Читать книгу Die Gurus, die Stille und der Berg - Subhuti Anand Waight - Страница 13
ОглавлениеUnser Taxi umfährt die Stadt Tiruvannamalai, vorbei an den Toren von Ramanas Ashram, steuert ein paar Kilometer in Richtung untergehender Sonne und setzt uns schließlich vor einem Gästehaus ab.
Mein erster Eindruck ist, dass ich Tiru nicht mag. Es ist zu geschäftig, zu laut, die Luft mit Abgasen zu verpestet. Aber ich weiß auch aus langer persönlicher Erfahrung als ewig wandernder Nomade, dass es mir auf den ersten Blick nirgends gefällt.
Aus unbekannten Gründen – die vielleicht auf irgendein früheres Leben zurückgehen, als ich mit Moses auf der Suche nach dem Gelobten Land in der Wüste umherirrte – ist mein erster Eindruck von einem Ort immer derselbe: „Das ist nicht das, wonach ich suche. Nichts wie weg hier!“
Anstatt diesem wiederkehrenden Impuls zu folgen, atme ich ein paar Mal tief durch, gebe mir die Anweisung, mich zu entspannen, nehme die herrliche Aussicht auf den Arunachala wahr und genieße eine warme Umarmung mit meiner Freundin Gayatri, die wie ich einen indischen Namen angenommen hat. Sie hat freundlicherweise meinen Aufenthalt arrangiert und heißt mich nun willkommen.
Gottseidank hab ich Freunde, die die örtliche Szene kennen. Wäre ich als völliger Neuling Anfang Januar hier angekommen, in der touristischen Hochsaison, wäre es schwierig gewesen, überhaupt eine Unterkunft zu finden. Doch Gayatri, meine niederländische Freundin und Gastgeberin in Tiru, war schon mehrmals hier. Seit sie sich kürzlich die Haare ganz abrasiert hat, sieht sie mit ihrem kahlen Kopf, der sonnengebräunten Haut und dem rätselhaften Lächeln für jedermann wie eine tibetisch-buddhistische Nonne aus.
Als sie mich begrüßt, entnehme ich ihrem Gesichtsausdruck jene zeitlose, rätselhafte Qualität einer Person, die gerne fernab der Welt und deren Hektik lebt. Sie liebt Tiru und war so freundlich, mir eine kleine Wohnung am Rande der Stadt reservieren zu lassen.
Ich hatte zuvor übrigens auch an den Ramana Ashram geschrieben und angefragt, ob ich ein paar Tage im Ashram wohnen könne, was für jeden möglich ist. Es ist sogar eine empfehlenswerte Methode, um hier anzukommen, weil man sofort mittendrin ist. Und es gibt einem Zeit, sich nach einem Platz außerhalb des Ashrams umzusehen. Aber Anfang Januar ist Ramanas Geburtstag, der traditionell am ersten Vollmond nach seinem eigentlichen Geburtstag gefeiert wird, und alle Gästeplätze im Ashram sind schon seit Monaten ausgebucht.
„Ich hoffe, es gefällt dir, es gab keine große Auswahl“, sagt Gayatri entschuldigend, als wir die Tür meines neuen Zuhauses aufschließen.
Es gefällt mir nicht. Es ist kahl, hässlich, Neonröhren leuchten grell von der Decke und es ist voller Mücken. Dazu wird es mich 700 Rupien pro Tag kosten, was mehr ist, als ich im Budget vorgesehen hatte. „Letztes Jahr waren es 500, aber die Preise steigen“, erklärt Gayatri. Natürlich verändert sich Tiru. Da immer mehr Leute davon erfahren, steigt die Nachfrage nach Unterkünften, und mit ihnen sprießen auch die Träume der Einheimischen vom Reichtum. Besucher wie ich machen das Leben für Besucher wie mich schwieriger.
„Es ist toll, danke!“, sage ich zu Gayatri, tapfer gelogen. Sie umarmt mich noch einmal, sagt mir, der Vermieter sei schon auf dem Weg, und wir verabreden uns für später zum Abendessen.
In der Zwischenzeit mache ich mich an die Moskitovernichtung. Als ich einige mit flacher Hand zerklatsche, sind meine Hände voller Blut. Der letzte Mieter muss ihnen ein wahres Festmahl angeboten haben. Vielleicht hat er die Tür nachts offen gelassen, oder vielleicht – eine grauenhafte Vorstellung – gibt es Löcher im Moskitonetz der Fenster.
