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Wege entstehen dadurch,

dass man sie geht.

Anonyme Sammlung

altterranischer Weisheiten,

Kapitel 92: »Franz Kafka«

1.

Gatas

»Gatas? Was soll das heißen, Gatas?«, wiederholte Perry Rhodan, dessen viel zu langen Namen Obyn für sich stets als Perry abkürzte. Es war eine seltsame Sitte, zwei Namen zu tragen oder sie gar zu benutzen. Machten zwei Namen mehr aus demjenigen, der sie trug? Das Ydu war es doch, das zählte.

Aber gut, er war immerhin vollkommen anders als sie: ein zerbrechliches Knochengestell, das sich durch diesen Namen womöglich weitere Stützen nach außen verschaffte. Als wäre er nicht durch diese winzigen Augen mit dem Farbrund, das in viel Weiß schwamm, genügend im evolutionären Hintertreffen! Die hervorstehende Nase bildete zudem ein leichtes Angriffsziel.

Obyn wollte eigentlich gar nicht zuhören, weil sie ohnehin nicht begriff, wovon ihre Begleiter redeten. Aber sie waren zu laut und hatten ihre Translatoren nicht abgestellt. Die Yenranko verstand also durchaus die Worte – nur den Sinn nicht.

»Ich irre mich nicht! Das ist die blaue Riesensonne Verth, die Daten sind eindeutig«, sagte Rico – wenigstens der trug nur einen Namen.

Obyn wurde nicht schlau aus ihm. Von der Statur ähnelte er Perry, also musste er ein Mann sein. Aber für sie war er geschlechtslos. War er überhaupt ein Mensch? Sein Gesicht, die Figur, die fünf Finger – das passte alles. Aber er war völlig haarlos und seine Haut bronzen, mit einem ... ja, metallischen Glanz. Gehörte er etwa einem weiteren fremden Volk an, das nur zufällig dem Perrys ähnelte? Wie viele gab es denn im Universum?

»Wenn ich mich recht erinnere, liegen Gatas und das Verthsystem auf unserer Seite über 68.000 Lichtjahre vom Solsystem entfernt in der Eastside«, fuhr Perry fort. »Unter den Bedingungen der erhöhten Hyperimpedanz auf dieser Seite des Dyoversums ist das eine für unsere Technik derzeit unmöglich zu bewältigende Entfernung!«

Bei den letzten Worten ab »unmöglich« allerdings sah Obyn völlig klar. Es jagte ihr einen gehörigen Schrecken ein. »Wir können nicht mehr zurück?«

»Doch«, antwortete Rico. »Nur nicht auf herkömmliche Weise.«

»Wie meinst du das? Wie sind wir denn hergekommen? War das nicht so eine Teleportier-Sache von Mulholland?«

»Es wäre jedenfalls eine Option«, sagte der Angesprochene. »Nur, ich war es nicht.«

Obyn dämmerte es. »Die Stele. Ich erinnere mich.« Sie kratzte sich den Arm und ließ irritiert davon ab. Richtig. Sie trug mittlerweile ebenfalls so einen Anzug. Er passte einigermaßen, aber sie fühlte sich sehr unwohl, derart eingehüllt zu sein.

Als Wüstenbewohnerin war sie es zwar gewohnt, vollkommen bedeckt zu sein, doch das waren alles natürliche, gewebte Stoffe, die atmeten, die man fester binden oder lockern konnte. Der Anzug mit dem geschlossenen Helm hielt hingegen alles ab, das von außen kam und sorgte für einen Ausgleich der Umgebungsbedingungen in seinem Inneren, sodass sie sich beinahe »wie zu Hause« fühlen konnte. Dafür war die alte Jinirali dankbar, sonst hätte ihre Reise bereits ein abruptes Ende genommen.

Sie sah, dass Perry und Mulholland genau wie sie geschlossene Helme hatten. Rico hatte keinen Anzug mehr, seinen trug nun Obyn. »Und wieso brauchst du keinen Anzug?«

»Ich bin ein künstliches Wesen.«

»Oh.« Wer Fragen stellte, wurde auf noch mehr Fragen gebracht. Künstlich bedeutete wohl, er war so etwas wie eine Maschine, die nicht atmen musste. Für den Moment beließ sie es dabei.

»Aber die Stele ist mit uns gereist«, stellte Obyn fest. »Warum benutzen wir sie nicht einfach für den Rückweg?«, fragte sie ratlos.

»Weil es erstens eine andere Stele ist und es zweitens nicht funktionieren wird, solange wir nicht wissen, wie wir sie bedienen müssen«, antwortete Perry. Er legte die Hand an das glasartige blaue Material, das eine verschwommene Durchsicht bot. »Außerdem könnte diese Stele lediglich ein Empfänger sein, der nicht senden kann.«

»Aus technologischer Sicht scheint das wenig sinnvoll. Aber vielleicht können wir lernen, sie und ihre Funktionsweise zu verstehen«, meinte Rico.

»Sie sieht genauso aus ...« Obyn legte nun auch die Hand an das Artefakt und zuckte kurz zusammen, als der Handschuh das Tastgefühl übermittelte. Die Stele war kühl, wie sie es in Erinnerung hatte. Aber wenn sie hindurchblickte, sah sie keine Stadt, von der aus ein Wesen, das aus wirbelndem Sand zusammengesetzt schien, auf sie zukam.

»Kein Handbuch. Oder Empfänger, nicht Sender. Ich verstehe das Problem.« Sie sah sich um.

Trostlosigkeit umgab sie, wie sie sie nie zuvor erlebt hatte, nicht einmal in der Steinwüste der Yacol. Ein flaches, graues, von gelegentlichen weißen Flecken durchsetztes Land reichte fast bis zum Horizont. Erst dort stieg es an und türmte sich zu einem mächtigen, schroffen schwarzen Gebirge auf.

»Wir sind nicht dort herausgekommen, wo der Staubfürst sich aufhält, den du und ich gesehen haben, Perry. Ist es möglich, dass die Stele sich geirrt und uns falsch gesendet hat?«

»Das müssen wir herausfinden.«

In der Ferne hörte Obyn ein Geräusch, das ihr nicht gefiel. »Was hat dieses Rauschen zu bedeuten?«

»Das muss ein Meer sein«, gab Rico Auskunft.

