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Wolken über Gut Schönwiesen

1. Kapitel

Die Flucht nach Magdeburg

Es war kurz nach Mitternacht. Die Wolken hingen tief. Schnell zogen sie dahin und verdeckten den Sternenhimmel. Ab und zu sah man, wie durch einen Schleier, das matte Mondlicht durch die wenigen aufgerissenen Wolkenlücken leuchten. Die Umrisse der mit Schnee behangenen Büsche und Bäume erschienen geisterhaft und gespenstisch.

Das Jahr 1777 war noch keine vier Wochen alt. Zwei gebückte Gestalten, die durch den frisch gefallenen Schnee stapften, sahen sich immer wieder nach allen Richtungen um. Sie hatten ihre Mantelkragen fest hochgeschlagen und ihre Mützen tief ins Gesicht gezogen. Der nun schon seit Stunden anhaltende Schneesturm peitschte ihnen die Schneekristalle wie kleine Nadeln ständig ins Gesicht. Die beiden jungen Männer waren Felix Steinbach und sein bester Freund Konrad Landauer. Sie waren auf der Flucht vor den hessischen Rekrutierungskommandos. Vom Braunschweigischen Wolfenbüttel bis hierher an den Grenzort Schöningen hatten sie es schon geschafft. Die Flucht vom Braunschweigischen über die Grenze nach Preußen mussten sie unbedingt noch in dieser Nacht schaffen. Vor ihnen in etwa 200 Meter Entfernung sahen sie die Straße, die von Schöningen aus zur Grenzstation führte. Von weitem kam Pferdegetrappel immer näher.

Das Schnaufen der heran galoppierenden Pferde war nun deutlich zu hören. Schnell ließen sich Felix und Konrad hinter einem umgestürzten großen Baum auf den Schneeboden fallen. Das reichlich vorhandene Buschwerk machte ihre Deckung perfekt. Eine Gruppe Reiter jagte im Galopp auf der Straße an ihnen vorbei. Die Nüstern der gehetzten Pferde stießen dampfenden Atem aus. An den Uniformen erkannten die beiden, dass es Husaren eines Braunschweiger Reiterregiments waren. Felix und Konrad hüllten sich in ihre Decken. Vor einigen Stunden hatten sie noch Rast in einer Gastwirtschaft gemacht. Als sie schnell verschwinden mussten, steckte ihnen die Wirtin die Decken noch rasch zu. Da sich bei diesem Wetter kein Gespann zum Grenzübergang wagte, mussten sie unbedingt bis zum Anbruch des Morgens hier im Dickicht in Deckung bleiben. Der starke Ostwind begann nun endlich etwas nachzulassen. Vom Grenzübergang her hörte man erneut das Getrappel von Pferdehufen. Es war die Gruppe Reiter, die wieder nach Braunschweig zurück ritt. Auf drei Pferden war je ein Gefangener hinter den Husaren fest angebunden. Felix und Konrad konnten einige der Worte, die ein Husar dem anderen zuschrie, verstehen. „Nur wegen diesem Gesindel von Strauchdieben und Deserteuren müssen wir bei diesem verdammten Mistwetter uns die Nacht um die Ohren schlagen. Sollen sich doch die Hessen um ihre Bastarde kümmern.“

Nun entfernte sich der Trupp und das Pferdegetrappel wurde immer leiser bis es ganz verstummte. Die Reiter verschwanden in der dunklen stürmischen Nacht so schnell, wie sie gekommen waren. Fest in ihre Decken gehüllt versuchten die beiden Gefährten noch etwas Schlaf zu finden.

Der Tag löste gerade die Nacht ab, als sich die ersten Fuhrwerke von und zum Grenzübergang bewegten. Noch etwas benommen und leicht fröstelnd schauten Felix und Konrad in Richtung Straße. Vom Grenzübergang her kommend, fuhren zwei Pritschenwagen an ihnen vorbei. Endlich kam ein Pferdegespann aus Richtung Schöningen, das zum Grenzübergang wollte, in Sicht. Der vollbeladene Planwagen wurde von zwei kräftigen Pferden gezogen. Das Gespann kam immer näher. Der Gespannführer, ein großer kräftiger Mann, lief neben den Pferden her und trieb sie mit knallender Peitsche und lauten Kutscherrufen an.

Felix flüsterte Konrad zu: „Wir müssen es jetzt versuchen.“ Mit leiser Stimme sprach er weiter. „Wir müssen es wagen, sonst verpassen wir womöglich unsere einzige Gelegenheit über die Grenze nach Preußen zu gelangen.“ Eilig wickelten sie ihre Decken zusammen, klemmten sie sich unter den Arm und liefen zur Straße. Der Gespannführer hatte angehalten. Er band die Zügel der Pferde um die Armlehne des Kutscherbocks und lief um den Planwagen herum. Am rechten Hinterrad hatte sich ein Ast in den Radspeichen verfangen, sodass es nur noch auf der Straße schleifte. Als er gerade den Ast aus dem Rad herausgezogen hatte, standen Felix und Konrad neben ihm.

„Einen schönen guten Morgen wünsche ich ihnen“, rief Felix dem Fuhrmann zu. Der Angesprochene schaute die beiden etwas mürrisch an, er hatte sie schon auf sich zu kommen sehen. „Entschuldigen Sie bitte“, sprach Felix freundlich weiter. „Könnten sie uns über die Grenze ins Magdeburgische mitnehmen?“ „Aha, also nach Preußen wollt ihr. Ihr wollt euch doch nicht etwa vorm Militärdienst im Hessischen drücken?“

„Wieso vermuten Sie, dass wir so etwas vorhätten?“

„Eure Sprache verrät mir, dass ihr Hessen seid“ sprach der Fuhrmann weiter und schaute dabei Felix besonders argwöhnisch an.

„Na ja, zum Militär wollen wir schon, aber erst müssen wir zu meinem Onkel nach Magdeburg.“

„So so, zu eurem Onkel nach Magdeburg wollt ihr also. Dann könnt ihr mir bestimmt auch sagen, wie er heißt.“ Felix überlegte einen kurzen Augenblick.

„Max Vogelsang ist mein Onkel.“

„Aha, zu dem Max Vogelsang wollt ihr also. Den kenne ich sehr gut, mit dem Max habe ich schon so manches Geschäft getätigt. Dann kennst du ja bestimmt auch die Kinder von Max.“

„Ja, das sind Anton und Jutta, und die Frau von Max ist meine Tante Hedwig Vogelsang“, platzte es aus Felix heraus.

„Schon gut“, meinte der Fuhrmann und ein Lächeln huschte ihm über sein schon in die Jahre gekommenes Gesicht. Der breitschultrige Mann reichte dem schmächtigen Felix die Hand. „Ich bin der Karl Ostebrücken, für meine Freunde auch einfach Karlo. So, und ab jetzt hört ihr auf mein Kommando.“

„Du“, sagte er und zeigte auf Konrad, „bist ab heute mein Sohn und du Felix, der Sohn vom Max aus Magdeburg. Bis zur Grenze setzt du dich auf den Kutschbock und wir zwei laufen nebenher.“ Geschwind kletterte Felix auf den Kutschbock, wickelte die Zügel los und ließ sie auf dem Rücken der Pferde zweimal aufschlagen. Das sah so gekonnt aus, als hätte er schon so manches Fuhrwerk gelenkt. Mit Anschieben und Peitschenknall setzte sich die Fuhre wieder in Bewegung.

Schon von weitem konnte man den Grenzübergang vom Braunschweigischen ins Preußische sehen. Als sie ankamen, stand nur ein Planwagen, der an der Kreuzung aus Richtung Helmstedt gekommen war, vor dem noch geschlossenen Schlagbaum. Die Soldaten mit übergehängten Gewehren kontrollierten sehr gewissenhaft die unter der Plane verstauten Säcke und Kisten des vor ihnen stehenden Fuhrwerks. Der Offizier, der neben dem Grenzhaus stand, beäugte misstrauisch nach der Kontrolle der Begleitpapiere jede Bewegung des Fuhrmanns. Nach einer Weile rief ein Soldat: „Nichts gefunden, alles in Ordnung!“

Daraufhin gab der Offizier den Befehl, den rot- weiß gestrichenen Schlagbaum zu öffnen. Der Schlagbaum ging hoch und das Gespann wurde durchgelassen. Als sich der Schlagbaum wieder senkte, winkte der Offizier das nächste Fuhrwerk heran. Als der Offizier den Fuhrmann erkannte, meinte er: „Na Karlo, was schmuggelst du denn heute wieder über die Grenze?“

„Nur die besten Waren von deinem Dienstherren Herzog Carl I. an den König von Preußen“ erwiderte Karl schlagfertig.

Der Offizier ließ sich die Begleitpapiere zeigen und schaute diese prüfend durch. Als er von den Papieren aufsah, fragte er in forschem Ton: „Wer sind die beiden Burschen da?“ Dabei machte er eine kurze Kopfbewegung in Richtung der beiden jungen Männer, die sich vor innerer Aufregung und auch Angst kaum zu rühren wagten. Karlo drehte sich gemächlich um und zeigte zuerst auf den jungen Mann auf dem Kutschbock.

„Der da ist Felix, der Sohn von Max Vogelsang aus Magdeburg, und der da ist Konrad, mein Jüngster. Er soll bald mein Fuhrgeschäft übernehmen.“

„Komm da oben runter!“ rief der Offizier und blickte Felix scharf an. Dann befahl er zwei seiner Soldaten, den jungen Mann umgehend in das Wachzimmer der Grenzstation zu bringen. Oh je, das ist kein gutes Zeichen, ging es Karlo durch den Kopf, denn wen die Soldaten erst einmal in der Mangel hatten, den ließen sie auch nicht so schnell wieder laufen. Der Offizier war noch voll im Rausch vom Erfolg des gestrigen Tages, an dem die Grenzsoldaten drei Deserteure festnehmen konnten. Karlo musste sich sofort etwas einfallen lassen. Schnellen Schrittes wollte er am Offizier vorbei zum Kutschbock. Der aber stellte sich Karlo in den Weg und herrschte ihn an. Barsch wiederholte er:

„Der da oben soll sofort runter kommen!“ Felix fuhr der Schreck durch alle Glieder. Jetzt haben sie mich erwischt, dachte er. Seine Gesichtsfarbe wurde noch blasser als sie schon war. Mit zittrigen Fingern wickelte er die Zügel an die Lehne des Kutschbocks. Felix wollte gerade vom Kutschbock heruntersteigen, als ein schmetterndes, sich wiederholendes Trompetensignal hinter ihnen ertönte. Das Trompetensignal wurde immer lauter und furchteinflößender. Eine Kutsche näherte sich aus Richtung Schöningen in schnellem Tempo der Grenzstation. Mit hektischen Kommandos an seine Soldaten befahl der Offizier, sofort den Schlagbaum zu öffnen.

