Читать книгу Heimat-Heidi 34 – Heimatroman - Stefanie Valentin - Страница 3

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»Du, Heidi…?«

»Ja?«

»Die junge Frau, die gestern abend gekommen ist…?«

»Was ist mit ihr?«

»Kennst du sie?«

Die Bergerhof-Heidi schüttelte den Kopf. »Nein, warum? Sollt’ ich sie kennen?«

Luise zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie hat mich eben nur ausführlich nach dem Weißbachtal gefragt.«

»Nach dem Weißbachtal, was gibt’s denn da zu fragen?«

»Wer da alles zu Haus’ ist.«

»Aha«, Heidi nickte, »dann wird sie da jemand kennen und besuchen wollen.«

»Das kann sein«, antwortete ihre Schwiegermutter.

Heidi war mit Luises Sohn Peter verheiratet gewesen, bis der vor annähernd zehn Jahren im Wald beim Holzschlägern tödlich verunglückt war. Seitdem war Heidi die Chefin des Bergerhofs, was Luise ohne je ein Wort dagegen gesagt zu haben, mühelos akzeptiert hatte.

Heidi hatte die Chefin jedoch nie herausgekehrt, im Gegenteil, sie verstand sich mit Luise ausgezeichnet, vielleicht auch deswegen, weil sie sich die Aufgabenbereiche teilten: Luise war vor allem für die Küche zuständig, Heidi für den Rest.

»Sie hat dann noch nach dem Anna-Marterl gefragt«, fügte Luise hinzu.

»Nach dem Anna-Marterl?« Heidis Stimme klang erstaunt. »Was will denn ein so junges Madel beim Anna-Marterl? Da gehen doch sonst nur alte Frauen hin. Und dann sind s’ auch noch von da.«

»Vielleicht ist sie ja von da«, erwiderte Luise.

Heidi schüttelte den Kopf. »Dann würden wir sie kennen, oder sie würd’ zumindest unseren Dialekt sprechen.«

»Das ist wahr«, erwiderte Luise, »wer damit großgeworden ist, der kann ihn net verleugnen.«

»Bliebe also die Frage, was eine junge Frau, eigentlich ist’s ja noch ein Madel, alleine hier bei uns will…!«

»Vor allem im Zusammenhang mit dem Anna-Marterl im Weißbachtal…!«

Heidi zuckte mit den Schultern. »Ich kann uns da net weiterhelfen. Vielleicht fragst sie ja mal. Wie heißt sie noch mal?«

»Sie ist eine geborene Roginger«, antwortete Luise. »Ich bin extra noch mal nachschauen gegangen.«

»Roginger…!« Heidi wiederholte den Namen langsam, dann schüttelte sie den Kopf. »Also, von hier ist der Name net. Jedenfalls net ursprünglich, zugezogen vielleicht.«

»In der Anmeldung steht, daß sie Gregorius heißt«, ergänzte Luise das, was sie vorher gesagt hatte.

»Gregorius«, murmelte Heidi, »Gregorius gibt’s in Vorderstein und in Oberstdorf, soviel ich weiß.«

»Roginger gab’s in Vorderstein«, entgegnete Luise, »die letzten sind schon vor Jahren weggezogen.«

»Ob sie mit denen was zu tun hat?« Heidi sah ihre Schwiegermutter fragend an.

Die zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Jedenfalls hat sie net nach ihnen, sondern nach dem Anna-Marterl gefragt.«

»Also, da seh’ ich keinen Zusammenhang«, sagte Heidi.

»Höchstens ihren Vornamen«, erwiderte Luise.

»Wieso?«

»Na, mit zweitem Vornamen heißt sie Anna«, antwortete Luise. »Christiane, Anna Gregoruis, geborene Roginger.«

Heidi überlegte noch einen Moment, dann zuckte sie mit den Schultern.

»Ich weiß net mehr«, sagte sie, »und ich hab’ auch keine Zeit, mich momentan länger damit zu befassen. Wenn du weißt, was es mit dem Madel auf sich hat, dann kannst es mir ja sagen.«

»Also, einfach so ein Madel ist diese Christiane bestimmt net«, murmelte Luise vor sich hin. »Sie macht auf mich den Eindruck, als wenn sie aus gutem Haus wär’.«

»Und sie hat net gesagt, was sie hier will…?«

Luise schüttelte den Kopf. »Keinen Ton. Wir haben aber auch net intensiv miteinander geredet.«

»Ich bin eigentlich davon ausgegangen«, erwiderte Heidi, »daß sie da Urlaub machen will, immerhin hat sie drei Wochen gebucht. Solang’ bucht man nur, wenn man Urlaub machen will. Oder man will wen besuchen…«

Luise überlegte kurz, dann nickte sie. »Oder man will wen besuchen. Aber dann ist’s kein normaler Besuch. Der dauert nämlich keine drei Wochen. Der ist in drei oder vier Tagen zu End’.«

»Das ist auch wahr«, sagte Heidi. »Und du hast auch recht damit, daß sie eine sehr aparte Person ist.«

»Ja«, stimmte Luise sofort zu, »das ist sie. Sie ist sogar noch mehr als apart. Sie hat was, was weiß ich noch net genau, aber ich hab’ was gespürt, als ich mit ihr geredet hab’.«

»Na ja«, erwiderte Heidi, »wir werden es sicher bald wissen. Jedenfalls muß ich jetzt was tun, sonst komm’ ich ins Hintertreffen.«

»Ist schon recht«, Luise nickte, »ich muß mich auch sputen, sonst gibt’s kein Mittagessen.«

*

Christiane Anna Gregoruis war fünfundzwanzig Jahre alt, die Enkelin von Ludwig und Hanna Roginger, und die Tochter von Werner und Marianne Roginger.

