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Meine Tasche war längst gepackt. Ich mußte nur aufstehen und gehen.

Max sagte, es sei vielleicht am besten, wenn ich ein Stück vor ihm herginge, damit niemand auf komische Gedanken käme. »Übrigens ist es wohl besser, wenn ich die Tasche nehme«, meinte er dann. »Zwar schläft der Zollbeamte am Landungssteg sicher, aber es kann ja immerhin sein, daß er plötzlich zu sich kommt und sich einbildet, er müsse nach Zigarren suchen. Daran sind sie nämlich sehr interessiert, an Zigarren. Und auch wenn du keine hast, gibt es eine Menge Fragen und Gerede. Geh du nach rechts am Kai entlang, ich hole dich dann ein.«

Es war dunkel, ein leichter Nieselregen fiel, und ich schlug den Jackenkragen hoch, als ich über den Landungssteg ging. Der Zollbeamte schenkte mir kaum einen Blick. Ich ging langsam. Es roch nach Fisch, und die Eisenbahnschienen glänzten kalt im schwachen Schein der Laternen.

Neben einem großen Lagergebäude wartete ich auf Max. Als er kam, sagte er nur, ich solle ihm folgen.

Wir gingen schnell, an Backsteinmauern und Eisenbahnwaggons vorbei. Ich kann mich an nassen Sand erinnern und an einen Geruch nach brennendem Laub, der kräftiger wurde, als wir das Hafengebiet hinter uns ließen.

Es waren nicht besonders viele Menschen unterwegs, deutlich kann ich mich nur noch an einen Mann erinnern, der uns in einer engen Gasse unter einer Laterne entgegenkam. Er trug einen hohen Hut, hielt einen Spazierstock in der Hand und ging mit eigentümlich wütendden, weitausholenden Schritten; als er an uns vorüberging, bekam ich das Gefühl, daß er mit dem Stock nach mir schlagen wolle.

Hull war ein gefährlicher und feindseliger Ort, fand ich. Wir gingen über eine gewölbte Holzbrücke.

»Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagte Max.

Ich fragte nicht, wohin wir unterwegs waren. Seine raschen, bestimmten Bewegungen hinderten mich daran. Häuser mit kleinen runden Schornsteinen und spitzen Dächern, entferntes Grölen, Wasserblinken zwischen den Häusern, beißender Geruch — dann kamen wir in eine ziemlich schmale gepflasterte Straße, die vom Schein der Laternen schwach beleuchtet war. In vereinzelten Fenstern war Licht. Max blieb stehen und sah sich um.

»High Street«, sagte er. »Die Hauptstraße. Hier bin ich schon ab und zu gewesen.«

Er zögerte einen Augenblick und schob die Mütze in den Nacken, dann gingen wir nach rechts weiter. Nach ein paar weiteren Häuservierteln blieb er wieder stehen. Er wirkte unsicher.

»Dieses Haus hier muß es doch sein, zum Henker nochmal. Du hast gesunde Augen, was steht da auf dem Schild?«

Die Frage erstaunte mich zwar, aber ich buchstabierte mich durch die altertümliche, abblätternde Schrift: »Lincolns Arms« stand dort.

»Hol’s doch dieser und jener«, sagte Max. »Bist du ganz sicher ... Aber das hätte man sich ja beinahe mit dem Hintern ausrechnen können ...«

Das Haus war dunkel und still. Das obere Stockwerk ragte, von Säulen gestützt, wie ein Balkon über die Straße. Die Fensterläden waren geschlossen. Max rüttelte an der Tür. Eine Katze fauchte uns an und verschwand unter einem Zaun.

»Sie haben ihm natürlich die Lizenz entzogen«, sagte Max.

Er hatte seine Mütze abgenommen, jetzt setzte er sie wieder auf, sehr ordentlich, ganz als würde er vor einem Spiegel stehen. Das Gefühl, daß ich ihm zur Last fiel, überkam mich wieder, doch da lächelte er auf seine plötzliche Art und legte seine Hand auf meine Schulter und sagte:

»Hull by night! Was sagst du dazu?«

Wir gingen langsam weiter. Aus den Bierkellern drang Gesang und Gelächter. An einigen Straßenecken standen Männer, die meisten sahen wie Seeleute aus, und an einer Stelle saß ein Mann mit dem Rücken zur Wand. Er sah krank aus, ein anderer Mann hockte neben ihm. Ein Hund hockte auch dort, ein großer Hund mit eingedrückter Schnauze, und als wir an der Gruppe vorbeigingen, fürchtete ich mich ein bißchen.

»Hier«, sagte Max ein paar Häuser weiter. »Das hier ist wenigsten keine von den allerschlimmsten Höhlen. Komm!«

In der Schenke war es warm und rauchig. Der Mann, der hinter der Theke Gläser abtrocknete, hatte große rote Hände. Max fragte, was ich trinken wolle, und ich dachte an Hasselbacken daheim in Stockholm und sagte etwas von einer Halben Punsch. Da lächelte er und sagte, jetzt seien wir in England, und da sei es sicher bekömmlicher, sich ans Bier zu halten.

»Man kann zwar nur einmal sterben«, sagte er, »aber trotzdem ...«

Wir saßen einander an einem kleinen ungestrichenen Holztisch gegenüber und tranken Bier. Max hatte auch ein kleineres Glas vor sich stehen, mit Gin, nahm ich an. Ich fragte, was das denn vorhin für ein Haus gewesen sei.

