trapper, „was denkst du über die Sachlage? Haben unsere Gegner eine Spur?“

„Das ganz unmöglich. Wir eine Meile in Bach gehen.“

„Hm, sie werden aber natürlich zuerst an den Knifefluss denken, und sie werden auch bei hellem Tageslicht die Spuren unserer Pferde bis zum Ufer hinab entdeckt haben. Über Boote verfügen sie nicht, es bleibt ihnen also nur die Aussicht, uns zu Lande einzuholen, — sie untersuchen natürlich den Strand auf beiden Seiten, um zu sehen, wo wir die Pferde wieder bestiegen haben.“

Der Punkah nickte. „Bleiben fürs erste auf Wasser!“ riet er.

„Aber dann verfehlen wir die Schwarzfüsse.“

„Das nicht nötig. Kundschafter sie treffen, ihnen alles sagen.“

Jonathan schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, Punkah, das geht nicht. Sie sehen und schleichen wie die Katzen hinterher. Wir haben bis zum vollen Tageslicht acht Stunden Vorsprung gehabt, — sobald sich am Ufer die offene Prärie zeigt, müssen wir zu Pferde steigen. Dann bleibt uns genau die Zeit, welche das Fliessende Feuer braucht, um am Lande unsere Spur zu finden und aufzunehmen. Während derselben können die Schwarzfüsse zu uns stossen, und reiten wir auf Tod und Leben, so ist es auch möglich, das Dorf der Tschippewäer zu erreichen.“

„Aber wenn Streifpartien ausgeschickt, wenn Feind im Hinterhalt?“

Der Trapper sah zu dem Sohne seines Bruders hinüber. „Was meinst du, Sagamore? Bleiben wir auf dem Wasser?“

Der Gelbe Wolf schüttelte den Kopf. „Es nicht können. Knifefluss schmal werden, viel schmal, Pfeile gut hinüber treffen.“

Jonathan nickte. „Auch das noch. Nein, nein, wir müssen so bald als möglich landen.“

Der Punkah schwieg, aber er missbilligte den Plan.

„Mir ahnt gar nichts Gutes,“ flüsterte Mr. Everett. „Ich kann mir so recht denken, dass ich selbst an der Stelle des Fliessenden Feuers Kopf und Kragen daran setzen würde.“

„Das werden sie auch ohne allen Zweifel tun,“ nickte Bob. „Ich kenne die Indianer, sie verzeihen nie.“

„Namentlich da der Punkah die Häuptlinge beschimpft hat!“

„Ein Prachtkerl!“ lächelte Hugo. „Ich mag sein Auge.“

„Ich auch. Springt der Mensch wie ein Luchs über zwei Häuptlinge hinweg.“

Sie lachten vergnügt, während Jonathan mit den Indianern die Beratung fortsetzte. Von Meile zu Meile wurde der Fluss schmaler, — sie mussten ihn schon sehr bald verlassen, um nicht wehrlos von beiden Seiten angegriffen werden zu können.

„Ich doch bleiben!“ warnte noch einmal der Punkah. „Schwarzfüssen Kundschafter entgegenschicken. Alles gut gehen.“

„Und wenn sich die rachsüchtigen Teufel am Ufer sammeln und über uns herfallen, wo keine Deckung gibt?“

„Viel Deckung geben. Fünfundzwanzig, dreissig Meilen weit hinaus Fluss sich spalten in drei Arme, haben Inseln, Gebüsch, Schilf, können verbergen tausend Krieger.“

„Aber wie sollten wir dreissig Meilen weit kommen, ohne von den Krähen bemerkt zu werden? Sie reiten am Lande schneller als wir rudern.“

„Das gewiss. Sie nur kommen und sehen Versteck zwischen den Inseln. Nichts tun können, sie auslachen. Geben Kriegsgeschrei, schiessen, — sie ganz ohnmächtig. Nach zwei Tagen Schwarzfüsse kommen und ihnen in den Rücken fallen. Vielleicht nehmen zweihundert Skalpe von Krähen.“

Aber Jonathan schüttelte beharrlich den Kopf. „Spätestens um zwei Uhr mittags sind sie hier, Punkah, und dann stehen wir auf dem Präsentierteller. — Ich stimme für schleunigste Landung.“

Donnerwolke wandte sich ab. Sein Stolz verbot ihm, fernere Einwendungen zu erheben. Mochte denn kommen, was sollte.

„Ich nicht sehr lieben das Leben,“ dachte er.

