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Einführung: Aus den Nebelbänken in die Sonne treten

Als geistliche Architekten und kühne Strategen waren sie unterwegs. Sie veränderten die Grundfesten der Welt und starben für ihre Überzeugungen. Sie schrieben das einflussreichste und meist gedruckte Buch der gesamten Menschheitsgeschichte. Ohne sie würde es kein Neues Testament und keine Kirchen geben. Sie erschütterten die Grundfesten ihrer Zeit. Einst machten sie die frühe Kirche zu einer Mobilisierungsbewegung des Evangeliums für die ganze Welt. Sie hatten einen einzigartigen Auftraggeber mit einem einzigartigen Auftrag. Jesus nannte sie: Apostel!

Durch die Entwicklung der Kirchengeschichte hindurch scheinen sie verschwunden zu sein. Sie spielen in der kirchlichen Wirklichkeit heute keine Rolle mehr. Die Kirche wurde zur apostelfreien Zone. Wo sind sie geblieben? Braucht die Kirche sie nicht mehr? Kann es sein, dass der Kirche ihre Apostel geraubt wurden? Ist ihre Botschaft möglicherweise zu explosiv? Selbst viele Christen sind ratlos, wenn sie erklären sollen, was Apostel eigentlich sind.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie das Wort Apostel hören? Welches Bild taucht vor Ihrem inneren Auge auf? Ich sitze vor meinem Computer, gebe im Suchprogramm Apostel ein und erhalte über 5 700 000 Treffer – das englische apostle zeigt mehr als 28 100 000 Treffer an.1 Ich frage mich:

■ Was sind Apostel?

■ Wozu brauchen wir sie?

■ Sieht Gott heute noch Apostel vor?

■ Wenn ja, welche Rolle spielen sie in unserer Zeit?

■ Wie wirken sie?

■ Bin ich ein Apostel?

Vor einigen Jahren war ich bei meinen Eltern in Freiburg im Breisgau zu Besuch. Ganz Freiburg lag unter einer zähen und dichten Wolkendecke, während der Wetterbericht oberhalb von 800 Metern strahlenden Sonnenschein verkündete. Ich bin in Freiburg aufgewachsen und kenne diese Wetterlagen, und doch erstaunt es mich immer wieder, welche Wirkung dichter Nebel auf mich hat. Ich zweifle, ob auf den Bergen die Sonne wirklich strahlend, ganz ohne Wolken scheint, während ich unten im Tal keine 50 Meter weit sehen kann. Etwas ungläubig setzte ich mich ins Auto, um auf einen nahe gelegenen Berg zu fahren. Während des Fahrens beschleicht mich ein dumpfes Empfinden, die Höhe des Berges könnte nicht ausreichen, um mich aus der Nebelbank hinauszuführen. Dann wird es plötzlich heller, und auf einen Schlag bin ich wie in einer anderen Welt. Wie gut, dass ich mich auf den Weg gemacht habe, so denke ich, und genieße den weiten Ausblick und die Wärme der Sonnenstrahlen.

Bildlich gesprochen möchte ich Sie in diesem Buch auf eine Bergtour mitnehmen. Raus aus dem Nebel, der auf dem apostolischen Dienst liegt, und hinauf auf den Berg mit wärmendem Sonnenlicht und weiter Perspektive. Erfahren Sie die befreiende Wirkung des apostolischen Dienstes! Entdecken Sie Sinn, Zweck und Ziel dieses Dienstes für Ihr persönliches Leben, für die Gemeinde Jesu, für das Reich Gottes und für die Welt.

Apostolischer Dienst im Nebel

Ein evangelischer Pastor schrieb mir vor kurzem: »In unserem Kirchenkontext ist der apostolische Dienst nicht nur vernebelt, sondern regelrecht vermint.« Über dem Dienst des Apostels liegt ein nebliger Schleier, eine Art Tabu. Viele halten ihn für eine historisch begrenzte und heute nicht mehr relevante Erscheinung. Der Dienst eines Apostels ist im wahrsten Sinne des Wortes schleierhaft.