Karlo, der mit seinem Gespann vor dem Schlagbaum die Straße blockierte, wurde vom aufgeregt herumlaufenden Offizier aufgefordert, schleunigst durchzufahren und sofort danach mit seinem Gespann die Straße freizumachen. Karlo nutzte die günstige Situation und stieg schnell zu Felix auf den Kutschbock. Oben drückte er Felix kräftig auf die rechte Hälfte der Kutschbank. In Windeseile wickelte er die Zügel ab, nach derben Zügelschlägen und lautem Peitschenknallen zogen die Pferde mit einem kräftigen Ruck an. Konrad begriff sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Er lehnte sich an die Seitenwand des Fuhrwerks und schob mit voller Kraft, ohne nach vorn oder hinten zu schauen. Es dauerte nur wenige Minuten und das Gespann war mit Konrad, Felix und Karlo durch den offenen Schlagbaum gefahren. Sie hatten ihr Gespann gerade noch rechtzeitig hinter der Grenze an der rechten Straßenseite zum Stehen gebracht. Eine Königlich Preußische Kutsche raste in schnellem Tempo an ihnen polternd vorbei. Wer in der prunkvollen Kutsche saß, konnte keiner der drei erkennen. Es war wie ein Wunder, dass ein fast nicht für möglich gehaltener Zufall ihnen so geholfen hatte. Karlo drückte Felix die Zügel wieder in die Hände und forderte ihn auf, sofort wieder loszufahren. Karlo sprang vom unteren Fußbrett in den Schnee und lief sogleich nach vorn zu den Pferden, wo er sie beim Zaumzeug packte. Felix ließ die Zügel auf die Rücken der beiden Pferde knallen und schon setzte sich das Gespann wieder in Bewegung. Nach wenigen Metern fuhren sie durch den vor ihnen noch geöffneten Schlagbaum der Preußisch Magdeburgischen Grafschaft. Die preußischen Grenzsoldaten ließen Karlo und seine beiden Begleiter ohne weitere Kontrollen einreisen. Karlo steckte dem preußischen Offizier noch eben eine Flasche französischen Weinbrand zu.

Als sie die Grenze etwa zwei Kilometer hinter sich gelassen hatten, sagte Karlo zu Konrad: „Jetzt können wir auf den Kutschbock klettern, es geht nur noch geradeaus.“ Die drei saßen nun nebeneinander auf dem Kutschbock und Karlo bemerkte erleichtert „Was für ein Glück, dass im richtigen Moment diese hoheitliche Kutsche durch die Grenzposten mit schneller Fahrt gejagt war. Es wäre wohl sonst das Ende eurer Flucht gewesen.“ Die Landstraße hinter der Grenze im Preußischen war weiter gut zu befahren. Die beiden Pferde zogen den Planwagen zügig und kraftvoll voran. Karlo wollte nun gern wissen, wer Felix und Konrad waren und woher sie kamen. Felix begann als erster zu erzählen:

„Ich bin der Sohn vom Goldschmiedemeister Albert Steinbach aus Kassel. Ich habe bei meinem Vater auch das Goldschmiedehandwerk erlernt.“

„Ich bin der Konrad aus Kassel, wohne aber jetzt schon viele Jahre in Goslar. Mein Vater Moritz Landauer ist Förster bei der Gräflichen Forstverwaltung in Goslar. Ich habe alles gelernt, was zur Holzgewinnung im Forst gebraucht wird. Wir beide sind die besten Freunde, die es auf der Welt gibt“, setzte Konrad seine Rede fort. „Wir kennen uns schon von Kindheit an. Unsere Familien sind befreundet, unsere Väter waren im Krieg in derselben Einheit. Felix verweilte oft als Kind und Jugendlicher bei uns Landauern im Forsthaus. Wir liebten es, zusammen in den Wäldern herumzustreichen und haben gemeinsam so manches Abenteuer erlebt.“

Es wurde für einen Moment still auf dem Kutschbock, nur das Knirschen des Schnees unter den Rädern und das Schnaufen der beiden Pferde durchdrang die Stille des frühen Tages. Jeder der drei sann so vor sich hin, bis der Fuhrmann aufblickte und mit tiefer Stimme zu erzählen begann. „Ich betreibe in Querum, nahe bei Braunschweig, ein Fuhrwerksunternehmen. Ich habe noch drei Gespanne, aber bis jetzt noch keinen, der das alles einmal übernimmt. Gustav, mein Ältester, ist bei den Soldaten und Georg hat in eine Bäckerei in Braunschweig eingeheiratet. Er ist dabei, die Bäckerei von seinem Schwiegervater zu übernehmen. Zwei meiner Töchter sind nach ihrer Heirat zu ihren Ehemännern und Schwiegereltern gezogen. Die eine nach Wolfenbüttel und die andere nach Salzgitter. Ja so ist das, wo die Liebe eben hinfällt. Die letzte Hoffnung, die ich noch habe, ist Luise, mein Sonnenschein. Einer von Euch wäre mir schon recht…“ fügte er verschmitzt lächelnd hinzu. „Also, solltet ihr mal in die Nähe von Querum kommen, dann fragt einfach nach Karlo. Dort kennt jeder jeden.“ Karlo fasste mit der Hand hinter sich und zog einen Beutel hervor. Er wickelte das Stofftuch auf, nahm das Messer, welches im Tuch mit eingebunden war, in die Hand und schnitt damit ein Brot in drei gleich große Teile. Karlo trennte auch von der Wurst drei große Stücke ab und gab Felix und Konrad je ein Teil. Die beiden hatten mächtigen Hunger, das Knurren ihrer Mägen war schon ab dem Grenzübergang zu hören. Alle drei ließen sich das Frühstück schmecken. Die Sonne schickte ihre ersten wärmenden Strahlen auf die Erde. Karlo griff erneut nach hinten und zog eine Flasche Wein aus einer Kiste. Karlo und Konrad nahmen ein, zwei kräftige Schlucke, nur Felix nippte ein wenig an der Flasche. Er wusste, dass er nicht viel Alkohol vertrug und dann noch mit fast leeren Magen, das würde ihm bestimmt nicht gut tun.

Nach einigen Stunden gemächlicher Fahrt, schwenkte Karlo mit seinem Fuhrwerk plötzlich von der Straße in einen breiten Feldweg nach rechts ab. „Wir fahren zu den Frenzels, die haben einen Bauernhof mit Wirtschaft. Ich mache bei den Frenzels immer Rast, bevor ich ins Brandenburgische weiter fahre.“

Felix und Konrad schauten Karlo fragend an. „Ins Bandenburgische, wir dachten Sie fahren nach Magdeburg?“

„Tut mir leid, dass ich euch das noch nicht gesagt habe. Aber es wird sich bei den Frenzels schon eine Lösung finden, da machen viele Fuhrleute Rast.“

Es dauerte nur eine knappe Stunde und ein großes Bauerngehöft war zu sehen. Sie fuhren durch einen riesigen zweiflügeligen runden Torbogen. Als das Gespann auf dem großen Hof anhielt, standen dort bereits zwei Pritschenwagen und ein Planwagen.

Die Pferde der Gespanne waren ausgespannt und im Pferdestall untergebracht. Die drei stiegen vom Kutschbock und Karlo übergab die Zügel einem Knecht vom Bauernhof. Gemeinsam liefen sie über den Hof, öffneten die breite Tür zur Wirtschaft, gingen hinein und blieben vor der Theke, wo die Wirtin gerade einen Krug Bier füllte, stehen. Die Wirtin schaute zu den Neuankömmlingen auf.

„He, Karlo, das ist ja eine Überraschung, schön, dass du wieder bei uns reinschaust.“ Sie strahlte dabei übers ganze Gesicht. Die Wirtin eilte mit dem vollen Krug zum Nachbartisch, stellte ihn ab und kam schnellen Schrittes zu den dreien zurückgelaufen. Sie umarmte Karlo freudig, sodass er fast etwas errötete.

„Nicht so stürmisch Paula, lass mich am Leben, was sollen denn meine zwei Begleiter von mir denken“, sagte Karlo lachend zur Wirtin.

„Nehmt Platz.“ Sie zeigte dabei auf einen Tisch am Fenster, von wo aus man auf den verschneiten, kaum geräumten Hof schauen konnte. Die Wirtin kam an den Tisch, an dem die drei Männer Platz genommen hatten. Karlo sprach zu ihr: „Wir brauchen für die Nacht eine Unterkunft und bis zum Abendbrot ein Würfelspiel.“ Die Wirtin kam mit einem Würfelspiel zurück und meinte, in zwei Stunden bringe sie das Abendbrot. Nach etwa zwei Stunden stellte Karlo den Becher, in dem die Würfel bis dahin unablässig geklappert hatten, zur Seite. Das deftige Abendessen, welches die freundlich lächelnde Wirtin auf den Tisch gestellt hatte, wurde nun genüsslich verspeist. Alle drei waren in Gedanken versunken und ließen sich das Essen schmecken.

Karlo konnte von seinem Platz aus fast den ganzen Hof überblicken. Plötzlich sah er zum Fenster hinaus. Eine Kutsche war auf dem Hof vorgefahren. Ein sehr beleibter, stattlicher Mann stieg aus der Kutsche und lief zur Eingangstür der Wirtschaft. Als der stattliche Herr hereingekommen war, stellte er sich mitten in den Raum der Wirtschaft und schaute sich erst einmal in aller Ruhe um. Als sein Blick auf Karlo fiel, kam er sofort an den Tisch der drei.

