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Von Benedikt von Nursia zu den Benediktinern ca. 530–816

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GEORG JENAL

Das Urteil über die frühe Wirkungsgeschichte Benedikts und seiner Regel verharrte etwa 250 Jahre lang – in populären Darstellungen gar bis heute – in einem nicht zu erschütternden Irrtum, zu dem wesentlich der gelehrte Benediktiner und große Mauriner Jean Mabillon (1632–1707) beigetragen hatte. In seinen zwischen 1703 und 1739 (teils posthum) erschienenen Annales Ordinis S. Benedicti, der ersten grundlegenden, wissenschaftlichen Darstellung zu den Anfängen des Mönchtums in Westeuropa, vertrat Mabillon nämlich die Auffassung, das abendländische Mönchtum sei – von unbedeutenden Randerscheinungen abgesehen – das Werk Benedikts und der Anfang des lateinischen Asketen- und Mönchtums folglich mit den Anfängen des „Ordo S. Benedicti“ gleichzusetzen. Es war dann nur die schlichte Folgerung aus dieser Gleichsetzung, in Benedikt die monumentale Stifter- und Gründerfigur des abendländischen Mönchtums zu sehen, eine Einschätzung der Dinge, die dem Orden stets schmeichelte und nicht zuletzt durch die Tatsache bestärkt wurde, dass zahlreiche bedeutende Forscher der Mönchs-, Ordens- und Klostergeschichte bekanntermaßen zu den Söhnen Benedikts zählten.

Für die weitere Forschung allerdings erwies sich die historische Fehleinschätzung, der man hier erlegen war, als schwere Hypothek. Denn die Gleichsetzung von frühem lateinischem Asketen- und Mönchtum mit Benedikt sowie dessen Regel verhinderte auf lange Zeit die genauere Erforschung der Anfänge insgesamt, inbegriffen nicht zuletzt die tatsächliche historische Rolle, die Benedikt und seiner Regel in diesen Zusammenhängen zukamen.

Sieht man von sporadischem, zu keiner Zeit allerdings erfolgreichem Widerspruch gegen diese ordensoffizielle und forschungsgestützte Sicht der Dinge ab, so lässt sich erst gegen Mitte des 20. Jahrhunderts eine Bewegung in der Diskussion beobachten, dann allerdings bald mit ernüchternden Ergebnissen.

Das Zeitalter der „Mischregeln“

Heute besteht Einvernehmen darüber, dass die Entstehung des Asketen- und Mönchtums – im Westen nicht anders als im Osten – nicht als Folge eines bestimmten Ereignisses verstanden werden kann und sich das Phänomen auch keiner einzelnen Gründergestalt verdankt, wie monumental man sich diese auch immer denken mag. Nach einer Geburtsstunde dieser Art zu suchen, hieße, eine ahistorische Frage zu stellen. Vielmehr handelt es sich bei der Ausbildung des christlichen Asketen- und Mönchtums um ein multikausales, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten auftauchendes Phänomen, das im Verlauf seiner historischen Entwicklung zwar Prägungen durch markante Persönlichkeiten wie auch deutliche Spuren der Nachahmung älterer Vorbilder durch jüngere Generationen kennt, dessen Ursprünge und Anfänge aber nicht individuell zu verorten sind. Und die westlichen Verhältnisse betreffend gilt in der Spezialforschung mittlerweile als unbestritten, dass weit vor und auch lange neben Benedikt und seiner Regel ein Asketen- und Mönchtum von keineswegs nur peripherem Charakter existiert hat. Ebenso klar ist, dass Benedikt und die seinen Namen tragende Regel in ihren Anfängen noch ohne besondere Bedeutung für ihr weiteres Umfeld waren und zunächst lediglich als Glieder einer Traditionskette zu begreifen sind. Folglich kann für die Frühzeit Benedikts und seiner Regel weder von den „Benediktinern“ noch von einem „Benediktinertum“ oder einer „benediktinischen Observanz“ gesprochen werden, ganz zu schweigen von einem „Ordo S. Benedicti“ im kirchenrechtlichen Sinne. Die Frage nach den Anfängen des später so genannten „Benediktinertums“ ist also die Frage nach der allmählichen Durchsetzung der Regel wie nach der langsamen Hochschätzung ihres Autors für die Zeit bis zu den Reformerlassen unter Ludwig dem Frommen (816–818/819), jenem Zeitpunkt, von dem an diese Regel als Norm für alle Reichsklöster Geltung haben sollte.