Meer? Das Wort hatte einen unangenehmen Klang.

»Ihr wisst aber, wo wir sind. Sicherlich müssen wir nur jemanden suchen, den ihr kennt, und ihn um Hilfe bitten«, stellte sie fest.

Perry druckste herum. »So einfach ist das leider nicht. Rico ist überzeugt, diese Sonne zu kennen ...«

»Es ist Verth, daran besteht kein Zweifel!«

»... und auch ich habe den Eindruck – reines Gefühl –, schon einmal hier gewesen zu sein. Aber Gatas, sollte es dieser Planet sein, ist bei uns ganz anders. Viel wärmer, wir könnten ohne Helm frei atmen, und er ist grün, von viel Wasser durchzogen. Es gibt Leben auf ihm. Dieser Planet aber ist ohne Leben. Das sagt auch meine Anzugpositronik.«

»Da ist so ein Maschinending drin?« Obyn staunte und musste es gleich ausprobieren. »Anzug, kannst du mich hören?«

»Ich verstehe dich«, antwortete etwas in ihrem Helm, und dann erblickte sie irgendwelche seltsamen Kritzeleien auf der Innenseite.

»Hör auf damit! Ich sehe ja gar nichts mehr.« Die Erscheinungen verschwanden.

»Anzug, gibt es hier Leben?«

»Soll ich die Ortung aktivieren?«

»Wenn das notwendig ist, um meine Frage zu beantworten – ja, bitte.«

Sie hatte gar keine Zeit, einen weiteren Gedanken zu fassen, da kam schon die Antwort. »Ich kann keine Bioorganismen feststellen.«

Obyn starrte ihre Begleiter an, die geduldig gewartet hatten. »Ich glaube, ich verstehe, was ihr meint. Aber eine Frage habe ich trotzdem noch an dich, Perry. Du sagtest ›bei uns‹. Was ist damit gemeint?«

»Das ist komplizierter«, antwortete er. »Kurz gesagt, es gibt zwei Zweige des Universums. Deswegen bezeichnen wir es als Dyoversum, was ich zuvor ebenfalls erwähnt habe. Es gibt den Zweig, in dem du lebst, und den Zweig, von dem ich komme.«

Obyn dachte darüber nach.

»Deine Körpertemperatur erhöht sich«, stellte das Anzugsystem fest. »Ich reguliere ein wenig die Heizung.«

»Du tust ... was? Nein! Lass alles, wie es ist, am Ende falle ich noch in Starre!«

Obyn war fasziniert von diesem Anzug, der so viel konnte. Wie winzig mussten die Maschinen sein, die all das ermöglichten? Immerhin gehorchte er, es blieb warm, und sie konnte besser nachdenken. »Aber normalerweise gleicht doch kein Zweig dem anderen«, wandte sie ein. »Und doch gibt es viele Übereinstimmungen?«

»Es ist gleich und doch nicht gleich. Wir arbeiten daran herauszufinden, was das genau zu bedeuten hat.«

Sie war froh, dass nicht nur sie unwissend war oder zu wenig verstand. Was mit dem Stamm war, von dem diese Zweige abgingen, wollte sie gar nicht erst nachfragen. »Hat dich auch eine Stele hergebracht?«

»Ähm ... also, das war gewissermaßen ich«, sagte Mulholland.

Obyn hob die Hand, nun wurden es zu viele Fragen. »In Ordnung. Das genügt fürs Erste. Konzentrieren wir uns auf unser aktuelles Problem.«

Perry streckte plötzlich den Arm aus. »Seht ihr auch da vorne einen Mond aufgehen?«

Er hatte recht. Das war nicht zu übersehen. Ein Gigant, der sich gerade über den Kamm des schwarzen Gebirges schob – und es ganz klein und bedeutungslos werden ließ.

»Gatas hat keinen Mond!«, fuhr Perry fort. »Du musst dich irren, Rico!«

»Ich kann mich nicht irren«, beharrte der Bronzemensch. »Aber ich bin überrascht. Dieser Trabant durchmisst satte 6545 Kilometer.«

»Das ist ja ein Planet«, murmelte Iwán/Iwa. »Fast wie der Mars.«

»Und ich fürchte, das bringt uns gleich in große Schwierigkeiten«, ergänzte Rico.

Ein Donnern, das sich rasch zum Brüllen steigerte, raste heran.

*

Obyn warf sich zu Boden und grub wie besessen. Der Anzug stieß mehrere Warnungen aus, insbesondere, weil es kein Sand, sondern Steine waren und sie nicht durchkommen konnte. Doch es geschah reflexartig, instinktiv. Sie kannte dieses Geräusch, auch wenn es diesmal kein Sand war. Sondern schlimmer.


Illustration: Swen Papenbrock

Viel, viel schlimmer.

»Obyn!« Perry versuchte sie hochzuzerren. In diesem Moment schrie sie los, denn sie sah es kommen: Wasser.

Eine gigantische Flutwelle, die bis in den Himmel reichte, rollte ohrenbetäubend brausend heran. Zweimal in ihrem Leben hatte Obyn einen Sandsturm vergleichbaren Ausmaßes erlebt, der vom Himmel nur einen schmalen Streifen übrig gelassen hatte. Zweimal war sie nur äußerst knapp mit dem Leben davongekommen, weil sie es geschafft hatte, tief genug zu graben und bei der Befreiungsaktion nicht zu ersticken.

Doch diese Situation auf Gatas war der schlimmste aller vorstellbaren Albträume – nicht anders, als wenn die Sonne für immer erlöschen würde und ewige Nacht auf Yenren herrschte, was die Verurteilung der Yenranko zur ewigen Starre bedeutete.

Obyn hatte ihr ganzes Leben kaum Angst gekannt, und sie war mit zunehmendem Alter eher furchtloser geworden.

Aber dieses Ereignis überforderte sie. Sie wusste nicht, wie sie dem nassen Tod entgehen sollte, und Wasser in dieser Menge kannte sie ohnehin nicht. Was unter dem Sand in den Kavernen war, ruhte still und tief, ausschließlich Lebensspender, keine tödliche Macht. Aber dieser Wassersturm ... Das war das pure Grauen.

Obyn schüttelte Perrys Hand ab und kroch davon, so schnell sie konnte.