Ein paar Stunden angestrengten Ruderns vergingen noch, dann brachten Reiter ihre Tiere über das Wasser und sämtliche Krieger verliessen die Boote, mit denen der Bär nach herzlichem Abschied zu seinem Dorfe zurückkehrte.

„Eins beunruhigt mich,“ sagte besorgt der Trapper. „Wir haben keine Lebensmittel, — höchstens noch Pemmikan für eine einzige Mahlzeit. Was als Aushilfe dienen sollte, das hat jetzt gegen dreihundert Männer ganz allein ernähren müssen.“

Der Blitz schüttelte seinen Bogen. „Dann schiessen,“ rief er „Hirsche und Hasen genug für eine grosse Kriegerschar.“

„Aber das kostet Zeit, — und hinter uns jagen die Feinde. Heute kann an nichts dergleichen gedacht werden.“

Sie assen den letzten Pemmikan in den Sätteln und ritten, bis der Zustand der Pferde eine Ruhepause gebot. Als ein vorläufiges Lager im Gras eingenommen wurde, umringten Kundschafter die Schlafenden, und sämtliche Häuptlinge beobachteten die Sterne, um festzustellen, wo man sich befand. Genau auf dem Wege, den die Schwarzfüsse kommen mussten, vom Dorfe der Tschippewäer etwa noch zwei Tagereisen entfernt.

„Doch Hirsche schiessen müssen,“ meinte der Gelbe Wolf. „Nicht aushalten Hunger achtundvierzig Stunden, sonst nicht stark bleiben für Verteidigung.“

„Aber Feuer können wir unter keiner Bedingung anzünden. Das Fleisch muss unter die Satteldecken gelegt werden.“

„Brr!“ rief voll Entsetzen Mr. Everett.

Mr. Duncan lachte. „Sir, da hat man schon ganz andere Dinge erlebt. Ich verspeiste einmal einen Geier.“ —

„Und ich habe einmal drei Tage lang Wolfskoteletts gegessen.“

„Wer mürbegerittenes Hirschfleisch nicht liebt, der muss es roh verzehren,“ meinte Jonathan. „Ich selbst würde jede Speise entbehren, wenn wir vorwärts kämen.“

Die Nacht verging ungestört; unsere jungen Freunde fanden Pflaumen und wilde Birnen genug, um vorläufig auf Fleisch ganz verzichten zu können, aber sie bemerkten doch, dass die Nächte anfingen unangenehm kalt zu werden. Der September trat in seine Rechte, ganze Schauer von welken Blättern rauschten herab.

„Jetzt hätte unsere Reise beendet sein sollen,“ dachte Hugo. „Meine Mutter erwartet mich von Tag zu Tage! Ob wir jemals wieder nach Hause kommen werden?“

„Hugo!“ flüsterte Mr. Everett, „lass uns näher zusammenrücken. Wie eisig die Luft heute abend plötzlich geworden ist.“

„Fühlen Sie Schmerzen, Sir?“

„Oh — ganz grimmig! Es ist mir, als müsse meine Brust zerreissen.“

Hugo gab ihm seine eigene Büffeldecke. „Liegen Sie nur ganz still, Sir, — hier sind noch Pflaumen.“

Neben ihnen stützte der Trapper den Kopf in die Hand. „Ich dachte es,“ murmelte er, „wir bekommen Mondschein.“

Am Himmel erglänzte das erste Viertel und beleuchtete mit schwachem Schimmer die Prärie und den Wald. Rechts liefen Felsklippen dahin, ein kleiner Bach plätscherte zwischen den Steinen, und Baum und Strauch hüllte alles mit seinem Schatten in undringliche Finsternis. Nur das Windgeräusch unterbrach die nächtliche Stille.

Stunde um Stunde verging, lautlos lagen neben den todmüden Pferden die Reiter im Gras, — da plötzlich hob der Gelbe Wolf den Kopf.

„Hugh!“

Auch der Trapper hatte gehorcht. „Es sind Hirsche!“ flüsterte er.

„Ich das nicht glauben. Ich hören Pferd.“

„Und doch sind es Hirsche! — Siehst du, Sagamore, siehst du!“

Ein Rudel jener schönen, schlanken Tiere, gegen Sonnenaufgang das Lager im Dickicht verlassend, brach hervor auf die Prärie. Halb geduckt, Kopf und Hals weit vorgestreckt, schienen sie zu horchen, zu spüren, sich unsicher zu fühlen, ihr Schritt war mehr schleichend als lebhaft. —

„Sie auch hören Pferd!“ beharrte der Gelbe Wolf.

