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Оглавление1 Einführung – Phänomene und Themen der Sportpädagogik
Blickt man aus heutiger Sicht auf die Sportpädagogik als Teildisziplin der Sportwissenschaft, können ihre Grundfragen und Aufgaben in Anlehnung an Prohl (2010, S.13–15) in einem ersten Schritt folgendermaßen umrissen werden:
Die Sportpädagogik begründet ihr wissenschaftliches Tun in der philosophischen Lehre vom Menschen, der Anthropologie, deren Vorannahmen – etwa in Form von Menschenbildern – jegliche erzieherische Entscheidung beeinflussen.
Sie orientiert sich einerseits an Theorien und Themen der Erziehungswissenschaft, arbeitet andererseits aber auch mit dem Methodeninventar der Sportwissenschaft.
Sie versucht, die Sportdidaktik als Theorie des Lehrens und Lernens sowie des Sportunterrichts zu beraten.
Vor diesem Hintergrund ist zum einen eine bildungstheoretische Perspektive der Sportpädagogik in den Blick zu nehmen. Diese wird in der Regel als normativ bezeichnet und befasst sich mit der Frage, welchen spezifischen Beitrag die Bewegungskultur zur Bildung des Menschen leisten kann. Diese Perspektive war und ist untrennbar mit der geisteswissenschaftlichen Pädagogik verbunden (Grupe & Krüger, 2007, S.26; Gudjons, 2008, S.30–32; Prohl, 2010, S.17–18). Seit einigen Jahren erlebt sie im Rahmen der Diskussion um den Auftrag des Schulsports wieder eine deutliche Rennaissance (Balz, 2009; Beckers, 2001; Neuber, Golenia, Krüger & Pfitzner, 2013).
Dem ist eine erfahrungswissenschaftliche Perspektive gegenüberzustellen, die mittels sozialwissenschaftlicher Verfahren sportpädagogisch relevante Phänomene beschreiben, analysieren und möglichst auch erklären möchte. Ihr geht es um die Erhebung und Prüfung von Tatsachen der Erziehungswirklichkeit (Prohl, 2010, S.18).
Betrachtet man diese beiden generellen Perspektiven als grundlegende Positionen, lassen sich in einem weiteren Schritt und in Anlehnung an Meinberg (1981), Scherler (1992) sowie Grupe und Krüger (2007) folgende zentralen Subdisziplinen der Sportpädagogik benennen:
Eine Historische Sportpädagogik befasst sich mit der Geschichte des Gegenstands von Sportpädagogik, also insbesondere mit der Frage ihrer Entstehung, aber auch mit den erzieherischen Absichten, die mit Gymnastik, Turnen, Leibesübungen und Sport in unterschiedlichen Epochen verfolgt wurden. Beispiel hierfür ist etwa eine problemgeschichtliche Betrachtung gesellschaftlicher Interessen und politischer Strömungen im 19.Jahrhundert, die letztendlich zur Institutionalisierung von Turnen als Schulfach geführt haben und somit im Kern sportdidaktische Konzeptionen der Neuzeit durchaus beeinflussen (Hummel & Balz, 1995). Im Detail wird auf diesen Bereich der Sportpädagogik in Kapitel 2 eingegangen.
Die Systematische Sportpädagogik ist nach Scherler (1992) als Gegensatz zur historischen Perspektive zu sehen und bemisst den Erkenntnisgewinn folglich und ausschließlich an der Gegenwart. Demzufolge sind Themen wie die erkenntnis- oder handlungstheoretische Basis der Sportpädagogik, ihre wissenschaftstheoretische Diskussion und Positionierung sowie ihre methodologische Konzeption von zentralem Interesse (Scherler, 1992, S.164). Exponierte Beispiele in der Entwicklung der Sportpädagogik hierfür sind zum einen die von Kurz (1992) und Scherler (1992) geführte Diskussion, ob die Sportpädagogik eine Teildisziplin der Sportwissenschaft oder aber integrativer Kern ist, sowie die von Krüger und Grupe (1998) formulierten Thesen zum Erhalt des Begriffs „Sportpädagogik“ und gegen die Einführung eines Terminus „Bewegungspädagogik“.
Die Analyse der Sportpädagogik ist viele Jahre fast ausschließlich mit Blick auf ihre Entwicklung in Deutschland geführt worden (Grupe & Krüger, 2007; Prohl, 2010). Demgegenüber betrachtet die Vergleichende Sportpädagogik die Rolle von Bewegung, Spiel und Sport und deren Stellung in erzieherischen Kontexten in anderen Ländern oder Kulturen. Beispiele hierfür sind in jüngster Zeit verstärkt durchgeführte Analysen von Schulsportkonzepten in Europa (Onofre et al., 2012a, 2012b; Richter, 2007), die länderspezifische Leitideen schulischen Sportunterrichts heraus- und gegenüberstellen. Hierbei werden beispielsweise unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zwischen Bewegungs- (Niederlande), Gesundheits- (Finnland) und Sporterziehung (Deutschland) deutlich.