Es vergingen höchstens drei Sekunden, bis die Welle über sie hereinbrach und sie davonriss. Auch Perry, der ihr nachgesprungen war, um sie festzuhalten, wurde fortgeschleudert, eingesaugt von den tobenden Fluten.

Obyn wurde herumgewirbelt, es gab kein Halten, kein Oben oder Unten, ihr wurde schwindlig und übel, und sie schrie. Der Anzug fiel in den Schrei mit ein und untermalte ihn mit flammendem, warnendem Rot, an der Innenseite des Helms erschienen wiederum wirre Symbole.

Das ist das Ende, dachte Obyn und stellte fest, dass sie ganz und gar nicht dazu bereit war. Sie strampelte, doch das mörderische Wasser hatte sie voll in der Gewalt. Die alte Jinirali merkte, dass sie bald das Bewusstsein verlieren würde.

Und das wäre dann unweigerlich das Ende.

*

Plötzlich fühlte Obyn einen Ruck, und dann ... wurde sie gezogen. Ein weiterer Wirbel? Nein, das war ein Sog in eine ganz bestimmte Richtung.

Wenn sie nur wüsste, in welche! Keinesfalls war dies ein Werk der Flutwelle, dazu geschah alles viel zu gezielt. Vielleicht die Stele, die sie zu sich holen wollte? Die einzige Verbindung zur Heimat?

Dann hob sie sich aus dem aufgewühlten Wasser empor – und schwebte weiter!

»Es tut mir leid, ich musste dich erst suchen, du warst aus meinem Kontrollbereich geraten.«

»Perry? Bist du das gewesen?«

Sie spürte eine Hand an ihrem Arm. Jemand drehte sie, und sie starrte dem Menschen in die graublauen und tiefen, zugleich alterslosen und doch alten Augen.

»Was ...«

»Nachdem Rico dir bei der Versetzung den Anzug übergezogen hatte, habe ich ihn mit meinem gekoppelt, weil du die Bedienung nicht kanntest.« Perry lächelte. »Ich wollte die Verbindung halten, aber diese Springflut hat mich völlig überrumpelt. Sie hat uns alle auseinandergerissen.«

»Ich ...« Obyn tastete mit einem Arm über ihren Anzug. »Mir hätte gar nichts passieren können?«

»So ist es. Der SERUN beschützt dich nicht nur im All, er beschützt dich auch vor dem Ertrinken, dem Erfrieren, dem Verbrennen, vor Verletzungen ... und vielem mehr.«

»Und ...« Sie blickte nach unten. »Und fliegen kann er auch.«

Sie schrie noch einmal. Aber nun vor Begeisterung.

*

»Leiser!«, sagte Perry und legte eine Hand an den Helm. »Wenn du nicht gar so laut bist, muss mein SERUN nicht dauernd gegenregeln.«

»Ich werde mir Mühe geben«, erwiderte Obyn und schlug einen höheren Tonfall an. Sie wusste mittlerweile, dass alle, die Topsider eingeschlossen, empfindsam auf die Stimmlage der Yenranko reagierten – so wie diese umgekehrt auf das für sie hohe Kreischen der Raumfahrer. »Ich habe mich wieder gefangen und passe auf.« Diese Knochenwesen waren wirklich zerbrechlich.

Allmählich beruhigten sich die Wellen, die schaumgekrönten Berge verliefen zu sanften Hügelchen und umspülten friedlich die Stele, von der nur noch ein Teil aus den Fluten ragte. Das Artefakt war unbeeindruckt geblieben, als hätte es dieser Naturgewalt schon sehr oft standhalten müssen.

Mulholland schwebte heran, von der anderen Seite kam Rico.

»Was kannst du eigentlich nicht, so ohne Anzug?«, fragte Obyn den Bronzemann.

»Wenig«, antwortete er und zeigte ein Lächeln. »Falls es euch interessiert – das war eine Auswirkung der Gezeiten, in diesem Fall eine Springflut von zweiunddreißig Metern Höhe, die einen Anstieg des Meeresspiegels um nicht weniger als zweiundzwanzig Meter verursacht hat. Deswegen dehnt es sich jetzt hier aus. Ausgelöst von dem Gigantmond da oben – was nicht verwundern sollte, so nahe, wie er sich an diesem Planeten befindet.«

Obyn sah nur noch Wasser, so weit das Auge reichte. »Unglaublich«, murmelte sie. Und fügte voller Überzeugung hinzu: »Ich hasse es.«

Wasser war bedeutungsvoll in der Wüste, kostbar und selten. Das, was sie da unter sich sah, war abartig, scheußlich, und sie wollte es nie wieder erleben. Das war nicht ihre Welt und sollte es auch nie werden. Für einen kurzen Moment verspürte sie Heimweh.

Nun gut, offensichtlich war dies aber auch nicht die Heimat von irgendjemand anderem. Auch in den Fluten gab es kein Leben. Dieses »Gatas« war absolut tot.

»Wir sollten einen geschützteren Ort aufsuchen«, schlug Perry vor und deutete auf das schwarze Gebirge. »Bis sich die Lage beruhigt hat, die Ebbe eingetreten ist oder wir herausgefunden haben, warum die Stele uns hierher gebracht hat.«

»Wir fliegen dorthin? Mit unseren Anzügen?« Obyn konnte ihre Begeisterung kaum im Zaum halten. Vergessen war die Panik unter Wasser. Sie war trocken, ihr war warm, und sie flog!

»Das ist empfehlenswert mangels Boot, angesichts der Wassertiefe da unten und der Entfernung von mindestens zwanzig Kilometern zum Gebirge«, sagte Rico.

»Worauf warten wir?« Obyn konnte es nicht mehr erwarten. Sie flog!

»Gib mir deine Hand«, sagte Rhodan und streckte ihr den Arm hin. »Und unterwegs erkläre ich dir, wie der SERUN funktioniert.«

CHYLLITRISS – Phase 1

Leerraum

Schreie überall, sirrend und lang gezogen.

Der Lärm der Explosionen schmerzte Eylczenc-Trü-Klybz so sehr, dass er den Kopf nach hinten warf, den Hals rund um den Mund überdehnte und selbst einen gequälten Laut ausstieß. Es war schrecklich – auch die Frage, ob die lange Reise in diesem Augenblick vielleicht ein radikales, unwiderrufliches Ende fand.

