Читать книгу Zur Selbstprufung der Gegenwart empfohlen - Серен Кьеркегор, Soren Kierkegaard, Søren Kierkegaard - Страница 4

Eine Vorbemerkung

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Es gibt ein Wort, welches mir öfter in den Sinn gekommen ist, das Wort eines Mannes, dem ich zwar in Rücksicht auf das Christentum gewiß nichts zu verdanken habe – es war ja ein Heide – dem ich aber doch persönlich sehr viel zu verdanken glaube; eines Mannes, der auch unter Verhältnissen lebte, die, nach meinem Dafürhalten, ganz den Verhältnissen unserer Zeit entsprachen: ich meine den einfältigen Weisen des Altertums. Von ihm wird erzählt, daß, als er vor dem Volke angeklagt war, ein Redner zu ihm kam, der ihm eine sorgfältig ausgearbeitete Verteidigungsrede überreichte mit der Bitte, davon Gebrauch zu machen. Der einfältige Weise nahm und las sie. Darauf gab er sie dem Redner zurück und sagte: das ist eine hübsche und gut ausgearbeitete Rede; also nicht weil die Rede verfehlt, weil sie schlecht gewesen wäre, gab er sie zurück; aber fuhr er fort, ich bin nun siebzig Jahre alt geworden, so dünkt mich, es zieme sich nicht für mich, von der Kunst eines Redners Gebrauch zu machen. Was meinte er? Er meinte erstens: mein Leben ist zu ernst, als daß ihm damit gedient sein könnte, von der Kunst eines Redners unterstützt zu werden; ich habe ein Leben daran gesetzt; auch wenn ich nicht zum Tode verurteilt werde, habe ich doch ein Leben daran gesetzt, und im Dienste des Gottes habe ich meinen Auftrag ausgerichtet: laß mich denn nun nicht im letzten Augenblick den Eindruck meiner selbst und meines Lebens mit Hilfe von Kunstrednern oder Rednerkünsten zu nichte machen. Demnächst meinte er: die Gedanken, Vorstellungen, Begriffe, die ich nun zwanzig Jahre lang, denn so lange war es, von jedem gekannt, von euren Lustspieldichtern lächerlich gemacht, für einen Sonderling angesehen, von »Namenlosen« angegriffen, in der Unterredung mit dem ersten besten auf dem Markte entwickelt habe – diese Gedanken sind mein Leben, haben mich früh und spät beschäftigt; haben sie niemand anders beschäftigt, mich haben sie unendlich beschäftigt; und wenn ich, was eure besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, mitunter einen ganzen Tag habe stehen und vor mich hinstarren können, so waren es diese Gedanken, die mich beschäftigten: so denke ich denn auch, daß ich ohne Hilfe von Kunstrednern und Rednerkünsten, falls ich überhaupt am Gerichtstage etwas zu sagen gedenke, ein paar Worte werde sprechen können; denn der Umstand, daß ich mutmaßlich zum Tode verurteilt werde, thut nichts zur Sache; was ich sage, wird natürlich dasselbe sein und über dasselbe und auf dieselbe Weise werde ich reden, wie bisher, und so wie ich eben gestern mit einem Gerber auf dem Markte sprach; die paar Worte denke ich wohl ohne Vorbereitung oder den Beistand anderer sprechen zu können. Es versteht sich, daß ich nicht ganz unvorbereitet bin; ich habe mich zwanzig Jahre lang vorbereitet, und ganz ohne Beistand bin ich auch nicht, da ich auf den Beistand des Gottes rechne. Aber, wie gesagt, die paar Worte … ja, ich läugne nicht, es kann auch weitläufiger werden; wenn ich noch zwanzig Jahre zu leben hätte, würde ich fortfahren können, über dasselbe zu reden, worüber ich beständig geredet habe; aber Kunstredner und Rednerkünste sind nichts für mich. – O Du Ernster! Verkannt mußtest Du den Giftbecher leeren! Du wurdest nicht verstanden. So starbst Du denn. Mehr als zweitausend Jahre bist Du bewundert worden; »aber ob ich wohl verstanden bin?« es ist wahr!

