Читать книгу Die Äbtissin von Castro - Стендаль (Мари-Анри Бейль), Stendhal - Страница 4

ZU VIEL GUNST SCHADET
ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL

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In einer Stadt Toskanas, die ich nicht nennen werde, gab es im Jahre 1589 und gibt es noch heute ein düsteres und weitläufiges Kloster. Seine schwarzen wohl fünfzig Fuß hohen Mauern verfinstern ein ganzes Straßenviertel. Drei Straßen werden von diesen Mauern begrenzt; an der vierten Seite breitet sich der Garten des Klosters aus, der bis zum Stadtwall reicht. Diesen Garten umgibt eine weniger hohe Mauer. Die Abtei, der wir den Namen Santa Riparata geben wollen, nimmt nur die Töchter des höchsten Adels auf. Am 20. Oktober 1587 waren alle Glocken des Klosters in Bewegung; die Kirche war für die Gläubigen offen und mit prachtvollen Wandteppichen aus rotem mit reichen Goldfransen verziertem Damast ausgeschlagen. Die fromme Schwester Virgilia, die Geliebte des neuen Großherzogs von Toskana, Ferdinand I., war am Abend vorher zur Äbtissin von Santa Riparata erhoben worden, und der Bischof der Stadt, von seinem ganzen Klerus gefolgt, war zur feierlichen Einsetzung gekommen. Die ganze Stadt war in Aufregung und das Gedränge in den Gassen um Santa Riparata so groß, daß es unmöglich war, dort durchzukommen.

Der Kardinal Fernando Medici, der auf seinen Bruder Francesco gefolgt war, jedoch ohne deshalb auf den Kardinalshut Verzicht zu leisten, war sechsunddreißig Jahre alt und seit fünfundzwanzig Jahren Kardinal; er war im Alter von elf Jahren zu dieser hohen Würde erwählt worden. Die Regierung Francescos, der heute noch durch seine Liebe zu Bianca Capello berühmt ist, war durch alle Torheiten, zu welchen die Vergnügungssucht einen wenig charakterstarken Fürsten hinreißen kann, gekennzeichnet. Auch Ferdinand hatte sich einige Schwächen dieser Art vorzuwerfen. Seine Liebe zu der Laien-Schwester Virgilia war in ganz Toskana berühmt; doch besonders durch die Unschuld dieser ihrer Beziehungen wie man beifügen muß; ebenso wie man sagen muß, daß der düstere, heftige und leidenschaftliche Großherzog Francesco das Aufsehen, das seine Liebschaften erregten, wenig genug beachtete. Im ganzen Land sprach man nur von der großen Tugend der Schwester Virgilia. Die Ordensregeln, die sie als Laienschwester zu erfüllen hatte, erlaubten es ihr, etwa drei Viertel des Jahres bei der Familie zu verbringen; sie sah dann täglich den Kardinal Medici, wenn er in Florenz war. Zwei Dinge setzten diese der Wollust hingegebene Stadt an dieser Liebschaft eines reichen jungen Fürsten in Erstaunen, dem durch das Beispiel seines Bruders alles gestattet war: die junge schüchterne, nichts weniger als geistvolle Schwester Virgilia war durchaus nicht hübsch und der junge Kardinal hatte sie nie anders als in Gegenwart von zwei oder drei alten Damen aus der edlen Familie Respuccio gesehen, der diese sonderbare Geliebte eines jungen Prinzen von Geblüt angehörte.

Großherzog Francesco starb am 19. Oktober 1587 gegen Abend. Am 20. Oktober noch vor dem Mittag begaben sich die Adeligen des Hofs und die reichsten Kaufleute – denn man muß sich erinnern, daß die Medici ursprünglich Kaufleute gewesen waren; ihre Verwandten und die einflußreichsten Persönlichkeiten des Hofs trieben noch immer Handel, wodurch diese Höflinge verhindert wurden, ganz so albern zu sein, wie ihresgleichen an den anderen zeitgenössischen Höfen – die ersten Hofherren und die reichsten Kaufleute begaben sich also am Morgen des 20. Oktober in das bescheidene Haus der Laienschwester Virgilia, die über diesen Andrang sehr erstaunt war.

Der neue Großherzog wollte weise und verständig dem Glück seiner Untertanen nützlich sein; er wollte vor allem jede Intrige von seinem Hof verbannen. Zur Macht gelangt fand er, daß die Leitung des reichsten Frauen-Klosters seines Staates, das allen vornehmen Töchtern, die von ihren Eltern dem Glanz der Familie geopfert wurden, als Zuflucht diente, unbesetzt war; er zögerte nicht, der Frau, die er liebte, die Äbtissinwürde zu verleihen.

Das Kloster von Santa Riparata gehörte zum Orden des heiligen Benedikt, dessen Regeln den Nonnen nicht gestatten, die Klausur zu verlassen. Zum großen Erstaunen des guten Volks von Florenz sah der Fürst-Kardinal die neue Äbtissin nicht mehr, aber in seiner Herzenszartheit, die von allen Frauen seines Hofs bemerkt und, wie man wohl sagen kann, allgemein getadelt wurde, gestattete er sich überhaupt niemals, eine Frau unter vier Augen zu sehn. Als diese Lebensführung offenbar war, verfolgte die Dienstbeflissenheit der Höflinge die Schwester Virgilia bis in ihr Kloster, und sie glaubten zu bemerken, daß sie trotz ihrer ungewöhnlichen Bescheidenheit gar nicht unempfindlich gegen diese Aufmerksamkeit war, der einzigen, die seine außerordentliche Tugend dem neuen Herrscher gestattete.