Eine entsetzliche Vorstellung.

Aber in dem ganzen Chaos und dem tosenden Lärm blieb einer still ... und gerade von diesem hätte Eylczenc-Trü-Klybz sich Antworten erhofft. Oder zumindest Informationen. »Sternfinder 47!«, rief er, doch das positronische Gehirn der CHYLLITRISS zeigte keine Reaktion. »Sternfinder 47, gib einen Statusbericht des Schiffes!«

Die Bordpositronik meldete sich nicht.

Fast hätte der Kommandant ein drittes Mal gerufen, aber er riss sich zusammen. Er durfte den Mitgliedern seiner Zentralebesatzung kein Bild der Schwäche vermitteln. Besonders während dieser Katastrophe mussten sie seine Stärke sehen und erkennen, dass er die Kontrolle ausübte.

Oder zumindest so tat. Tatsächlich war ihm die Kontrolle längst entrissen worden. Er wusste nur nicht, wie es dazu gekommen war.

Es gab keine neuen Sensorauswertungen. Die Besatzung konnte nicht nach draußen ins All schauen – die CHYLLITRISS trieb irgendwo.

Die Bildschirme der Außenbeobachtung blieben tot und blind. Sowohl die passive Ortung als auch die aktive Tastung waren ausgefallen.

Die Mannschaft blieb blind.

Er blieb blind, und das, obwohl er die Verantwortung für all die Leben an Bord trug, die Geborenen und Ungeborenen.

Wale-Kry-Lölözyn war aus ihrem Sitz geschleudert worden. Sie lag zwei Schritte von ihrer Pilotenkonsole entfernt am Boden. Warum war nicht längst ein Medoroboter gekommen, um ihr zu helfen?

Kommandant Klybz unterdrückte mit Mühe einen jämmerlichen, hochfrequenten Schrei. Zweifellos musste ihm ein Mitglied seiner Zentralebesatzung so wichtig sein wie das andere ... aber dieses war Wale-Kry-Lölözyn! Seine Lebensgefährtin! Die Verwalterin seines Erbguts!

Er verließ seinen Kommandantenplatz. »Sternfinder 47, schick einen Medoroboter!«, rief er, ohne Hoffnung, dass sich dieser Wunsch erfüllen könnte, und ohne mit einer Antwort zu rechnen.

Umso mehr überraschte es ihn, etwas zu hören, als er neben Wale in die Knie ging.

»Hilfe unterwegs«, schnarrte die Stimme des Bordgehirns – nicht in einem kompletten Satz und schriller als sonst. Aber überhaupt ein Lebenszeichen zu bekommen, erleichterte den Kommandanten.

Wale-Kry-Lölözyns langer Hals war nach hinten überdehnt, die Haut von viel dunklerem Lila als sonst. Der zartblaue Pelzflaum war an einer Stelle mit Blut getränkt. Erschrocken fasste er vorsichtig ihren Kopf, rollte ihn leicht zur Seite. Die Wunde war winzig. Nur wenig Blut war ausgetreten, es gab nirgends die befürchtete dunkelrote Nässe auf dem Boden.

»Lass mich zu ihr«, hörte er eine Stimme.

Er drehte sich um.

Asis-Asyv-Griist, der Chefmediker des Schiffes, beugte sich bereits über seine Patientin.

Der alte Mann war Eylczenc-Trü-Klybz noch nie geheuer gewesen, mit seinen beiden blinden Hinteraugen. Aber er war ein guter Mediker, ohne jeden Zweifel, der Perlgrauen Kreatur der Barmherzigkeit sei Dank!

»Geh schon, geh, Kommandant, ich kümmere mich um sie, als wäre sie meine eigene Leibesfrucht«, sagte der Mediker.

Gut, dass sie das nicht ist, dachte Klybz. In ein verwandtschaftliches Verhältnis mit dem alten Mann wollte er nun wirklich nicht eintreten. »Ich verlasse mich auf dich.«

Während er zurück zu seinem Kommandantenstuhl ging, eilte jemand auf ihn zu. Kruma-Jüryzz-Pattray war der Chefingenieur, für einen Gataser ein erstaunlich kleiner Mann. Sein Hals war verkümmert, er konnte den Tellerkopf nur wenig zu beiden Seiten drehen. Der Mund war als Folge des verkürzten Halses nur unzureichend ausgebildet – zu sprechen fiel ihm schwer, und jedes seiner Worte wurde durch ein Lautsprechersystem aufgenommen und verstärkt. Doch er war ein genialer Ingenieur und Techniker, ohne Zweifel.

»Ich verstehe nicht, warum so viele Systeme an Bord ausgefallen sind, Kommandant«, sagte Pattray, »aber es ist mir gelungen, mit einem kleinen Trick eine Messstation an der Außenseite von Hangarschott 89 anzufunken und auszulesen.« Für seine kleinen Tricks war der Chefingenieur bekannt. Er hatte in jeder denkbaren Lebenslage mindestens einen davon in petto – glaubte man den Bordgerüchten, sogar in den Fällen, wenn er wieder einmal eine Frau zur Fortpflanzung überredete.

»Und?«, fragte Eylczenc-Trü-Klybz. »Was hast du herausgefunden?«

»Wir sind in das Schwerefeld einer riesenhaften roten Sonne geraten«, antwortete Kruma-Jüryzz-Pattray. »Es kann nur Rotfenster-Niy sein.«

»Was?« Der Kommandant wollte nicht glauben, was er da hörte. »Rotfenster-Niy? Das ist unmöglich! Es ist ... wie weit ... ein halbes Lichtjahr von unserem Kurs nach Dryviert entfernt?«

»Sogar mehr als ein halbes Lichtjahr«, sagte der Chefingenieur mit ruhiger Stimme – falls Klybz das richtig interpretierte, denn das Lautsprechersystem verzerrte die emotionale Einfärbung und erschwerte es generell, eine Einschätzung vorzunehmen. »Exakt 0,658 Lichtjahre.«