Der Blitz erhob sich von seiner Büffeldecke. „Schiessen!“ flüsterte er vergnügt. „Weisser Mann Hirschfleisch unter Sattel legen.“

Everett nickte. „Und roter Mann diesen Braten ganz allein verzehren,“ setzte er hinzu.

Die Hirsche bemerkten von der Nähe unserer Freunde nichts, da ihnen glücklicherweise der Wind gerade entgegen wehte. Sie zerstreuten sich in der Umgebung des Lagers und weideten ruhig.

Auch Jonathan hatte Pfeil und Bogen ergriffen. Die Büchse lehnte an einem Baum, er durfte nicht wagen, sie zu gebrauchen, wollte aber dennoch die Jagd nicht aufgeben. „Begleitest du mich, Sagamore?“

„Das gewiss. Ich gar nicht ruhig! — Denken, dass Krähen hier.“

„Du täuschest dich, Sagamore, — denn sollte auch der Ton, den du zu hören glaubtest, von einem Pferde und nicht von einem Hirsch hervorgebracht sein, nun, so war es eins unserer Tiere.“

Der Häuptling blieb bei seiner Ansicht. „Kommen Ton von da herüber,“ sagte er, auf den Felszug deutend, „und Pferde hier.“

Jonathan schlich bis an die Grenze der offenen Prärie. Ein geschickter Schuss und der nächststehende Bock stürzte kopfüber ins Gras, — der Jagdeifer hatte sich jetzt schon aller Reisenden bemächtigt, rechts und links flogen Pfeile, in plötzlicher unaufhaltsamer Eile schoss die Herde über den offenen Grasweg dahin.

„Siehst du,“ flüsterte der Trapper, „es ist niemand hier!“

Er warf sich auf sein Pferd und sprengte den Hirschen nach. „Ich muss den Sechzehnender notwendig haben, Wolf, in seinem Rücken steckt ein Pfeil von den Punkahs, — das ist für die Krähen, wenn sie ihn finden, so viel wie eine breite Spur.“

Die Tiere flüchteten im rasenden Lauf über das Grasfeld, der angeschossene Bock blieb allmählich hinter seinen Gefährten etwas zurück, und Jonathan nickte zufrieden vor sich hin. „Er hat genug, der stattliche Bursche! Die Läufe tragen ihn nicht mehr! — Jetzt pass auf, Sagamore, er fühlt, dass sich die Entfernung zwischen ihm und uns zu seinem Schaden verringert, deshalb wird er den geraden Weg verlassen und entweder nach rechts oder nach links abbiegen, um durch einen Sprung seine Verfolger irre zu leiten. Du musst eine Seite nehmen, ich behalte die andere.“

Der Blick des Indianers durchmusterte spähend das Dämmergrau der Prärie und des waldigen Gebirgszuges. „Ich Wi-ju-jon nicht gern allein lassen,“ gestand er.

Der Trapper behielt immer den angeschossenen Hirsch im Auge. Die Herde war längst entkommen, nur das verwundete Tier mit dem Pfeil im Rücken jagte mit schwindenden Kräften vorwärts.

„Da! da!“ rief Jonathan, „ich wusste es.“

Und sein Pferd spornend, trieb er es in das Halbdunkel hinein, während er dem Häuptling zurief, den verwundeten Hirsch unter keiner Bedingung nach links hin durchbrechen zu lassen. „Kommt er, so gib es ihm, Sagamore!“ —

Er sprang vom Pferde und folgte der Spur des stark blutenden Tieres bis in das nächste Unterholz. Ein Jagdpfeil der Punkahs steckte in dessen Fleisch, — das war zu gefährlich.

Der Gelbe Wolf sah zurück. Die eifrige Verfolgung hatte ihn und seinen Gefährten etwa zwölfhundert Schritt vom Lager entfernt, — es war alles um ihn her beklemmend still.

Von seinem Standpunkt aus konnte er die offene Prärie nach beiden Seiten beherrschen. Wenn der Hirsch durchzubrechen versuchte, so ereilte ihn das Geschoss aus sicherer kunstgeübter Hand. Mit dem Pfeil auf der Sehne wartete er.

Aber blieb nicht der alte Trapper über Gebühr lange? Er musste das schwerverwundete Tier längst erreicht und getötet haben.