„Darf ich mich zu ihnen setzen?“ fragte er.

„Ja, bitte setzen sie sich zu uns“, antwortete Karlo freundlich. Bevor sich der vornehme Mann setzte, zog er seinen dicken Mantel mit Fellkragen aus und legte ihn über die Lehne des letzten freien Stuhles. Was für ein Bild, der schmächtige Felix und der beleibte große Mann, der sich neben ihn gesetzt hatte. „Ich bin der Schlachter Hermann Bergner aus Magdeburg.“ Die drei am Tisch stellten sich ebenfalls vor. Als Felix seinen Onkel Max erwähnte, zu dem er und Konrad wollten, horchte Herr Bergner auf.

„Zu Max Vogelsang wollt ihr, na den kenne ich gut. Wir sind so etwas wie Geschäftspartner. Ich habe drei Fleischereien in Magdeburg. Bei mir gibt es alles, was mit gutem Fleisch zu tun hat. Das sieht man ja auch an mir“, und sein schallendes Lachen durchdrang den Wirtsraum.

Karlo fragte den Schlachter Bergner, ob er Felix und Konrad mit nach Magdeburg nehmen könne.

„Na selbstverständlich nehme ich die Verwanden von Max Vogelsang mit. Ihr braucht auch kein Wegegeld zu bezahlen. Ich bin froh, wenn ich etwas Unterhaltung während der Fahrt habe.“

Nach einer Stunde verließen die vier den Wirtsraum und gingen in ihre Schlafkammern. Felix und Konrad schliefen sofort ein. Sie waren von den Strapazen der Flucht sehr erschöpft und mitgenommen. Zeitig früh am Morgen weckte eine Magd die beiden jungen Männer. Noch etwas verschlafen bemerkten sie, dass Karlo seine Schlafstelle gar nicht angerührt hatte. Na ja, sie konnten sich schon denken, wo der Fuhrmann die Nacht verbracht hatte. Die Kutsche für die Weiterfahrt nach Magdeburg war schon angespannt und stand fahrbereit auf dem Hof. Herr Bergner kam mit schnellen Schritten über den Hof und forderte die zwei zur Eile auf. „Wenn alles gut geht, sind wir am Abend vor Einbruch der Dunkelheit in Magdeburg.“

Konrad und Felix schauten sich nochmals um, aber Karlo, der Fuhrmann, war weit und breit nicht zu sehen. Etwas traurig stiegen sie in die Kutsche. Sie hätten sich gern nochmal bei Karlo bedankt und verabschiedet.

Das Wetter am Morgen war leicht bewölkt und noch etwas kühl. Die Decken, die die beiden zum Glück immer noch bei sich trugen, legten sie eilig über ihre Beine, denn sie hatten nicht so einen langen, wärmenden Mantel wie Herr Bergner. Der Fleischermeister stieg vorn auf die offene Kutsche, schlug den Mantel über seine Beine, nahm die Zügel in die Hände und gab den Pferden das Kommando zur Abfahrt.

Auf der Reise ohne Zwischenfälle wurde über Gott und die Welt geredet. Angehalten wurde nur zwei Mal zum Essen und Trinken. Der Tag war sonnig, am Himmel zeigten sich nur wenige Wolken. Was für ein Glück, kein Vergleich zu dem Mistwetter von vor drei Tagen. Schon von weitem konnte man den alles überragenden massiven Dom der Stadt sehen. Die Umrisse und die Ausdehnung von Magdeburg waren nun von ihrer Kutsche aus ebenfalls gut zu erkennen. Die Stadtwache ließ die Kutsche ohne zu kontrollieren durch die offenen Stadttore in die Stadt hinein fahren. Die Soldaten der Stadtwache kannten den Schlachter Hermann Bergner natürlich sehr gut, er war durch seine vielen Reisen bekannt. Zudem war er ein ständiges Mitglied im Bürgerrat.

An einer Straßeneinmündung hielt Herr Bergner an. „So, schaut, dort drüben das große schöne Stadthaus, da wohnt die Familie Vogelsang. Steigt hier aus. Ihr könnt auch zu jeder Zeit zu mir kommen, ich würde mich sehr freuen.“

Felix und Konrad verabschiedeten sich von Herrn Bergner und bedankten sich nochmals für alles. Sie stiegen aus, die Kutsche setzte sich in Bewegung und verschwand nach wenigen Metern hinter dem nächsten Eckhaus.

Während die beiden nun festen Schrittes auf das gezeigte Haus zuliefen, konnten sie ihre Blicke kaum von diesem bürgerlichen massiven Bauwerk lassen. Mit leichtem Herzklopfen läutete Felix an der großen Eingangstür. Es dauerte nicht lang und die Tür wurde geöffnet. Ein strammes Dienstmädchen stand an der Tür. „Sie wünschen, meine Herren?“ fragte sie bestimmt, aber freundlich.

„Wir möchten zu Herrn Vogelsang, zu meinem Onkel.“

„Treten sie ein, Herr Vogelsang speist gerade zu Abend.“

Das Dienstmädchen bat die zwei im Nebenraum Platz zu nehmen. Sie eilte in den kleinen Speisesaal und meldete ihrem Dienstherrn die Ankunft seines Neffen mitsamt seinem Freund. Max Vogelsang wischte sich mit der Serviette den Mund ab, sprang auf und lief in den Gästeraum, wo Felix und Konrad warteten. Max umarmte seinen Neffen stürmisch und konnte es vor Erstaunen gar nicht fassen, dass sein Neffe wahrhaftig vor ihm stand. Max begrüßte Konrad ebenfalls aufs Herzlichste. In der Zwischenzeit betraten auch Tante Hedwig und die beiden Geschwister Jutta und Anton den Raum. Die innigen Umarmungen setzten sich fort bis sich alle begrüßt hatten. Felix und Konrad wurden von Hedwig erst einmal in den Speiseraum gebeten.

„Ihr habt bestimmt noch nichts gegessen, ihr habt doch Hunger nach so einer langen Reise. Wenn ihr euch gestärkt habt, treffen wir uns alle im Lesezimmer der Bibliothek.“

Nachdem die beiden beim Abendessen tüchtig zugelangt hatten, begaben sie sich in das Lesezimmer. Max und Hedwig sowie Jutta und Anton hatten schon auf den bequemen Ledersesseln Platz genommen. Max zündete sich genüsslich eine Zigarre an und begann zu paffen. „Greift zu, seid nicht so schüchtern, fühlt euch hier wie zu Hause.“ Konrad ließ sich nicht lange bitten und steckte sich auch eine Zigarre an. „So, nun spannt uns nicht länger auf die Folter. Wir wollen alles ganz genau wissen. Ihr seid bestimmt nicht zufällig hier.“ Alle Vogelsangs in der Runde schauten mit neugierigen Blicken zu den beiden jungen Männern, die sie noch nicht so oft zu Besuch hatten. Felix begann zu berichten, wie es dazu gekommen war.

„Albert, mein Vater, gab mir vor einer Woche den Auftrag, den fertigen Goldschmuck nach Wolfenbüttel zu bringen. Herr Brettschneider hatte den Goldring, mit Diamanten besetzt, sowie eine goldene Halskette für seine Frau vor einiger Zeit bei uns bestellt. Seine Frau feiert in einer Woche ihren sechzigsten Geburtstag. Die Bezahlung wurde wie üblich schon bei der Bestellung erledigt. Der Einkauf der edlen Materialien konnte dadurch ohne Risiken für meinen Vater auch in diesen schwierigen Zeiten erfolgen. Solche Reisen hatte ich schon das eine und das andere Mal unternommen“, fuhr Felix fort. „Die Kundschaft ist sehr angetan von der Goldschmiedearbeit meines Vaters. Mit einem Geschäftsmann aus unserer Nachbarschaft fuhr ich in der Kutsche mit nach Wolfenbüttel. Während der holprigen Fahrt schaute ich immer wieder in die verschneite winterliche Landschaft hinaus, die an uns vorbeizog. Meine Gedanken schweiften ab und ich malte mir die buntesten Bilder aus, wie schön und aufregend mein Leben noch werden würde. Da wurde ich plötzlich durch die lauten Worte von Herrn Kunze, der neben mir mit dem Finger zum Fenster hinaus zeigte, aus meinen Träumen gerissen.“

„Schau Felix, da vorn ist Wolfenbüttel zu sehen.“ Nach kurzer Zeit hielt Herr Kunze die Kutsche an. Wir waren in einem Vorort von Wolfenbüttel an gekommen. Er musste jetzt nach links abbiegen, und erklärte mir noch den kürzesten Weg bis in die Stadt. Ich verabschiedete mich von ihm, stieg aus und lief schnurstracks auf das große Tor in der Stadtmauer zu. Den Beutel mit dem wertvollen Goldschmuck presste ich fest unter meinen Arm. Ohne weiteres ließen mich die Torwachen in die Stadt. Auf einem Platz, wo Waren aller Art angeboten wurden, herrschte ein buntes Treiben. Ich fragte eine Marktfrau, wo ich das Haus vom Herrn Brettschneider finden könnte. Die Frau, die dreimal so dick war wie ich, lachte kurz auf und zeigte dann auf das gegenüber stehende Stadthaus mit zwei kleinen Türmchen.“ „Das da mit den Türmchen?“ fragte ich.

„Ja genau, das ist das Haus von Herrn Brettschneider“ bestätigte sie meine Nachfrage. Eiligst lief ich los und schon klopfte ich an die mit Ornamenten verzierte Eingangstür. Ein Diener öffnete. Mit barscher Stimme fragte er mich, was ich wünsche.