Und nun predigen! Sollte das nicht auch so ernst sein! Wer predigen will, soll in den christlichen Gedanken und Vorstellungen leben, sie sollen sein tägliches Leben sein – wenn dem so ist, so wirst Du, nach der Meinung des Christentums, Beredsamkeit genug haben, und gerade die Beredsamkeit, die erfordert wird, um frischweg und ohne besondere Vorbereitung zu reden. Unwahre Beredsamkeit ist es dagegen, wenn jemand, ohne sich im übrigen mit diesen Gedanken zu beschäftigen, ohne darin zu leben, sich mitunter einmal erst hinsetzt und mühsam solche Gedanken, vielleicht auf dem Felde der Litteratur, sammelt, und sie darauf zu einer wohl durchdachten Rede verarbeitet, die dann vortrefflich auswendig gelernt und vortrefflich gehalten wird, sowohl hinsichtlich der Stimme und des Vortrags, als hinsichtlich der Armbewegungen. Nein, wie man in gut eingerichteten Häusern nicht die Treppen hinunterzusteigen braucht, um Wasser zu holen, sondern es mittels Hochdrucks schon oben hat und bloß den Hahn umdreht, so ist derjenige ein echt christlicher Redner, der, weil das Christliche sein Leben ist, in jedem Augenblick die Beredsamkeit, eben die wahre Beredsamkeit, gegenwärtig, gerade bei der Hand hat; – doch folgt es natürlicherweise von selbst, daß hiermit nicht den Schwätzern der Ehrenplatz angewiesen werden soll, ob es auch noch so gewiß ist, daß sie ohne Vorbereitung schwatzen. Ferner, die Schrift sagt: Ihr sollt allerdinge nicht schwören, eure Rede sei Ja und Nein, was darüber ist, das ist vom Übel: so gibts auch eine Kunst der Beredsamkeit, die vom Übel ist, wenn sie zum Höchsten gemacht wird, da sie das Niedere ist. Denn die Predigt soll nicht entzweiend die Scheidung zwischen den Begabten und den nicht Begabten befestigen, sie soll in des Heiligen Geistes Einigkeit die Aufmerksamkeit einzig und allein darauf lenken, daß gethan werde nach dem Gesagten. Du Einfältiger – und wärest Du auch der von allen Beschränkteste – wenn Dein Leben das Wenige ausdrückt, was Du verstanden hast: Du redest mächtiger, als aller Redner Beredsamkeit! Und Du, o Weib, ob Du auch ganz verstummest in lieblichem Schweigen – wenn Dein Leben ausdrückt, was Du hörtest: Deine Beredsamkeit ist mächtiger, wahrer, überzeugender, als aller Redner Kunst!