»Wenn irgendjemand in unserer heutigen Zeit den Titel ›Apostel‹ für sich beansprucht, zieht er im selben Moment den Verdacht auf sich, von unangemessenem Stolz und dem Wunsch nach eigener Anerkennung angetrieben zu sein und von einem übereifrigen Ehrgeiz und dem Wunsch nach deutlich mehr Autorität in der Gemeinde erfasst zu sein, als eine Person rechtens besitzen sollte.«2

Unter der Bezeichnung Apostel oder apostolischer Dienst hat sich in den letzten Jahrzehnten manches Skurrile gesammelt. Der über Jahrhunderte fast in Vergessenheit geratene apostolische Dienst wurde nun überhöht und seine Wiederentdeckung, beispielsweise als Schlüssel großer Erweckungen oder besonderer Autorität und Machtfülle, dargestellt.3 Es gab immer wieder den Anschein, es gehe beim Dienst des Apostels mehr um Macht und Ansehen, als um ein segensreiches Wirken für Kirche und Welt. Auch aus der frühen Kirchengeschichte haben wir Hypotheken, die uns den Blick für einen apostolischen Dienst trüben. Zum Einen wurde mancherorts zwischen der besonderen apostolischen Berufung, wie sie die zwölf von Jesus eingesetzten Apostel besaßen, und dem folgenden apostolischen Dienst des Neuen Testamentes eine scharfe Trennlinie gezogen. Dies führte zu der Ansicht, der apostolische Dienst hätte mit den zwölf Aposteln aufgehört zu existieren. Zum Anderen führte die Vorstellung einer apostolischen Sukzession (Nachfolge) zu umfangreichen Kontroversen. Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich dann noch die Lehre, dass der Dienst von Aposteln ausschließlich für das Zeitalter des Neuen Testamentes bestimmt gewesen sei. Derartige Denkweisen, Kontroversen und Lehren umhüllen den apostolischen Dienst mit zusätzlichen Nebelschwaden.

Freilich gab es in der jüngeren Kirchengeschichte immer wieder Ansätze, das apostolische Mandat neu aufzunehmen. Man denke nur an die apostolischen Gemeinschaften und Kirchen, die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Die theologische Diskussion und Auseinandersetzung wurde aufgrund des kirchengeschichtlich verdrehten Verständnisses erst in letzter Zeit aufgenommen. Die evangelischen Kirchen, Freikirchen und charismatisch-pfingstlichen Gemeinden orientierten sich eher an einem Leitungsprofil, welches sich auf das Lehramt und das seelsorgerliche Hirtenamt (Pastor) konzentrierte und allenfalls noch von Evangelisten oder auch ansatzweise von Propheten sprach. Das Apostelamt blieb auf die ersten zwölf Apostel beschränkt oder wurde höchstens noch als ein überregionaler Leitungsdienst charakterisiert. Dieses Buch durchbricht diese protestantisch gebotene Zurückhaltung und greift das Thema entschlossen auf. Hier sollen nicht Einzelfragen und detaillierte Auseinandersetzungen um kirchengeschichtliche Entwicklungen beziehungsweise Fehlentwicklungen skizziert werden, sondern Ursprung, Wesen und Wirksamkeit der apostolischen Gabe.