Der Gelbe Wolf ritt etwas näher an die vorderste Baumreihe heran; das Pferd des alten Jägers schnob plötzlich und rannte, nachdem es im jähen Seitensprung den Häuptling fast aus dem Gleichgewicht gebracht hätte, zügellos und unaufhaltsam in die Prärie hinein, so dass der Indianer nur mit grösster Mühe sein eigenes Tier verhindern konnte, dem Kameraden zu folgen. „Wi-ju-jon!“ rief er mit unterdrückter Stimme, „Wi-ju-jon!“

Die Antwort war eine völlig unerwartete. Ein Kriegspfeil, aus dem Gebüsch hervorkommend, flog haarscharf an seinem Kopfe vorüber, ein gellender Ruf zeigte ihm die Nähe menschlicher Feinde.

Links von ihm durchbrach ein Pferd das Gebüsch, sein Reiter, ein dunkelhäutiger Indianer, hob den Arm mit dem Tomahawk —

Wie ein Panther zu Boden und auf den Dakota springen, war für den Schwarzfusshäuptling das Werk einer Sekunde.

„Wo Friedensmann?“ knirschte er. „Mir sagen oder sterben.“

Die Augen des Überrumpelten leuchteten vor Hass und Grimm. „In Hand von Dakotas,“ stammelte er schadenfroh.

„Das verhüte der Grosse Geist!“ —

Und von Sorge getrieben, stiess er in die Brust des wehrlos Daliegenden das Messer bis zum Heft. Eine Minute später hing der Skalp an seinem Gürtel, er erhob sich und spähte durch das Halbdunkel umher.

Von der Prärie herüber erklangen Hufschläge. Eine böse Ahnung durchzuckte das Herz des Indianers, er sah hinaus und tiefer Schreck bemächtigte sich seiner bei dem Anblick dessen, was dort geschah. Etwa sechzehn bis zwanzig Reiter flüchteten mit verhängten Zügeln durch die Ebene, — ohne jeden Zweifel den Trapper als Gefangenen mit sich führend.

Es waren Dakotas, der am Boden Liegende bezeugte es, sie mussten aus dem Versteck hervor den alten Jäger ergriffen und überrumpelt haben, ehe er einen Laut hervorzubringen vermochte.

„Ihnen nach!“ — der Häuptling rief es laut, er fing sein Pferd und schwang sich auf den Rücken desselben, ein Schenkeldruck brachte das Tier in die offene Bahn hinaus. Hier legte der Gelbe Wolf, um den Schall zu verstärken, beide Hände an den Mund, und das Kriegsgeschrei der Schwarzfüsse klang windgetragen hinüber in das Lager seiner Untergebenen.

Einige Male wiederholte er den Ruf, dann drehte er das Tier und flog davon, pfeilschnell, so dass Sekunden genügten, um ihn in der herrschenden Dämmerung verschwinden zu lassen.

Vorn unter den ersten Büschen lag der erschlagene Dakota, weiterhin sterbend der Hirsch, — ausser diesen beiden Geschöpfen war an der Stelle des kurzen Kampfes kein Mensch und kein Tier zurückgeblieben, nur der Wind fuhr über die Ebene.

In das Lager der Schwarzfüsse traf die Botschaft des Häuptlings wie ein plötzlicher Schuss. Das Kriegsgeschrei! — der Befehl, augenblicklich aufzubrechen! — —

„Feinde!“ rief der Blitz, „Dakotas!“

„Der Häuptling ist vielleicht gefangen!“

„Nein. Er frei, er Zeichen geben.“

„Ob Ihr Euch aber auch nicht täuscht? Er braucht möglicherweise Beistand, um den gefallenen Hirsch fortzubringen!“

„Und dafür geben Kriegsgeschrei? Weisser Mann keine Squaw sein, nicht so Unsinn sprechen. Sagamore sehen Krähen!“

Mr. Duncan sass bereits im Sattel. „Ich glaube es auch,“ seufzte er. „Da muss einer Hals über Kopf reiten, um den verdammten Kerlen in die Hände zu laufen!“

Die Schwarzfüsse sprengten schon davon, der Punkah ermunterte die übrigen zur Eile. „Können nur wenig Krähen hier sein,“ rief er, „sonst sie nicht fliehen. Töten alle!“

Und mit wildem gellendem Schrei jagte er hinterdrein, gefolgt von seiner braunen Schar und den letzten Weissen.