Die Anthropologische Sportpädagogik ist organisch aus der Theorie der Leibeserziehung hervorgegangen (Grupe & Krüger, 2007, S.343). Meinberg (1981, S. 11–12) sieht in ihr eine Verknüpfung von anthropologischen Ansätzen mit fachdidaktischen Modellen, um Wesenszüge des Menschen für didaktische Entwürfe aufzuarbeiten. Ein Beispiel für solche Überlegungen sind spieltheoretische Ansätze, mit deren Hilfe etwa Sutton-Smith (1978) und Grupe (1982) versucht haben, Gründe, Ursachen und Erklärungsansätze menschlichen Spielens zu beschreiben. Hierbei steht der Mensch zwar im Mittelpunkt, allerdings wäre eine anthropologische Vorgehensweise einseitig, wenn sie nur den Menschen in seiner Individualität betrachten würde. Vielmehr müssen auch kulturelle, soziale und gesellschaftliche Einflüsse auf das menschliche Handeln berücksichtigt werden. Damit wird auch der Gefahr entgangen, den Menschen nur als eine Konstante zu sehen; gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten verändern sich und ein solcher Wandel führt immer auch zu einer Veränderung des menschlichen Verhaltens; jüngstes Beispiel hierfür ist der enorme Aufschwung von E-Sport (Borggrefe, 2018; Wendeborn, Schulke & Schneider, 2018).
Die Schulsport-Pädagogik, die sich in Anlehnung an die Schulpädagogik mit Erziehung und Bildung im Schulsport befasst, steht in einem besonderen Spannungsfeld: Sie ist es, die einerseits der Fachdidaktik pädagogische Begründungen für Unterrichtsziele und -inhalte zu liefern hat (Prohl, 2010, S.16), demgegenüber aber besonders kritisch die Erkenntnisse anderer sportwissenschaftlicher Teildisziplinen berücksichtigen muss (Kurz, 1992). Eng mit ihr verbunden ist deshalb die Fachdidaktik Sport, die wiederum in engem Zusammenhang mit einer Didaktik und Methodik der Sportarten bzw. der Sportaktivitäten steht (Grupe & Krüger, 2007, S.85). Aktuelle Beispiele für schulsportpädagogische Forschungsfragen sind unter anderem, welche Rollen Bewegung, Spiel und Sport in der Ganztagesschule (Naul, 2011) oder im schulischen Innovationsprozess respektive einer Schulprogrammentwicklung spielen, ob und wie Lehrpläne von der administrativen in die Unterrichtsebene transformiert werden können (Baumberger, 2018; Kölner Sportdidaktik, 2016) und inwiefern fachdidaktische Leitideen weiterzuentwickeln sind (Balz, 2009; Serwe, 2011; Stibbe, 2004; Thiele & Schierz, 2011).
Schließlich ist die Außerschulische Sportpädagogik zu nennen, deren Aufgabe darin besteht, Fragen von Erziehung und Bildung in sportlichen Kontexten außerhalb der Schule wissenschaftlich zu beleuchten. Spielte sie lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle in der Sportpädagogik, ist sie heute mit ihren Themenfeldern der Freizeit-, Gesundheits- oder Leistungserziehung (Haag & Hummel, 2001) nicht mehr wegzudenken, zumal sie in der Zwischenzeit nicht nur für Sportlehrkräfte, sondern auch für Trainer und Übungsleiter zur Berufswissenschaft wurde (Haag & Hummel, 2001, S.8). Beispielhaft kann die außerschulische Sportpädagogik am Thema einer edukativen Sportgeragogik (Pache, 2001) erläutert werden. Hierbei geht es um die Bildung älterer Menschen mittels Bewegung unter der Zielsetzung des lebenslangen Lernens – ein Thema, dessen zunehmende Bedeutung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels erst richtig deutlich wird. Vergleichbare Überlegungen sind vor allem im Gesundheitssport, aber auch im Vereinssport wahrzunehmen.
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass die Sportpädagogik einerseits zwei grundlegende wissenschaftliche Positionen – eine bildungstheoretisch-normative und eine erfahrungswissenschaftlich-empirische – verkörpert, auf die im Rahmen der methodologischen Überlegungen und Analysen in Kapitel 3 noch näher einzugehen ist. Andererseits besteht die Sportpädagogik aus mehreren Subdisziplinen, die unterschiedliche thematische Schwerpunkte bearbeiten. Sie verdeutlichen letztendlich auch die Möglichkeit von interdisziplinärer Forschung mit Disziplinen außerhalb der Sportpädagogik sowie der Sportwissenschaft; u.a. mit der Kulturanthropologie für die vergleichende Sportpädagogik und der Wissenschaftstheorie für die systematische Sportpädagogik (Grupe & Krüger, 2007; Scherler, 1992).
Entscheidend ist bei all diesen charakteristischen Merkmalen und Phänomenen allerdings auch die bereits zu Beginn angedeutete Überlegung, dass sportpädagogische Forschung und Lehre immer auch praktisches Unterrichtshandeln im Fokus hat (Grupe & Krüger, 2007, S.17). Verbunden damit ist letztendlich eine Besinnung auf berufliche Anforderungs- und Anwendungsfelder, die im Zuge einer Zunahme zentrifugaler Kräfte in der Sportwissenschaft zunehmend verloren ging. Dieser Berufsfeldbezug, der den Zusammenhalt der sportwissenschaftlichen Teildisziplinen wesentlich beeinflusste, ist in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Gerade in diesem Zusammenhang steht die Sportpädagogik in einer besonderen Verantwortung, war doch die Entstehung und Etablierung der modernen Sportwissenschaft ursächlich mit den Erfordernissen einer wissenschaftlichen Sportlehrerausbildung und damit insbesondere mit einem sportpädagogischen Ansatz verknüpft (Hummel, 2012).