Christiane Anna war verheiratet gewesen mit Ralf Gregorius, mit dem sie vorher ein Jahr befreundet gewesen war, der da aber schon unheilbar an Krebs erkrankt war und den sie geheiratet hatte, als er sie, Christiane sah noch heute seine fiebrigen Augen, darum gebeten hatte.

Ralf die Hochzeit zuzusagen, und ihn tatsächlich zu heiraten, war für Christiane kein unüberwindbares Problem gewesen, ganz im Gegenteil, vor allem, da sie wußte, daß sie Ralf damit glücklich machen würde.

Ralf starb eine Woche später in Christianes Armen und sie sah an seinem Blick, daß er sie zumindest sehr gerne gehabt hatte, ob er zu dem Zeitpunkt noch in der Lage gewesen war, Liebe zu empfinden, wußte sie nicht.

Sie hatte Ralf nicht geliebt, aber sie hatte ihn gerne gehabt und respektiert, was letztendlich den Ausschlag gegeben hatte, ihn zu heiraten.

Zwei Wochen nach seiner Beisetzung, da erst hatte sie den einen oder anderen seiner Familie gesehen, bekam sie Post eines Oberstdorfer Notars, der sie zur Testamentseröffnung ihres Mannes bestellte.

Christiane hatte nicht gewußt, daß Ralf irgendwas zu vererben gehabt hatte. Sie hatte ihn in München kennengelernt, wo sie zusammen studiert hatten. Ralf war dreißig gewesen und hatte im letzten Semester Betriebswirtschaft studiert, und sie war zweiundzwanzig gewesen und hatte gerade die ersten Semester ihres Psychologiestudiums hinter sich gebracht.

Christiane hatte sich mehr oder weniger zufällig im Bergerhof eingemietet, weil er außerhalb der Urlauberzentren des Oberallgäu gelegen war, und der Prospekt ihn ihr als erstklassig und für Individualurlaub bestens geeignet anpries.

Es war später Vormittag und Christiane hatte eine der beiden Bergerhof-Wirtinnen nach dem Weißbachtal und dem Anna-Marterl gefragt. Von dem Marterl und eben jenem Tal hatte Ralf oft erzählt. Dort hatte er einige Jahre, die schönsten, wie er immer wieder betont hatte, seiner Kindheit verbracht und in Oberstdorf, da hatte seine Familie hauptsächlich gewohnt, war sie für den nächsten Vormittag zum Notar bestellt.

Christiane konnte sich unter dem Anna-Marterl nichts vorstellen, deshalb sprach sie die Jüngere der beiden Bergerhof-Wirtinnen darauf an.

»Guten Morgen.« Heidi grüßte Christiane sehr freundlich.

Es war kurz nach sieben in der Früh, als die schon am Frühstückstisch saß.

»Sind S’ jeden Morgen so zeitig unterwegs?« wollte Heidi wissen.

Christiane schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, nein, heute ist mal eine Ausnahme. Ich schlaf’ zwar nicht bis in die Puppen, aber ich bin auch keine ausgesprochene Frühaufsteherin.«

»Meine Schwiegermutter hat gesagt, daß Sie nach dem Weißbachtal und dem Anna-Marterl gefragt haben.«

Christiane nickte. »Ja, da will ich heut’ vormittag hin.«

»Wenn S’ wollen, können S’ bei mir mitfahren«, erwiderte Heidi, »ich muß ins Weißbachtal und komm’ direkt am Anna-Marterl vorbei. Es steht eine Bank dabei, da könnten S’ auf mich warten. In reichlich einer halben Stunde später komm’ ich wieder zurück. Und dabei könnt’ ich Ihnen was vom Anna-Marterl erzählen. Es hat nämlich eine sehr interessante Geschichte.«

Christiane überlegte einen Augenblick, wobei sie Heidi nicht aus den Augen ließ, dann nickte sie.

»Es wär’ sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich mitnehmen würden«, antwortete sie. »Wann genau fahren Sie?«

Heidi sah auf die Uhr. »In der nächsten halben Stund’.«

»Schön«, sagte Christiane, »dann komm’ ich sehr gern mit Ihnen.«

Zwanzig Minuten später hatte Christiane gefrühstückt und gleich darauf fuhren sie los. Eine ganze Weile verlief die Fahrt schweigend, bis das junge Mädchen sich räusperte.

»Wundern Sie sich gar nicht, was ich im Weißbachtal will?« fragte es dann.

Heidi schüttelte lächelnd den Kopf. »Warum sollt’ ich mich wundern?«

Christiane nickte. »Das ist auch wieder wahr. Wahrscheinlich mein’ ich nur, daß ich in einer Scheinwelt lebe, aber es ist ja auch nicht weiter verwunderlich.«

»In einer Scheinwelt…?« Heidi hatte das Gefühl, daß das hübsche Mädchen neben ihr was loswerden wollte.