Nach fünf Minuten hatten alle das Lager verlassen und sprengten auf der Spur des Gelben Wolfes dahin. Trotz der rasenden Eile dieses Sturmlaufes zählten doch die Indianer die Fährten der vorausgeeilten Tiere; es waren zwanzig Reiter hier vorübergekommen, mehr nicht.

„Eine Streifpartie!“ murmelte Mr. Everett. „Da ist doch einige Hoffnung, den Schwarzfuss und den Trapper herauszuhauen.“

Bob schüttelte den Kopf. „Nur der Trapper ist gefangen, der Häuptling nicht. Die Dakotas würden ihn an dem Ausstossen des Kriegsgeschreies auf jeden Fall verhindert haben, wenn ihnen das eben möglich gewesen wäre. Eins fürchte ich, — wir geraten alle in einen Hinterhalt.“

„Aber den alten Jonathan zu verlassen, wäre feige!“

„Gewiss! — Aha, da ist die Sonne.“

Der Blitz deutete mit der Rechten auf eine ferne, kaum am Horizont erkennbare Hügelkette. „Von daher Schwarzfüsse kommen!“ rief er. „Dakotas das nicht wissen, sie ihnen gerade entgegen reiten!“

„Das ist gut!“ rief hoch erfreut Mr. Everett. „Aber,“ setz ebenso schnell hinzu, „wird nicht, ehe sie hier sein können, die Sache sich längst entschieden haben?“

„Das nicht wissen. Absichten von Dakotas nicht kennen.“

Donnerwolke gab seinen Leuten ein Zeichen. „Ihr gehorchen, was Schwarzfusshäuptlinge befehlen,“ rief er, „ich nicht warte.“

Und seinem Hengst die Sporen gebend, trennte er sich von der Schar, um in verdoppelter Eile voraus zu fliegen. Der weite Büffelmantel umwallte die hohe, männlich schöne Gestalt, die Hufe des Renners warfen Sand und Erde hoch empor, — nach wenigen Minuten war der tollkühne Reiter am Rande des Horizonts verschwunden.

„Krähen die Spur ihrer Leute verloren haben!“ entschied der Blitz, „sie den ebenen Weg wählen, um nur vorwärts zu kommen. Nicht wissen, wohin sollen, sonst auf keinen Fall Dorf von Tschippewäern so nahe gehen.“

„Sind wir denn auf dem Wege dorthin, Blitz?“

„Reiten so weiter, dann Pferde stürzen in einigen Stunden, aber dicht bei Dorf sein vor Abend. Es nicht aushalten können.“

„Und hinter dem Tschippewäerdorfe liegt das der Schwarzfüsse?“

„Winterquartiere, ja. Sie bald dahin gehen, — von hier fünf, sechs Tagereisen. Sie vielleicht schon da sein.“

Und wieder wurden die Pferde angetrieben, wieder verstärkte sich ihre rasende Eile. Jetzt erschien vor den Blicken der Reiter das kleine Häuflein flüchtender Dakotas, jetzt sahen sie hinter den dunkeln Gestalten die des Gelben Wolfes und des Punkahhäuptlings, — auf Tod und Leben jagten die Indianer, beide berühmte, hochgeachtete Führer, den fliehenden Feinden nach.

„Hurra!“ rief Hugo, „hurra, der Sieg ist unser! Wir überholen die Schurken!“

„Aber bedenke, dass sich der Trapper in ihrer Gewalt befindet. Lebendig geben sie ihn auf keinen Fall heraus.“

„Dann setzen wir für den Alten das Leben ein. Siehst du, wie die Entfernung schwindet! Ihre steifen Klepper können es mit unseren braven Tieren nicht aufnehmen!“

„Hurra!“ schrie jetzt auch Mr. Travers, und die übrigen stimmten aus voller Kehle ein, „der Sieg bleibt unser!“

Vor den Flüchtigen lag unübersehbar die weite Prärie, an deren letztem Rande das Dorf der Tschippewäer sich erhob. Kein Gebüsch, keine Felswand bot Deckung.

Die Dakotas hatten auf die Schnelligkeit ihrer Pferde gehofft und sich darin verrechnet.

