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Das medikamentöse Behandlungsziel: Remission
ОглавлениеUnabhängig vom Behandlungsansatz sollte man als RA-Patient das Behandlungsziel und die Kriterien kennen, anhand derer festgestellt wird, ob jemand sich in Remission befindet. Denn daran erkennen wir, ob die Medikation reduziert oder gar abgesetzt werden kann. Laut Definition der konventionellen Medizin bedeutet „Remission“, dass die Arthritissymptome beziehungsweise die Laborwerte sich so verbessert haben, dass die Kriterien einer rheumatoiden Arthritis nicht mehr gegeben sind. Einerseits ist das großartig. Andererseits umfasst diese Definition nicht, dass die Entzündung oder die Arthritis wirklich verschwunden sind. Sie besagt lediglich, dass anhand der Kombination aus Symptomen und Blutwerten nichts mehr nachweisbar ist.
Die übliche Grundlage für die Beurteilung der Symptome, die Überwachung der Therapie und die Entscheidung, ob jemand in Remission ist, ist der DAS28. Der DAS28 (engl. Disease Activity Score) bestimmt anhand eines Punktwerts (score) die Krankheitsaktivität (disease activity) und stützt sich dazu auf drei Kriterien:
1. Die ärztliche Beurteilung der Anzahl der geschwollenen und druckschmerzhaften Gelenken in Händen, Handgelenken, Ellbogen, Schultern und Knien,
2. die allgemeine Einschätzung der Symptome durch den Patienten und
3. einen Laborwert zur Entzündungsaktivität (Erythrozytensedimentationsrate oder CRP-Wert).
Der Punktwert wird anhand einer komplexen Formel berechnet, für die glücklicherweise Onlinetools bereitstehen. Der DAS28 wird gern beim Erstgespräch als Basiswert ermittelt und dient dann bei Folgeterminen als Vergleichsgrundlage. Der einzige Nachteil daran ist, dass hierfür die Blutwerte vom Tag der körperlichen Untersuchung herangezogen werden, was mitunter schlecht zu koordinieren ist.
Je geringer die Punktzahl ist, desto besser.21 Bei Verwendung des DAS28 wird ein Wert unter 2,6 (geringe Schmerzen und normale Entzündungsmarker) als Remission definiert. Bis dieses Ziel erreicht ist, sollten Sie aus ärztlicher Sicht weiterhin Ihre jeweilige Medikation erhalten. Aber bedeutet dieser Wert tatsächlich eine Abwesenheit von Krankheit und einen gesundheitlichen Freischein? Die Antwort lautet: Nein.
Die DAS28-Ergebnisse werden (im deutschsprachigen Raum) wie folgt unterteilt:
< 2,6: klinische Remission
≥ 2,6 bis < 3,2: niedrige Krankheitsaktivität
≥ 3,2 und < 5,1: moderate Krankheitsaktivität
≥ 5,1: hohe Krankheitsaktivität
Die Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg führte an Patienten in Remission eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie anhand der DAS28-Kriterien durch. In einer solchen Studie werden Patienten nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugewiesen. Die eine Gruppe wird behandelt, die andere erhält ein Placebo, und beide werden ärztlich überwacht. Solche Studien gelten als besonders zuverlässig, weil auch die betreuenden Ärzte „blind“ sind, also nicht wissen, welcher Patient zu welcher Gruppe gehört. Diese Studie sollte ermitteln, woran man erkennen könnte, bei wem bei einer Reduzierung oder einem Absetzen der Medikation ein Rückfall zu erwarten wäre. Zwar erfüllten alle Studienteilnehmer die DAS28-Kriterien für eine Remission, doch gemäß der strengeren ACR-2010-Definition hatten 33 Prozent nach wie vor rheumatoide Arthritis. Keine Studienteilnehmer hatten zu Beginn druckschmerzempfindliche oder geschwollene Gelenke, 82,2 Prozent erhielten Methotrexat, 40,6 Prozent nahmen Methotrexat und ein biologisches Mittel aus der Gruppe der DMARD ein. Einige Patienten erhielten nun weiterhin ihre bisherige Medikation; bei anderen wurde die Dosis langsam herabgesetzt oder ganz abgesetzt. Ermittelt wurde dann in beiden Gruppen die Rückfallquote: Innerhalb von zwölf Monaten kam es bei 15 Prozent der Teilnehmer, die weiterhin ihre volle Medikation erhielten, zu einem Rückfall. Im selben Zeitraum hatten 44 Prozent derjenigen mit reduzierter oder abgesetzter Medikation einen Rückfall. Offenbar war knapp die Hälfte derjenigen, die weniger Medikamente erhielten, noch nicht wirklich weit genug geheilt. Das deutet darauf hin, dass die übliche Definition von Remission nicht mit fehlender Krankheitsaktivität gleichzusetzen ist. Bei diesen Teilnehmern schwelte die Arthritis lediglich knapp unter der Oberfläche und tauchte nach dem Absetzen der Medikamente wieder auf.