Das nickte dann sofort und wie es schien dankbar. »Ja, ich bin wegen einer Testamentseröffnung hier.«

»Testamentseröffnung?« fragte Heidi. »Ist wer aus Ihrer Familie verstorben?«

Christiane nickte. »Ja, Ralf ist gestorben.«

»Ralf…?«

»Ralf war mein Mann…«

»Bei der Heiligen Jungfrau«, murmelte Heidi, »Sie, entschuldigen S’, wenn ich das so sag’, aber Sie sind doch ein blutjunges Madel. Sie können doch net schon den Mann verloren haben.«

»Doch, doch«, erwiderte Christiane, »das geht schon.« Dann erzählte sie Heidi ihre Geschichte. Als sie fertig war, lächelte sie die Bergerhof-Wirtin freundlich an. »So, jetzt wissen S’, was ich da bei Ihnen tu’.«

»Mar’ und Josef«, murmelte Heidi. »Ich hab’ meinen Mann auch früh verloren. Aber net schon nach vier Wochen…!«

»Ralf hätte mich nie gebeten, seine Frau zu werden«, erwiderte Christiane, »und ich hätte noch weniger zugestimmt, wenn die Umstände andere gewesen wären. Am meisten überrascht mich jetzt, daß ich zu einer Testamentseröffnung eingeladen worden bin.«

»Hat… hat Ihr Mann denn Familie gehabt…?«

Christiane nickte. »Ja, hat er. Aber ich kenne sie eigentlich nur dem Erzählen nach.«

»Sie kennen niemand der Familie Ihres Mannes?« Erstaunt sah die Bergerhof-Heidi das hübsche Mädchen an.

Die schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben im Klinikum geheiratet. Der Standesbeamte ist extra gekommen. Ein Arzt und eine Schwester waren Trauzeugen. Ich vermute mal, daß niemand der Familie meines Mannes weiß, daß er verheiratet war.«

»Bei allen Heiligen…!«

Christiane lächelte, aber ihr Lächeln wirkte plötzlich ein wenig ängstlich.

»Kann es sein?« fragte sie, »daß ich zu blauäugig an die ganze Sache herangegangen bin? Wenn Ralfs Familie tatsächlich nichts von mir weiß, dann… dann wird es ein Schock für sie sein, wenn man mich sieht.«

»Hat man bei der Beisetzung nicht mit Ihnen gesprochen?« wollte Heidi wissen.

Christiane schüttelte den Kopf. »Nein, niemand. Es war eh kaum jemand da. Ralf hatte ja alles festgelegt. Auch wer benachrichtigt werden sollte. Wenn seine Mutter dagewesen wäre oder sonstwer aus seiner Familie, ich hätte sie nicht mal gekannt.«

»Das ist ja… oje, das ist ja schrecklich…!« Heidi sah das zierliche Mädchen an ihrer Seite einen Moment lang erschrocken an.

Das lächelte. »Ich fand’s nicht schrecklich und ich find’s auch heut’ noch nicht schrecklich. Ralf war ein Träumer, aber ein sehr liebenswerter. Ich hab’ ihn nie danach gefragt, aber er hatte sich wohl irgendwann von seiner Familie losgesagt. Die haben von ihm verlangt, daß er seine Krankheit besiegt. Er solle sie ignorieren, hat man ihm geraten. Als er nicht gesund wurde, hat man ihn dann wohl ignoriert.«

Heidi war erschüttert. Sie sah Christiane von der Seite an und bewunderte ihre Stärke.

»Ralf muß sehr froh gewesen sein, jemand wie Sie an seiner Seite gehabt zu haben«, sagte sie.

»Das ist er sicher gewesen«, antwortete Christiane, »aber wirklich froh muß ich gewesen sein. Er war nämlich ein sehr interessanter, sehr liebenswerter und sehr guter Mensch. Einen wie ihn werde ich so rasch nicht mehr kennenlernen. Daß… daß ich ihn nicht geliebt habe, hat er gewußt, aber er konnte damit umgehen.«

*

Hans Pregartner war gerade mal eine Stunde zu Hause, da läutete es an seiner Tür. Als er öffnete, stand sein Spezl Hubert da und grinste ihn an.

»Na, Alter?« fragte er. »Wie schaut’s aus mit uns beiden?«

»Was genau meinst denn?« erwiderte Hans.

»Na, heut’ ist der siebenundzwanzigste August, morgen der achtundzwanzigste…!«

»Ja und?«

Da verdrehte Hubert die Augen. »Das darf net wahr sein, er hat’s tatsächlich vergessen.«

»Was hab’ ich vergessen…?«

»Die Fete in Vorderstein.«

»Was für eine Fete?« Hans sah seinen Spezl fragend an.

»Du hast sie selbst ins Leben gerufen«, erwiderte der.

»Was hab’ ich…?«

»Vor etwa acht Wochen waren wir im Bergerhof«, antwortete Hubert, »vielleicht erinnerst du dich daran…?«

»Weiter.«

»Damals war auch die Schafner-Gundi da«, fuhr Hubert fort.