Der Blitz beobachtete mit funkelnden Augen ihr Verhalten. „Haben sehr grosse Unruhe,“ sagte er. „Wi-ju-jon sterben müssen.“

„Das auch denken,“ nickte der Schlaue Fuchs. „Sie verloren, aber vorher Rache nehmen. Oder vielleicht unterhandeln.“

„Dann geben wir der Brut jedes Versprechen, das sie etwa verlangen mag!“ rief mit geballter Faust Mr. Duncan, „und nachher schiessen wir sie über den Haufen, dass auch nicht ein einziger lebendig davonkommt! Mich deucht, eine gute Kugelbüchse sollte die Höllenhunde schon von hier aus erreichen können.“

Der Blitz hob mahnend die Hand. „Aber nicht brauchen Feuerwaffe,“ rief er. „Hören Knall meilenweit.“

„Pah, — auf der Spur sind sie uns ja doch!“

Er legte das Gewehr an, und zur Rechten der beiden indianischen Häuptlinge fiel, als der Pulverdampf verraucht war, ein Indianer aus dem Sattel in das Gras. Er war tot, regte kein Glied, — die übrigen schienen von panischem Schrecken erfasst, sie mässigten die Eile ihrer ermatteten Tiere, sie berieten. —

„Drauf! drauf!“ rief Mr. Duncan.

Unter den Sioux entstand plötzlich eine Bewegung; das Häuflein teilte sich, und aus den Reihen, sein Tier wendend, ritt ein Indianer hervor, den Verfolgern gerade entgegen.

Einen Augenblick mochten diese glauben, es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben, sie stutzten unschlüssig, dann aber erkannten alle zugleich die Absicht der Dakotas. Beide feindliche Parteien hielten kaum dreissig Schritt von einander entfernt auf der Prärie, die Bogen der Schwarzfüsse und Punkahs waren gespannt, die Kugelbüchsen ihrer Begleiter erhoben.

Der vorderste Reiter, stolz und fest im Sattel erhoben, hielt vor sich den Gefangenen, welchen er gebunden seinen Verfolgern zeigte. Die Rechte umfasste das Messer, dessen Spitze auf Jonathans Brust stand, — der Dakota sprach keine Silbe, aber jede Bewegung zeigte den unerbittlichen Entschluss, sich für die erste neue Feindseligkeit mit dem Leben des Trappers bezahlt zu machen.

Der Blitz sprang auf den Rücken seines Tieres. „Nicht schiessen!“ rief er. „Wer es tun, der sterben.“

Donnerwolke und der Gelbe Wolf hatten sich einander flüchtig für Sekunden genähert, es schien als flüsterten sie, — auch der Punkah stand jetzt auf dem Rücken seines Renners.

Es war ein Augenblick, in dem auch die Herzen der Tapfersten zitterten. Das Leben des alten Trappers hing an einem Haar.

„Hugh!“ begann der Dakota, „die Tetons sprechen zu den Schwarzfüssen und Punkahs. Sie sind von ihren Gegnern nicht besiegt, sondern sie haben Unglück gehabt, indem sie von den Ihrigen abgeschnitten wurden, aber dennoch ist der Vorteil auf ihrer Seite, denn sie besitzen eine wertvolle Geisel. Wollen sich die Häuptlinge der Punkahs und Schwarzfüsse verpflichten, die Dakotas frei, wohin es ihnen beliebt, ziehen zu lassen, und ihnen für die Vereinigung mit ihren Freunden eine Frist von vierundzwanzig Stunden bewilligen, dann soll ihnen der Friedensmann unbeschädigt ausgeliefert werden. Wo nicht, so ist er der erste, welcher stirbt.“

Auf diesen Vorschlag schien der Punkah gewartet zu haben, für diesen Augenblick war er auf den Rücken seines Pferdes gesprungen. Ehe noch eine Antwort irgendwelchen Sinnes überhaupt möglich war, ehe Sekunden vergingen, hatte er getan, was in den Annalen der Kriegsgeschichte selten zu verzeichnen gewesen sein mag.

Donnerwolke warf sich mit jäher Gewalt auf den ahnungslosen Dakota, dem er das Messer entriss und es hoch in die Luft schleuderte, während zugleich der Gelbe Wolf den gefesselten Körper des Trappers ergriff, um ihn vom Pferde zu ziehen und dem Blitz und dem Schlauen Fuchs in die Hände zu schieben. Binnen Sekunden stand der Trapper, umgeben von den Schwarzfüssen und Punkahs, unbeschädigt da, Donnerwolke aber lag am Boden, und aus sechs oder zehn tiefen Wunden floss strömend das rote Blut.