Zwischen 530 und 560 in der Umgebung von Rom verfasst, steht die Regula Benedicti (RB) ganz selbstverständlich in einer gesamtmonastischen Tradition, aus der explizit Johannes Cassianus (Conlationes; De institutis coenobiorum), Basilius von Caesarea (Regulae) sowie die Lebensbeschreibungen der Väter (Vitae patrum) genannt werden. Darüber hinaus aber stellt diese – keineswegs revolutionäre, vielmehr ganz von gemeinmonastischen Traditionen getragene – Regula, wie einschlägige Untersuchungen ergaben, die Kurzfassung der älteren, erheblich umfangreicheren Regula Magistri (ca. 500–530) dar. Obgleich sich Hinweise dafür finden, dass sich der Autor auch die Übernahme seines monastischen Grundgesetzes durch andere Gemeinschaften vorstellen konnte, existieren keine Belege dafür, dass diese Regel, außer in Montecassino und möglicherweise in der Tochtergründung zu Terracina, zunächst irgendwo befolgt worden sei. Für keine der übrigen etwa 150 Gemeinschaften, die sich nach neueren Untersuchungen zwischen 500–604 (dem Tode Gregors des Großen) für Italien und seine Inseln nachweisen lassen, ist das Befolgen – oder auch nur die Kenntnis der RB – zu belegen. Selbst Gregor der Große kann nicht als Propagator dieser Regel in Anspruch genommen werden. Denn die RB lässt sich weder für Gregors Gründung S. Andreas in Rom (Monte Celio) noch für jene Gemeinschaften auf seinem Familienbesitz in Sizilien noch gar im Kontext seiner Missionsinitiativen für Britannien nachweisen. Mit guten Gründen ist auch die beliebte These aufzugeben, dass sich die Gemeinschaft von Montecassino – nach der Zerstörung ihres Klosters durch die Langobarden im Jahre 577 – mitsamt ihrer Regel in das Kloster S. Pankratius am Lateran geflüchtet habe, von wo dann 140 Jahre später, im Zusammenhang mit der Neugründung der Gemeinschaft unter Abt Petronax von Brescia (717), die Regel auf den Berg oberhalb von Cassino zurückgekehrt sei. Für Rom nämlich lässt sich bis zum 10. Jahrhundert keine asketische Gemeinschaft nachweisen, welche der Regula Benedikts gefolgt wäre. Die Geschichte der Verbreitung dieser Regel verlief offensichtlich erheblich komplizierter, ging keinen geraden und kontinuierlichen Weg, führte über das Phänomen der so genannten „Mischregeln“ und nahm seinen Anfang offensichtlich sogar außerhalb Italiens.

Nach der Zerstörung Montecassinos (577) durch Zotto, den langobardischen Herzog von Benevent, finden sich die ersten Spuren der RB in Gallien, hier aber zunächst in der Kombination mit anderen Regeltexten, den so genannten „Mischregeln“, und keineswegs schon in reiner Form. So hatte Bischof Donatus von Besançon zwischen 630 und 635 für das Frauenkloster seiner Stadt eine Regel verfasst, die aus Vorlagen des Caesarius von Arles, Benedikts und Columbans zusammengestellt war. Eine ähnliche Mischregel hatte Praejectus von Clermont für seine Frauengemeinschaft entworfen. Die Praxis solcher Mischregeln mit Anteilen der RB lässt sich darüber hinaus vielfältig für Gallien belegen: so etwa in Solignac (ca. 632), in Rebaisen-Brie (ca. 640), in Nivelles (ca. 640), in S. Wandrille (ca. 649), in Fleury (651), in Corbie an der Somme (657), in Lérins (ca. 660), in Hautvillers bei Reims (ca. 662). Wenn um 670 eine Synode – vermutlich in Autun – die Einführung der RB (ohne Kombination mit anderen Regeltexten) empfiehlt, handelt es sich wohl um eine Ausnahme, die weiter keine sichtbaren Spuren hinterlassen hat. Vielmehr lässt sich im 8. Jahrhundert, im Kontext der Gründungen Pirmins – wie im Falle von Mauersmünster und Murbach im Elsass etwa –, noch eindeutig die Praxis der Mischregeln nachweisen.

Auch für Spanien kann eine frühe Verbreitung der RB ausgeschlossen werden. Leander († 600) und Isidor von Sevilla († 636), Fructuosus von Braga († ca. 665) und andere große Klostergründer des 7. Jahrhunderts waren offensichtlich nicht Benedikt verpflichtet. Seine Regel lässt sich für Spanien erst im Zusammenhang mit der fränkischen Reconquista im 9. Jahrhundert nachweisen.

Der Siegeszug der Regula Benedicti

Es waren offensichtlich Klöster Britanniens, die als erste gegen Ende des 7. Jahrhunderts der Regel Benedikts folgten, wobei zugleich Hinweise existieren, dass man den Text noch individuell interpretierte und sich folglich neben der Regel eigenständige Hausobservanzen ausbildeten. Entgegen der älteren These, die Missionare, welche auf Initiative Gregors des Großen hin 596 nach Britannien gegangen sind, hätten die RB bereits mit auf die Insel gebracht, wird mittlerweile die Auffassung vertreten, dass Angelsachsen selbst es waren, welche die Regel auf der Insel bekannt machten. Benedict Biscop († 690) und Wilfrith von York († 709) waren auf ihren Reisen in Gallien und Italien vermutlich mit dem Text bekannt geworden und setzten sich, beseelt von tiefer Rombegeisterung, für dessen Verbreitung in ihrer Heimat ein. Die Entscheidung für die RB in Klöstern Britanniens ist dabei nur vor dem Hintergrund der besonderen ,Romverbundenheit‘ der angelsächsischen Kirche zu verstehen, einem Phänomen, das auf der Synode von Whitby (664) – wo Wilfrith eine ganz entscheidende Rolle als Propagator der römischen Observanz gespielt hatte – seinen sichtbaren Ausdruck fand, indem sich die Kirche Britanniens von der irischen Dominanz ab- und entschieden der römischen Observanz zugewandt hatte.