„Ich möchte zu Herrn Brettschneider, geschäftlich.“

Nach einem kurzen Moment ließ er mich in den Vorraum eintreten. Herr Brettschneider kam die Treppe herunter und begrüßte mich freundlich. Im Herrenzimmer übergab ich ihm die Schmucksachen. Er begutachtete die wunderschön verarbeiteten Wertstücke eine Weile von allen Seiten und beurteilte sie als hervorragende Arbeiten. Er legte beide vorsichtig in ihre Etuis zurück und danach versteckte er sie in einer Schublade seines Sekretärs. Er fragte mich, wann ich wieder zurück müsste. Ich sagte ihm, dass ich noch einen Tag in Wolfenbüttel bleiben wolle. Mich interessiere die Stadt sehr, die Leute und besonders das Schloss. `Sehr gut´, sprach Herr Brettschneider und klopfte mir fast väterlich auf die Schulter. Er bot mir an, bis morgen bei ihnen zu bleiben und er würde sich darum kümmern, dass ich am nächsten Tag in der Früh nach Hause fahren könnte.

Ich schlenderte den ganzen Nachmittag, bis die Kirchturmuhren sechs Uhr läuteten, durch die belebten Gassen und Straßen von Wolfenbüttel. Beim Abendbrot bei der Familie Brettschneider erfuhr ich, dass ich mit seinem Zwillingsbruder Walter bis nach Vienenburg am nächsten Morgen mitfahren könne. Da ich sehr müde vom vielen Herumlaufen war und sehr zeitig am Morgen aufstehen musste, zog ich mich auf mein Zimmer zurück, wo ich auf dem Bett sofort tief und fest einschlief.

Nach einem herzhaften Frühstück verabschiedete ich mich von der Familie Brettschneider. Schnell stieg ich danach in die vorgefahrene Kutsche mit Kutscher ein. Der Zwillingsbruder, Walter Brettschneider, begrüßte mich freundlich und die Fahrt begann. An diesem kalten Februartag wurde es gar nicht so richtig hell. Die dicken Schneewolken am Himmel ließen keine Sonnenstrahlen hindurch. Der Wind stürmte immer schneller über die Felder und Auen. Als wir durch die Wälder fuhren, beugten sich die Bäume gefährlich zur Seite und teilweise auch über die engen Waldwege, auf denen wir unterwegs waren. Der Kutscher trieb die beiden Pferde immer wieder zu schnellerem Tempo an. Am späten Nachmittag setzte Schneetreiben ein. Es gab nur eine Hoffnung, wir mussten noch vor Einbruch der Dunkelheit die Pferdetauschstation im Hessischen erreichen. Mit Müh und Not erreichten wir die Station. Auf dem Gelände vor der Gastwirtschaft standen schon einige ausgespannte Planwagen und Kutschen. Die nicht sehr befahrenen Straßen, die von hier aus in alle vier Himmelrichtungen weiter führten, waren durch den herumwirbelnden Schnee schon fast nicht mehr zu erkennen. Der Kutscher, Herr Brettschneider und ich eilten mit hochgeschlagenen Mantelkragen zum Wirtshaus. Beim Öffnen der quietschenden, schweren Eichenholztür schlug uns der Mief aus der Kneipe entgegen. Es war ein Gemisch aus saurem Wein und Tabakrauch, das uns um die Nase wehte. Nach dem Eintreten in die große Wirtsstube waren einige Blicke auf uns Neuankömmlinge gerichtet. Beim Schein der flackernden Kerzen konnte man für den Moment gar nicht so recht erkennen, wer an den Tischen saß. Wegen des schummrigen Lichts in der Wirtschaft und den lauten Unterhaltungen der Gäste wurde mir etwas mulmig zumute. Zum Glück hatte ich ja noch die beiden kräftigen Männer, den Kutscher und Herr Brettschneider, um mich herum. Die Wirtin trat an uns heran, sie zeigte auf einen Tisch in einer Nische, an dem noch genügend Platz für uns drei war. Nachdem wir die Bestellungen abgegeben hatten, schauten wir uns erst einmal um. Der Raum war gefüllt mit Reisenden und Fuhrmannsleuten. Die Gäste mussten wohl schon einige Zeit hier drinnen sitzen. Die vernebelte, stark nach Tabak riechende Kneipenluft wollte einfach nicht durch die weit geöffnete Zwischentür, die zum zweiten Kneipenraum führte, abziehen. Nach einer Weile, die warme Suppe mit Brot war verzehrt und der Humpen Bier fast leer, wurde die Tür zur Wirtschaft aufgestoßen.

Der draußen tobende Schneesturm, wirbelte seine weißen Schneeflocken durch die geöffnete Eingangstür in die Gastwirtschaftsstube. Ein Trupp hessischer Soldaten und etwa acht Männer, in ihre Mäntel eingehüllt, traten polternd in die Wirtsstube ein. Etwas erschrocken schauten sich einige Leute nach der Truppe um, die sich offenbar nicht zu benehmen wusste. Der Korporal von den fünf hessischen Soldaten brüllte sofort los. `Wir brauchen Wein und Bier und zwar etwas plötzlich!´ Die Wirtin stellte sich mit all ihrer Größe vor den kleinen, dicken, brüllenden Korporal. `Wenn sie hier weiter so herumschreien werfe ich sie hochkant zur Tür wieder hinaus, haben sie mich verstanden?´ Dem Anführer verschlug es erst einmal die Sprache. Er konnte es kaum glauben, dass es ein Weibsbild wagte, so mit ihm zu reden. Die Wirtin schleuderte ihm gleich noch ein paar weitere Worte an den Kopf. `Sie sind nicht der erste Werber, der bei mir nichts bekommen hat. Da vorn am Tisch links neben der Eingangstür ist noch Platz für ihre Truppe,´ sagte sie ruhig und zeigte zum einzigen noch freien Tisch in der Gaststube. Verblüfft und ziemlich sprachlos ließ der Korporal die Truppe dort Platz nehmen. Im Blickwinkel hatte er die Bilder an der einen Wand gesehen, von wo es über eine Treppe zu den Gästezimmern ging. Die Bilder zeigten einen hessischen ulanen Reiteroffizier und einen Hauptmann der Garde. Er wusste sofort, wenn er hier über die Stränge schlüge, würde er bestimmt den Knast von innen sehen. Die Truppe hatte inzwischen an dem zugewiesenen Tisch Platz genommen. Die Wirtin und zwei flinke Mädchen schleppten in Krügen Bier und Wein heran. Die Soldaten soffen und fingen an Soldatenlieder zu grölen. Dieser Lärm war kaum auszuhalten, doch plötzlich, ich schaute ein zweites Mal zu dem Tisch, wo die Soldaten und die rekrutierten Männern saßen. Ich traute meinen Augen kaum. Einer der Männer war Konrad, mein bester Freund aus Kassel, der vor einigen Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern nach Goslar gezogen war. Ich stand auf und lief am Tisch der grölenden schon ziemlich betrunkenen Soldaten vorbei. Ich wollte zum Schein am Ausschank die abgebrannte Kerze unseres Tisches erneuern lassen. Konrad war wie vom Blitz getroffen als er mich endlich erkannte. Er gab mir heimlich Zeichen, dass er etwas Wichtiges mit mir zu besprechen hätte. Am Ausschank stand die Wirtin und panschte die Getränke für die Soldaten. Mit einem unguten Gefühl fragte ich die Wirtin, ob sie den bestimmten jungen Mann aus der Truppe dort am Tisch hierher holen könnte. Die Wirtin schaute mich musternd an. `Das muss ja was sehr Dringendes sein, wenn Euer Gnaden mich beauftragt, einen Rekrutierten aufzufordern mit mir an den Tresen zu gehen.´ Es dauerte nicht lange und Konrad stand neben mir. Er flüsterte mir aufgeregt ins Ohr: `Du kannst nicht nach Hause zurück, du musst abhauen ins Preußische.´ Die Wirtin, die Ohren hatte wie ein Luchs, schnappte beim Vorbeigehen nur `ins Preußische´ auf. Daraufhin hakte sie uns unter und zog uns beide mit in die Küche. `Das ist heute die beste Gelegenheit um abzuhauen´, sagte sie entschlossen und nicht gerade überrascht. Sie gab uns jeden noch eine wärmende Decke für die Nacht mit und schob uns durch das geöffnete Küchenfenster in die stürmische kalte Nacht hinaus. `Was war denn das?´ - erst als wir mit dem Dunkel der Nacht eins wurden fragten wir uns, warum uns die stämmige Wirtin geholfen hatte. Weder Konrad noch ich konnten uns diese gottesgütige Handlungsweise erklären. Es bleibt wohl auch für immer und ewig ein Geheimnis, was die Wirtin dazu bewogen hatte uns zu helfen.“

„So Felix, und jetzt erzähle ich meinen Teil der Geschichte.“ Alle schauten nun weiter wissbegierig auf Konrad.

„Hm, also, wo fange ich denn gleich an.“ Er überlegte einen Moment und begann mit seiner Erzählung. „Schon Ende des Jahres 1776 im November erhielt ich die Aufforderung, mich bei der Rekrutierungsstelle in Kassel zu melden. Ich wurde zu den hessischen Jägern einberufen. Ich sollte mich für die nächsten Wochen bereithalten bis die hessischen Soldaten mit dem Schiff von Europa nach Amerika transportiert würden. Anfang Dezember fegte ein schwerer Schneesturm durch die Wälder von Hessen und bis Wolfenbüttel hinauf. Auf den Hauptwegen, welche das Fürstentum Hessen und die Grafschaft Wolfenbüttel verbanden, waren viele Bäume entwurzelt worden und auf die Verbindungswege gestürzt. Es wurde jeder verfügbare Waldarbeiter zu Aufräumarbeiten herangezogen. So wurde auch ich von hoher Stelle aus für diese Arbeiten verpflichtet. Unsere Familie hatte vor einigen Jahren das Forsthaus nördlich von Goslar bezogen. Mein Vater hatte dort eine neue Anstellung als Revierförster bekommen. Zwei Tage vor Abreise in die Wälder um Wolfenbüttel kam Albert Steinbach, der Vater von Felix, zu uns ins Forsthaus.“