»Und…?«

»Du warst verliebt in sie, hast immer wieder versucht, bei ihr zu landen und irgendwann war’s dann soweit.«

»Was war wie weit?« Hans sah seinen Spezl fragend an. Wie es aussah, hatte er tatsächlich keine Ahnung von dem, was Hubert ihm nahezubringen versuchte.

»Ja, warst denn du derart benebelt, daß du heut’ gar nix mehr weißt?« entgegnete der.

»Was soll ich denn wissen«, fragte Hans. »Es wär’ schon sehr nett, wenn du mir sagen würdest, was genau gemeint ist.«

»Du hast mit der Schafner-Gundi herumgeflirtet«, erklärte Hubert.

»Und dann?«

»Dann hast sie eingeladen…!«

»Ich hab’ sie eingeladen? Wohin denn?«

»Nach Berchtesgaden.«

»Was soll ich haben?« Hans grinste. »Die Gundi? Nach Berchtesgaden soll ich sie eingeladen haben?«

»Du hast es…!«

»Oje«, murmelte Hans, »dann kann’s mir net besonders gut gegangen sein.«

»Ist’s ja auch net«, erwiderte Hubert. »Jedenfalls hast die Gundi eingeladen und am nächsten Tag hast dich voller Schrecken daran erinnert. Dann hast Bedingungen für ihr Kommen aufgestellt. Und zwar hast gesagt, wenn sie dich in Berchtesgaden besuchen will, daß sie dann vorher eine Fete für mindestens fünfzig Leut’ ausrichten muß.«

»Das soll ich gesagt haben?« Hans sah seinen langjährigen Spezl irritiert an.

Der nickte. »Das sollst net gesagt haben, das hast gesagt.«

»Und jetzt richtet die Gundi diese Fete tatsächlich aus?« Als hoffe er auf ein Nein, sah Hans seinen Spezl an.

Der grinste. »Es tut mir leid, Alter, wenn du heut’ keinen Spaß mehr daran hast. Aber die Fete ist nun mal nicht nur beschlossene Sach’, sie ist in letzter Vorbereitung.«

Hans dachte einen Augenblick nach, dann grinste er. »Okay, dann gibt’s halt eine Fete. Wo findet sie statt?«

»In Vorderstein auf dem Schafner-Hof…!«

»Wo ist das denn?«

»Bei allem was recht ist«, entgegnete Hubert, »aber irgendwie bist net dabei. Der Schafner-Hof ist einer der größten der Gegend und gehört Gundis Eltern. Es ist super dort, ein richtig toller alter Hof im Allgäuer Stil, er ist sicher zwei- bis dreihundert Jahre alt.«

»Und wann wird dort gefeiert?«

»Na morgen. Morgen ist der achtundzwanzigste August«, antwortete Hubert. »Du hast damals gesagt, daß du bis zum siebenundzwanzigsten zu tun hast, dann würdest aus Berchtesgaden kommen.«

»Das hab’ ich wirklich gesagt?« Hans schüttelte grinsend den Kopf.

»So ist es…!« Hubert nickte. »Ich bin da, weil mich die Gundi schickt. Ich soll dich holen.«

»Wieso sollst du mich holen?« fragte Hans. »Ich kann morgen gut alleine kommen.«

»Es geht net um morgen«, entgegnete Hubert, »es geht um jetzt. Jetzt soll ich dich holen.«

»Wieso denn das?«

»Die Gundi will halt einige Sachen mit dir durchsprechen«, erwiderte Hubert.

»Was denn…?«

»Also, das fragst sie besser selbst. Und wenn wir das dumme Frage-Antwort-Spiel net rasch drangeben, dann ist es dunkel, und wir stehen immer noch da.«

Minuten später waren die beiden unterwegs in Richtung Vorderstein.

Hans Pregartner war achtundzwanzig Jahre alt, studierte dann in München Forstwissenschaften und machte gerade im Forstamt Berchtesgaden ein Praktikum.

Hans hatte von seiner Mutter, die in München lebte, im Weißbachtal eine kleine Hofstatt geschenkt bekommen, die er sich in mühevoller Kleinarbeit ausgebaut hatte. So oft es möglich war, hielt er sich dort auf, und wann immer es seine Zeit erlaubte, verdingte er sich beim Grafen Steining als Holzknecht, um endlich wieder mal gründlich hinlangen zu können, wie er sich ausdrückte. Daß er zumindest während des Semesters ständig in Vorlesungen, Seminaren und dergleichen Veranstaltungen zu sein hatte, ging ihm gewaltig auf den Nerv, deshalb versuchte Hans so oft wie möglich als Holzknecht arbeiten zu können.

Hubert war einer seiner Spezl, mit ihm hatte er die Schulbank gedrückt. Während Hans Abitur gemacht hatte, hatte Hubert eine Ausbildung als Holzknecht absolviert, sich mit einem Holzeinschlagunternehmen selbständig gemacht und arbeitete inzwischen für verschiedene Grundbesitzer der Gegend, hauptsächlich jedoch für die Forstverwaltung des Grafen Steining.

Hubert hatte schon einige Male Anlauf genommen, etwas zu sagen, letztendlich aber kein Wort herausbekommen. Offensichtlich war es für ihn ein schwieriges Thema.