Im Umfeld der angelsächsischen Mönchsmissionare fand die RB dann in reiner Form Verbreitung auf dem Festland, begann hier langsam ihren Siegeszug und ließ allmählich das Zeitalter der Mischregeln zu Ende gehen. Bereits das Concilium Germanicum unter der Leitung des Bonifatius forderte im Jahre 742 die Benediktregel als die Normregel für Mönche und Nonnen. Zum gleichen Beschluss fand die Synode von Les Estiennes im darauf folgenden Jahr. Bonifatius selbst verpflichtete 744 seine Gründung Fulda auf die Regel Benedikts, und auch Chrodegang von Metz hatte im Rahmen einer Bistumsreform für die Klöster seines Sprengels (Amtsbezirks) bereits die RB gefordert (757 Synode von Compiègne und Gründung des Musterklosters Gorze). Entschieden verstärkte sich die Tendenz zu dieser Regel, als sich im Kontext der Kirchenreform Karls des Großen die Vorstellung von einer einheitlichen Observanz aller Reichsklöster auszubilden begann. Karl selbst hatte bei seinem Besuch in Montecassino im Jahre 787 ein Exemplar der Benediktregel in seinen Händen gehalten und ließ sich später von (dem fränkischen) Abt Theodemar eine Handschrift aus Montecassino nach Aachen schicken, in der Absicht, diese Regel zur Norm für die Klöster im Reich zu erklären. Die Durchführung der von Karl ins Auge gefassten Reform der Reichsklöster gelang aber erst unter seinem Sohn Ludwig dem Frommen. Auf den Reformsynoden von Aachen (816–818/819) wurde schließlich unter Benedikt von Aniane, dem spiritus rector der Erneuerung, die RB zur Norm für alle Reichsklöster erhoben. So war die Frage der Klosterobservanz verbindlich geregelt, fortan galt für die Klöster des Reiches die Devise: „eine Regel und eine Gewohnheit“.

Und damit war der Punkt in der Entwicklung erreicht, von dem an zu Recht von den „Benediktinern“ und von der „benediktinischen Observanz“ gesprochen werden kann. Jetzt erst begann jene Phase, in welcher der RB Exklusivität im Reich zukam, das Mönchtum also identisch mit dem „Benediktinertum“ wurde, eine Phase, die etwa vierhundert Jahre dauerte und über die Reformen der Cluniazenser und Zisterzienser hinweg bis zum Auftauchen der Bettelorden zu Beginn des 13. Jahrhunderts reichen sollte.

Die Kultgeschichte Benedikts

Stellt man die Frage nach den Ursachen hinter diesem späten, aber grandiosen Siegeszug der RB von einer lokalen Gemeinschaftsregel des 6. Jahrhunderts hin zur exklusiven Norm für die Klöster im gesamten Karolingerreich, so muss mindestens von zwei Gegebenheiten die Rede sein: einmal von der wachsenden Hochschätzung des Autors Benedikt, genauer, von seiner Erhebung zur Ehre der Altäre und seinem Aufstieg schließlich zum monumentalen Gründungsvater; zum andern vom Inhalt und den genuinen Qualitäten dieser Regel, die ja offensichtlich vor allen anderen ähnlichen – und durchaus bekannten – Texten den karolingischen Reformern am ehesten geeignet schien, die Umsetzung der Erneuerungen auf der Ebene der Reichsklöster zu garantieren.