So ist es. Aber laßt uns achtgeben, daß wir nicht zu hoch greifen; denn daraus, daß es wahr ist, folgt noch nicht, daß wir es zu thun vermögen. Und Du, mein Zuhörer, Du wirst bedenken, das das Religiöse, je höher genommen, desto strenger wird; aber daraus folgt nicht, daß Du es tragen kannst; Dir würde es vielleicht sogar zum Ärgernis und zum Verderben gereichen. Vielleicht bedarfst Du gerade diese niedere Form des Religiösen, daß eine gewisse Kunst auf die Darstellung verwandt wird, um es anziehender zu machen. Des streng Religiösen Leben ist wesentlich Handlung – und seine Darstellung ganz anders anpackend und fassend als die sorgfältiger ausgearbeitete Rede. Mein Zuhörer, bist Du dieser Meinung, so nimm dies hin und lies es zu Deiner Erbauung. Nicht wegen meiner Vollkommenheit und nicht wegen Deiner Vollkommenheit ist die Rede so ausgearbeitet, im Gegenteil, dies ist, geistlich verstanden, eine Unvollkommenheit und Schwäche. Ich bekenne, und sogar Dir, meine Schwäche; nicht wahr, da wirst Du auch, – nicht mir, nein, nein, das wird ja gar nicht einmal von Dir verlangt, – aber Dir selber und Gott die Deinige bekennen. Ach, wir, die wir uns doch Christen nennen, wir sind, christlich verstanden, so verweichlicht, so weit davon entfernt, das zu sein, was das Christentum doch von denen fordert, die sich Christen nennen wollen: der Welt abgestorben, – kaum haben wir wohl einmal eine Vorstellung von solchem Ernst; wir können noch nicht des Künstlerischen und seiner mildernden Wirkung entbehren, ihm entsagen, können nicht den wahren Eindruck der Wirklichkeit ertragen: nun, so laßt uns wenigstens aufrichtig sein und dieses bekennen. Versteht jemand vielleicht nicht gleich, was ich hier sage und meine: er sei langsam zu urteilen, er gebe Zeit, wir werden wohl näher auf die Sache kommen. Wer Du auch seiest, o habe Zutrauen, gib Dich hin; es kann ja nicht die Rede davon sein, daß ich Gewalt brauchen könnte, ich, der ohnmächtigste von allen, aber es soll auch nicht die geringste Überredung oder List oder Lockung angewandt werden, um Dich vielleicht so weit hinauszuführen, daß es Dich verdrießen möchte, Dich hingegeben zu haben (was doch gewiß eigentlich nicht der Fall sein dürfte, und, wenn Dein Glaube größer wäre, es auch nicht sein würde); glaube mir (ich sage es zu meiner eigenen Beschämung), auch ich bin nur allzu verweichlicht.

EP. ST. JAKOBI KAP. 1, V. 22-27

Seid aber Thäter des Worts, und nicht Hörer allein; damit Ihr Euch selbst betrüget. Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Thäter, der ist gleich einem Manne, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschauet: denn nachdem er sich beschauet hat, geht er von Stund an davon, und vergißt, wie er gestaltet war. Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharret, und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter, derselbe wird selig sein in seiner That. So aber sich jemand unter Euch lasset dünken, er diene Gott und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführt sein Herz, des Gottesdienst ist eitel. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der: Die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt erhalten.

Gebet

Vater im Himmel! Was ist der Mensch, daß Du sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß Du Dich seiner annimmst –und in jeder Weise, in jeder Hinsicht! Wahrlich, in nichts hast Du Dich unbezeugt gelassen; und zuletzt gabst Du ihm Dein Wort. Mehr konntest Du nicht thun; ihn zwingen, es zu benutzen, zu lesen oder zu hören, danach zu thun, das konntest Du nicht wollen. O, und doch thust Du mehr. Denn nicht bist Du wie ein Mensch; der gibt selten etwas umsonst, und gibt er etwas umsonst, so will er wenigstens keine Mühe davon haben. Dagegen Du, o Gott, Du gibst Dein Wort als eine Gabe, das thust Du, unendlich Erhabener – und wir Menschen haben nichts zum Entgelt zu geben. Und findest Du dann nur einige Willigkeit bei dem einzelnen, da bist Du gleich bereit, und bist zuerst der, der mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld sitzt und mit dem einzelnen buchstabiert, daß er das Wort recht verstehen möge; und dann bist Du demnächst der, der wieder mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld, ihn gleichsam an der Hand faßt und ihm hilft, wenn er strebt, danach zu thun – Du unser Vater im Himmel!

*

Die Zeiten sind verschieden; und, obschon es oft mit den Zeiten geht, wie mit einem Menschen: er verändert sich ganz, aber es bleibt ebenso arg mit ihm, nur in neuer Weise: so ist's doch gleichwohl wahr, daß die Zeiten verschieden sind, und verschiedene Zeiten fordern Verschiedenes.