Der Vermieter ist ein kleiner, stämmiger Kerl um die fünfzig, mit einem hängenden schwarzen Schnurrbart, der ihn eher wie einen mexikanischen Banditen aus einem alten Westernfilm aussehen lässt. Er fährt ein Motorrad, trägt ein weißes Hemd und hat keine Hose an; als Einheimischer trägt er stattdessen einen Lunghi oder Sarong.
Er spricht nicht viel Englisch, aber die universelle Sprache des Geldes verstehen wir beide. Ich möchte ihm nur eine Woche bezahlen, in der Hoffnung, eine bessere Bleibe zu finden. Aber er will das Geld für zwei Wochen haben, mindestens.
Okay, ich gebe nach.
Ich überreiche ihm 9.800 Rupien und wir vereinbaren, uns morgen wieder zu treffen, um das notwendige „C-Formular“ auszufüllen, die von der Polizei verlangte Registrierung von Ausländern.
Ich weiß, dass ich bis heute Abend nicht alle Moskitos töten kann, aber das ist okay, denn ich habe ein Moskitonetz in meinem Reisegepäck, das ich schnell über dem Bett anbringe. Ich nehme mir vor, mir einen dieser elektrischen Mückenzapper in Form eines Tennisschlägers zu kaufen, der eine Mücke im Flug zappt; vorausgesetzt man spielt eine ebenso treffsichere Rückhand wie Roger Federer.
Außerdem werde ich einen Mückenschutz für die Steckdose kaufen, und wenn alles andere fehlschlägt, dann habe ich noch eine große Tube des legendären ‚Odomos‘-Mückenschutzmittels, das in Indien hergestellt wird und das wir früher, in den Siebziger Jahren, immer verwendeten. Damals war es eine grüne Paste und roch ekelhaft. Jetzt ist sie weiß und fast geruchlos. Ich hoffe, es funktioniert dennoch.
Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Ich habe eine Aversion gegen Stechmücken. Und ich habe Angst Malaria und das gefürchtete Dengue-Fieber zu bekommen, das normalerweise nicht tödlich ist, aber oft sehr schmerzhaft verläuft. Das will man nicht unbedingt erleben.
Mein Hauptgrund ist jedoch eher banaler Natur: Ich weiß aus langer Erfahrung, dass eine einzige einsame, hungrige Mücke mir total den Schlaf rauben kann. Deshalb gehört es zu meiner Routine bei der Ankunft in Indien, mir eine möglichst moskitofreie Zone zu schaffen. Übrigens bin ich in Bezug auf Indien ein alter Hase – allerdings hatte ich mich bis jetzt noch nie südlicher als Goa bewegt.
Ich habe auch zwei Bettlaken und ein weiches Kissen mitgebracht. Man hatte mich vorher gewarnt, dass die Vermieter in Tiru oft keine Laken zur Verfügung stellen und außerdem scheinen die Kopfkissen in indischen Gästehäusern oft mit Beton gefüllt zu sein - wie viele Reisende aus harter Erfahrung wissen.
Nun, nachdem ich meine Basis-Überlebensausrüstung installiert habe, ziehe ich mich aus und gehe ins Bad. Der Durchlauferhitzer funktioniert und der Brausenkopf schickt einen angenehmen Wasserstrahl auf meinen Körper. Das ist mehr, als ich erwartet habe. Oft ist in preiswerten Unterkünften nur eine kalte Dusche vorhanden – und nicht selten bloß ein Eimer und ein Wasserhahn.
Während des Duschens stelle ich fest, dass ich kein Handtuch mitgebracht habe und der Vermieter keins zur Verfügung gestellt hat. Okay, kein Problem. Ich habe so viele Lagen Kleidung, die bei der Abreise aus dem elenden Winter in Dänemark unerlässlich waren, aber nach der Ankunft in Tiru überflüssig sind. Also nehme ich einfach ein Unterhemd zum Abtrocknen.
Morgen werde ich Handtücher kaufen. Einen praktischen Tipp hat Gayatri mir schon gegeben, nämlich, zwei sehr dünne Handtücher zu kaufen. Sie trocknen schnell, auch in der Wohnung, und man hat immer eins zur Hand.