Alle vier Vogelsangs nickten wohlwollend mit den Köpfen, als sie den Namen ihres Verwandten hörten. „Er bat mich, nach kurzer Unterredung, Felix in Wolfenbüttel zu suchen um ihm mitzuteilen, unverzüglich ins Preußische nach Magdeburg zu Onkel Max zu reisen. Albert drückte mir die Hand und sagte zu mir: `Konrad, egal was du unternehmen musst, du musst Felix unbedingt finden. Wenn Felix zu den Soldaten gezwungen wird und dann nach Amerika geschickt wird, überlebt er das sicher nicht´. Ich versprach Albert alles, was in meinen Kräften stand, zu tun, um Felix zu finden. Zuerst fuhr ich mit einer Kolonne Waldarbeiter in die Nähe von Wolfenbüttel, wo das erste Lager für uns eingerichtet worden war. Die Waldarbeiter gingen nach dem ersten Arbeitstag in ihr Lager und ich schlich mich heimlich und leise in Richtung Wolfenbüttel davon. Auf dem Weg dorthin wurde der einsetzende Schneesturm von Minute zu Minute immer heftiger. An einer Weggabelung traf ich auf die Truppe Soldaten mit den Männern in ihrer Begleitung. Dem kleinen dicken Korporal war es egal, ob sich noch jemand an die Truppe anhängte oder nicht. Er kannte sich genau so wenig in dieser Gegend aus wie ich. Zum Glück war einer der jungen Männer in der Truppe, der aus dieser Gegend stammte. Er wusste genau, wo und wie weit es noch bis zu einer Wirtschaft in Richtung Wolfenbüttel war. Es dauerte noch eine Weile, bei diesem anhaltenden Schneegestöber, bis wir die Wirtschaft erreichten. Als wir in die Gaststube eintraten und am Tisch Platz nahmen, hatte ich kaum noch Hoffnung, Felix vor seiner Heimkehr zu treffen. Es muss wohl ein Wink des Schicksals gewesen sein, dass wir uns in diesen Augenblick begegneten.“

Konrad schaute in die Runde, wo die Vogelsangs gespannt seinen Erzählungen lauschten.

„Na das war ja einmal eine Geschichte voller Spannung und Gott sei Dank mit einem guten Ende. Der Felix ist ja aus dem Schneider“, sagte Max, „aber Sie, lieber Konrad, wie geht es mit Ihnen weiter?“

„Ich bin zwar ein Deserteur, aber das ist nicht so schlimm. Mein Bruder Gottfried, der nur ein Jahr jünger ist, will unbedingt als hessischer Soldat nach Amerika. Er konnte weder von Vater noch von Mutter zur Vernunft gebracht werden. Da ich jetzt ins Preußische abgehauen bin, holen sie ihn bestimmt für mich und er braucht sich nicht freiwillig zu melden.“

Max war der erste der den beiden gegenüber zu diesem mutigen Schritt seine Bewunderung mit wenigen aber treffenden Worten zum Ausdruck brachte. Mutter Hedwig, Jutta und auch Anton umarmten die beiden und wünschten ihnen eine glückliche Zeit im Hause der Vogelsangs.

Nach einer Woche kannten Felix und Konrad sich in Magdeburg schon richtig gut aus. Sie spazierten durch die winterlichen Gassen und Straßen der Stadt. Bis zur Universität von Magdeburg war es nicht mehr weit. Anton hatte Felix und Konrad eingeladen, ihn einmal auf dem Gelände der Universität zu besuchen und so beschlossen sie, das gleich in die Tat umzusetzen. Anton studierte dort Recht und Geschichte. Er begrüßte die beiden und stellte sie seinen studentischen Kameraden vor. Wie es so üblich war unter den Studierenden, wurden die beiden Hessen auf einen Umtrunk in ihre Studentenkneipe am Abend eingeladen. Nach dem Verlassen der Universität, zeigte Anton den beiden noch, wo er nach dem Studium arbeiten würde. An einer monströsen Villa mit viel Grün um das Gebäude herum blieb Anton stehen.

„So, meine Herren“, sagte Er mit stolzer Stimme. „Hier ist die Kanzlei, in der ich in drei Jahren vorhabe, mich mit Recht und Ordnung zu befassen.“

Ziemlich beeindruckt von Antons Ausführungen und Zukunftsplänen kehrten die drei Freunde nach Hause zurück. Am Abend begaben sich die drei gutgelaunt in die Studentenkneipe am Dom. In der Kneipe ging es schon hoch her. Der nicht abziehende Qualm der vielen paffenden Studenten füllte mit seinem herben beißenden Tabakgeruch den gesamten Raum. Die drei wurden sofort von den Studenten in ihre Mitte aufgenommen. Ein Umtrunk nach dem anderen wurde in die durstigen Kehlen geschüttet. Die Sauferei hatte natürlich auch einen tieferen Sinn, es wurden so für spätere Zeiten, nach dem Studium, wirtschaftliche und kameradschaftliche Verbindungen geknüpft. Noch vor Mitternacht verließen die drei schwer beladen die Kneipe und trotteten nach Hause.

Am nächsten Tag, mit noch heftig brummendem Kopf, schlenderten sie zu dritt durch Magdeburg. Es tat richtig gut, die klare und reine morgendliche Luft einzuatmen und damit die allmählich nachlassenden Kopfschmerzen zu vertreiben. Anton lief immer etwas vorneweg, er zeigte den zwei neuen Freunden die vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Der mächtige Dom war sehr beeindruckend, auch die Elbufer und noch vieles mehr. Auf dem Nachhauseweg machten die drei noch einen kleinen Umweg an der berühmten Buchdruckerei vorbei, in der Jutta auch manchmal sogar sonntags anzutreffen war. Jutta arbeitete in der Faberschen Buchdruckerei, sie interessierte sich schon als kleines Mädchen für Bücher aller Art. Ihr Verlobter Adelbert Hasselbart war bei der Magdeburgischen Zeitung tätig. Adelbert und Jutta hätten am liebsten die ganze Welt verbessern wollen, aber da gab es ja so vieles. Sie waren in ihren Gedanken und Gefühlen eins, was sie untrennbar zusammen geschweißt hatte. Der morgendliche Spaziergang hatte sich bis zur Mittagszeit hingezogen. Es war nun höchste Zeit, so schnell wie möglich zum Haus der Vogelsangs zurückzukehren.

Max, Hedwig und Jutta saßen schon am Mittagstisch, als die drei endlich eintrafen. Während des Essens erwähnte Anton, dass sie an der Buchdruckerei vorbei gekommen seien. Jutta schaute etwas verlegen zu Konrad und Felix, aber sie fragte die beiden sofort, ob sie an einem Besuch bei den Hasselbarts Interesse hätten. Die beiden nickten zustimmend, mit „Natürlich sehr gern“, bedankten sie sich für die Einladung.

Wie vereinbart nahm Jutta Felix und Konrad am Sonntagvormittag mit zu den Hasselbarts. Ihr Verlobter Adelbert war schon sehr gespannt auf die beiden Hessen. Nachdem Jutta, Felix und Konrad in das Haus der Familie Hasselbart eingetreten waren, wurden sie von Adelbert herzlich begrüßt. Adelbert führte seine Gäste in einen gemütlichen Raum, in dem eine ganze Wand mit vollen Bücherregalen ausgefüllt war. Landkarten und historische Bilder vervollständigten den Raum. Felix war begeistert von diesem Reichtum an Sammlungen aus Wissenschaft und Kunst. Für Konrad war das alles nicht so interessant, aber er tat so, aus Höflichkeit dem Gastgeber gegenüber, als würde es ihn auch interessieren. Felix konnte in den Gesprächen mit Jutta und Adelbert nun endlich auch seinem Wissen und der Begeisterung für Literatur, Musik und Wissenschaft freien Lauf lassen. Der Vormittag verging viel zu schnell. Adelbert war sehr angetan von den Gesprächen mit den beiden Hessen, besonders natürlich von Felix, der ein wahrer Freigeist zu sein schien. Adelbert lud beim Abschied beide ein, ihn wieder zu besuchen und dann etwas mehr Zeit mitzubringen. Am Sonntagabend wurde im Hause der Vogelsangs noch einmal über den Besuch bei Adelbert gesprochen und ein weiterer Besuch bei den Hasselbarts vereinbart.

Felix und Konrad wollten nun endlich nach dem Müßiggang der letzten Tage wieder einer Arbeit nachgehen. Onkel Max vereinbarte deshalb am nächsten Tag ein Treffen in der Goldschmiedewerkstatt von Herrn Winter. Am nächsten Vormittag konnte es Felix kaum erwarten, die Werkstatt von Meister Winter aufzusuchen. Schnellen Schrittes eilte er dorthin. Herr Winter nahm ihn mit in den Vorbereitungsraum neben dem Verkaufsraum, wo sie sich ungestört unterhalten konnten. Er reichte Felix nach dem Gespräch die Hand und schon am nächsten Tag durfte Felix zur Probe bei Meister Winter anfangen.

Ziemlich aufgeregt begab sich Felix am Morgen des ersten Arbeitstages zur Goldschmiedewerkstatt. Aber schon in den ersten Stunden in der Werkstatt verschwanden Anspannung und Herzklopfen. Felix war begeistert von seiner neuen Arbeitsstelle. Herr Winter war in Magdeburg ein sehr beliebter Meister seines Handwerks und seine Kundschaft reichte weit über die Stadtgrenzen hinaus sogar bis Potsdam und Berlin. Einige reiche Adlige und Bürgerliche bestellten sehr hochwertige Kostbarkeiten bei ihm.

In den vielen Kleinstaaten von Deutschland lebte die herrschende Schicht in Saus und Braus. Ihre Untertanen hingegen, die in Armut lebten, mussten für sie hart arbeiten, hohe Abgaben leisten und wenn überhaupt, dann erhielten sie für ihre Leistung nur einen Hungerlohn.

Konrad hatte sich bei den Spaziergängen durch Magdeburg auch den einen und anderen Arbeitsplatz angeschaut. In der Schmiede, die sich direkt an der Stadtmauer befand, hätte er sofort mitschaffen können.

