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b) Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 BetrVG

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Weicht der Arbeitgeber von einem Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen (§ 113 Abs. 1 BetrVG). Erleiden Arbeitnehmer infolge einer Abweichung von einem Interessenausgleich andere wirtschaftliche Nachteile, so hat der Unternehmer nach § 113 Abs. 2 BetrVG diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen. Entsprechendes gilt nach § 113 Abs. 3 BetrVG, wenn eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchgeführt wird, ohne dass über sie ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht wurde, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.

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Ein Unternehmer setzt sich damit gegenüber seinen Arbeitnehmern nicht nur dann einem Anspruch auf Nachteilsausgleich aus, wenn er über die Regelungen des Interessenausgleichs hinaus Maßnahmen umsetzt, ohne hierfür einen zwingenden Grund zu haben, ihm also praktisch keine andere Wahl bleibt,[443] sondern auch dann, wenn er das Verfahren betreffend eine Einigung zum Abschluss eines Interessenausgleichs nicht – einschließlich des Verfahrens bzw. des „Versuchs“ einer Einigung vor der Einigungsstelle – ausschöpft.[444]

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Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG eine Sanktion für das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers, der seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht genügt hat.[445] Der Anspruch soll die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an einer unternehmerischen Maßnahme sicherstellen.[446] § 113 BetrVG ist allerdings keine bußgeldähnliche Verpflichtung mit Strafcharakter. Die Vorschrift sanktioniert ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden.[447] Die betroffenen Arbeitnehmer sollen eine gewisse Entschädigung dafür erhalten, dass eine im Gesetz vorgesehene Beteiligung unterblieben und damit eine Chance nicht genutzt worden ist, einen Interessenausgleich zu finden, der Entlassungen vermeidet oder wirtschaftliche Nachteile abmildert. Der Anspruch entsteht unabhängig von einem Verschulden des Arbeitgebers oder dem späteren Zustandekommen eines Sozialplans.[448] Der Arbeitgeber bleibt dem Anspruch selbst dann ausgesetzt, wenn die Betriebsänderung nicht sozialplanpflichtig ist.[449] Auch wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich durch einen späteren Sozialplan nicht beseitigt.[450]

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Ein mit dem Betriebsrat vereinbarter, zeitlich unbefristeter Sozialplan, der für alle künftig aus betrieblichen Gründen entlassenen Arbeitnehmer die Zahlung von Abfindungen vorsieht, entbindet den Arbeitgeber nicht von seiner Pflicht, bei später von ihm geplanten Betriebsänderungen jeweils einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu versuchen. Unterlässt er dies, so können die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Abfindungen nach § 113 Abs. 3 BetrVG in Verbindung mit § 113 Abs. 1 BetrVG verlangen.[451]

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Bei der Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs ist das Gericht nicht an die Grenzen des § 112 Abs. 5 Satz 2 BetrVG gebunden und hat die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers außer Acht zu lassen.[452] Er hängt auch nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit oder individuellen Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers ab. Seine Höhe bemisst sich bei einer Abweichung von einem Interessenausgleich hinsichtlich der Höhe einer Abfindung ausschließlich nach den Vorgaben des entsprechend anwendbaren § 10 KSchG (§ 113 Abs. 1 BetrVG).[453]

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Der Anspruch kann nicht durch eine Vereinbarung der Betriebsparteien oder der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind Ansprüche auf eine Sozialplanabfindung aber auf den gesetzlichen Nachteilsausgleich anrechenbar.[454] Die Verrechenbarkeit beider Forderungen hebt den Sanktionszweck des § 113 Abs. 3 BetrVG nicht auf. Sofern der Sozialplan hierzu Regeln vorsehen soll, sollte diese allerdings ausdrücklich festzulegen.[455]

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Voraussetzung für den Nachteilsausgleichsanspruch i.S.d. § 113 Abs. 3 BetrVG ist, dass die von der (ohne Interessenausgleich) durchgeführten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer entlassen werden, oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Maßgeblich ist, ob die Betriebsänderung für die Entlassung oder andere Nachteile kausal war. Das wird bei Eigenkündigungen dann bejaht, wenn sich durch den Arbeitgeber veranlasst waren. Aufgrund des recht weiten Verständnisses der verursachten Nachteile sollen auch solche Nachteile erfasst werden, die widersprechenden Arbeitnehmern entstehen, sofern der Betriebsteilübergang mit einer Betriebsänderung verbunden war und der Arbeitnehmer infolge des Widerspruchs gekündigt wird.[456] Der Anspruch entsteht allerdings nur, wenn die Entlassung tatsächlich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt,[457] so dass eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage dem Anspruch nach § 113 BetrVG entgegen steht.

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In Tendenzbetrieben nach § 118 BetrVG setzt ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach der Rechtsprechung des BAG voraus, dass der Unternehmer seine Informationspflichten nach § 111 Satz 1 BetrVG im Hinblick auf das Zustandekommen eines Sozialplans verletzt hat.[458] Der Unternehmer muss den Betriebsrat danach über die beschlossene Betriebsänderung jedenfalls so informieren, dass dieser schon vor deren Durchführung sachangemessene Überlegungen zum Inhalt eines künftigen Sozialplans anstellen kann. Allerdings löst ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 17 Abs. 2 KSchG zum Konsultationsverfahren nach Ansicht des BAG keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich aus.[459]

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