»Wie können wir so weit vom Kurs abgekommen sein?«

»Ich habe keine Erklärung. Wir müssen Wale-Kry-Lölözyn fragen.«

Wale! Bei dem Gedanken an sie entfuhr ihm ein hochfrequenter Leidenslaut. »Unsere Pilotin ist durch den Unfall verletzt worden. Sie hat das Bewusstsein verloren. Der Chefmediker kümmert sich um sie.«

»Die Daten zeigen, dass das Schwerefeld uns auf die rote Riesensonne zuzieht. Aber es besteht keine akute Gefahr. Wir nähern uns in einer minimal spiralig geneigten Umlaufbahn an. Es wird wahrscheinlich Monate dauern, bis uns deswegen ernsthafte Gefahr droht.«

»Wahrscheinlich genügt mir nicht!«

»Dann sichere ich dir hiermit zu, dass uns auf jeden Fall Wochen bleiben. Zumindest, was unseren Sturz in die Sonne angeht. An Bord allerdings bestehen viele Probleme. Die Technik ist umfassend ausgefallen. Es gibt keine Internverbindung und deshalb keine Informationen aus den einzelnen Schiffsbereichen. Wir müssen mit Toten rechnen. Geh vom Schlimmsten aus, wenn du meinen Ratschlag hören willst.«

Bei der Grünschillernden Kreatur des unwissenden Schlummers – das wollte er nicht! Solange es Hoffnung gab, ging er lieber vom Besten aus. »Lass uns keine voreiligen Schlüsse ziehen.«

»Das habe ich nicht vor«, versicherte Kruma-Jüryzz-Pattray. »Aber darf ich dir eine Frage stellen?«

»Ja?«

»Wie hast du den Moment des Rücksturzes erlebt?«

*

Kommandant Eylczenc-Trü-Klybz fragt sich gerade zufrieden, ob er während dieser langen Reise die Partnerschaft mit Wale-Kry-Lölözyn durch gemeinsame Nachkommen verstärken soll, als die CHYLLITRISS in die neue, seit Tagen vorbereitete Transition geht.

Und das Siedlerschiff brutal erschüttert wird.

Er will einen Bericht einfordern, aber er kommt nicht dazu, es auszusprechen.

Alles verschwimmt vor seinen Augen, vor ihm und hinter ihm, und er glaubt, etwas würde seinen Körper packen und in sämtliche Richtungen zugleich zerren. Und ihn zerreißen.

Er schreit, doch weil er in diesem Moment weder Mund noch Hals noch Körper hat, erklingt dieser Schrei nur in seinen Gedanken. Niemand hört ihn, außer ihm selbst.

Klybz will sich umsehen, ob es den anderen ebenso ergeht, den Weggefährten auf dieser Reise in die Unendlichkeit, den Freunden ... aber wie soll er sie ansehen, ohne Augen? Wie könnte er, wo er zerfetzt ist in Milliarden Partikel?

Er denkt, denkt er. Und wenn er denkt, kann er jedenfalls nicht tot sein.

Diese Überlegung weckt Trost, und da während eines Gedankens keine messbare Zeit vergeht, fragt er sich, wie lange dieser Zustand wohl bereits anhält und noch anhalten wird. Für einen Nicht-Atemzug? Eine Stundenhand? Die Zeitspanne, die das Universum zum Werden, Expandieren und Zusammenstürzen benötigt?

Gibt es überhaupt einen Unterschied, gemessen an der Ewigkeit, auf die das Leben zuläuft und in die er möglicherweise soeben stürzt?

Die Partikel seines Körpers rasen aufeinander zu.

Die Fragen erlöschen und weichen einem hässlichen Empfinden: Schmerz, der durch Muskeln, Knochen, Adern läuft. Seine vier Augen am Rand des Tellerkopfes sehen Licht und Dunkel, wie es immer gewesen ist, sein Mund inmitten des Halses öffnet sich, aber die Verblüffung verschlägt ihm die Worte.

Er hört Schreie überall, sirrend und lang gezogen.

*

»Wie hast du es erlebt?«, fragte der Chefingenieur erneut.

Da erst merkte der Kommandant, wie sehr er in Gedanken versunken gewesen war. »Ich wurde zerrissen und wieder zusammengestückelt. Aber nicht so, wie es nach jeder Transition geschieht! Es war kein bloßes Bild für den Rematerialisierungsschock im Normalraum – sondern viel realer. Ich konnte ...«

»... es tatsächlich spüren«, fiel Kruma-Jüryzz-Pattray ihm ins Wort. »Ich weiß, was du meinst. Mir ging es genauso. Etwas ist während der Transition oder des Übergangs ins Standarduniversum passiert, vielleicht hängt es mit dem massiven Transitionsschock zusammen?«

»Kann gut sein. Dann stelle ich mir aber noch eine Frage«, sagte Eylczenc-Trü-Klybz. »Wieso war der Transitionsschock so groß? Hat jemand oder etwas unsere Sprungreichweite massiv verändert?«

»Dazu kann ich nichts sagen.«

»Finde es heraus!«

Der Chefingenieur bestätigte, wandte sich um und eilte zum Ausgang aus der Zentrale. Mit dem Blick der Hinterkopfaugen fixierte er den Kommandanten jedoch noch eine ganze Weile, bis sich das Schott hinter ihm schloss.

Eylczenc-Trü-Klybz ging zum Kommandantensessel und versuchte erneut, eine Verbindung zum Schiffsrechner aufzubauen.

Zu seiner Überraschung – und vor allem Erleichterung – kam der Kontakt diesmal sofort zustande. Sternfinder 47 meldete sich: »Ich habe gerade ein akustisches Dämpfungsfeld um deinen Arbeitsplatz gelegt, Kommandant. Die Informationen, die ich dir mitteilen muss, sollten zunächst nur dir allein zugänglich sein.«

»Erwartest du, dass ich vor der Besatzung meiner Zentrale Geheimnisse hüte?«, entfuhr es Klybz erbost. »Das kann nicht dein Ernst sein! Hat deine Programmierung Schaden erlitten?«

»Die nüchterne Auflistung der Probleme und der Schlussfolgerungen daraus könnte demoralisierend wirken«, erklärte Sternfinder 47. »Selbstverständlich musst du alles weitergeben, aber ich empfehle, es weniger direkt zu formulieren, als ich es vermag.«

Eine derartige Ansage eines Schiffsrechners hatte er in all seinen Jahren als Raumfahrer nicht erlebt. Die Worte trugen nicht gerade dazu bei, ihn zu beruhigen. Angst stieg in ihm auf und erhob ihr schwarzkreatürliches Haupt. »Wie ist der Zustand meines Schiffes?«

»Das Transitionstriebwerk ist beschädigt.«

Das war die niederschmetterndste Nachricht, die sich der Kommandant vorzustellen vermochte. Jenes wundervolle hochkomplexe Gerät, mit dem sich zeitlos unfassbare 0,17 Lichtjahre überspringen ließen ... beschädigt? Wie sollten sie auf ihren Kurs zurückgelangen, ohne das Transitionstriebwerk? Wie irgendwohin gelangen, ohne dafür Jahrhunderte oder Jahrtausende durch das schwarze Nichts des Leerraums zu reisen?