Einen Tag bevor Konrad in der Schmiede anfangen wollte, besuchte Herr Rademann die Vogelsangs. Herr Bergner, der Besitzer der drei Fleischereien, hatte ihn beauftragt, bei den Vogelsangs vorbeizuschauen. Im Gespräch mit Max erfuhr Herr Rademann, dass Felix und Konrad in Magdeburg bleiben wollten. Herr Rademann war Fleischermeister und der Leiter einer der drei Fleischereigeschäfte von Herrn Bergner. In Magdeburg war es das größte Fleischereigeschäft mit sieben Angestellten. Das Geschäft hatte zwei große Schaufenster im unteren Bereich eines imposanten Stadthauses und befand sich in einer Nebengasse, die zum Hauptmarkt führte. Eine der Spezialitäten von Fleischermeister Rademann war Wildfleisch. Konrad wurde vom Dienstmädchen der Vogelsangs gebeten, dass er in das Lesezimmer kommen solle. In dem Gespräch mit Max und Herrn Rademann wurde vereinbart, dass Konrad am Montag früh in der Fleischerei mit der Arbeit anfangen könne.

Konrad sagte zu Max, als sie wieder alleine im Lesezimmer waren, „Das ist genau das Richtige für mich. Ich habe viel Erfahrung, wie man Wild zerlegt.“ Etwas verschmitzt grinsend fügte er noch hinzu „Und auch wie man es erlegt.“

Felix hatte seinen ersten Arbeitstag schon am Sonnabend in der Goldschmiedewerkstadt von Herrn Winter. Am Abend, als Felix von der Arbeit kam, strahlte er übers ganze Gesicht. Herr Winter war sehr zufrieden gewesen mit seinen handwerklichen Fähigkeiten.

Konrad, der am Montag seine Arbeit aufgenommen hatte, durfte schon drei Tage danach Herrn Rademann zur Jagd begleiten und konnte auch dort sein Können unter Beweis stellen.

Ein Jahr war nach der gelungenen Flucht der beiden Freunde nach Magdeburg vergangen. Der Frühling 1778 schickte seine ersten wärmenden Sonnenstrahlen über die Lande. Ein aufgeregtes Treiben erfasste die Familie Vogelsang. Eine Einladung von Otto von Lüdeburg lag seit einem Tag auf dem Sekretär im Lesezimmer. Otto von Lüdeburg lud zur Feier seines 43. Geburtstages über das Wochenende ein. Der Geburtstag war nicht der einzige Grund. Sein Sohn, Philipp von Lüdeburg, war zum Leutnant der preußischen Husaren befördert worden. Das Militärische stand bei den von Lüdeburgs schon immer an erster Stelle. Otto von Lüdeburg war in den vergangen Jahren Offizier bei der Artillerie der preußischen Armee gewesen. Er kämpfte in so manchen harten Gefechten und brachte es durch seinen Kampfesmut und seine Standhaftigkeit zu Anerkennung und Ehren. Eine besondere kameradschaftliche Verbindung hatte er zu Max Vogelsang. Sie waren gleichaltrig und kämpften fast immer in den gleichen Kriegen, die die preußische Armee führte. Es gab nur einen Unterschied. Otto war bei den Kanonieren und Max bei der preußischen Reiterei. Otto von Lüdeburg wurde von Max Vogelsang in einem der letzten Gefechte vor dem sicheren Tod bewahrt.

Die österreichischen Linien hatten die Anhöhe, auf der die Kanonen der preußischen Batterien standen, in einem verlustreichen Angriff erobert. Otto von Lüdeburg, der mit seinem Säbel einen der anrennenden österreichischen Soldaten zu Boden gestreckt hatte, wurde nun ebenfalls von zwei österreichischen Soldaten niedergeworfen. Bevor die beiden Soldaten Otto von Lüdeburg den Todesstoß versetzen konnten, preschte ein preußischer Reiterhusar heran. Der Reiterhusar ritt im vollen Galopp zwischen den beiden Österreichern hindurch und säbelte auf sie ein. Dann sprang der Husar vom Pferd, hob den bewusstlosen Offizier der Batterie auf und legte ihn auf sein Pferd. Danach sprang er auf und ritt im schnellen Galopp in einem Bogen hinter die preußischen Linien zurück.

Nach der Schlacht, die keine Seite gewonnen hatte, musste Max seine Blessuren, die er sich im weiteren Kampf zugezogen hatte, im Lazarettzelt behandeln lassen. Neben dem Lazarettzelt lagen die Schwerverwundeten auf Tragen, um abtransportiert zu werden. Als die Behandlungen von Max abgeschlossen waren, verließ er das Lazarettzelt. Sein Blick fiel auf die Verwundeten. Er erkannte einen von ihnen. Er beugte sich zu ihm nieder und drückte ihm fest die Hand. „Sie werden es schaffen“, sprach Max dem preußischen Artillerieoffizier Mut zu. Der Verwundete blickte seinem Retter dankend in die Augen. „Ich bin Otto von Lüdeburg.“

„Max Vogelsang aus Magdeburg“, stellte sich Max ebenfalls vor. Etwas zurückhaltend, da er einen Adligen gerettet hatte.

„Aus Magdeburg, da sind wir ja fast Nachbarn“, antwortete Otto mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Sie müssen mich nach meiner Genesung und dem Ende des Krieges unbedingt auf Gut Schönwiesen besuchen kommen.“

„Ja, das werde ich tun“, versprach Max. „Werden sie schnell wieder gesund, bis dahin“, verabschiedete sich Max.

Nach einem Jahr besuchte Max Otto von Lüdeburg auf Gut Schönwiesen. Die beiden verstanden sich sofort wie Brüder und ihre Freundschaft war aufrichtig und fest.

Zeitig am Morgen stiegen Max, seine Frau Hedwig, Anton, Felix und Konrad in die vorgefahrene Kutsche. Nur Jutta fuhr nicht mit, sie hatte eine Feier mit ihrem Verlobten Adelbert Hasselbart, im engsten Familienkreis. Endlich ging es nach Gut Schönwiesen zur Geburtstagfeier von Otto von Lüdeburg. Hedwig hatte ihre festliche Sonntagsgarderobe angelegt. Felix und Konrad mussten sich erst etwas Passendes aus Antons Kleiderschrank heraussuchen. Bei Konrad saßen die Sachen von Anton wie angegossen, nur bei Felix musste Hedwig ihre Schneiderkunst zeigen.

Nun saß sie Geschminkt und nach Parfüm duftend neben Felix. Gut gelaunt und frohen Mutes trafen die Vogelsangs am Gutshof von Schönwiesen ein. Die Bediensteten liefen ihnen entgegen und baten sie, in das Gutshaus einzutreten. Das Gepäck trugen sie in das Gästehaus mit seinen vielen Zimmern. Dort waren die meisten Gäste der Gesellschaft über Nacht untergebracht. Schon im Empfangsraum des Gutshauses wurde die Familie Vogelsang von Otto von Lüdeburg, seiner Frau Helene, sowie von Tochter Leonore herzlichst begrüßt.

Als Felix die Hand von Leonore zur Begrüßung sanft mit seiner Hand drückte, schaute er ihr in die Augen. Er hatte in diesen Moment ein unbeschreibliches Gefühl das bis zu sein Herz drang und ihn berührend überfiel. Er brachte für einen Augenblick kein einziges Wort heraus. Als ob ihm ein Kloß im Halse steckengeblieben wäre. Eleonore bemerkte die Unsicherheit ihres jungen Gastes und errötete leicht vor Verlegenheit.

Konrad war als nächster mit der Begrüßung von Eleonore an der Reihe und wollte seinem schüchternen Freund helfen. Er platzte einfach dazwischen. „Ich bin Konrad, der beste Freund von Felix.“ Schnell hatte er die Hand von Leonore in seine geschlossen und schüttelte diese leicht zur Begrüßung.

Max stellte seinem Freund Otto seine beiden Begleiter Felix und Konrad vor. Daraufhin meinte Otto zu Max, sein Sohn Philipp müsse auch jeden Augenblick eintreffen. Der große Saal im Rittergut füllte sich mit vielen vornehmen, umherlaufenden Gästen. Jeder, der es mochte, hatte ein Glas Wein in den Händen. Es wurde erzählt, geschaut und an den Gläsern genippt.

Auf einmal ging ein Raunen durch den Saal. Die anwesenden Familien schauten zum Eingang des Saales. Philipp, der Sohn Otto von Lüdeburgs, betrat den festlich geschmückten Raum. Ein stattlicher Mann in der Uniform eines Husarenoffiziers kam in den Saal und steuerte auf seinen Vater Otto von Lüdeburg zu. Er gratulierte ihm zum Geburtstag und überreichte ihm ein wertvolles Geschenk für seine militärische Sammlung. Nach der Begrüßung seiner Familie lief er in perfekter militärischer Haltung auf die in ihren Gesprächen innehaltenden Gäste zu. Er begrüßte schneidig einige der wichtigsten Familien.

Den Familienvätern drückte er in strammer Haltung die Hand, die Frauen und Mädchen begrüßte er höflich mit einem Handkuss. Eine Ehefrau oder Verlobte hatte Philipp nicht, aber dafür einige Liebschaften mit Damen des preußischen Adels in Potsdam und Berlin. Er war begehrt bei den weiblichen Schönheiten der höheren Gesellschaft. Philipp war ein Draufgänger nicht nur bei Kämpfen in den Schlachten, er war es auch bei den reichen, verwöhnten Damen in der besseren Gesellschaft.

Eine Gräfin in Potsdam hatte es ihm besonders angetan. Sie war nicht nur schön, sondern auch sehr reich. Philipp war aber nicht nur Herzensbrecher, sondern auch Spieler mit Leib und Seele. So manche Spielschulden wurden von den reichen Frauen beglichen. Besonders viele Spielschulden wurden von der Gräfin bezahlt. Philipp pokerte besonders riskant, bevor er wieder in den Krieg ziehen musste. Er hatte aber nicht nur Pech beim Pokern. Wenn er hohe Summen gewann, machte er auch teure Geschenke an die Damenwelt. Man könnte sagen, bei Philipp hielten sich Reichtum und Schulden immer die Waage.

Auf dem Ball zu Ehren des Geburtstages Otto von Lüdeburgs waren auch Familien zugegen, die ihre Töchter gern bei solchen Anlässen unter die Haube bringen wollten. Es gab immer viel zu tuscheln. Die neuesten Gerüchte und Skandale wurden, ob wahr oder nicht, weiter erzählt. Eine solche skandalöse Familie war die Familie von Lichtenfeld. Freiherr Oskar von Lichtenfeld war mit Frau Helmine und den beiden Söhnen Armin und Reinhard angereist.