Es gab eine Zeit, wo das Evangelium, die »Gnade«, in ein neues Gesetz verwandelt war, strenger gegen die Menschen, als das alte. Alles war peinlich, knechtisch und unlustig geworden, fast als wäre – trotz dem Gesang der Engel beim Kommen des Christentums – keine Freude mehr weder im Himmel noch auf Erden. In kleinlicher Selbstquälerei hatte man – so rächt sich das! – Gott ebenso kleinlich gemacht. Man ging ins Kloster, man blieb da – ja, es ist wahr, es war freiwillig, und doch war es Knechtschaft, denn es war nicht in Wahrheit freiwillig, man war nicht ganz einig mit sich selbst, nicht froh darüber, dort zu sein, nicht frei; doch hatte man auch nicht Freudigkeit, es sein zu lassen oder das Kloster wieder zu verlassen und frei zu werden. Alles war Werk geworden. Und wie von ungesunden Auswüchsen verdorben, von Heuchelei, eingebildeter Verdienstlichkeit, Müssiggang! Gerade darin lag der Fehler, nicht so sehr in den Werken. Denn laßt uns nicht übertreiben, nicht den Irrtum einer vergangenen Zeit zu neuem Irrtum benutzen. Nein, nehmt diese Ungesundheit und Unwahrheit weg von den Werken, und laßt uns dann nur die Werke behalten in Aufrichtigkeit, in Demut, in heilbringender Thätigkeit. So sollte es nämlich mit diesen Werken sein, wie wenn ein kriegerischer Jüngling angesichts eines gefahrvollen Unternehmens selbst freiwillig kommt und den Obersten bittet: »o darf ich da nicht auch mitgehen!« Wenn auf diese Weise ein Mensch zu Gott sagen würde, »o, darf ich nicht all meine Güter den Armen geben; nicht, daß es etwas Verdienstliches sein sollte, nein, nein, ich erkenne tief gedemütigt, daß, wenn ich einmal selig werde, ich es dann aus Gnaden werde ganz wie der Missethäter am Kreuze, aber darf ich's nicht thun, damit ich ganz für die Ausbreitung des Reiches Gottes unter meinen Mitmenschen wirken könne?« – dann, ja dann ist dies, daß ich mit Luther rede, trotz dem Teufel, den Blättern, dem geehrten Publikum, denn des Papstes Zeit ist ja jetzt vorbei, trotz aller klugen Männer und Frauen verständigen, geistlichen und weltlichen Einwendungen, dann ist dies Gott wohlgefällig. Aber so war es nicht in der Zeit, von der wir reden.

Da trat ein Mann auf, Martin Luther, von Gott gesandt und mit dem Glauben; mit dem Glauben, denn wahrlich, dazu war Glaube notwendig, oder durch Glauben setzte er den Glauben in seine Rechte ein. Sein Leben drückte die Werke aus, laßt uns das nie vergessen, aber er sagte: ein Mensch wird selig allein durch den Glauben. Die Gefahr war groß. Wie groß sie in Luthers Augen war, dafür weiß ich keinen stärkeren Ausdruck, als daß er beschloß: um Ordnung in die Sache zu bringen, muß der Apostel Jakobus zur Seite geschoben werden. Denke Dir Luthers Ehrfurcht vor einem Apostel – und dann dies wagen zu müssen, um den Glauben zu seinem Rechte zu verhelfen!