Aber natürlich war man auf eine solche Katastrophe vorbereitet.

Selbstverständlich gab es Ersatzteile an Bord.

Es reisten äußerst kompetente Techniker und Wissenschaftler mit, um genau in einem Fall wie diesem eine Reparatur durchführen zu können.

Nur dass es einen Fall wie diesen noch nie gegeben hatte.

»Wie lange?«, wollte Klybz wissen.

»Wie lange ... was?«, fragte Sternfinder 47 zurück.

»Welche Zeit nimmt es in Anspruch, das Transitionstriebwerk zu reparieren?«

»Mir ist keine fundierte Prognose möglich, und an bloßen Mutmaßungen bist du wohl kaum interessiert. Nur eines kann ich mit Sicherheit sagen.«

»Und das wäre?« Der Kommandant unterlegte diese Worte vor Aufregung mit einem ultrahochfrequenten Fiepen.

Die Antwort erschütterte ihn bis ins Innerste.

*

Die Uggaz-Würmer ringelten sich auf dem schwarzen Teller, während der Roboterkoch die Üllyan-Gewürzknolle über ihnen zerrieb. Das Pulver fiel auf sie hinab wie zarte rosa Schneeflocken. Die Würmer wälzten sich darin; sie liebten Üllyan, und je länger man es einwirken ließ, umso besser schmeckten sie. Allerdings nur, bis der Punkt ohne Wiederkehr überschritten wurde und sich die Uggaz verflüssigten. Dann nahmen die Bitterstoffe so sehr zu, dass sie kaum noch genießbar waren.

Den idealen Moment zu bestimmen, galt als eine der größten Herausforderungen der Edelküche, und so mancher Gataser verwettete einen seiner drei Daumen der rechten Hand darauf, der Beste zu sein. Zu anderen Zeiten war Eylczenc-Trü-Klybz ein fanatischer Koch ... momentan jedoch interessierten ihn kulinarische Spitzfindigkeiten nicht. Er musste essen, um bei Kräften zu bleiben, und das war lästig genug.

Er nahm sich den Teller, griff zu, hob den Arm und saugte einige Uggaz ein. »Ich habe euch zusammengerufen, um unsere Lage zu besprechen.« Einer der Würmer ringelte sich im Mundwinkel; er zerquetschte ihn. »Und zwar ehe ich in einer offiziellen Ansprache die Besatzung informiere und in einem zweiten Schritt sämtliche Passagiere.«

»Warum wir?«, fragte Asis-Asyv-Griist. »Oder genauer gesagt, wieso ich? Dass du die anderen beiden gerufen hast, überrascht mich nicht.«

Neben dem alten Mediker hatte der Kommandant auch den Chefingenieur Kruma-Jüryzz-Pattray zu sich in die Kabine gebeten, außerdem natürlich Wale-Kry-Lölözyn, die Pilotin – und seine Lebensgefährtin. So begaben sie sich zu viert auf das Tsülüyn-Laufband, während der Kochroboter manche Köstlichkeit servierte.

»Weil ich euch vertraue. Und weil jeder von uns von herausragender Bedeutung sein wird, bis wir diese Reise beenden werden. Was länger dauern wird als angenommen.«

Bislang wussten nur Klybz selbst und Pattray von den Zerstörungen am Transitionstriebwerk. Der Kommandant hatte den Chefingenieur zwar informiert, aber gebeten, der Besatzung gegenüber Stillschweigen zu bewahren, bis die Mannschaft das genaue Ausmaß der Schäden erfuhr.

Klybz blieb stehen; das Laufband zog ihn zurück, weg von seinen Gästen. »Tsülüyn anhalten«, sagte er. Das Band stoppte.

Wale-Kry-Lölözyn ging noch einige Schritte, bis sie es bemerkte. Sie war in der letzten Stunde in einen immer gleichen Trott gefallen. Dank guter medizinischer Versorgung war sie nach dem erst einen Tag zurückliegenden Unfall bereits völlig wiederhergestellt.

»Du weißt etwas, das du uns bislang verschwiegen hast.«

Der vorwurfsvolle Tonfall in ihrer Stimme betrübte ihn. »Das kann ich nicht leugnen«, gab er zu.

Er eilte zu einem der Sessel, die er für diese Besprechung hatte bereitstellen lassen, und ließ sich nieder. Die hinteren Augen schloss er und legte den Kopf in die Stützmulde. Mit sanftem Druck aktivierte er die Wärmefunktion – derlei sehr einfache Technologie funktionierte an Bord noch. Wenigstens das. Im Ganzen betrachtet, sah es allerdings verheerend aus.

Die anderen gesellten sich zu ihm und setzten sich ebenfalls. Nur Chefingenieur Kruma-Jüryzz-Pattray blieb stehen und bewegte die Arme unruhig. »Soll ich ...«

»Nein«, unterbrach Klybz. »Ich habe ein Holo vorbereitet, um es euch deutlich vor Augen zu führen – und später auch den Passagieren. Darum seht es mir nach, wenn ich am Anfang Dinge zeige, die ihr kennt. Vielleicht hilft euch das gesamte Bild am Ende doch dabei, die Lage besser zu verstehen.«

Pattray signalisierte sein Einverständnis, indem er den Tellerkopf leicht zur linken Seite drehte – gerade so weit, wie sein verkümmerter Hals es zuließ. Er wählte den letzten freien Sessel.

Nun saßen sie zu viert nebeneinander und schauten auf die blaurot gemusterte Kabinenwand.