Der Freiherr von Lichtenfeld wurde auch mit Herr Baron angesprochen. Die Anrede Baron bekamen manche Freiherren, wenn sie sehr begütert waren oder ein hohes Amt als Staatsbediensteter am Königlichen Hof inne hatten. Oskar von Lichtenfeld sowie seine Frau Helmine traten sehr vornehm, aber auch ziemlich arrogant auf. Ihre Söhne Armin und Reinhard von Lichtenfeld hatten viel von ihren Eltern vererbt bekommen. Das arrogante Benehmen anderen gegenüber hatten sie ebenfalls in ihrem Blut.

Schon in ihrer Jugend waren sie Raufbolde und empfanden keinerlei Respekt vor irgendjemandem. Wenn ihnen einer in die Quere kam, den sie nicht leiden konnten, wurde dieser so lange gedemütigt, bis er klein beigab, oder später, auf mysteriöse Weise ums Leben kam. Reinhard, der jüngere der beiden Söhne, war hinterlistig und schadenfroh. Er ließ jeden spüren, dass er das Sagen hatte. Armin, der etwas Klügere, hatte noch ein wenig Anstand. Aber wenn es bei ihm um mehr Besitz und Geld ging, war mit ihm auch nicht zu spaßen.

Die Geburtstagsfeier wurde mit dem ersten Tanz von Otto und Helene von Lüdeburg eröffnet. Die Tanzfläche füllte sich mit Paaren der angereisten Gäste. Reinhard, der Sohn des Barons, forderte Leonore auf, den ersten Tanz mit ihm zu tanzen. Er hatte schon vor Monaten versucht, sich an Leonore heran zu machen. Er liebte zwar Leonore nicht so sehr, dafür aber die Güter, die ihr Vater Otto von Lüdeburg besaß, umso mehr.

Anton und Konrad amüsierten sich mit den Töchtern des Potsdamer Kaufmannes Laubengang. Sie tanzten und lachten und waren schon zu Beginn des Abends fröhlich und vergnügt. Nur Felix stand etwas abseits und seine Blicke suchten immer wieder Leonore. Nachdem einige Zeit vergangen war kam Leonore auf Felix zugelaufen.

„Na, junger Mann, warum stehen Sie so abseits?“

Felix wurde etwas verlegen und antwortete zaghaft. „Wenn ich Sie um den nächsten Tanz bitten dürfte, wäre ich sehr glücklich.“ Ein Lächeln huschte Leonore übers Gesicht.

„Natürlich, ich würde gern mit ihnen tanzen“, sprach Leonore und zog Felix am Arm auf die Tanzfläche des Saales.

Reinhard schaute entgeistert auf das sich im Reigen der Musik drehende und wiegende Tanzpaar. Die Situation verschlimmerte sich schlagartig. Reinhard provozierte und pöbelte Felix nach dem Tanz ständig von der Seite an. Leonore, die mitbekommen hatte, dass Reinhard immer mehr zu stänkern begann, bat Felix, den Rest des Abends sich bei den Familien von Otto oder Max aufzuhalten. Konrad, der alles mitbekommen hatte und sich so viel Dreistigkeit von diesem Schnösel nicht vorstellen konnte, suchte nun nach einer Gelegenheit, Reinhard eine Abreibung zu verpassen. Gewollt ungeschickt wirkend rempelte Konrad beim Vorbeigehen Reinhard an. Der Rempler war so heftig, dass Reinhard sein Glas nicht mehr festhalten konnte und dieses zu Boden fiel. Klirrend zersprang das halbvolle Glas auf dem Boden des Saales. Reinhard drehte sich zornig um und schrie Konrad an.

„Sie Tollpatsch, was fällt ihnen ein, mich derart zu stoßen!“ Konrad entschuldigte sich höflich. „Tut mir leid mein Herr. Es war bestimmt keine Absicht meinerseits, sie anzustoßen.“

Konrad ließ Reinhard einfach stehen und gab einer Bediensteten Bescheid, dass sie das zersplitterte Glas am Boden beseitigen solle. Das Gesicht von Reinhard wurde darüber immer grimmiger, dass Konrad ihn mit einer so lapidaren Entschuldigung einfach so stehen ließ. Die umstehenden Herrschaften waren entzückt über das Auftreten von Konrad, endlich einer, der dem nicht sehr beliebten Sohn vom Herrn Baron Paroli bot.

Reinhard lief schnell zwei Schritte hinter Konrad her und forderte ihn auf, dass er wegen dieser peinlichen Situation draußen weiter mit ihm sprechen wolle. Beide liefen aus dem Saal und standen sich auf dem breiten Podest der steinernen Treppe gegenüber. Keiner von beiden zeigte sich beeindruckt vom Gegenüber. Noch völlig in Rage zog Reinhard plötzlich seinen Degen aus der Scheide und wollte Konrad damit einen Hieb versetzen. Im selben Moment trat Philipp aus der Eingangstür. Philipp hatte natürlich das Vorgefallene mit angesehen. Er stand nur etwa fünf Meter neben der großen Eingangstür des Saales und unterhielt sich gerade mit der Familie Friedrich von Kaltesleben aus Potsdam. Als Reinhard Felix aufforderte, mit ihm nach draußen zu gehen, wusste Philipp sofort, dass es zwischen den beiden eine Auseinandersetzung geben würde.

Philipp unterbrach höflich seine Unterredung mit der Familie von Kaltesleben und eilte schnellen Schrittes zum Ausgang des Saals. Er kam gerade noch zur rechten Zeit um sich Reinhard in den Weg zu stellen. „Sie nehmen sofort den Degen herunter, oder Sie bekommen einen Hieb mit meinem Säbel.“

Reinhard wusste, dass Philipp nie zum Spaß solche Worte wählte. Er steckte den Degen scheinbar ein wenig ehrfürchtig zurück in die Scheide und tat so, als würde er kehrt machen, um zurück zu den feiernden Gästen zu gehen.

Philipp versicherte Konrad noch: „Wenn es zu weiteren Auseinandersetzungen kommen sollte, ich bin für Sie immer zu sprechen.“ Dann drehte er sich um und ging zurück in den Festsaal.

Als Reinhard merkte, dass Philipp durch die Eingangstür verschwand, wandte er sich erneut an Konrad. „Wir sehen uns am Donnerstag gegen zwei Uhr nachmittags am Gestüt Wittenfurt zum Duell mit Pistolen. Zwei Sekundanten können Sie als Begleitung mitbringen.“

Konrad war so überrascht von dieser Aufforderung, dass er es kaum glauben konnte. Sein erstes Duell und dann auch noch mit einem Adligen. Konrad erwiderte sofort: „Jawohl, ich nehme die Aufforderung zum Duell an.“ Danach begaben sich beide zurück in den Saal, wo die Gäste tanzten bis in den Morgen oder sich mit anderen Spielen belustigten und vergnügten.

Reinhard, schlecht gelaunt nach dem Disput mit Konrad, hatte keine Lust mehr, länger auf dem Fest zu verweilen, schloss sich den ersten Gästen, die in seine Richtung fuhren, an und verließ die Feier. Nachdem Reinhard abgereist war, konnte Felix nun zusammen mit Leonore ungestört die letzten Stunden des Festes verbringen. Keiner der noch Anwesenden störte mehr ihre Gemeinsamkeit.

Beim Abschied sahen sie sich schon ein wenig verliebt an und Felix strich Leonore sanft über ihr schulterlanges Haar. Er flüsterte Leonore noch ins Ohr, er wünsche ihr eine gute Nacht. Als auch die letzten Gäste den Saal verlassen hatten, fielen alle in ihre Betten und schliefen tief und fest bis zum nächsten Mittag.

Nach dem Aufstehen nahmen die Gäste noch einen kleinen Imbiss und verabschiedeten sich von den von Lüdeburgs. Familie Vogelsang und die Gastgeber umarmten sich herzlichst und wünschten sich gegenseitig ein baldiges Wiedersehen. Felix und Leonore nahmen sich beim Abschied in die Arme und vereinbarten ein Wiedersehen in nicht allzu ferner Zeit. Konrad kam als Letzter aus dem Gästehaus, verabschiedete sich ebenfalls höflich von den von Lüdeburgs und stieg rasch in die Kutsche der Familie Vogelsang ein. Beim Hinausfahren aus dem Anwesen winkten alle noch einmal zu den von Lüdeburgs zurück.

Während der vierstündigen Rückfahrt musste Konrad immer nur an sein bevorstehendes Duell mit Reinhard denken. Wie gut konnte der Sohn vom Herrn Baron mit der Duellpistole umgehen? Wie würde es wohl ausgehen? Angst hatte Konrad vor dem Duell mit Reinhard nicht, er hatte schon so manchen Schuss aus einer Pistole abgefeuert. Konrad konnte es kaum erwarten, Felix und Anton von seinem Duell mit dem Sohn vom Herrn Baron zu berichten, er musste sie unbedingt einweihen.

Gegen Abend hielt die Kutsche vor dem Stadthaus der Familie Vogelsang in Magdeburg an. Max und Hedwig waren schon im Eingang des Hauses verschwunden. Konrad hatte Felix und Anton an den Armen festgehalten und die beiden sacht zur Seite hinter den Hausgiebel gezogen. Fragend sahen Felix und Anton Konrad an.

„Was ist los?“, fragte Anton überrascht.

„Ich habe euch etwas sehr Wichtiges zu sagen. Das müsst ihr aber unbedingt für euch behalten. Ich duelliere mich am Donnerstag zwei Uhr mit Reinhard von Lichtenfeld. Das Duell findet am Gestüt Wittenfurt statt.“

„Was, du willst dich duellieren und dann ausgerechnet mit diesem ungehobelten Klotz von Lichtenfeld?“.

„Sei es wie es sei“, sprach Konrad entschlossen weiter. „Ich brauche euch als Sekundanten. Seid Ihr dabei?“.