Indessen, was geschah? Es gibt beständig eine weltliche Sinnesart, die wohl den Namen eines Christen haben will, aber um so billigen Preis wie möglich Christ zu werden wünscht. Diese weltliche Sinnesart wurde aufmerksam auf Luther. Sie hörte, – aus Vorsicht hörte sie noch einmal, daß sie nicht falsch gehört haben möchte, darauf sagte sie: »vortrefflich, das ist etwas für uns; Luther sagt, es kommt allein auf den Glauben an; daß sein Leben die Werke ausdrücke, fügte er selbst nicht, und da er nun tot ist, so hat das nichts mehr zu bedeuten. Also nehmen wir sein Wort, seine Lehre – und wir sind frei von allen Werken. Es lebe Luther! wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang, der bleibt ein Narr sein lebenlang. Das ist die Bedeutung des Lebens Luthers, dieses Mannes Gottes, der das Christentum zeitgemäß reformierte.« Und ob auch nicht alle ganz so weltlich mit Luthers Wort leichtfertig umgingen – es ist in jedem Menschen eine Geneigtheit vorhanden, entweder, wenn die Werke auch bleiben sollen, ein Verdienst haben zu wollen, oder, wenn Glaube und Gnade geltend gemacht werden sollen, dann auch, so weit möglich, ganz von den Werken frei sein zu wollen. Der Mensch, diese vernünftige Kreatur Gottes, läßt sich wahrlich nicht zum besten haben, ist nicht wie ein Bauer, der zu Markt kommt, er sieht sich vor. Nein, »eins von beiden«, sagt der Mensch, »sollen's die Werke sein, wohl, dann muß ich mir auch den mir gesetzlich zukommenden Vorteil von meinen Werken ausbitten, daß sie verdienstlich sind. Soll's die Gnade sein, wohl, dann muß ich auch bitten, daß ich von den Werken frei werde, sonst ist's ja nicht Gnade. Sollen's Werke sein und gleichwohl Gnade, das ist ja Tollheit.« Ja wohl ist es Tollheit, das war das wahre Luthertum auch, es war ja Christentum. Die Forderung des Christentums ist: Dein Leben solle so angestrengt wie möglich die Werke ausdrücken; dann wird noch eins gefordert, daß Du Dich demütigst und bekennst: aber es ist gleichwohl Gnade, daß ich selig werde. Man verabscheute den Irrtum des Mittelalters: das Verdienstliche. Wenn man tiefer in die Sache hineinblickt, wird man leicht sehen, daß man eine vielleicht noch höhere Vorstellung davon hatte, daß die Werke verdienstlich seien, als das Mittelalter; aber man brachte die »Gnade« so an, daß man sich von den Werken freisprach. Wenn man dann die Werke abgeschafft hatte, konnte man doch nicht leicht in die Versuchung kommen, die Werke, die man nicht that, für etwas Verdienstliches anzusehen. Luther wollte die Werke der »Verdienstlichkeit« berauben und sie in eine andere Stellung bringen, nämlich so, daß sie für die Wahrheit des Glaubens zeugen sollten; die weltliche Sinnesart aber, die Luther aus dem Grunde verstand, nahm die Verdienstlichkeit fort – samt den Werken.