Dunstwolke: Wortverwirrung

Wir benötigen eine zuverlässige Grundlage, die uns vor Extremen bewahrt, diesen Dienst aus Unkenntnis heraus abzulehnen, ihn institutionell zu okkupieren oder mit einer übertriebenen Autorität zu überhöhen. Es wäre fatal, aufgrund irreführender Vorstellungen über den apostolischen Dienst, den Segen echten apostolischen Wirkens zu verleugnen oder diesen durch den Begriff Missionar zu relativieren. Apostel kann mit Gesandter oder dem lateinischen Begriff Missionar wiedergegeben werden. Dies darf aber nicht dazu führen, den Missionar mit dem Apostel gleichzusetzen. Wenn jemand als Missionar beispielsweise in ein Entwicklungsland geht, um dort Hilfsdienste zu leisten, ist das sehr wertvoll, aber nicht zwangsläufig ein apostolischer Dienst. Dies ist nicht wertend zu verstehen. Vielmehr geht es darum, unterschiedliche Dienste nicht mit der gleichen Begrifflichkeit zu benennen. Ein Missionar kann, muss aber nicht ein Apostel sein. Auch Hirten, Lehrer, Propheten oder Evangelisten sind Missionare. Jeder Christ ist ein Missionar, da jeder Christ dazu berufen ist, das Evangelium in die Welt zu tragen (Mt 28,18ff). Die katholische Kirche spricht hier von einem sogenannten Laienapostolat, was diesen allgemeinen, allen Christen geltenden Missionsauftrag, nicht aber einen biblisch apostolischen Dienst meint.4 Den Apostel als Missionar zu bezeichnen, beschreibt die Gabe des Apostels nur unzureichend und hüllt seine Gabe weiterhin in eine Dunstwolke. Es lohnt sich, hier genauer hinzusehen.

Aus den Nebelbänken treten

Einen der wichtigsten Wegweiser, der uns aus den Nebelbänken rund um den apostolischen Dienst ins Licht führt, finden wir in einer bedeutsamen Anweisung des auferstandenen Jesus an seine Gemeinde. Die Himmelfahrt Jesu markiert den Anfang seiner Herrschaft zur Rechten des Vaters. Von dieser erhobenen Position aus setzt Christus nach seiner Auferstehung zum Bau seiner Gemeinde fünf Zurüstungsgaben ein, zu welchen auch die Gabe des Apostels gehört: »Und er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer« (Eph 4,11). Wer hat gesetzt? Er, der Auferstandene! Es war Gottes Initiative und Idee. Es handelt sich hier nicht um einen pfingstlerisch-charismatischen Gedankenentwurf, sondern um die Setzung und Anweisung des Auferstandenen. Ein maßgeblicher Teil der Strategie Gottes zum Bau seiner Gemeinde und Manifestation seiner Königsherrschaft in der Welt.5

Während der Dienst des Hirten und Lehrers in der Gemeindepraxis breite Akzeptanz gefunden hat, finden wir in den meisten Gemeinden in Bezug auf die Bedeutung des apostolischen Dienstes ein lückenhaftes und geringes Verständnis vor. Der apostolische wie auch fünffältige Dienst spielt im Leben der meisten Christen und Gemeinden kaum eine Rolle. So werden Personen mit einem apostolischen Gabenspektrum als Prediger, Evangelisten, Lehrer oder Missionare bezeichnet, selten aber als Apostel. Darüber hinaus sprechen wir von einer Fülle von Positionen und Titeln, die man im Neuen Testament so nicht findet: Prälat, Dekan, Gemeindeleiter, Senior-Pastor, Kardinal, Superintendent oder Papst. Die Rolle der Apostel wurde durch andere Dienste ersetzt, die dann, aber mit apostolischen Aufgaben überfordert sind. Echte Apostel können durch nichts anderes ersetzt werden. Wo sie fehlen, fehlt nicht weniger als der genetische Code, das innere Skelett. Bei Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern ist bereits der Name Programm. Der Prophet prophezeit, der Evangelist evangelisiert, der Hirte weidet, der Lehrer lehrt. Und der Apostel? Er fällt hier aus der Reihe. Apostel ist keine Bezeichnung, die sich uns auf Anhieb schon vom Begriff her selbst erklärt. Was haben wir uns unter dem Dienst des Apostels vorzustellen?