»Die Gundi«, sagte er schließlich, »sie… stehst du auf sie? Ich frag’ das, weil du damals total auf sie abgefahren bist.«

Hans grinste. »Sie ist eine blitzssaubere Dirn, daran gibt es keinen Zweifel. Aber so richtig auf sie stehen tu ich nicht, das ist gewiß.«

»Aha«, erwiderte Hubert, »sie meint es aber…!«

»Da schau her.« Hans lachte. »Das kann ja ein heiteres Fest werden. Wer kommt denn alles?«

»Was weiß ich«, murmelte Hubert, der plötzlich wortkarg wirkte.

»Was ist, Alter?« fragte Hans, dem das natürlich nicht verborgen blieb.

Hubert schüttelte den Kopf. »Nichts weiter…!«

Wenige Minuten später fuhren sie auf den Schafner-Hof und stiegen aus.

»Kruzitürken«, murmelte Hans, als er sah, daß mitten im Hof ein Tanzboden gezimmert worden war und gleich daneben ein Podium für eine Musikkapelle. »Das wird ja ein Riesenfest, bald wie eine Kirchweih.«

Ganz plötzlich stand Gundi neben ihnen und strahlte Hans mit ihren hübschen Augen an. »Hallo…!«

»Hallo«, erwiderte der, »was wird das denn, wenn es fertig ist? Das ist ja… das ist ja geradezu gigantisch.«

»Das soll’s auch sein.« Gundis Stimme hatte einen betont weichen Klang.

»Wieviel Leut’ erwartest du denn?« Hans sah sich um und entdeckte eine riesige Biertheke.

»Hundert bis zweihundert«, antwortete Gundi. »Du kannst, wenn du magst, mitbringen wen du willst.«

»Sag mal, sagen deine Eltern nix dagegen?« Hans zeigte um sich. »Das kostet doch sicher ein Vermögen und die Musik wird herübertönen bis zu den Nachbarn.«

Gundi grinste. »Die Eltern besuchen meinen Bruder, und die Nachbarn sind eingeladen. Alles was du siehst, kostet gar nix, das hab’ ich zusammengeschnorrt.«

»Das gibt’s gar net…!«

»Doch«, sagte Gundi, »das gibt es.« Dann fixierte sie Hans. »Du hältst deinen Teil der Verabredung auch ein?«

In dem Moment war Hans heilfroh, daß Hubert gekommen und mit ihm gesprochen hatte. Allmählich erinnerte er sich zwar wieder, doch sein Erinnerungsvermögen hatte zuerst geweckt werden müssen.

»Du meinst deinen Besuch in Berchtesgaden?« Hans lächelte das hübsche Mädchen freundlich an.

Das nickte. »Genau…!«

»Sicher halt’ ich mein Versprechen ein«, erwiderte Hans. »Du mußt nur rasch kommen, weil ich gar so lang’ nimmer in Berchtesgaden bin.«

»Oje«, sagte Gundi, »das ist jetzt schlecht. Ich… ich kann in den nächsten Wochen net. Oder ich müßt’ mir die Zeit irgendwo abzwacken.«

Hans winkte ab. »Das ist net nötig. Dann kommst mich halt in München besuchen. Oder aber da, wo ich mein nächstes Praktikum mach. Das heißt, wenn ich mit dem Examen fertig bin, kommt die Referendarzeit.«

Gundi ließ Hans nicht aus den Augen. »Wo ich dich besuch’, ist mir ziemlich wurscht. Hauptsach’, ich besuch’ dich…!«

*

»Das ist das Anna-Marterl?« Christiane stieg aus dem Wagen, blieb daneben stehen und sah das unscheinbare Marterl eine Weile starr an. Dann bückte sie sich, sah in den Wagen und fragte, wann Heidi zurück sei?

»Eine halbe Stund’ dauert’s etwa«, erwiderte die Bergerhof-Wirtin. »Das heißt, wenn’s recht ist. Sonst können S’ auch mit mir kommen und wir bleiben nachher ein bissel da.«

Christiane schüttelte den Kopf. »Es ist schon recht so. Ich bin ganz froh, wenn ich ein bissel allein da bin.«

Heidi zögerte einen Moment, weil sie meinte, das hübsche Mädchen nicht alleine lassen zu dürfen, doch dann sah sie dessen Entschlossenheit, nickte, sagte, sie sei bald wieder da und fuhr weiter. Im Rückspiegel sah sie, wie Christiane an der Bank neben dem Marterl Platz nahm.

Christiane hatte bis vor kurzem nicht gewußt, daß es ein Anna-Marterl gab und welche Bedeutung es hatte, wußte sie da schon mal gar nicht. Erst als Ralf sie zu sich an sein Bett gebeten hatte, weil er ihr noch was sagen wollte, erfuhr sie die Geschichte des Marterls und seine Bedeutung für Ralf.

Eine von Ralfs Großtanten, sie war die Schwester seiner Großmutter gewesen, hatte in das Hofgut gleich hinter dem Marterl eingeheiratet. Anna hatte sie geheißen und sie war, wollte man Ralf glauben, eine ausnehmend schöne Frau gewesen.

»Du siehst ihr sehr ähnlich«, hatte Ralf gesagt, während Christiane an seinem Bett saß und seine Hand hielt. »Du bist ihr auch sonst ähnlich… irgendwie jedenfalls…!«

Tante Anna war immer schmal und kränklich gewesen und nicht wenige hatten den Franz gewarnt, Anna nicht zu heiraten, so hübsch sie auch sei.