Der Kommandant aktivierte das vorbereitete Holo, ein Feld aus Schwärze legte sich vor die Wand, und eine blaue Sonne flammte darin auf. Ein wunderschöner Anblick – ein Stern der Spektralklasse A1III.

»Dies ist unser Heimatstern Verth«, sagte Eylczenc-Trü-Klybz. »Das auserlesenste Juwel aller Sonnen, der Traum selbst der Strahlendgelben Kreatur der ewigen Suche. Die Heimat Gatas dreht sich darum, die fünfte von vierzehn Welten.«

Ein Gewimmel aus winzigen Punkten entstand rund um das blaue Gestirn – die Planeten des Heimatsystems und deren Monde. Gatas war darin nicht genauer gekennzeichnet, denn natürlich erkannte jeder Betrachter ihn sofort.

»Von dort sind wir aufgebrochen«, fuhr der Kommandant fort. »Die CHYLLITRISS ist Schiff 47 der Kampagne-78 zur Besiedelung des Kosmos. Unser Ziel ist die Sonne T'krür, ein Stern, der Verth extrem ähnelt, gewaltige vierundzwanzig Lichtjahre von unserem Zuhause entfernt.«

Während dieser Worte formte sich im Holo eine gelbe Linie, die von der Heimatsonne wegführte – hinaus ins Nichts des Weltraums. Je weiter sie in die Ferne führte, desto stärker schrumpfte die Wiedergabe der Heimat, weil sich der Maßstab der gigantischen Entfernung anpasste. Eigentlich wäre Verth auf dieser wenige Meter großen Wand gar nicht mehr zu erkennen, doch auf derlei Genauigkeit hatte der Kommandant beim Erstellen des Holos keinen Wert gelegt.

»Vierundzwanzig Lichtjahre!«, wiederholte Klybz.

Die Linie erreichte ihr Ziel, und dort formte sich ein Bild der Sonne T'krür, um die zwölf Welten ihre Bahn zogen.

»Kampagne-78 schickt uns nach Dryviert, dem sechsten Planeten. Den Messungen sämtlicher gatasischer Astronomen zufolge handelt es sich um eine Welt, wie geschaffen für uns. Uns obliegt die Ehrfurcht gebietende Aufgabe, einen neuen Himmelskörper zu besiedeln, die Herrlichkeit der Gataser hinauszutragen und einen Stützpunkt auf unserem Weg ins Universum aufzubauen. Eine Reise, die fast einhundertfünfzig Tageshände in Anspruch nimmt. Nahezu drei Jahre. Jeder von uns hat sich darauf eingelassen, so lange an Bord zu leben.«

Hatten die anderen bislang schweigend zugehört, konnte sich Wale eine Bemerkung nun nicht länger verkneifen; ausgerechnet Wale! »Das wissen wir alles.«

»Und ich habe euch angekündigt«, konterte er, »dass ihr besser verstehen lernt, sobald ich das Gesamtbild vor Augen rufe. Denn wir haben den geplanten Kurs ...« Die gelbe Linie blinkte auf. »... verlassen. Um mehr als ein halbes Lichtjahr – um die Weite von vier Sprüngen mit unserem Transitionstriebwerk. Das ist kein Vorwurf gegen die Pilotin.« Sein Blick wanderte zu Wale, und er sah sie liebevoll an.

»Und wenn es ein Vorwurf wäre«, sagte sie, »würde ich ihn abschmettern. Mir ist kein Fehler unterlaufen. Beim letzten Aufenthalt der CHYLLITRISS im Normaluniversum, also vor dem verhängnisvollen Transitionssprung, befanden wir uns noch genau auf Kurs.« Sie stand auf, eilte zu dem Holo und legte den mittleren ihrer sieben Finger direkt auf die Linie. »Und zwar exakt an diesem Platz.«

»Bitte, bleib stehen!«, forderte Klybz. »Und nun, nach dieser fatalen, unterbrochenen Transition, steht die CHYLLITRISS hier.«

Mit dem letzten Wort flammte ein blauer Punkt auf, 0,658392 Lichtjahre von Wales Finger entfernt. »Wir haben also mit einem Sprung etwa das Vierfache der maximalen Sprungreichweite zurückgelegt. Nur leider in die falsche Richtung und mit verheerenden Auswirkungen. Etwas hat von außen auf uns eingewirkt. Allerdings gibt es bislang keinerlei Hinweise darauf, was es gewesen sein könnte.«

Die Pilotin ging zurück zu ihrem Platz.

»Pattray?«, bat der Kommandant.

»Noch sind wir nahezu manövrierunfähig«, sagte der Chefingenieur. »Das Schwerefeld der Sonne Rotfenster-Niy hält uns gefangen. Um uns zu befreien, bleiben nach meinen derzeitigen Erkenntnissen vier Tagehände, ehe es gefährlich wird. Das ist mehr als genug Zeit. Bis dahin können meine Leute die Normalraumtriebwerke sicher reparieren. So weit die guten Nachrichten.«

Eylczenc-Trü-Klybz ergriff wieder das Wort. »Sternfinder 47 und unser Chefingenieur gehen davon aus, dass das Transitionstriebwerk repariert werden kann, wenn es auch viele Monate benötigt. Aber die Reichweite des Sprungtriebwerks wird danach geringer sein.«

»Ich rechne mit 0,0093 Lichtjahren pro Etappe. Unsicherheitsfaktor bei sieben Prozent, besser wird es auf keinen Fall.« Pattray hob die Stimme, und das Lautsprechersystem trug die düstere Ankündigung schallend durch das Quartier: »Bis zu unserem Ziel benötigen wir voraussichtlich 323 Einzelsprünge.«

Der alte Asis-Asyv-Griist sackte in sich zusammen, der Tellerkopf legte sich in der Sesselhalterung schräg. »Das wird ... mindestens acht Jahre länger dauern als geplant!«

»Die einzige Alternative«, erkannte Wale mit ihrer Pilotenlogik sofort, »wäre eine Umkehr und damit der Rückflug nach Gatas. Dann liegen statt der fehlenden drei Lichtjahre nahezu einundzwanzig Lichtjahre vor uns. Mit der reduzierten Sprungweite ist das unmöglich.«

Der Chefmediker erhob sich wortlos. Erst, als er die Tür erreichte und die anderen nur scheinbar mit den blinden rückwärtigen Augen anstarrte, sagte er: »Ich weiß, was ich zu tun habe.«

Dann verließ er den Raum.