Weckruf zur Sonne

Dieses Buch ist ein »Weckruf zur Sonne«, die von Gott überreichten Geschenke anzunehmen, auszupacken und zum Einsatz zu bringen. Wir brauchen in den Gemeinden eine neue Kultur der Leiterschaft, welche geistliches Leben ermöglicht und nicht verhindert; Menschen nicht mit unwirksamen Aktivitäten beschäftigen, sondern sie fördert, ihre von Gott gegebene Berufung zu entwickeln; Leiter, die nicht fragen: »Wie kann ich dich für meine Vision nutzen?«, sondern die fragen »Wie kann ich dir nutzen, mit dem, was Gott dir anvertraut hat?« Es ist lieblos, Menschen zu führen ohne zu wissen, was Gott ihnen anvertraut hat. Diese wichtige Art von Führung entfaltet sich im apostolischen Dienst. Wobei der Apostel nicht als der zentrale Leiter aller Dinge zu verstehen ist. Die Letztverantwortung einer Kirchengemeinde liegt beispielsweise in der Hand der jeweiligen Gemeindeleitung (Ältestenschaft). Dies schließt nicht aus, dass ein Apostel auch Teil der Gemeindeleitung oder Ältester sein kann. Wenn wir in das Neue Testament hineinschauen, sehen wir, dass Apostel zu dem ganz normalen Bestandteil eines jeden Gemeindeleitungsteams gehören.

Dieses Buch ist kein Ruf nach einem starken Mann oder einer starken Frau, der/die alles richten wird. Vielmehr geht es um das Finden, Fördern und Freisetzen von Gott geschenkter Gaben, die unter uns und auch in Ihnen schlummern. Jesus nannte seine ersten Führungskräfte Apostel. Erstaunliches ist durch sie in Gang gekommen. In diesem Buch geht es um das, was Gott uns zeitlos in außergewöhnlicher Weise für die gesunde Führung und Leitung im 21. Jahrhundert zu sagen hat. Lassen Sie ausgetretene Pfade und zeitgeistige Management-Gurus hinter sich und entdecken Sie die von Gott geschenkte Wirksamkeit des apostolischen wie auch fünffältigen Dienstes. Wenn Gott sagt: »Das braucht ihr!«, dann brauchen wir es.

Die Schwäche der Kirche steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Fehlen und der Nichtbeachtung des apostolischen Dienstes. Der apostolische wie auch der fünffältige Dienst sind vielleicht die Dienste, die in der Zukunft am meisten gefördert und beachtet werden müssen, um als Gemeinde der Zukunft leben zu können. Das Fehlen des fünffältigen Dienstes bewirkt zum Beispiel, dass in den Gemeinden meist 20% der Christen 80% der Dienste verrichten. Wer ein Haus baut, würde bei gesundem Menschenverstand niemals auf die Idee kommen, dabei auf einen planerisch fähigen Architekten zu verzichten.

»Doch in der Welt der Kirche ist das längst institutionalisierte Realität: Bauen ohne Baumeister, Hausbau ohne Architekt, Pläne ohne Strategen, evangelistische Aktionen ohne Masterminds, Grundlagenarbeit ohne Gottes Tiefbau-Spezialisten. Gottes Baumeister (1Kor 3,10), wie Paulus die Apostel nennt, werden in diesen Fragen routinemäßig ignoriert; sie spielen in den Pastoren-Treffen (der Name sagt wohl alles), Allianzen, Konferenzen und Tagungen der kirchlichen Szene so gut wie keine Rolle.«6

Mir scheint, dass manche Kirchen sehr viel »Mammut« haben – den Mut auszusterben. Christsein ist Bewegung, nicht Stillstand. Jesus hat seine Gemeinde nicht dazu berufen, Monument zu sein, sondern ein lebendiges Movement, durch das er sichtbar wird. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Viele Gemeinden werden nur weiter kommen, wenn sie den apostolischen Dienst bei sich an prominenter Stelle verankern. Das aber kann einem Erdbeben gleichkommen, weil damit zum Beispiel der Führungsanspruch eines einfältigen Dienstes, der sich nur auf einen Hirten oder Lehrer beruft, in Frage gestellt wird. Eine Gemeinde in die befreiende Wirksamkeit eines fünffältigen Dienstes zu führen, bedeutet meist eine grundsätzliche DNA-Veränderung. Was haben wir zu verlieren, wenn unsere Gemeinde von Gott aus Stagnation und Bedeutungslosigkeit geführt wird? Um die Gemeinde Jesu in ihre Bestimmung führen zu können, ist die Gabe des apostolischen Dienstes unverzichtbar. Dieses Gabengeschenk Gottes muss erkannt, geweckt, gefördert und eingesetzt werden.