Die ersten Spuren einer Benediktverehrung finden sich allerdings nicht in Italien, sondern in Gallien, genauer in Fleury-sur-Loire. Diese Gemeinschaft war um 650 mit großzügiger Königsausstattung auf dem rechten Ufer der Loire gegründet worden, galt als eines der reichsten Klöster Galliens und stand zunächst unter dem Petruspatrozinium. Im Bemühen, Reichtum und Ansehen seines Klosters zu steigern – man dachte wohl an die Begründung einer Wallfahrt –, fasste der tatkräftige Abt Mummolenus, begeistert von der Schilderung Benedikts im zweiten Buch der Dialogi Gregors des Großen, den Plan, zur höheren Ehre Benedikts wie zum größeren Wohle der Gemeinschaft die Reliquien des großen Asketen, die unwürdig und verlassen auf dem Berge bei Cassino lagen, nach Fleury zu überführen. Im Jahre 672 kamen Mönche aus Fleury auf dem Berge an, durchwühlten drei Tage lang die verlassene Stätte, stießen schließlich auf das vermeintliche Grab Benedikts und seiner Schwester Scholastika, öffneten es, entnahmen die Gebeine, wuschen sie ganz ungestört, legten sie in ein Behältnis und kehrten damit nach Fleury zurück. Am 11. Juli 673 oder 674 wurden diese Reliquien in der Krypta der Zweitkirche von Fleury, der Marienbasilika, in einen würdigen Schrein gelegt und erneut bestattet. Der 11. Juli blieb von nun an in Fleury – und bald auch anderswo – der Festtag der Depositio S. Benedicti und löste den römischen Gedenktag (21. März) bald ab. Damit war der erste Schritt zu einem Kult um Benedikt getan. Was noch fehlte, war die Erhebung zur Ehre der Altäre. Dieser letzte Schritt in der Genese der Kultgeschichte Benedikts lässt sich dann für das letzte Drittel des 8. Jahrhunderts belegen, dokumentiert durch ein Fresko, das man 1932 in der S. Hermas Basilika an der Via Salaria vetere in Rom unter jüngeren Übermalungen freigelegt hat. Dieses Fresko war im Zusammenhang mit einer Erneuerung der Basilika durch Hadrian I. (772–795) entstanden und zeigt Benedikt mit rundem Nimbus – dem Ausweis seiner verehrungswürdigen Heiligkeit – neben der Gottesmutter auf dem Altar stehend. Und dieses authentische Zeugnis darf dann als Abschluss eines erwachenden benediktinischen Bewusstseins wie einer sich ausbildenden Kultentwicklung verstanden werden. Denn hier war man einen entscheidenden Schritt weiter gegangen als in Fleury, wo zwar die Gebeine Benedikts ruhten, dieser aber noch nicht auf dem Altar erschienen war.

Die Hochschätzung und die Begeisterung, die man Benedikt im Norden entgegenbrachte, schienen nicht ohne Auswirkungen auf Italien geblieben zu sein. Auf Initiative Gregors II. (715–731) und des langobardischen Herzogsklosters S. Vincenzo (am Volturno) hin hatte man unter Abt Petronax gegen 718 den Wiederauf bau des verfallenen Klosters auf dem Berg bei Cassino in Angriff genommen, um wieder ein Gemeinschaftsleben zu ermöglichen. Diese Maßnahme war auch als ein Ergebnis der neuen, auf Kooperation setzenden Politik zwischen dem Papsttum und den Langobardenherzögen von Benevent zu verstehen, in deren Herrschaftsgebiet Montecassino lag. 744 schenkte Herzog Gisulf II. von Benevent umfangreiche Besitzungen im Umkreis des Berges und in der Ebene, der Grundstock der späteren Terra Sancti Benedicti. Es folgten päpstliche Exemtionsprivilegien unter Zacharias (741–752) und später unter Nikolaus I. (858–867). Ob Papst Zacharias allerdings im Jahre 741, wie gelegentlich behauptet, ein Exemplar der RB nach Montecassino geschickt hat, lässt sich nicht belegen. Doch darf wohl davon ausgegangen werden, dass man bei der Wiederbegründung von Montecassino sich an der RB orientiert hat, wenn auch nicht klar ist, wer die Regel wann und woher in die Neugründung eingebracht hat. Im Verlauf des 8. Jahrhunderts wird jedenfalls sichtbar, dass man der benediktinischen Observanz folgte.

Nach der Wiederbegründung setzte sogleich eine verstärkte Welle der Verehrung und Hochschätzung – und dies vornehmlich aus dem Norden – für Benedikt und Montecassino ein, die sich in einer bemerkenswerten Zahl von Besuchen und längeren Aufenthalten prominenter Zeitgenossen auf dem heiligen Berg widerspiegelte. So weilte von 728–738 der Angelsachse Willibald, ein späterer Helfer des Bonifatius und dann auch Bischof von Eichstätt, hier und wirkte neben Petronax entscheidend an der Wiederbegründung der Gemeinschaft mit; 747 oder 748 schickte Bonifatius seinen Schüler Sturmi auf den heiligen Berg, um sich Informationen über Benedikt und seine Regel zu beschaffen; zur gleichen Zeit trat der fränkische Hausmeier Karlmann, der Onkel Karls des Großen, in die Gemeinschaft ein; Adalhard von Corbie, ein Vetter Karls des Großen, Berater und Mitglied des engeren Hof kreises, weilte zwischen 771 und 780 zeitweise in Montecassino; sein Bruder Wala lebte hier einige Jahre; Liudger von Münster besuchte vor 787 den Berg als Pilger und Anselm, der Schwager des Langobardenkönigs Aistulf, Herzog von Friaul und erster Abt von Nonantola († 803), verbrachte schließlich zehn Jahre hier.

Die seit dem 7. Jahrhundert stetig wachsende Verehrung Benedikts wie die zunehmende Überhöhung seiner Verdienste ließen den Asket aus Norcia schließlich als Gründergestalt erscheinen, in deren Monumentalität auch die gesamte Frühentwicklung des Asketen- und Mönchtums – und keineswegs nur jene Italiens – eingeordnet werden konnte. Und es ist nur selbstverständlich, dass eine solche Wertschätzung auch ein starkes Motiv lieferte für die Akzeptanz und die Verbreitung der Regel.