Ein Wutgebrüll der Dakotas beantwortete die kecke Tat. Jetzt wurde an keine Verhandlungen, an keinen Aufschub, an keine Kriegslist mehr gedacht, der Kampf war entbrannt und endete schon sehr bald mit der gänzlichen Vernichtung der Sioux; ihre Leichen bedeckten die Prärie, ihre Pferde ereilte, sobald sie zu flüchten versuchten, der sichere Pfeil aus den Reihen der Schwarzfüsse. Auch von diesen hatten mehrere das Leben eingebüsst, andere waren schwer verwundet, überall traf der Blick Szenen des Schreckens.

Blitz und Fuchs ernteten Skalpe ohne Zahl, der Gelbe Wolf setzte den Fuss auf die Brust des Besiegten, dessen Schopf er bereits gepackt hielt, während Mr. Duncan ohne Gnade niederschoss, was von den Dakotas noch atmete, — nur Jonathan nahm an dem allgemeinen Morden keinen Anteil. Abseits vom Kampfplatz kniete er neben dem Körper des sterbenden Häuptlings im Gras und hielt an seiner Brust den Kopf desselben. Donnerwolke hatte die Augen schon geschlossen, tief erschüttert standen an seiner anderen Seite schweigend die drei jungen Weissen, selbst blass und verwirrt von dem Anblick so vieler Greuel.

Jonathan beugte sich liebevoll über den Gefährten so manches langen und gefahrvollen Zuges durch die Wälder. „Punkah,“ sagte er bekümmert, „Punkah, was hast du getan?“

Das Bewusstsein des Häuptlings war noch nicht erloschen, Donnerwolke lächelte. „Was gut sein,“ antwortete er leise. „Dakotas doch betrügen, sie alle falsch. Töten Wi-ju-jon.“

„Das ist auch meine Ansicht, Häuptling, sie würden mich nicht lebendig herausgegeben haben, sondern suchten nur Zeit zu gewinnen. Aber ist es denn nicht noch schlimmer, wenn du stirbst, als wenn ich dem Tode verfallen wäre? Du —“

„Nein,“ unterbrach der Sterbende, „nein, es nicht schlimmer, es besser so sein. Wi-ju-jon der Friedensmann, ihn lieben alle, — Häuptling schlechter Inschin, — haben erschlagen weissen Medizinmann — haben viel Sünde begangen!“

Die Unruhe der letzten Augenblicke packte ihn, er griff mit beiden Händen in die leere Lust, und Schauder nach Schauder rann über seinen Körper. „Wi-ju-jon!“ stammelte er, „Wi-ju-jon — noch — hier sein — bei Punkah?“

„Gewiss!“ versicherte warm der Trapper, „gewiss, Häuptling, ich bin bei dir! — Denke aber nicht an deine Schuld; es ist vor Zeiten einer, ein gar grosses schönes Herz, in den Tod gegangen für die Sünde der Welt, auch für deine!“

Schwer und schwerer sank der Körper des Punkahhäuptlings zurück in Jonathans Arme. „Donnerwolke — es wissen,“ stamsmelte er, „weisser Medizinmann es — ihm — sagen. Er — armer Inschin, — so handeln wie — Inschin alle, — er sehr viel träumen — leiden sehr!“

Sein Atem wurde röchelnd, die weissen Schwingen des Todesengels nahten in rauschendem Fluge, still und beglückend kam noch einmal der Traum zurück zu dem erkaltenden Herzen und trug es empor in hellere, friedlichere Regionen. — —

„Ich wieder den sonnigen Glanz sehen,“ flüsterte der Punkah, „das ist das Wohnland — des Grossen Geistes. Inschin — nicht hinein dürfen, — da die Hütte, — da er weisse Squaw erkennen! — Wi-ju-jon! — das seltsam, weisse Squaw nicht tot — nicht tot — sie winken armem Inschin, — er kommen dürfen —!“

Und dann noch, kaum verständlich, ganz leise: „Donnerwolke — viel glücklich!“

Der Trapper liess den Körper des Entseelten sanft zurückgleiten auf den blutgetränkten Boden, er deckte den Mantel über das ruhig lächelnde Gesicht und kehrte den übrigen den Rücken, unfähig, den tiefen Schmerz seiner Seele zu verbergen. — — —

Die Walstatt voll Blut und Trümmer, die Toten und Verwundeten mahnten zum Aufbruch. Wenigstens hier konnten die Sieger nicht länger bleiben, sondern mussten so rasch als möglich eilen, das Dorf der Tschippewäer zu erreichen, mussten auf weitem Blachfeld ihre Toten begraben und aus dem Walde die Pfähle herbeiholen, welche ihre Schlummerstätten dauernd bezeichnen sollten.