Umgekehrt jedoch blieben 56 Prozent der Studienteilnehmer auch ohne Medikamente in Remission. Das erinnert uns daran, dass es durchaus ein realistisches Ziel ist, irgendwann keine Medikamente mehr zu nehmen. Die Autoren fanden heraus, dass der ACPA-Spiegel (CCP-Antikörper) der Hauptfaktor für die Ermittlung des Rückfallrisikos ist. Das klingt nachvollziehbar, denn andere Studien zeigen, dass ein hoher Spiegel dieser Antikörper mit einem schwereren Krankheitsverlauf und Veränderungen in den Gelenken noch vor der Erstdiagnose einer RA einhergeht. Das Fazit der Autoren lautete: Das Vorliegen dieser Antikörper bei Menschen, deren RA in Remission ist, kann auf einen zugrunde liegenden, weiterhin aktiven Autoimmunprozess hindeuten, der das Bemühen, die Medikamente abzusetzen, unterminiert.22 Das heißt im Klartext, dass das Feuer bei nach wie vor hohen CCP-Antikörpern nicht gelöscht ist und man die Medikamente nicht absetzen sollte. An dieser Stelle greift das Drei-Stufen-Konzept gegen Arthritis.
In einer anderen Studie untersuchten Wissenschaftler der Autonomen Universität Barcelona MRT-Aufnahmen der Hände von Patienten mit rheumatoider Arthritis, die nach den Kriterien des DAS28 in Remission waren. Bei knapp 96 Prozent – also bei fast allen – lagen weiterhin Gelenkentzündungen vor. Aus meiner Sicht bestätigt auch dies, dass der DAS28 nicht zwangsläufig feststellt, dass keine Entzündungen mehr vorliegen, und daher nicht als Kriterium für eine Remission verwendet werden sollte. Als echte Remission sollte das völlige Fehlen von Gelenkentzündungen aufgrund von rheumatoider Arthritis betrachtet werden, also ein Nullrisiko für eine weitere Gelenkschädigung. Dieses Kriterium ist nur bei weniger als fünf Prozent der Patienten in Remission erfüllt.23 Für mich bedeutet dies, dass bei den meisten RA-Patienten, die glauben, sie wären wirklich in Remission, wenn sie mit den üblichen Medikamenten behandelt werden und übliche Remissionskriterien angelegt werden, in Wahrheit weiterhin oxidativer Stress und Gelenkentzündungen vorliegen. Ohne weitere Behandlungsmaßnahmen werden wahrscheinlich weitere Gelenkschäden eintreten. Das unterstreicht, dass wir andere Leitlinien für die Remission brauchen. Außerdem brauchen wir ein Behandlungskonzept, das nicht nur das Geschehen an der Oberfläche anspricht. Die Therapie muss das Entzündungsgeschehen an der Wurzel packen und das Feuer vollständig löschen. Letztlich müssen die Behandlungsziele und die Krankheit selbst neu definiert werden. Ärzte sollten sich auf die Behandlung von oxidativem Stress und die Ursachen der Entzündungen konzentrieren, nicht nur auf die Unterdrückung der Symptome, was die konventionelle Medikation offenbar leistet. Wir können mehr tun, als Menschen „ausreichend“ zu behandeln.
Das wohl wichtigste Kriterium ist die Selbsteinschätzung des Patienten. Der Körper weiß sehr genau, wie es ihm geht, und wenn man auf ihn hört, weiß man, ob etwas gut ist oder nicht. (Regelmäßige Meditations- oder Achtsamkeitsübungen können dazu beitragen, ein sicheres Gespür für den eigenen Körper zu entwickeln. Achtsamkeit bedeutet lediglich, ganz auf den gegenwärtigen Moment zu achten, ohne sich in Gedanken über die Vergangenheit oder die Zukunft zu verlieren. Regelmäßiges Üben wirkt beruhigend, weil man so besser wahrnimmt, was jetzt gerade im eigenen Körper vorgeht.) In der Medizin bezeichnet man die Sichtweise des Patienten und die von ihm berichteten Symptome als „Selbsteinschätzung des Patienten“. In der Forschung ist unklar, was dies über Entzündungen und Schädigungen aussagt. Es klingt jedoch nachvollziehbar, dass die Selbsteinschätzung des Patienten Aussagen über die Grundaktivität der Erkrankung und das Fortschreiten der Genesung zulässt, besonders wenn keine Laborwerte verfügbar sind. In Bezug auf die rheumatoide Arthritis kommt es insbesondere auf Patientenaussagen zu Schmerzen, psychischer Belastung, Schlafproblemen und Abgeschlagenheit sowie zu allgemeinen Einschränkungen bei der Bewältigung des häuslichen und beruflichen Alltags an.24
Weil Veränderungen des Befindens sehr aussagekräftig sind, kurzfristig eintreten und Rückschlüsse in Echtzeit gestatten, lege ich bei der Arthritisbehandlung großen Wert auf engmaschige Rückmeldungen. So kann ich feststellen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. June ist ein gutes Beispiel dafür. Wenn Schmerzen in ihren Händen während unserer Zusammenarbeit zunahmen, stiegen auch ihre Entzündungsmarker an. Aufgrund ihrer Berichte zu ihrem Befinden wusste ich jedoch stets, wie es um sie stand. So konnte ich feststellen, wie ihre Therapie anschlug und wann wir das Prednison zurückfahren konnten. Wir kamen überein, das Kortikosteroid versuchsweise auszuschleichen, obwohl ihr CRP-Spiegel – der seit ihrem ersten Termin bei mir massiv zurückgegangen war – nach wie vor leicht erhöht war.
* Als stark positives Ergebnis für Rheumafaktor oder ACPA gilt ein Wert, der den oberen Normalwert um mehr als das Dreifache übersteigt.
Anmerkung der Übersetzerin: In Europa gilt die vergleichbare EULAR-Leitlinie, auf deren Grundlage die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, DGRh, die S1-Leitlinie „Rheumatoide Arthritis“ erarbeitet hat.