Abt und Gemeinschaft

Der besondere Kultstatus Benedikts allein hätte allerdings nicht dazu geführt, die Regula zur Norm für die Klöster des Karolingerreiches zu erheben. Letztlich müssen die genuinen Qualitäten dieses Grundgesetzes, sein Inhalt und seine Form, die entscheidenden Ursachen gewesen sein, sich den Reformern zu empfehlen. Schließlich hat Benedikt von Aniane dieser Regel erst nach einem Vergleich mit etwa dreißig anderen, ähnlichen Texten den Vorzug gegeben.

Die RB präsentiert sich als typisch normativer Text der Spätantike, d. h. von einer gewissen inneren Ordnung und Schwerpunktsetzung zwar, aber – für den heutigen Leser etwas befremdlich – noch ohne streng systematischen Auf bau im modernen Sinne. Zugleich handelt es sich im Ganzen um einen vielschichtigen Komplex, in dem mehrere Ebenen verwoben sind. Dabei fallen, ohne andere Dimensionen des Textes leugnen zu wollen, die spirituell-theologische und die pragmatisch-organisatorische Ebene am deutlichsten ins Auge.

So lassen sich weite Teile der Regel als Katalog von Normen lesen, die das Verhältnis zwischen Abt und Gemeinschaft ordnen. Und sicher sind nicht zufällig die ersten Kapitel diesen Problemen gewidmet. Der Abt, verstanden als Stellvertreter Christi und diesem folglich in allem verantwortlich, steht an der Spitze des Klosters, das sich bezeichnenderweise definiert als „Schule, welche zum Dienste Christi erzieht“. Die Aufgabe des Abtes liegt vornehmlich in der geistlichen Leitung der Gemeinschaft, d. h. in der Seelenführung der Mitglieder, in zweiter Linie erst in der Sorge um deren diesseitigen Nöte. Aufgrund dieser Verantwortung stehen ihm zahlreiche Möglichkeiten individueller Belehrung, Ermahnung, Unterweisung, Bestrafung – notfalls auch die körperliche Züchtigung – zu. Dabei ist allerdings keine Rücksicht zu nehmen auf die soziale Herkunft der Mitglieder. Als Maß hat allein die verantwortbare Zuträglichkeit und die Bedürftigkeit des Einzelnen zu gelten.

In Ausübung seines Leitungsamtes bleibt der Abt letztlich Gott, nicht der Gemeinschaft verantwortlich, ein deutlicher Hinweis auf die vertikale, d. h. die hierarchische Verfassung der Gemeinschaft in diesem Bereich. Der hierarchische Grundzug im Verhältnis Abt – Gemeinschaft tritt in zahlreichen Einzelbestimmungen noch deutlicher hervor, kommt aber am klarsten zum Ausdruck in der zentralen Kategorie des Gehorsams, der Leittugend des Asketen. Die Gemeinschaft hat jede Entscheidung des Abtes zu akzeptieren, der Gehorsam ihm gegenüber muss absolut sein, selbst wenn er anders sprechen als handeln sollte oder seine Befehle gar unerfüllbar erscheinen. Der Asket hat jeden Eigenwillen zu brechen, ja zu hassen. Unverzüglich gehorsam zu sein gilt als erste Stufe der asketischen Grundtugend der Demut; den eigenen Willen nicht zu lieben als zweite, sich aus Liebe zu Gott dem Oberen zu unterwerfen als dritte, Gehorsam zu leisten selbst unter Inkaufnahme von Härten, Widerwärtigkeiten und selbst Ungerechtigkeiten als vierte Stufe. In einem Satze: Wenn der Abt spricht, ist es, „wie wenn Gott befähle“.

Ausführliche Bestimmungen betreffen die Modalitäten der Abtswahl, eines für den Bestand der Gemeinschaft zentralen Vorgangs. Bei der Wahl des Gemeinschaftsvorstehers gilt es – ganz ähnlich wie bei der Bischofswahl – zwei Stufen zu unterscheiden: die Wahl des Kandidaten sowie dessen Einsetzung ins Amt (durch den zuständigen Ortsbischof bzw. die Äbte der Nachbarschaft). Damit wird deutlich, dass die Wahl nicht als konstituierender Akt, sondern lediglich als Vorschlagsrecht der Gemeinschaft gegenüber jenen Personen verstanden wird, welchen die Einsetzung zukommt. Als gewählt gilt, wer ohne Rücksicht auf den Rang in der Gemeinschaft – Untadeligkeit der Person und des asketischen Lebenswandels sowie die Fähigkeit zur Führung der Gemeinschaft vorausgesetzt – entweder einstimmig oder vom kleineren, aber „weiseren“ Teil der Gemeinschaft benannt ist. Kriterien zur Erkennung des „weiseren“ Teils allerdings werden nicht genannt. Im Falle einer Skandalwahl durch einen unwürdigen Konvent – die dritte der vorgesehenen Wahlmöglichkeiten – kommt dem Ortsbischof, den Nachbaräbten, zuletzt sogar den Gläubigen der Nachbarschaft die Pflicht zu, sich einzumischen. Zur Bewältigung seiner Aufgaben, vornehmlich bei Vergrößerung des Konvents, kann sich der Abt „Dekane“ oder – falls von der Gemeinschaft erwünscht – einen Stellvertreter (praepositus) als Helfer für die Klosterleitung bestellen. In der Reihe solcher Helfer bleibt auch der „Novizenmeister“ zu erwähnen, stets ein älterer, erfahrener Bruder, der die angehenden Mönche auf ihren Dienst in jeder Hinsicht vorzubereiten hatte. Außeneinfluss bei der Auswahl dieser Helfer ist untersagt, sollten die Helfer aufgrund ihrer besonderen Aufgaben überheblich werden, drohen ihnen schwere Strafen bis hin zur Ausweisung aus der Gemeinschaft.