Doch Franz hatte auf Anna nicht verzichten wollen und sie doch zu seiner Frau genommen. Seine Eltern waren zuerst dagegen gewesen, doch als Anna dann auf dem Hof gewesen war, hatten sie sie bald in ihr Herz geschlossen und nichts auf sie kommen lassen.

Kurz vor ihrem zwanzigsten Hochzeitstag war Franz dann von heute auf morgen krank geworden. Er war in tiefe Depressionen verfallen und alle Versuche, ihn da wieder herauszuholen, waren letztendlich umsonst gewesen, Franz war eines Mittags nicht zum Essen erschienen und drei Tage später hatte man seine Leiche in einer nahegelegenen Klamm gefunden, in die er sich gestürzt hatte; Kinder hatten die beiden keine gehabt.

Anna hatte damals das Marterl aufstellen lassen, was kaum wer verstanden hatte, schließlich hatte der Franz ja seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.

»Die Tante Anna ist eine herzensgute und gleichzeitig sehr gescheite Frau gewesen«, hatte Ralf, kurz bevor er verstorben war, zu ihr gesagt. »Wenn… wenn du ins Allgäu fährst, dann besuchst ihr Marterl. Wenn du davorstehst, dann schaust hinauf in den Himmel und sagst, was du empfindest. Aber geh’ bitt’ schön gleich hin, ich mein’, du…, aber du wirst schon wissen, was ich meine, wenn du da bist.«

Christiane hatte vermutet, sie solle zum Anna-Marterl gehen, bevor sie zum Notar nach Oberstdorf geladen war und als Heidis Wagen aus ihrer Sicht verschwunden war, stand sie auf und stellte sich gerade vor das eher unscheinbare Marterl und sah es an, schließlich wartete Ralf auf irgendeine Reaktion von ihr.

Doch so sehr sie das Marterl auch ansah, es tat sich nichts in ihr, sie spürte nichts, sie hatte keinerlei Regung, ja, sie dachte nicht mal an Ralf und hatte keinerlei Ahnung, was er gemeint hatte, als er sagte, sie solle ihm ihre Empfindung mitteilen.

Christiane geriet einen Moment lang in Panik, doch das legte sich rasch wieder, und als kurz darauf Heidi zurückkam, merkte man Christiane nichts an.

»Wo kann man denn hier mal hingehen?« fragte sie. »Ralf ist zwar erst zwei Wochen tot, aber ich hock’ mich deswegen nicht zu Hause hin und schau’ die Wände an. Das hätt’ Ralf nie gewollt und ich hab’ meine Zeit mit ihm verbracht, als er noch lebte, ich schätz’ mal, daß das wichtiger war.«

»Sollen wir uns nicht duzen?« Heidis Vorschlag kam unvermittelt. Deshalb fügte sie hinzu: »Ich hab’ das Gefühl, als wenn ich dich schon Jahre kennen würd’. Vielleicht, weil ich meinen Mann, Peter hat er geheißen, damals auch so jung verloren hab’. Ich hab’ damals sehr um ihn getrauert, aber auf meine Art. Ich hab’ mich auch nicht wehmütig in eine Ecke setzen können, bin vielmehr überall aufgetaucht, daß sich meine Bekannten nachher gefragt haben, was mit mir los ist.«

»Ich… ich hab’ irgendwie das Gefühl, ich müßt’ was nachholen«, sagte Christiane. »Ich hab’ Ralf eher zufällig kennengelernt. Er war schon krank und ich hab’ ihn bewundert, wie er mit seiner Krankheit umgegangen ist. Aber ich…, es tut mir leid, ich hab’ ihn nicht geliebt. Das hat er bestimmt gewußt. Wir sind uns nie… wie soll ich es sagen, wir haben nie miteinander geschlafen oder sonstwie Zärtlichkeiten ausgetauscht, das wär’ bei Ralfs Krankheit auch gar nicht möglich gewesen, aber wir haben uns super verstanden, im wahrsten Sinn des Wortes.«

»Du mußt dich nicht entschuldigen«, erwiderte Heidi, »ich find bewundernswert, was du getan hast.«

Christiane schüttelte sofort den Kopf. »Da war nichts bewundernswert. Ralf war bewundernswert. Er hat sich nie beklagt und er hat nie auch nur ein Wort über sich verloren. Er hat Pläne gemacht, aber nicht weil er die Wahrheit nicht kannte, sondern weil es seine Art war.« Ganz verstohlen wischte sie sich eine Träne weg.

»Ich wüßt’ wo du hingehen könntest«, sagte Heidi in das plötzliche Schweigen hinein.

»Wohin…?«

»Auf dem Schafner-Hof findet eine Riesenfete statt«, antwortete die fesche Bergerhof-Wirtin. »Man erwartet hundert oder noch mehr Gäste.«

»Aber da kann ich doch nicht einfach hingehen.«

»Doch«, erwiderte Heidi, »man kann. Es wird sogar ausdrücklich gewünscht.«

»Das versteh’ ich jetzt nicht.«

»Also, die Fete veranstaltet die Gundi mit ihren Freunden«, erklärte Heidi. »Ursprünglich ging’s darum, daß sie einem Burschen imponieren wollt’, aber inzwischen hat sich die Idee der Fete verselbständigt. Man hat alles, was Geld kostet, gestiftet bekommen und verlangt pro Person zwanzig Mark Eintritt. Alles Geld wird nachher einem gemeinnützigen Zweck gestiftet. Also, ich werd’ mich dort auch mal sehen lassen.«

»Echt…?«

Heidi nickte. »Na klar.«

»Dann komm’ ich mit«, sagte Christiane.

