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1. Noch ein Papst-Buch?
ОглавлениеSchon vieles wurde über Papst Franziskus geschrieben und auf vielerlei Weise. Dieses Buch versucht, die Wurzeln des Papstes im Jesuitenorden und in der ignatianischen Spiritualität darzustellen. Welches ist sein geistlicher Stil, welches seine Theologie, welches seine »Weise des Vorangehens« – um sogleich dieses ignatianische Grundwort einzubringen? Wie prägen diese Elemente ihn selbst? Wie prägten sie sein jahrzehntelanges Wirken in Argentinien? Und wie strahlen sie nun auf die weltweite Kirche aus? Inwiefern können sie suchende Christinnen und Christen – einzelne und Gemeinschaften – auf ihrem Weg des Glaubens und des christlichen Engagements inspirieren?
Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, ist eine – so berichten jene, die ihm begegnen – leicht zugängliche und im guten Sinn einfache Person, aber er ist zugleich eine vielschichtige und komplexe Persönlichkeit – auch das hört man vielfach. Wer seine Texte und die Bücher über ihn studiert, empfindet Größe, aber er erfährt auch das Geheimnis seiner Persönlichkeit. Auf den schnellen Begriff lässt Papst Franziskus sich nicht bringen. Trägt gerade dieser Zug nochmals zur Faszination bei, die er auf Millionen Menschen ausübt? Papst Franziskus strahlt jedenfalls – das spüren die Millionen – nicht vor allem sich selbst aus, sondern immer etwas geheimnisvolles Anderes, oder besser: einen Anderen, der ihn erfüllt und bewegt und der aus ihm heraus spricht und wirkt und bewegt. In diesem Buch gehe ich – eher nachdenkend-fragend als urteilend-lehrhaft – dem nach, wie Papst Franziskus aus dem ignatianischen Geist geworden ist, was er ist, und was dies für uns Christen und für die Kirche bedeuten könnte. Damit schreibe ich natürlich ebenso über den Jesuitenorden und seinen Geist, in seinem Wirken in der Kirche und für die Welt. Auch dieses Buch kann nur subjektiv blicken und tasten und Eindrücke in unser Sprechen und Empfinden zu übersetzen versuchen.
Ein erster Blick dieses Buches wird darauf gehen, wie der Papst durch die Exerzitien geprägt wurde und wie er aus ihnen lebt. Dann gehen wir dem Fundament seines Selbstverständnisses nach als jemand, der sich von Gott in die Welt und insbesondere an Grenzen des Lebens gesandt weiß. Der enge Zusammenhang von Verkündigung des Glaubens und Einsatz für Gerechtigkeit ist ein Urthema jesuitischer Sendung; Papst Franziskus hat dazu ein komplexes Verhältnis, das wir in seiner Entwicklung zu ertasten versuchen. Der Papst lebt aus Beziehungen und in Gemeinschaft; ohne diese ignatianische Prägung wird man ihn – und damit unseren christlichen Glauben – nicht verstehen können. Ein Blick auf sein Verständnis und seine Praxis der Leitung führt zu einer Betrachtung über Peter Faber, jenen Jesuiten der Anfangszeit, den der Papst besonders verehrt und schätzt. Am Ende der Kapitel wollen Fragen zum persönlichen Nachdenken anregen. Zwölf prägnante Worte des Papstes, gleichsam Schlüsselworte seines Pontifikats, schließen die Überlegungen des Buches ab.
Das Jesuitische oder Ignatianische ist mehr ein modus procedendi (eine Weise des Vorangehens) als ein Inhalt, mehr ein Stil als eine Lehre. Und es will keine exklusive Sonderspiritualität einzelner oder einer auserwählten Gruppe sein, sondern es will den Kern biblisch-christlicher Existenz in eine Lebensweise übersetzen. Insofern ihm dies gelingt, hat es sein Recht, seine Attraktivität, seine Weisungskraft. In diesem Buch werde ich daher, immer wieder mit Zitaten und biographischen Bezügen des Papstes, seiner »Weise« nachzugehen versuchen, nicht um einen Kult um die Person oder um das Papstamt zu befördern – das wäre wenig ignatianisch –, sondern in der Hoffnung, dass diese Weise des Papstes einigen Leserinnen und Lesern einige geistliche Frucht bringen wird.
Bei einem Besuch in der Augsburger Kirche St. Peter am Perlachberg war Bergoglio von dem Bild »Maria Knotenlöserin« tief beeindruckt: Maria entknotet ein weißes Band, das ihr von Engeln gereicht wird. Aus Augsburg nahm er nur eine Postkarte des Bildes mit, nach seiner Bischofsweihe wurde jedoch eine Reproduktion in einer Kirche in Buenos Aires angebracht. Das Bild wurde schnell populär unter den Gläubigen und die Kirche zu einem Wallfahrtsort. Es weist auf die vielleicht innerste Berufung des Papstes hin: Gott will Verknotetes lösen, im persönlichen Leben aller Menschen, in der Kirche, in aller Welt; Maria, die vollkommene Frau, hilft ihm dabei. Die Berufung des Papstes und ebenso die aller Christen und der weltweiten Kirche ist es, in diese göttliche Dynamik des Knotenlösens einzutreten und mitzuhelfen, ein Reich Gottes ohne Knoten und Fallstricke aufzubauen.