„Natürlich sind wir dabei“, antworteten beide gleichzeitig. „Aber?“

„Nichts aber, das Duell will ich, auch wenn es mein erstes oder letztes ist. Also abgemacht, am Donnerstag fahren wir zum Gestüt des Besitzes der von Lichtenfelds.“

Nach dem Abendbrot gingen alle etwas zeitiger schlafen, es war doch eine kurze Nacht bei den von Lüdeburgs gewesen. Alle schliefen bald ein, nur Felix musste mit Konrad noch eine Weile flüsternd diskutieren. Felix konnte es gar nicht so richtig fassen, dass Konrad das alles eigentlich für ihn auf sich genommen hatte. Konrad war davon ausgegangen, dass es höchstens zu einer kleinen Rauferei kommen werde. Dass es aber auf ein Duell mit Pistole hinaus laufen würde, hätte er nie für möglich gehalten. Der Donnerstag war schneller da, als die drei es wahr haben wollten.

Die aufgehende Sonne schickte ihre ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster des Stadthauses. Anton, Felix und Konrad gingen wie immer früh aus dem Haus. Anton hatte eine Kutsche vom Fleischermeister Rademann ausgeborgt. Die Familienkutsche konnte er ja schlecht vorfahren lassen, das wäre ja viel zu auffällig gewesen. Das Duell musste unbedingt geheim gehalten werden. Max und Helene hätten es niemals zugelassen, dass sich Konrad mit einem der von Lichtenfelds duelliert.

Mit der Kutsche des Fleischermeisters fuhren Konrad, Anton und Felix in Richtung Gestüt Wittenfurt davon. Die Kirchturmuhr vom nahegelegenen Dorf schlug gerade zwei Uhr, als die drei auf dem vereinbarten Duellplatz am Gestüt eintrafen. Sie stiegen aus und banden die Zügel der Pferde an einem weit herunterhängenden Ast einer Eiche fest. Von weitem näherte sich eine Kutsche in schnellem Tempo. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Der Wind begann etwas stärker aufzufrischen. Die heranfahrende Kutsche hielt etwa hundert Meter vor ihnen, neben einem halb verrotteten Holzstapel, an. Der Kutscher stieg vom Kutschbock und öffnete die Tür der Kutsche. Reinhard und die zwei Sekundanten stiegen aus.

Mit arrogantem Gehabe versuchte Reinhard schon nach ein paar Schritten, die er auf Anton, Felix und Konrad zuging, seinen Gegner zu verunsichern. Die zwei Herren in ihren schwarzen Fracks setzten ihre hohen Zylinder, die sie beim Aussteigen in den Händen hielten, wieder auf. Dabei blies der Wind ziemlich stark und sie mussten ihre Hüte mit einer Hand festhalten. Auf einem freien Rasenstück, welches sich in dem parkähnlichen Gelände befand, öffnete der Sekundant die Schatulle mit den Duellpistolen.

Konrad hatte die erste Wahl, sich eine Pistole herauszunehmen. Danach nahm Reinhard die andere Duellpistole aus dem mit rotem Samt bezogenen Futteral. Beide liefen noch einige Meter in das Wiesengrundstück hinein, stellten sich Rücken an Rücken. Sie hielten die Pistolen mit dem Pistolenlauf nach oben zeigend vor die Brust. Nach einem Kommando des Sekundanten schritten die zwei Kontrahenten jeder zehn Schritte voneinander fort. Wie auf Kommando drehten sich beide um und schossen. Reinhard sank getroffen zu Boden. Gekrümmt und auf den Knien liegend, hielt er sich mit der linken Hand die rechte Schulter. Blut rann ihm durch die Finger. Konrad verspürte einen beißenden Schmerz an der linken Seite oberhalb des breiten ledernen Hosengürtels. Durch die Windböen hatte keiner der beiden seine Duellpistole ruhig in der Hand halten können. Es war bloßer Zufall, dass keiner von ihnen seine wahre Schießkunst zeigen konnte.

Reinhard wurde von seinen Begleitern untersucht um die Schwere der Verletzung zu bestimmen. Die rechte Schulter wurde entkleidet und er bekam von einem der Herren einen Verband um das Schultergelenk angelegt. Die Sekundanten stützten ihn und liefen mit ihm zur Kutsche zurück. Eiligst stiegen sie ein und im Galopp jagte die Kutsche davon.

Was für ein Glück, Konrad hatte nur einen Streifschuss an der Hüfte abbekommen. Anton wickelte ihm einen Verband um die Hüfte, sodass die Wunde aufhörte zu bluten. In langsamer Fahrt fuhren Konrad, Felix und Anton mit der Kutsche nach Magdeburg zurück. Noch während der Fahrt fühlte sich Konrad wie ein Held, der soeben einen Sieg errungen hatte. Felix und Anton waren einfach nur glücklich, dass diese Schießerei so glimpflich ausgegangen war. Zurückgekehrt zu den Vogelsangs, versammelten sich alle im Lesezimmer.

Der Arzt, der schnell von Max herbeigerufen worden war, hatte die Wunde begutachtet und schon neu verbunden. Max machte bei der aufregenden Schilderung des Duells eine nachdenkliche Miene.

„Das ist alles schön und gut, aber wenn Reinhard von Lichtenfeld schwerer getroffen wurde als du, wird er sich an dir rächen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass du, Konrad, kein Adliger bist. Wenn Reinhard das herausbekommt, wird er schwer in seiner Ehre verletzt sein. Die Lichtenfeldbrüder kennen da kein Erbarmen. Die werden solange keine Ruhe geben, bis sie dich ebenfalls zum Krüppel gemacht haben.“

Das war natürlich kein guter Ausgang des Erlebten. „Wir werden eine Lösung finden“, meinte Max und löste die Versammlung im Lesezimmer auf.

Es vergingen nur zwei Tage und die Nachricht vom Duell machte die Runde bei Verwanden und Bekannten von Max Vogelsang und bei Otto von Lüdeburg. Auch die Verletzung von Reinhard hatte sich herumgesprochen. Die Kugel hatte das Schultergelenk und eine Sehne des Arms verletzt. Reinhard würde nie wieder den rechten Arm vollständig nach oben heben können. Dass es jetzt höchste Zeit war, Konrad verschwinden zu lassen, war allen nun schlagartig klar geworden.

Ein Zwischenfall mit einer Kutsche, die von Magdeburg nach Zerbst unterwegs war, machte die Dringlichkeit, Konrad zu verstecken, noch deutlicher. Otto von Lüdeburg hatte durchsickern lassen, dass Konrad mit dem Fleischermeister Rademann zur Jagd nach Zerbst reisen würde. Daraufhin kam es zu einer merkwürdigen Begebenheit.

Es geschah an einer Wegbiegung kurz vor Zerbst. Drei maskierte Männer hielten die Kutsche an und die Insassen wurden durchsucht. Merkwürdigerweise wurde bei diesem Überfall keinem ein Haar gekrümmt. Die zwei Reisenden in der Kutsche aus Magdeburg wurden nicht einmal beraubt, sie kamen mit dem Schrecken davon. Es war augenscheinlich, die drei maskierten Männer waren von den Lichtenfeldbrüdern geschickt worden, oder sie waren sogar selbst dabei, um Konrad zu entführen.

Max und Otto waren auf Konrads Seite und fühlten sich für sein Weiterkommen mit verantwortlich. Gemeinsam überlegten sie, wie sie Konrad helfen könnten, damit er nicht ständig in Gefahr gerät durch Anschläge von Reinhard, die auch tragisch ausgehen könnten. Otto kam auf eine brauchbare Idee.

„In einer Woche schickt der preußische Stadtkommandant von Magdeburg einen Wagentross mit Waffen von Magdeburg nach Emden ab. Die Waffenlieferung ist für Amerika bestimmt, dort tobt der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, da kämpfen die Farmer und Siedler gegen die Engländer. Wie wäre es, wenn wir Konrad als Begleiter nach Amerika mitschickten?“

Das Gesicht von Max hellte sich schlagartig auf. „Das ist das beste was wir machen können“, meinte Max zu Otto. Konrad und der Rest der Familie wurden ins Lesezimmer gerufen und der Plan, Konrad nach Amerika zu schicken, war nun beschlossene Sache.

Schon einen Tag später wurde Konrad dem Waffentransportleiter Herrn von Konnewitz vorgestellt. Herr von Konnewitz musterte Konrad von oben bis unten.

„Sie müssen wissen“, sprach er zu Konrad, „dies wird kein Zuckerschlecken werden.“ Aber mit überschwänglichen Worten fuhr er fort: „Von diesen Auftrag hängen die Zukunft und die Unabhängigkeit von Amerika ab, also geben sie ihr Bestes und vor allem schweigen sie zu jedermann.“

„Jawohl, Herr von Konnewitz, ich werde alles tun, um die Aufgaben, die sie mir stellen zu erfüllen“, erwiderte Konrad mit ernster Miene.

„Das gefällt mir, junger Mann, Sie bleiben ab jetzt immer an meiner Seite. Sie können sofort mit anpacken, die ersten Planwagen müssen beladen werden. Sie übernehmen die Kontrolle der zu beladenden Wagen, dass diese nicht zu schwer für die Gespanne werden und nicht unterwegs auseinanderbrechen.“ „Sehr wohl, Herr von Konnewitz, ich werde genauestens darauf achten, dass nicht überladen wird und auch sonst alles in Ordnung geht.“ Max verabschiedete sich von Konrad und Herrn Konnewitz.

Konrad durfte vor der Abreise mit dem Waffentransport nach Amerika nochmals zurück ins Haus der Vogelsangs, um endgültig Abschied von seinen Freunden zu nehmen. Der Abschied verlief unter Tränen und Umarmungen. Besonders innig verabschiedeten sich die beiden Freunde Felix und Konrad voneinander. Felix wünschte Konrad alles Gute für die Reise und viel Glück in Amerika.

„Wenn ich in Amerika bin, schreibe ich euch. Bleibt alle gesund, ich bin schon sehr gespannt auf die Abenteuer in der Neuen Welt. Auf Wiedersehen ihr Lieben.“ Mit diesen Worten verließ Konrad das Haus der Vogelsangs, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Wolken über Gut Schönwiesen

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