»Ich kann aber nicht lange bleiben«, sagte Heidi.

»Wie lang’ ich bleibe, entscheide ich dann kurzfristig«, erwiderte Christiane. »Wenn ich erst mal da bin, ist alles möglich. Vom gleich wieder nach Hause fahren, bis zum bleiben bis zum nächsten Morgen…!«

*

»Bitte nehmen Sie Platz…!« Notar Rudolf Blader lächelte Christiane freundlich an. »Sie haben Ihren Personalausweis dabei?«

Das hübsche Mädchen nickte, zog den Personalausweis aus ihrer Handtasche und gab ihn dem in Oberstdorf und Umgebung sehr bekannten Notar.

Der machte sich einige Notizen, dann lächelte er Christiane freundlich an und gab ihr den Ausweis zurück.

»So, Frau Gregorius«, begann er, während er einen versiegelten Umschlag aufbrach, »Sie sind zur Testamentseröffnung Ihres kürzlich verstorbenen Gatten eingeladen.«

»Entschuldigen Sie bitte«, unterbrach Christiane Rudolf Blader, »aber müssen wir auf sonst niemand warten?«

Der Notar schüttelte den Kopf. »Nein, Sie sind die Einzige im Testament ihres Mannes Erwähnte. Wir müssen auf niemand warten.«

»Aber… aber der Ralf hatte Geschwister und Eltern und…!«

»Wenn Ihr Mann sie nicht im Testament bedacht hat, dann müssen sie nicht eingeladen werden«, erwiderte Blader. »Liebe Frau Gregorius…!«

Christiane verzog das Gesicht, wehmütig sah sie vor sich auf den Schreibtisch. »Das… die Anrede höre ich zum ersten Mal, nachdem der Standesbeamte mich so angesprochen hat.«

»Sie kannten Ihren Mann nicht sehr lange…?«

»Doch, wir kannten uns zwei Jahre, befreundet waren wir dann ein Jahr und… na ja, verheiratet waren wir in der Tat nicht sehr lange.«

Notar Blader lächelte. »Wenn es so ist, müssen Sie Ihrem Mann sehr viel bedeutet haben.«

Das hübsche Mädchen nickte. »Ja, ich glaub’ schon, daß Ralf mich gemocht hat.«

»Wenn ich seinen Worten glauben darf«, erwiderte Blader, wobei er lächelte, »dann waren Sie seine große Liebe…!«

Christiane schluckte. »Hat… hat Ralf das gesagt?«

Der Notar nickte. »Ja, das hat er.« Dann wurde er ernster. »Er hat aber auch gewußt, daß Sie nicht das gleiche für ihn empfunden haben. Um so mehr hat er zu schätzen gewußt, daß sie ihm ganz nah gewesen sind. Er hat gesagt, sonst würde er das alles nicht so locker über die Bühne bringen. Das waren seine eigenen Worte.«

»Oje, Ralfi«, murmelte Christiane. Sie konnte nicht verhindern, daß eine Träne über ihr Gesicht rann, die sie jedoch rasch abwischte.

Rudolf Blader wartete einen Moment, dann lächelte er Christiane noch mal freundlich an und sagte: »Ich werd’ dann mal beginnen. Das heißt, wenn es Ihnen recht ist, werde ich auf das Verlesen des Testaments verzichten, sondern Ihnen erklären, was es für Sie bedeutet.«

Christiane nickte. »Das ist mir recht.«

»Zuerst einmal übergebe ich Ihnen einen Brief Ihres Gatten«, Blader schob einen Briefumschlag über den Tisch, »er hat ihnen persönlich geschrieben. Dann übergebe ich Ihnen die verschiedenen Schlüssel und…!«

»Schlüssel?« Christiane sah Blader fragend an.

»Einen Augenblick bitte«, antwortete der, »ich erläutere Ihnen gleich alles. Die an den Schlüsseln anhängenden Anhänger zeigen wofür der jeweilige Schlüssel ist.«

Plötzlich, ohne daß sie zu sagen gewußt hätte, warum, schlug Christianes Herz heftiger.

»Also, nun mal der Reihe nach«, sagte Blader, dann strich er ein Blatt Papier glatt. »Sie sind so was wie die Alleinerbin Ihres Mannes.«

»Hat Ralf denn was zu vererben gehabt?« Christiane sah den Oberstdorfer Notar fragend an.

Der sah sie lächelnd an. »Wissen Sie das wirklich nicht?«

»Was weiß ich nicht?«

»Was Ihrem Mann gehört hat?«

»Nein«, Christiane schüttelte den Kopf, »was denn?«

Da atmete Rudolf Blader tief durch. »Oje, wenn es so ist, wird das, was sie gleich hören, eine Überraschung für Sie sein.«

»Was wird eine Überraschung für mich sein?« Christiane spürte ihr Herz bis zum Hals herauf schlagen.