Mr. Everett mit den beiden jungen Leuten war schon vorausgegangen, — die schrecklich verstümmelten Leichen der erschlagenen Dakotas vertrieben ihn, die in der Luft schwebenden, scharenweise herbeieilenden Geier verursachten ihm mit ihrem heiseren, gierigen Krächzen einen unüberwindlichen Schauder. Einmal legte er an, um durch einen Schuss in das Herz der vordersten Bestie die übrigen zu vertreiben, aber dann liess er den erhobenen Arm wieder sinken.

Schritt für Schritt, anständig langsam im Gefolge von Leichen gingen die ermüdeten Pferde bis zum Rande der Prärie, wo unter Bäumen mit den Wurshammern und Speeren die Erde gelockert wurde, um ein grosses Grab zu bilden. Medizinbeutel und Waffen, ihre gesamte Kleidung begleitete hier, fern von dem befreundeten Stamme, die gefallenen Krieger in ihr letztes Bette, Jonathan legte einen Zipfel des Büffelmantels über die Augen und faltete die erstarrten Hände, dann wurde Erdscholle nach Erdscholle wieder hineingeworfen in die stille Gruft.

Kein freudiges Wort, kein Frohlocken des Siegers ertönte auf dem Wege zum Tschippewäerdorf. Alle Herzen trauerten um den Punkahhäuptling, von jedem einzelnen der Männer wurde er schmerzlich vermisst. Armer Donnerwolke, sein Tod war ein Opferdienst, — sein Lohn ein ehrendes Andenken.

Mr. Everett brach zuerst das Schweigen. „Old Fellow,“ sagte er, „hätten wir wirklich nach Eurer Überzeugung mit den Tetons keinen Vertrag schliessen können? Würden sie Euch unter allen Umständen gemordet haben?“

Der Trapper nickte. „Ganz bestimmt, Sir! — Das wusste auch der arme Donnerwolke.“

„Preist ihn doch glücklich!“ rief Hugo, „er —“

Aber die Stimme versagte ihm, er schämte sich nicht der Tränen, die über sein Gesicht herabrollten. Donnerwolke war für ihn ein Held, dessen Bild im schönen unvergänglichen Glanz vor seiner Seele stand.

Der Gelbe Wolf ritt neben ihm. „Punkahhäuptling und Schwarzfusshäuptling viel Freunde,“ sagte er treuherzig. „Ihn sehr lieben, — immer an ihn denken. Er sehr tapfer, sehr treu, er alles teilen mit Freund, er zu Gelbem Wolf flüstern: ‚Du glauben, dass Wi-ju-jon lebendig kommen aus Hand von Dakota?‘ — und als Häuptling antworten: ‚Er sterben gewiss!‘ Da er wieder sagen: ‚Friedensmann leben sollen, Donnerwolke es wollen, er springen auf Dakota. Kosten Leben oder kosten Leben nicht, das viel einerlei, Friedensmann besser wie armer Inschin. Geben Grosser Geist, dass Donnerwolke springen kann wie Vogel, — geben er es für Wi-ju-jon, für Augenblick von Gefahr. Grosser Geist haben offenen Blick durch ganze Zeit, bis an Ende, er alles wissen!‘

Und dann, als so sagen, er springen, er wahre Pantherkatze, werfen Dakota aus Sattel wie Pappuse!“

Mr. Everett nickte, in seinen Augen standen klare Tränen. „Hunderte von weissen gebildeten Männern sterben, ohne dass einer unter ihnen betrauert würde wie dieser arme wilde Indianer,“ sagte er weich. „Gott hat ihm den ewigen Frieden geschenkt!“

„Amen!“ flüsterte Hugo.

Nur Bob sprach nicht. Er dachte an seinen Vater und an die Flüche, welche ihm dereinst, wenn er begraben, noch über das letzte Bette hin nachgeschleudert werden würden! — —

Allmählich verfielen die Pferde in schnellere Gangart.

Kein Feind liess sich blicken, gegen fünf Uhr abends erschienen am Rande der Prärie die Hütten des Tschippewäerdorfes. Der Trapper ritt voraus, um bei der Schwalbe, dem Häuptling des kleinen Stammes, die gastfreundliche Aufnahme nachzusuchen.

Der Tod des gelben Wolfes

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