Apostel sind dazu begabt, Potenziale in Menschen zu finden, diese zu fördern und für Gemeinde und Welt freizusetzen. Das größte Opfer des Apostelraubs sind die Berufungen der einzelnen Nachfolger von Christus. Die Potenziale der Menschen bleiben oft auf der Strecke. Ganze Kirchengemeinden wurden zu Friedhöfen von Berufungen. Achten wir das, was Gott uns zugedacht hat, und verfallen wir nicht in die Ablehnung der Pharisäer, von denen es heißt: »Aber die Pharisäer und Schriftgelehrten verachteten, was Gott ihnen zugedacht hatte« (Lk 7,30).

Einfältigkeits-Kirchen mit einfältigem Dienst

Unsere Gemeindekultur ist meist nicht von einem fünffältigen, sondern vielmehr von einem einfältigen Dienst geprägt. Hirten (Pastoren) sollen oft das apostolische Spektrum mit abdecken und beispielsweise die Gabenpotenziale Einzelner zur Entfaltung bringen oder die Gemeinde in eine gesellschaftliche Wahrnehmbarkeit führen, was in den meisten Fällen zu einer Überforderung der Pastoren inklusive der Gemeindeleitung und zu einer Frustration im Gemeindeleben führt. Wie viele sind unter dem Gewicht des einfältigen Dienstes erdrückt worden, da sie Aufgaben übernehmen mussten, die nie für sie bestimmt waren? Die Zahl der hierdurch ausgebrannten und frustrierten Pastoren ist Legion. Die Zukunft der Gemeinden wird stark davon abhängen, wie weit es gelingt, auch die Hirten- und Lehrerdienste neu zu entfalten und von den Diensten der Evangelisten, Propheten und Apostel ergänzen zu lassen. Männer und Frauen, die etwas für das Reich Gottes bewegen wollen, finden in »Einfältigkeitsgemeinden« nur schwer Platz. Sie gehen sonntags in die Gemeinde, aber ihr Herz ist kaum dabei. Oft müssen sich apostolisch begabte Männer und Frauen in einem Gemeinderahmen bewegen, der ihrer Berufung keinen Platz lässt. Viele einst dynamische Gemeinden sind zu starren Kirchen geworden, in denen nur noch einzelne Amtsträger das geistliche Leben zu gestalten haben. Die apostolische Weite und der Raum zur Entfaltung fehlen. Anstatt aufzublühen, verwelken sie. Jüngere wandern oft aus und suchen nach neuartigen Gemeindeformen.7 Auch die einfallslose Kopiererei von erfolgreichen Gemeindemodellen weist auf das Fehlen apostolischer Kreativität in den eigenen Reihen hin.

Kein Chauffeur-Wissen

Nachdem er 1918 den Physik-Nobelpreis erhalten hatte, ging Max Planck auf Tournee durch ganz Deutschland. Wo auch immer er eingeladen wurde, hielt er denselben Vortrag zur neuen Quantenmechanik. Mit der Zeit wusste sein Chauffeur den Vortrag auswendig. »Es muss Ihnen langweilig sein, Herr Professor Planck, immer denselben Vortrag zu halten. Ich schlage vor, dass ich das für Sie in München übernehme, und Sie sitzen in der vordersten Reihe und tragen meine Chauffeur-Mütze. Das gäbe uns beiden ein bisschen Abwechslung.« Planck war amüsiert und einverstanden, und so hielt der Chauffeur den Vortrag zur Quantenmechanik. Nach einer Weile meldete sich ein Physikprofessor mit einer Frage. Der Chauffeur antwortete: »Nie hätte ich gedacht, dass in einer so fortschrittlichen Stadt wie München eine so einfache Frage gestellt würde. Ich werde meinen Chauffeur bitten, die Frage zu beantworten.