Der spirituell bestimmte Tagesablauf

Nach der Regel versteht sich das Kloster als eine Gemeinschaft, die unterwegs zum eigenen Seelenheil ist, als eine geistliche Gemeinschaft also. Daher hat jedes Mitglied sich stets aufs Höchste zu fordern. Nicht der bloße Vollzug im Gemeinschaftsalltag ist das Ziel, vielmehr das Bemühen, jeden Moment des Tagesablaufes in höchster Tugendhaftigkeit zu bestehen. Als Hilfsmittel, als „Werkzeuge“, diesen Zustand zu erreichen, kennt die Regula mehr als siebzig – meist aus der Regula Magistri übernommene – detaillierte Verhaltensnormen.

Aus dem Verständnis des Klosters als einer vornehmlich spirituellen Gemeinschaft folgt, dass jenseits besonderer Ämter und Dienste eine innere, geistliche Rangordnung zwischen älteren und jüngeren Mitgliedern einzuhalten war. Dabei war nicht das Lebensalter, vielmehr die Dauer der Gemeinschaftszugehörigkeit entscheidend. Dem Abt allerdings blieb es vorbehalten, diese Regel zu durchbrechen und im Falle besonderer asketischer Verdienste oder Verfehlungen einen höheren oder geringeren Rang zuzuweisen. Sichtbaren Ausdruck fand diese Rangordnung im Rahmen der liturgischen Feiern – in der Ordnung der Mönche im Chorraum etwa, in der Reihenfolge beim Friedenskuss, beim Kommunionempfang, beim Anstimmen der Psalmen –, aber auch in der gegenseitigen Achtung und Anrede: Der Ältere nennt den Jüngeren „Bruder“, der Jüngere den Älteren „ehrwürdiger Vater“. Der Abt wird von allen mit „Herr und Vater“ angesprochen.

Die Gemeinschaft als Institution in der Zeit kannte einen präzisen Tagesablauf, strukturiert durch die Zeiten gemeinsamen Gebetes (Stundengebet, Hore, Offizium). Die Schlafenszeit der Gemeinschaft endete mit dem Nachtoffizium (vigiliae), etwa zwischen 2:00 und 2:30 Uhr. Die Zeit bis zur ersten Hore des Lichttages (Matutin, bei Sonnenaufgang) wurde unterschiedlich genutzt: Im Winter sollte man sich dem Psalter und den Lesungen widmen, im Sommer lediglich die natürlichen Bedürfnisse erledigen und sogleich zur Matutin schreiten. Der Lichttag, die Zeit vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang, war durch sieben Horen gegliedert – 1. Matutin (Sonnenaufgang), 2. Prim, 3. Terz, 4. Sext (Mittagszeit), 5. Non, 6. Vesper, 7. Complet (Sonnenuntergang) –, umfasste also sechs unter sich gleich lange Teile. Die Gebetszeiten der einzelnen Horen waren unterschiedlich lang, außerdem galten zahlreiche Sonderregelungen für Sonn- und Feiertage, für besondere Heiligenfeste und vor allem für die Fastenzeit. Ohne auf die zahlreichen Gebetsvorschriften im Einzelnen einzugehen, sei lediglich darauf hingewiesen, dass im Verlauf einer Woche u. a. der gesamte Psalter mit allen 150 Psalmen zu beten war. Bezüglich der Eucharistiefeier finden sich nur wenige Bemerkungen. Immerhin lässt sich erkennen, dass ein Mönch mit Priesterweihe in der Gemeinschaft vorgesehen war, um die Seelsorge innerhalb des Klosters zu gewährleisten und so zu vermeiden, der Messfeier wegen die eigenen Mauern verlassen zu müssen.

Die Zeiträume zwischen den Horen blieben der (Hand-)Arbeit, der individuellen Beschäftigung mit der Heiligen Schrift sowie den Essens- und Schlafenszeiten vorbehalten. Der Handarbeit waren im Sommerhalbjahr die Zeiten zwischen der Prim und der vierten Stunde sowie zwischen Non und Vesper vorbehalten. In der Winterzeit hingegen – hier fiel ja kaum Feldarbeit an – ist Handarbeit nur zwischen Terz und Non, in einem Block, vorgesehen.

Essenszeiten kannte man zwischen Ostern und Pfingsten zwei: in der 6. Stunde (lediglich eine Stärkung) sowie am Abend. Von Pfingsten an, also den Sommer hindurch, sollte normalerweise nur einmal, zur 6. Stunde, gegessen werden. In der Winterzeit – vom 14. September bis zur Fastenzeit – war die 9. Stunde zum Essen vorgesehen, während der Fastenzeit (bis Karsamstag) sollte dies aber noch bei Tageslicht geschehen.