Und wo sind wir jetzt? Ich bin »ohne Gewalt«; fern sei es von mir, einen einzigen zu richten. Aber da ich doch diese Sache aufgeklärt wünsche, so will ich mich selbst vornehmen und mein Leben prüfen nach nur einer lutherischen Aussage über den Glauben: »der Glaube ist ein unruhig Ding«. Ich nehme denn an, daß Luther aus seinem Grabe aufgestanden ist; daß er schon mehrere Jahre, aber ungekannt, unter uns gelebt hat; daß er auf das Leben geachtet hat, welches von uns geführt wird, und, wie auf alle anderen, so auch auf mich aufmerksam gewesen ist. Ich nehme an, daß er nun eines Tages mich anredet und sagt: »bist Du ein Gläubiger, hast Du den Glauben?« Jeder, der mich als Schriftsteller kennt, wird wissen, daß ich doch vielleicht der wäre, der von allen am besten durch ein solches Examen kommen würde, denn ich habe ja beständig gesagt: »ich habe den Glauben nicht«, – wie ein Vogel, der angstvoll flieht vor einem Unwetter, so habe ich ausgedrückt, daß ich Unrat merke, »ich habe den Glauben nicht«. Dies könnte ich also Luther sagen, ihm sagen: nein, lieber Luther, ich bin doch so ehrerbietig zu sagen: »ich habe den Glauben nicht«. Doch das will ich nicht geltend machen, sondern, wie alle anderen sich Christen und Gläubige nennen, so will ich auch sagen: »ich bin ein Gläubiger«, denn sonst erhalte ich ja über das keine Aufklärung, was ich aufgeklärt wünsche. Also ich antworte: »ja, ich bin ein Gläubiger«. »Wie«, antwortet Luther, »davon habe ich Dir nichts angemerkt, und ich habe doch auf Dein Leben geachtet. Du weißt, der Glaube ist ein unruhig Ding. Wo hat der Glaube, von dem Du sagst, daß Du ihn habest, Dich unruhig gemacht; wo hast Du für die Wahrheit gezeugt und wo gegen die Unwahrheit; welche Opfer hast Du gebracht, was von Verfolgung erlitten für Dein Christentum; und daheim in Deinem häuslichen Leben, wo ist Deine Selbstverläugnung und Entsagung zu merken gewesen?« »Ja, aber, lieber Luther, ich kann Dir versichern, ich habe den Glauben.« »Versichern, versichern, was ist das für eine Rede? Den Glauben betreffend bedarf es keiner Versicherung, falls man ihn hat, denn der Glaube ist ein unruhig Ding, und gleich zu merken; und keine Versicherung kann helfen, falls man ihn nicht hat.« »Ja, aber glaube mir doch nur, ich kann Dir so feierlich wie möglich versichern … « »Ach halt doch ein mit dem Geschwätz, was kann Deine Versicherung nützen!« »Ja, aber wenn Du doch nur eine von meinen Schriften lesen wolltest, so würdest Du sehen, wie ich den Glauben darstellen kann; so weiß ich denn auch, ich muß ihn haben.« »Ich glaube, der Mensch ist toll! Wenn dem so ist, daß Du den Glauben darstellen kannst, so beweist das nur, daß Du ein Dichter bist, und wenn Du es gut machst, daß Du ein guter Dichter bist, aber es beweist nichts weniger, als daß Du ein Gläubiger bist. Vielleicht kannst Du auch weinen, wenn Du den Glauben darstellst; das würde dann beweisen, daß Du ein guter Schauspieler wärest; Du erinnerst Dich wohl der Geschichte von dem Schauspieler im Altertum, der in dem Grade das Gerührtsein darzustellen vermochte, daß er sogar weinte, wenn er vom Theater nach Hause kam, und mehrere Tage nachher weinte – das bewies nur, daß er ein guter Schauspieler war. Nein, mein Freund, der Glaube ist ein unruhig Ding; er ist Gesundheit, aber stärker und heftiger als das hitzigste Fieber, und wie es nicht hilft, daß ein Kranker versichert: ich habe das Fieber nicht, wenn der Arzt es am Pulse fühlt, und anderseits, daß ein Gesunder sagt: ich habe Fieber, wenn der Arzt am Pulse fühlt, daß es nicht wahr ist – ebenso, wenn man nicht den Puls des Glaubens in Deinem Leben fühlt, so hast Du den Glauben nicht. Wenn man dagegen des Glaubens Unruhe als Deines Lebens Puls vernimmt, so kann von Dir gesagt werden, Du habest den Glauben und Du »zeugest« vom Glauben. Und das heißt dann wieder im eigentlichen Sinne predigen; denn predigen heißt weder den Glauben in Büchern darstellen, noch ihn in »stillen Stunden« als Redner darstellen, – es sollte ja, wie ich in einer Predigt gesagt habe, eigentlich »nicht in der Kirche, sondern auf der Gasse gepredigt werden«, – und der Prediger soll auch nicht ein Redner sein, sondern ein Zeuge, das heißt: »der Glaube, dies unruhige Ding, soll in seinem Leben erkennbar sein«.

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