Was lehrt uns diese Geschichte? Es gibt zwei Arten von Wissen. Zum einen Wissen im Sinne einer tiefgründig erarbeiteten Fähigkeit, echte Kompetenz. Es stammt von Menschen, die ihre Kenntnisse unter einem großen Einsatz von Zeit in der Praxis erlernt und durchlitten haben. Zum anderen gibt es das »Chauffeur-Wissen«. Chauffeure, die kaum oder nur kurz auf der Baustelle einer Gemeinde gearbeitet haben und ihr Wissen nie in die Praxis umsetzen mussten.

Dieses Buch soll Ihnen nutzbares Wissen im Sinne von soliden biblischen Grundlagen, praktisch nachvollziehbaren Umsetzungen und brauchbaren Einsichten rund um den apostolischen Dienst vermitteln. Ziel ist es, dass Sie den Dienst des Apostels in seiner Wirksamkeit und Bedeutung für unsere Gemeinden und unsere Welt neu in den Blick bekommen und sich davon inspirieren lassen. Das Buch ist so geschrieben, dass auch interessierte Christen ohne theologische Vorbildung den Ausführungen gut folgen können. Weiterführende Reflexionen und Quellenangaben finden sich in den Fußnoten. Das Buch erfüllt nicht den Anspruch, alle Fragen zum apostolischen Dienst für heute in seiner Breite und Tiefe behandeln zu können. Wohl aber soll der Ursprung des apostolischen Dienstes (Kap. 1), sein Wesen und Kennzeichen (Kap. 2), zentrale Wirkungsweisen (Kap. 3), die Chancen eines apostolischen Teams (Kap. 4) und die Wege zu einer apostolisch geprägten Gemeinde (Kap. 5) biblisch fundiert und praxisnah aufgezeigt werden.

Der Impuls, dieses Buch zu schreiben, ist Ergebnis eines jahrzehntelangen Weges, auf dem mich vier Fragen beschäftigt haben, die ich mir als Christ in dieser Welt und Pastor einer Gemeinde immer wieder stellte.

1 Was gefällt Gott?

2 Wie bauen wir Gemeinde mit Zukunft?

3 Wie sind wir gesellschaftlich relevant?

4 Wie erhalten wir uns die Freude an Gott?

Im Laufe der letzten Jahre entdeckte ich Zug um Zug, dass eine sinnerfüllte Beantwortung aller vier Fragen etwas mit dem apostolischen wie auch mit dem fünffältigen Dienst zu tun hat. Wenn Sie ein Haus gebaut haben und das Haus steht, können Sie sich darüber Gedanken machen und an Andere weitergeben, welche Faktoren dafür entscheidend waren. In diesem Buch werden Entwicklungsfaktoren für einen gesellschaftlich relevanten Gemeindebau begründet, entfaltet und veranschaulicht.

In diesem Buch geht es nicht darum, den Dienst des Apostels mit einem besonderen Etikett zu versehen und als Schlüssel erwecklichen Wirkens zu überhöhen, es wird kein kirchliches Amt des Apostels eingeführt, das sich über andere kirchengemeindliche Dienste und Autoritäten wie eine Gemeindeleitung stellt, und Machtmenschen erhalten hier keine Plattform, um ihre Selbstverliebtheit (Narzissmus) mit einem geistlichen Begriff besser tarnen zu können.

Vielmehr geht es in diesem Buch darum, …

■ ein substanzielles (Wort Gottes), glaubensvolles (Geist Gottes) und lebendiges Bild über Sinn, Zweck und Ziel des apostolischen wie auch fünffältigen Dienstes zu entwerfen.