Ich schlüpfe in ein frisches T-Shirt und meine alte Jeans, schließe die Wohnung ab und mache mich auf den Weg zum Ashram. Ich weiß, dass dies der eigentliche Test sein wird. Wenn mir der Ashram nicht gefällt, kann ich nicht länger als ein paar Tage hier bleiben. Wenn er mir gefällt, könnte es sein, dass ich monatelang bleibe.
Ich winke eine gelbe Riksha herbei und der Fahrer fährt mich in die Stadt und setzt mich vorm Tor ab. Das geschwungene grüne Schild über dem Eingang verkündet: „SRI RAMANASRAMAM“.
Als ich durch das Tor trete, bin ich erleichtert, vom Straßenlärm abgeschirmt zu sein. Der ganze Platz ist von einer dicken Steinmauer umgeben, die einen wirksamen Schutz vor der Welt da draußen bietet.
Ich verstaue meine Schuhe im Schuhbüdchen auf der linken Seite des Eingangs und halte inne, um die Technik des „Schuhhüters“ zu bewundern. Er sitzt am Tisch, steckt das Ende eines langen Bambusstabes in einen meiner Schuhe, ergreift das andere Stabende, schwenkt herum und deponiert den Schuh präzise auf dem Regal hinter sich. Er tut dies ein zweites Mal, und seine Arbeit ist getan. Dafür braucht er nicht einmal vom Stuhl aufzustehen.
Das Eingangstor zum Ramana Maharshi Ashram
Vorsichtig gehe ich über den sandigen Kies in den Ashram, beschattet von großen Mandelbäumen und Kokospalmen. Über dem Bürodach strahlt eine riesige Bougainvillea in voller Blüte, violett und rosa.
Hier herrscht ein geschäftiges Treiben, Leute kommen und gehen, aber gleichzeitig ist die allgemeine Stimmung ruhig und gelassen. Die Atmosphäre gefällt mir und gibt mir das Gefühl in einer geborgenen Oase zu sein, geschützt vor dem Irrsinn des Alltagslebens.
Ich weiß nicht, wohin ich gehe, steige aber ein paar Stufen empor und biege dann nach links ab, zum – wie ich später erfahre – Samadhi (Grabstätte) von Ramanas Mutter, das an der Längsseite der großen Halle liegt, in der sich auch Ramanas Samadhi befindet. Ich folge dem Menschenstrom, gehe um das Samadhi der Mutter herum und komme dann durch einen Seiteneingang in die Haupthalle.
Immer noch der Menge folgend, beginne ich, in langsamen, ritualisierten Kreisen um Ramanas Samadhi herumzugehen, wo eine Gruppe von Brahmanenpriestern und jungen Knaben die Veden rezitiert.
Der Saal ist voller Menschen, die Frauen sitzen auf der einen, die Männer auf der anderen Seite. Zu meiner Überraschung sehe ich zwei Hunde ausgestreckt auf dem Boden liegen, die mitten in dem ständigen Kommen und Gehen ihr Nickerchen machen. Da niemand sie rauszuwerfen versucht, gehören sie offenbar dazu.
Schon bald hören die vedischen Gesänge auf und im Saal beginnt ein leiser Singsang, bei dem Männer und Frauen sich abwechseln, als würden sie sich gegenseitig antworten. Es klingt wunderbar, und viele scheinen den Text zu kennen.
Das ist ein vielversprechender Anfang – aber ich kann nicht bleiben. Ich habe eine Verabredung zum Dinner mit Gayatri und den beiden Frauen, die mit mir im Flugzeug waren. Wir genießen zusammen ein leckeres indisches Essen, danach begebe ich mich in mein neues Zuhause. Zu meiner großen Freude hat die Anzahl der Mücken nicht zugenommen, was bedeutet, dass die Fensternetze intakt sind. Ich schlüpfe in dieser ersten Nacht unter mein Moskitonetz und genieße den hundertprozentigen Schutz.
Nachdem ich das Licht ausgemacht habe, fühle ich mich warm, geborgen und entspannt, als wäre ich von einer langen Reise heimgekehrt.
„Ich glaube, es wird mir hier gefallen“, sage ich zu mir. Und schlafe ein.