»Ihr Mann hat eine Tante gehabt«, begann Blader zu erklären, »sie hat Anna geheißen, und ihre Ehe ist kinderlos geblieben. Ich glaube, sie war die Schwester seiner Großmutter…«

Christiane nickte. »Ich weiß, von der Tante Anna hat er mir erzählt. Ich… ich war’ heute morgen bei ihrem Marterl.«

»Wie bitte…?«

»Im Weißbachtal«, antwortete das hübsche Mädchen. »Da gibt’s ein Marterl, das Anna-Marterl. Ralfs Tante hat es dort anbringen lassen und Ralf hat mich gebeten, es zu besuchen. Das hab’ ich heute getan.«

»Na ja, dann wird es Ihnen nicht ganz so fremd vorkommen…!«

»Was wird mir nicht fremd vorkommen?«

»Die Gegend um das Marterl.«

Christiane lächelte. »Na ja, ich war einmal dort. Aber es ist sehr schön da. Ich werd’ sicher noch mal dorthin fahren.«

Rudolf Blader lachte kurz auf. »Da bin ich ganz sicher. Ihrem Mann hat nämlich die Nordseite dieses Tals gehört, das heißt, nicht die ganze Nordseite, aber der Teil, wo das Marterl ist. Es sind etwa zweihundert Hektar allerbester Bergwald. Außerdem gehört ein kleines Gutsgebäude mit den entsprechenden Nebengebäuden dazu.«

Christiane hatte zwar gehört, was Blader gesagt hatte, aber verstanden hatte sie es nicht. Sie sah ihn um Erklärung bittend an.

»Dort im Weißbachtal«, erwiderte Blader daraufhin, »wo offensichtlich das Marterl steht, gibt es das Hofgut Löhrer. Dieses Hofgut hat Ihrem Mann gehört. Seine Tante Anna hatte es, da ihre Ehe kinderlos gewesen ist, Ihrem Mann vererbt. Er hat mehrere Jahre dort verbracht und sich, wie er sagte, immer sehr wohl gefühlt. Er hofft, das hat er jedenfalls zum Ausdruck gebracht, daß Sie sich dort ebenfalls wohl fühlen.«

Christiane starrte Notar Blader benommen an. Ganz langsam begriff sie die Worte.

»Ein Hofgut?« fragte sie, »was soll ich darunter verstehen?«

»Nun, ein Hofgut ist ein Anwesen, das über einen gewissen Grundbesitz verfügt«, antwortete Rudolf Blader. »In dem Fall des Hofguts Löhrer sind es, Moment, ich schau’ mal nach… es sind genau zweihundertvierundsechzig Hektar Grundbesitz. Davon vier Fünftel Wald, der Rest sind Almen und der Park um das Gut herum.«

»Ist das viel?« fragte Christiane. »Ich hab’ keine Ahnung, wieviel zweihundertvierundsechzig Hektar sind.«

Notar Blader lächelte. »Die Größenordnung kann ich Ihnen momentan leider nur in Zahlen ausdrücken, aber vielleicht hilft es Ihrer Phantasie, wenn ich Ihnen sage, daß das Hofgut Löhrer nach der Verwaltung des Grafen Steining über den nächstgrößten Grundbesitz verfügt.«

Christiane saß wie vom Schlag gerührt da und sah Notar Blader an, als sei der nicht ganz gescheit.

»Aber… aber der Ralf hat mir doch nicht so viel hinterlassen können«, murmelte sie. »Seine… seine Familie wird das eh nicht zulassen und…!«

»Entschuldigen S’, wenn ich Sie unterbreche«, ließ der Notar seine Besucherin nicht ausreden, »aber Ralf Gregorius hat über das Verhältnis zu seiner Familie genau Protokoll geführt. Zum Beispiel wer ihn wann besucht hat. Er hat außerdem genau aufgelistet, warum er niemanden seiner Familie in seinem Testament bedacht hat. Er hat alles von Schwestern und Ärzten gegenzeichnen lassen,

also, ich sehe einer eventuellen Erbauseinandersetzung gelassen entgegen. Vor allem, weil ein Vorrecht auf dem Löhrer-Besitz liegt, das besagt, daß derjenige, der gegen ein das Gut betreffendes Testament klagt, automatisch von einem Erbe ausgeschlossen ist. Es hat deswegen sogar schon ein Oberlandgerichts-Urteil zugunsten dieser Regelung gegeben.«

»Das verstehe ich alles nicht«, murmelte Christiane. »Ich weiß nur, daß Ralf mir etwas hinterlassen hat. Und daß das offensichtlich sehr wertvoller Grundbesitz ist. Von den rechtlichen Dingen hab’ ich keine Ahnung.«

Notar Blader lächelte. »Interessant, wie gut Ihr Mann sie gekannt hat.«

»Wieso?«

»Genau das, was sie eben gesagt haben«, antwortete Blader, »hat er vorausgesehen. Er hat mich gebeten, Ihre Interessen zu vertreten, was ich sehr gerne tun werde.«

*

»Du siehst super aus«, sagte Heidi und lächelte anerkennend. »Ich wette, daß sich die jungen Burschen um dich reißen werden.«

Heimat-Heidi 34 – Heimatroman

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