Der individuellen Lesung widmete man sich sommers zwischen der 4. und 6. Stunde und – sofern man nicht einer Ruhepause auf dem Bett den Vorzug geben wollte – des Weiteren zwischen dem Essen (sommers normalerweise zur 6. Stunde) und der Non. Im Winter lagen die Zeiten der Lesung zwischen Prim und 2. Stunde sowie zwischen dem Essen (winters bis zur Fastenzeit zur 9. Stunde) und der Vesper. An Sonntagen trat für alle – ausgenommen für jene, die ein Wochenamt in der Gemeinschaft bekleideten – anstelle der Arbeitszeiten die Beschäftigung mit geistlichen Dingen, die lectio divina. Seinen Abschluss fand der Tag mit der Complet. Die Stunden von der einsetzenden Dunkelheit bis zum Nachtoffizium (vigiliae) waren dem Schlaf vorbehalten.

Ämter und Dienste

Die Gemeinschaft als sozialer Verband wird in vielfältigen Einrichtungen sichtbar, zunächst in den zahlreichen Ämtern und Diensten, die das Funktionieren der Gemeinschaft erst möglich werden lassen. Eines der wichtigsten Ämter war das des cellararius. Dieser war hauptsächlich zuständig für Beschaffung, Vorratshaltung und Austeilung der Nahrungsmittel sowie für alle dazu notwendigen Geräte. Wegen der vielfältigen Möglichkeiten zu Missbräuchen in Ausübung dieses Amtes sollte der Inhaber vom Abt bestellt werden und immer eine Persönlichkeit von besonderer Charakterstärke sein. Neben dem cellararius finden sich zahlreiche weitere Inhaber von Ämtern: der Pförtner, die Betreuer von Kranken und Gästen, der Aufseher über die Arbeitsgeräte, die wöchentlich wechselnden Küchendiener und der Vorleser bei Tisch. Auch die zahlreichen Handwerker des Klosters mit ihren Sonderaufgaben sind hier zu erwähnen.

Neben Ämtern und Diensten spiegelt sich die soziale Wirklichkeit der Gemeinschaft auch in den Sondergruppen, auf die in der Gemeinschaft Rücksicht zu nehmen war: Knaben, Greise und Kranke, Priester und Gäste. Nicht zuletzt geben der detailliert beschriebene Ritus der Aufnahme in die Gemeinschaft wie jener des Ausschlusses aus derselben und schließlich auch der Strafenkatalog, der bei Verfehlungen und Verstößen gegen die Gemeinschaftsprinzipien Geltung hatte, den Blick frei auf die sozialen Zusammenhänge innerhalb der Gemeinschaft.

Die entschieden spirituelle Verfassung der Gemeinschaft zeigt sich hingegen in den zahlreichen Anweisungen, wie ein Asket, ohne dabei seine Bestimmung zu verfehlen, mit Alltäglichkeiten umzugehen hatte: mit Besitz, Kleidung, Essen, Trinken und Schlafen, Beten und Handarbeit. Schließlich weisen auch die detaillierten Ausführungen zur Klosteranlage sowie die Belehrungen über Funktion und Bedeutung der Regel auf die letztlich spirituelle, ausschließlich asketischem Geist verpflichtete Verfasstheit der Gemeinschaft hin.

Die Reichsklöster nach der anianischen Reform

Im Ganzen liegt mit der RB ein Grundgesetz für monastische Gemeinschaften vor, das – im Vergleich zu allen ähnlichen Texten, die bis hin zur Karolingerzeit im lateinischen Westen bekannt sind – in seiner sprachlichen Durcharbeitung, seiner Konzentration auf das Wesentliche, seiner Anpassungsfähigkeit, der juristischen Durchdringung, der spirituellen Tiefe sowie der Ausgewogenheit zwischen asketischer Anforderung und menschlichem Maß als herausragend beurteilt werden muss. (Und zusammen mit den lateinischen Versionen der Regula Pachomii und der Regula Basilii sind uns immerhin etwa dreißig Regeln oder regelähnliche Texte erhalten.)

Letztlich müssen es auch die besonderen Qualitäten dieser Regel gewesen sein, welche die Reformer der Karolingerzeit überzeugt haben, Chrodegang von Metz nicht minder als Benedikt von Aniane. Unter seiner Ägide wurde schließlich – im Auftrag Ludwigs des Frommen – die Kirchen- und Klosterreform des Reiches durchgeführt und die RB auf den Reichstagen von 816–817/819 zur Normregel für alle Reichsklöster erhoben. Neben die Regel allerdings sollten einheitliche „Gewohnheiten“ (consuetudines) treten, schriftlich fixierte Regelungen von Alltagsdetails also, über welche die Regula schweigt.