■ ein Gespür für echtes apostolisches Wirken zu bekommen und dieses von irreführenden Imitaten unterscheiden zu können.

■ die gestaltende Kraft des apostolischen Dienstes und dessen entlastende und fördernde Kraft für Pastoren, Gemeindeleitungen und Gemeinden zu entdecken.

■ Personen mit einer apostolischen Gabe in ihrem Wirken in die Gesellschaft hinein zu unterstützen und als Gemeinde zu lernen, davon zu profitieren.

■ Inspirationen und Impulse zu geben, wie Apostolizität der Gemeinde Jesu heute verstanden und gelebt werden kann.

■ diesen Dienst als Segensgabe Gottes zu verstehen, einzuordnen und in das Gemeindeleben integrieren zu können.

■ für Gemeindeleitungen Hilfestellung zu geben, apostolisch begabte Menschen in ihrer Gemeinde zu erkennen, zu fördern und einsetzen zu können.

■ apostolische Männer und Frauen zu unterstützen, ihre Gabe zu entdecken und zum Wohl der Gemeinde Jesu und unserer Gesellschaft einzubringen.

■ sich selbst zu fragen: »Was hat Gott mir in Bezug auf den apostolischen oder fünffältigen Dienst anvertraut?« und »Was bedeutet das für mein Christsein in dieser Welt und für die Gemeinde Jesu?«

1 www.google.de/www.google.com (abgerufen am 23.7.2016).

2 Grudem 1994:911.

3 Beispielsweise sieht Bill Hamon (2000:74) eine neue Reformation durch die Wiederbelebung des apostolischen Dienstes kommen, Peter Wagner (2002:69ff) die Transformation ganzer Städte und John Eckhardt (1999:27) sieht im Apostel den Reformer zur Wiederherstellung aller Dinge (Apg 3,21). Tim Taylor (2010) spricht von der Entwicklung einer apostolischen Strategie mittels acht Schlüsseln zur Transformation der sieben Sphären unserer Gesellschaft.

4 Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahre 1965 wurde das Dekret Apostolicam Actuositatem, das sogenannte Laienapostolat verabschiedet. Darin wird herausgestellt, dass alle Christen von Christus mit dem Apostolat betraut wurden. Apostolat wird hier als Ausdruck des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen verstanden in dem Sinne, dass jeder Christ als Missionar von Christus gesandt wird, das Evangelium in die Welt zu tragen (Rahner 1998:389ff). Laienapostolat wird hier nicht im Sinne eines apostolischen Dienstes verstanden (Demel 2009). Edward Schillebeeckx gibt die römisch-katholische Lehre treffend wieder, indem er vier Aspekte von Apostolizität unterscheidet: die Apostel des Neuen Testamentes, die apostolische Überlieferung, die christliche Glaubensgemeinschaft (Laienapostolat) und die katholisch kirchlichen Ämter (Sukzession) (1985:140f).

5 Es wäre verfehlt, aus dem fünffältigen Dienst eine geschlossene Ämterliste abzuleiten oder ein festes Modell einer Gemeindeorganisation zu entwerfen. Das Amt eines Ältesten (1Tim 3), eines Bischofs (Apg 20,28) oder die unterschiedlichen Charismen (1Kor 11,28ff) würden hier keine Berücksichtigung finden. Wohl aber ist der fünffältige Dienst eine göttliche Befähigung seine Gemeinde in innere Stärke und gesellschaftliche Strahlkraft zu führen.

6 Simson: Link: www.apleben.eu (abgerufen am 28.6.2016).

7 Zahlreiche Bewegungen, die unter Namen wie emergent, missional, transformatorisch etc. agieren, sind Ausdruck einer verständlichen Suche danach, wie Gemeinde, Reich Gottes und Welt sich zueinander verhalten und wie wir darin leben und das Evangelium verkündigen sollen.

Finden, fördern, freisetzen

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