Das Konvent von Santa Riparata mußte oft Angelegenheiten behandeln, die sehr zarter Natur waren: diese jungen Mädchen aus den reichsten Familien von Florenz ließen sich nicht aus der so glänzenden Welt verbannen, aus dieser so reichen Stadt, die damals der Hauptsitz des europäischen Handels war, ohne einen Teil ihres Herzens bei dem zurückzulassen, was man sie zu verlassen zwang; oft erhoben sie laut Einspruch gegen die Ungerechtigkeit ihrer Eltern; manchmal suchten sie Tröstungen in der Liebe, und der Haß wie die Rivalität, die im Kloster herrschten, setzten die vornehme Gesellschaft von Florenz in Aufregung. Dieser Stand der Dinge war der Grund, daß die Äbtissin von Santa Riparata häufig genug Audienzen beim regierenden Großherzog erhielt. Um die Vorschriften des Heiligen Benedikt so wenig wie möglich zu übertreten, schickte der Großherzog der Äbtissin einen seiner Gala-Wagen, in dem zwei ihrer Hofdamen Platz nahmen, welche die Äbtissin bis in den Audienzsaal des weitläufigen großherzoglichen Schlosses in der Via larga, begleiteten. Diese beiden Damen, die Beweise der Klausur, wie man sie nannte, nahmen auf Lehnsesseln dicht an der Türe Platz, während die Äbtissin allein vorschritt, um mit dem Fürsten zu sprechen, der sie am äußersten Ende des Saales erwartete, so daß die ‚Beweise der Klausur‘ nichts von dem, was während dieser Audienz gesagt wurde, hören konnten.

Wieder andre Male begab sich der Fürst in die Kirche von Santa Riparata, wo man ihm das Chorgitter öffnete, damit die Äbtissin Seine Hoheit sprechen könne.

Diese beiden Arten der Audienz paßten dem Großherzog keineswegs; sie hätten vielleicht einem Gefühl neue Kraft verleihen können, welches er vermindern wollte. Indessen ließ eine der Klosterangelegenheiten delikatester Natur nicht lange auf sich warten: Die Liebesverhältnisse der Schwester Felizia degli Almieri störten den Frieden. Die Familie degli Almieri war eine der reichsten und mächtigsten in Florenz. Da zwei von den drei Brüdern, für deren Eitelkeit man die junge Felizia geopfert hatte, schon gestorben waren und der dritte keine Kinder hatte, bildete sich diese Familie ein, einer Strafe des Himmels ausgesetzt zu sein. Die Mutter und der überlebende Bruder gaben Felizia, trotz ihres Gelübdes der Armut, die Güter, deren man sie beraubt hatte, um der Eitelkeit der Brüder zu frönen, in Form von Geschenken zurück.

Das Kloster von Santa Riparata zählte damals dreiundvierzig Nonnen und jede von ihnen hatte ihre Kammerfrau. Das waren junge, dem armen Adel entnommene Mädchen, die an einer zweiten Tafel speisten und jeden Monat vom Schatzmeister des Klosters einen Scudo für ihre Auslagen erhielten. Aber nach einem sonderbaren und für den Frieden des Klosters nicht sehr günstigen Brauch, konnte man nur bis zum Alter von dreißig Jahren Kammerfrau bleiben; an diesem Lebensabschnitt angelangt, verheirateten sich diese Mädchen oder wurden in Klöster niederen Ranges untergebracht.

Die sehr vornehmen Damen von Santa Riparata durften bis zu fünf Kammerfrauen haben und die Schwester Felizia degli Almieri verlangte deren acht. Alle jene Damen des Klosters, welche man für galant hielt, und das waren fünfzehn oder sechzehn, unterstützten die Forderungen Felizias, während die sechsundzwanzig andren sich höchst entrüstet darüber zeigten und davon sprachen, einen Appell an den Fürsten zu richten.

Die neue Äbtissin, die gute Schwester Virgilia, hatte lange nicht genug Geist, um diese ernste Angelegenheit zu entscheiden; es schien, daß beide Parteien von ihr verlangten, die Sache zur Entscheidung dem Fürsten zu unterbreiten.

Schon begannen bei Hof alle Freunde der Familie degli Almieri zu sagen, wie befremdlich es sei, daß man ein Mädchen von so hoher Geburt, noch dazu es ehemals so barbarisch von seiner Familie geopfert, nun wieder verhindern wolle, von seinem Reichtum Gebrauch zu machen wie es wünsche, besonders wo dieser Gebrauch so unschuldig wäre. Von der anderen Seite verfehlten die Familien der älteren oder weniger begüterten Nonnen nicht, zu antworten, es sei zum mindesten sonderbar, daß eine Nonne, die das Gelübde der Armut abgelegt habe, sich nicht mit fünf Kammerfrauen zufrieden geben könne.

Die Äbtissin von Castro

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