Читать книгу Der königliche Kaufmann - Stefan Weis - Страница 5
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Einleitung
Dieses Buch hat seinen Ursprung in Forschungen zum höfischen Leben im Mittelalter. Im Zentrum meines Interesses standen zunächst Haus und Hof des Papstes, es war jedoch von Anfang an deutlich, dass diese nur eine spezielle Ausformung jenes merkwürdigen Phänomens waren, für das wir heute nicht einmal mehr ein eindeutiges Wort haben, nämlich den „Großhaushalt“. Nicht nur war er über Jahrtausende hinweg eine selbstverständliche Realität, war er die „Lebenswelt“ für einen immerhin nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung; er war darüber hinaus das beneidete und angestrebte Muster, nach dem kleinere und ärmere Haushalte sich ausrichteten. Die großen kulturellen Leistungen der Vormoderne sind – wenn nicht alle, so doch zum großen Teil – im Rahmen dieser Großhaushalte hervorgebracht worden.
Auf König Edward IV. von England wurde ich erstmals aufmerksam durch seine Hofordnung, einen Text also, in dem beschrieben wird, wie – seiner Ansicht nach – der ideale Haushalt und der ideale Hof auszusehen hätten. In Deutschland dürfte Edward einem breiteren Publikum kaum bekannt sein, und selbst in England gehört er nicht zu den allgemein bekannten Königen. Schuld daran ist kein Geringerer als William Shakespeare. Er hat Edwards kleinem Bruder und Nachfolger eine ganze Tragödie gewidmet – Richard III. –, während er Edward, der doch viel länger und erfolgreicher regiert hat, nur in Nebenrollen auftreten lässt. Gleichwohl muss man Shakespeare Recht geben: Die Geschichte Edwards IV. hat nichts Tragisches an sich; eher schon hätte er in eine Komödie gepasst, als eine Mischung aus Falstaff einerseits und Antonio, Shakespeares „königlichem Kaufmann“, andererseits. Indes – wie wir von Aristoteles wissen – die Komödie ist die niedere Form des Theaters, hier ziemen sich keine gekrönten Häupter als Helden.
Allem Anschein nach steht die historische Forschung den Gesetzen der Dramatik näher, als es ihr selbst bewusst ist. Zwar existieren zwei umfassende Biographien und eine Vielzahl von Spezialstudien über Edward, seine wirtschaftlichen Aktivitäten jedoch sind immer nur am Rande behandelt worden. Dass ein König sich mit so profanen Dingen wie dem Woll- und Kleiderhandel abgegeben hat, scheint nicht nur mittelalterlichen Chronisten, sondern auch modernen Historikern suspekt zu sein. Dabei war Edward gerade hier originell und zukunftsweisend. Könige, die Schlachten gewonnen und weise Gesetze gegeben haben, kennt die Geschichte viele, Könige, die Geld verdient und ihre Schulden bezahlt haben, wenige.
Auf den ersten Blick weist Edward höchst widersprüchliche Züge auf. Er war ein siegreicher Heerführer, der Kriege tunlichst vermieden hat. Er liebte es, sich prächtig zu kleiden, einen aufwändigen Hofstaat zu unterhalten und sich mit schönen Frauen zu umgeben; gleichwohl hat er eine äußerst erfolgreiche Finanzpolitik betrieben. Er übernahm ein hoch verschuldetes, von Bürgerkriegen zerrissenes Staatswesen und hat als einziger englischer König des Späten Mittelalters einen ausgeglichenen Haushalt hinterlassen – auch damals eine Seltenheit. Er hinterließ ein friedliches, prosperierendes Reich, das freilich binnen weniger Wochen von einem neuen Bürgerkrieg heimgesucht wurde.
Schon ein zeitgenössischer Chronist, der Edward persönlich kannte, wunderte sich, dass ein Mann, der sich so gern „lustiger Gesellschaft, Eitelkeiten, Ausschweifungen, Extravaganzen und sinnlichen Freuden hingab, ein so gutes Gedächtnis hatte, dass ihm die Namen und Umstände von fast allen über das Königreich verstreuten Männern bekannt waren, so als ob er täglich mit ihnen Umgang hätte“.1
So verlockend es ist, einen solchen Charakter in all seinen Verästelungen zu analysieren, das vorliegende Buch verfolgt ein anderes Ziel: Es widmet sich der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieses Königs. Dabei geht es weniger um Edward als Person, er soll vielmehr als Prüfstein dienen, ob und inwieweit im Mittelalter so etwas wie „Wirtschaftspolitik“ überhaupt möglich war. Edward bietet sich an, weil er – zumindest das ist unstrittig – in finanziellen Fragen sehr erfolgreich war. Es wird sich zeigen, dass die unterschiedlichen Bewertungen nicht richtig oder falsch sein müssen, sondern eher zwei Seiten ein- und derselben Münze sein können.