»Das hat mal einem Schweden gehört«, erklärte er.

»Andersson hieß er, glaube ich.«

»Was wollten wir dort?«

»Ein Dach über dem Kopf für dich, wenigstens für die nächsten paar Tage«, sagte Max. »Und dann wolltest du dich ja waschen. Bei Andersson war alles möglich.«

Die nächsten paar Tage, dachte ich. Aber danach? Und jetzt? Max zündete sich eine Zigarre an.

»Ja, es ist nicht leicht«, sagte er, »aber ich glaube schon, daß wir alle deine Angelegenheiten in Ordnung bringen werden.«

»Wie denn?«

Max blies auf die Zigarrenglut, daß sie hell aufleuchtete. Dann leerte er das kleine Glas, hielt es hoch und drehte es zwischen den Fingern.

»Hier sitze ich und wärme mir den Magen mit Gin«, sagte er. »Und da sitzt du mit all deinen Fragen. Wie wäre es, wenn du versuchen würdest, selbst ein paar davon zu beantworten? Ich hol mir nur noch ein Gläschen ...«

»Das hier ist zu stark für dich«, sagte er, als er zurück kam. »Aber wenn du mehr Bier willst, brauchst du’s nur zu sagen. Heute abend hab’ ich wieder mal meinen spendierfreudigen Abend.«

Er leerte das halbe Glas und sah mich streng an.

»Na? Wie willst du’s jetzt halten?«

Ich weiß nicht mehr, was ich sagte; vermutlich, daß ich nach Liverpool wollte — zur Not könnte ich ja zu Fuß gehen und in Scheunen übernachten — und wenn ich angekommen sei, wolle ich versuchen, auf einem der großen Amerikaschiffe anzuheuern ...

»Glaubst du denn selbst an das alles?« fragte er.

Ich antwortete nicht.

»Aber hol’s doch dieser und jener, wahrscheinlich würdest du’s doch irgendwie schaffen«, sagte er.

Wir schwiegen eine Weile.

»Dan«, sagte er dann mit veränderter Stimme. »In dieser ganzen Geschichte gibt es etwas, womit du allem Anschein nach nicht gerechnet hast.«

»Was denn?«

»Mich natürlich. Oder bildest du dir etwa ein, daß ich ein solcher Dreckskerl sei und einen — — wie alt bist du?«

»Fünfzehn.«

»... und einen fünfzehnjährigen Jungen in einer Stadt wie Hull im Stich lassen würde, wo Kinder im Gefängnis landen, nur weil sie ein Stück Schnur geklaut haben!«

Er sprach mit lauter Stimme und sah beinahe wütend aus, und ich glaube, daß ich verlegen murmelte, ich wolle anderen nicht zur Last fallen.

»Du drückst dich vielleicht komisch aus«, sagte er. »Was glaubst du wohl, wer anderen nicht zur Last fällt? Der König vielleicht? Keine Spur!«

Er leerte sein Glas und stand auf.

»Noch eins, dann reicht’s für heute.«

»Aber warum sollte ich denn damit rechnen, daß du mir hilfst?« sagte ich, als er zurückkam. »Ich meine, wir sind ja gar nicht verwandt oder so.«

»Du sagst vielleicht Sachen.«

Er bekam einen eigentümlich warmen Ausdruck in die Augen, nippte am Glas und starrte auf die Tischplatte.

»Manchmal macht man Sachen, die man bereut«, sagte er. »Und hinterher verspricht man sich selbst, daß man versuchen will, alles wiedergutzumachen. Und dann vergeht die Zeit, ohne daß etwas daraus wird, und dann trifft man so einen jungen Kerl, der vom Regiment durchgebrannt ist und sich nach Amerika durchschlagen will ...« »Ich bereue es, daß ich damals bei der Schlägerei dabei war«, sagte ich.

»... und dann denkt man, das wäre doch gelacht, wenn der nicht nach Amerika käme«, setzte Max fort. »Und dann lernt man ihn näher kennen und entdeckt: Es hat ja gar nichts mit jener ersten Geschichte zu tun, — daß ich dir helfe, meine ich.«

»Was denn für eine Geschichte?«

»Eine, die ich immer mit mir herumtrage, weil ich ja sonst nichts hätte, worüber ich mich grämen könnte.«

Er verstummte. Jetzt erst wurde ich das Lokal, in dem wir saßen, richtig gewahr — den Rauch, die Sägespäne auf dem Fußboden, die abblätternde Farbe an den Wänden, die Männer hinten an der Theke, den Geruch nach abgestandenem Bier.

»Aber natürlich kann ich sie dir auch erzählen«, sagte er. »Es ist eine schreckliche Geschichte, aber sie ist wahr, und wer weiß, vielleicht tut es dir gut, sie zu hören. Sie handelt von einem Jungen in deinem Alter. Aber sie hat gar nichts mit dir zu tun. Jetzt nicht mehr.«

Er leerte das Glas und lächelte.

»Manchmal kommt man sich auf seine alten Tage richtig vernünftig vor«, sagte er, »besonders nach drei Schnäpsen ...«

Dan Henry allein im fremden Land

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