Auch wenn diese Reformen nicht sogleich flächendeckend im Reich durchgesetzt werden konnten, mag es doch historisch berechtigt sein, seit diesem Zeitpunkt von den „Benediktinern“, einem „Benediktinertum“ bzw. von einer „benediktinischen Observanz“ zu sprechen, nicht aber für die Zeiten davor. Erst jetzt kam der RB eine exklusive Stellung auf der Reichsebene zu, von nun an konnte sie erst Alleingeltung als Klosterregel beanspruchen, ein Zustand, der etwa vierhundert Jahre, bis zum Auftreten der Bettelorden zu Beginn des 13. Jahrhunderts andauerte. Die Rede von Benedikt als „Vater des Abendlandes“ und „Patriarch des abendländischen Mönchtums“ im Sinne einer Gründer- oder Stifterfigur, die am Anfang des abendländischen Mönchtums gestanden habe, sollte also aufgegeben werden. Zum Zeitpunkt als die benediktinische Observanz wirklich Exklusivität für Westeuropa gewann, zur Zeit der Karolinger nämlich, war die RB schon fast dreihundert Jahre alt, und der lateinische Okzident hatte bereits zahllose Klostergemeinschaften gesehen, von denen nur die wenigsten aufgrund von Mischregeln, die weitaus meisten aber überhaupt nicht mit Benedikt und seiner Regel in Zusammenhang gestanden haben.

Durch die Reform Benedikts von Aniane also – die Zeitgenossen schon belegten ihn mit dem Ehrennamen Benedikt II. – wurde das Benediktinertum erst geschaffen. Allerdings ging, was der enormen Folgen wegen nicht aus dem Auge zu verlieren ist, dieser Prozess einher mit einer tief greifenden Veränderung der Klöster. Es ist nicht übertrieben, hier von einem Strukturwandel der Gemeinschaften zu reden, der die äußeren Dimensionen der Klöster, ihre Stellung und Funktion im Herrschaftskonzept des Königs, ihre innere Organisation, ihr Selbstverständnis sowie nicht zuletzt ihre Spiritualität fundamental traf; Veränderungen, die für die Gemeinschaften als geistliche Anstalten nicht nur von Vorteil waren und bisweilen auch energische Gegenreaktionen herausgefordert haben. Die Reichsklöster nach der anianischen Reform hatten nämlich mit dem Typus der frühen Asketengemeinschaft, wie sie Benedikt und seine Regel einst im Auge hatten, in vielerlei Hinsicht nichts mehr gemeinsam. Benedikt hatte einst seine Regel verfasst für eine asketisch lebende, von der Welt zurückgezogene, sich selbst versorgende Gemeinschaft, die unter einem vorbildlichen Abt stand und auf dem Wege zum eigenen Seelenheil war, und nur dies. Die Reichsklöster der Karolingerzeit dagegen, und vornehmlich jene nach der anianischen Reform, waren durch Ausstattungen und Zuwendungen seitens der Königs- und Adelsfamilien zu beträchtlichen, nicht selten zu außerordentlichen – durch Immunität und Königsschutz privilegierten – Grundherrschaftskomplexen mit zahlreichen Laienhelfern geworden, was die Basis ausmachte für ihre enormen Leistungen: für ihre großen Gebäudekomplexe, für den Unterhalt von Bibliotheken und Schreibstuben, für ihre Herbergspflichten gegenüber dem reisenden Hof, für ihre präzise festgelegten Leistungen an den König, sei es in Form von vielfältigen Diensten, von Agrarprodukten oder sonstiger Sachleistungen wie etwa Kriegsgerät oder Kriegsproviant, sei es – im Falle der größeren Gemeinschaften – der Bereitstellung von kriegstüchtigen, voll ausgerüsteten Soldaten. Das Reichskloster war zwar durch die anianische Reform zum Kulturmittelpunkt und Zivilisationsträger ersten Ranges, aber zugleich auch zum unverzichtbaren, integralen Bestandteil der Königsherrschaft geworden.

Dass diese Transformation der asketischen Gemeinschaften die Voraussetzung darstellte zu den beispiellosen Leistungen der Klöster für Kultur und Zivilisation Westeuropas, ist unbestritten. Tatsache ist aber auch, dass diese Veränderungen die Gemeinschaften von ihrer ursprünglichen asketisch-spirituellen Zielsetzung eher wegführten. In Teilen des benediktinischen Mönchtums blieb das Bewusstsein über diesen Verlust allerdings stets wach und äußerte sich schließlich in neuen Reformansätzen, jenen, die im 10. Jahrhundert von Cluny – und nicht nur von hier – ausgingen wie in jenen, die im 11. Jahrhundert in Cîteaux ihren Anfang nahmen. In beiden Reformen ging es bezeichnenderweise denn auch nicht um die Schaffung neuer Regeln, sondern um die Rückkehr zur ursprünglichen, rein und unverändert gelebten Regel Benedikts. Erst die Bettelorden am Beginn des 13. Jahrhunderts schufen, ihren Zeitanforderungen entsprechend, ein in Geist, Form, Funktion und Selbstverständnis neues Mönchtum, das sich dann nicht mehr auf die Regel des Asketen aus Nursia und seine Gemeinschaft auf dem Berg bei Cassino berief.

Höhepunkte des Mittelalters

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