Für einen Moment blieb es still im Quartier, dann fragte Kruma-Jüryzz-Pattray: »Was hat er vor?«

»Er ist manchmal ein eigenartiger Kopf«, meinte der Kommandant. »Vielleicht braucht er Zeit zum Nachdenken. Oder er berechnet die Vorräte der Medikamente an Bord, um sie auf die nun acht Jahre längere Reisedauer zu strecken.«

Wale-Kry-Lölözyn zirpte verächtlich. »Habt ihr nicht gesehen, wie verzweifelt er aussah? Nur ein winziger Schritt, und er wäre in Panik ausgebrochen!«

Klybz wunderte sich über diese Beobachtung seiner Geliebten. »Auf mich wirkte er ...«

»Du bist ein guter Kommandant in fast allen Belangen«, fiel sie ihm ins Wort, »aber nicht, wenn es darum geht, deine Mannschaftsmitglieder psychologisch einzuschätzen.«

»Was schlägst du vor?«, fragte er.

Sie antwortete ihm nicht, wandte sich stattdessen an das Schiffshirn. »Sternfinder 47, schalt eine Funkverbindung zu Asis-Asyv-Griist.«

»Selbstverständlich«, sagte die Positronik, um einen Augenblick später hinzuzufügen: »Oh. Er ist nicht erreichbar.«

»Wo hält er sich auf?«

»Er hat den privaten Modus aktiviert, sodass ich dir diese Frage nicht beantworten kann.«

Der Kommandant starrte die Tür an. Der Mediker konnte nicht weit sein. »Wegen akuter Gefährdung den Privatmodus aufheben, Autorisation Eylczenc-Trü-Klybz! Nutze außerdem ein bewegliches Akustikfeld, damit er mich hört!«

»Bereitstellung erfolgt in Kürze«, bestätigte Sternfinder 47. »Asis-Asyv-Griist befindet sich in einem Antigravschacht, den er ... genau jetzt verlässt. Da es das Deck der Hauptmedostation ist, liegt die Vermutung nahe, dass er dorthin unterwegs ist. Ich schalte ein mobiles Akustikfeld. Die Verbindung steht. Du kannst sprechen.«

»Griist, was hast du vor?«

Der Mediker gab keine Antwort.

»Chefmediker Asis-Asyv-Griist, hier spricht dein Kommandant! Gib Meldung, wohin du gehst und was du vorhast!«

Wieder blieb es still.

»Sternfinder 47, kann er mich hören?«

»Ganz sicher«, bestätigte das Bordgehirn.

»Asis-Asyv-Griist, ich verlange ...«

»Ich bin unterwegs in meine Medostation«, sagte der Chefmediker. »Die Umstände zwingen mich dazu. Du wirst es in Kürze verstehen.«

»Ich muss es aber jetzt verstehen. Erkläre dich!«

»Das kann ich nicht.«

»Du antwortest mir sofort! Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl.«

»Ich kann nicht!«, wiederholte Griist.

Eylczenc-Trü-Klybz dachte nach, und wie er es drehte und wendete, kam er zur selben Entscheidung. Er durfte diesen Affront nicht durchgehen lassen, schon gar nicht in dieser allgemeinen Notsituation. Er war der Kommandant!

»Sternfinder 47, schalte ein Energiefeld, das Asis-Asyv-Griist den Weg abschneidet.«

Einen Augenblick später ertönte ein Fluch per Funkübertragung – der alte Chefmediker beschwor sämtliche Kreaturen der Rache, in allen für diese Zwecke vorgesehenen Farbtönen.

»Bist du endlich bereit, mir mitzuteilen, was du planst?«

»Das bin ich, und ich bitte um Entschuldigung für mein ungebührliches Verhalten«, sagte Griist nach leichtem Zögern. »Darf ich dich um zwei Dinge bitten, Kommandant? Schalt das Energiefeld aus, damit keine unnötige Zeit verloren geht. Und danach such mich in der Medostation auf. Ich kann es dir am besten erklären, indem ich es dir zeige.«

Klybz war sich unsicher. Er warf Wale-Kry-Lölözyn einen fragenden Blick zu, und sie bestätigte mit einem knappen Seitenruck des Tellerkopfes. Nun gut.

»Einverstanden«, sagte er. »Sternfinder 47, gib ihm den Weg frei. Ich bin in Kürze bei dir, Chefmediker.«

»Du wirst verstehen«, versicherte Griist.

Der Kommandant kappte die Funkverbindung. »Ich gehe zu ihm«, kündigte er den beiden anderen an.

Der Chefingenieur bestätigte und betonte, dass die Arbeit auf ihn wartete. »Abgesehen vom Transitionstriebwerk gibt es sieben mal sieben mal sieben Probleme an Bord, um die ich mich kümmern muss.«

Nachdem Pattray den Raum verlassen hatte, fragte Wale: »Soll ich dich begleiten?«

Er ergriff ihre Hände, strich über die Arme nach oben und kitzelte mit dem dritten Daumen den Flaum ihres Halses; eine Vertraulichkeit, die er sich nur erlauben durfte, wenn niemand sie beobachtete. »Ich bitte darum.«

Denn er wusste nicht, was auf ihn zukam, und in einem hatte sie zweifellos recht: Die psychologische Einschätzung von anderen gehörte nicht zu seinen Stärken, und der alte Mediker hatte sich seltsam verhalten.

Was in der Medostation wohl auf ihn wartete?

*

Asis-Asyv-Griist lag gerade ausgestreckt auf einer Pritsche, den hinteren Teil des Tellerkopfes perfekt in der vorgesehenen Mulde versenkt. Die Arme ruhten auf beiden Seiten des Körpers, die Finger hatte er leicht angewinkelt. Er war offensichtlich entspannt ... was in dieser Situation unwirklich anmutete.

Der Anblick verwirrte Kommandant Eylczenc-Trü-Klybz. Was ging in dem alten Mann vor? Was sollte das? Er hatte erwartet, den Mediker in fieberhafter Aktion vorzufinden – und nun hatte er sich stattdessen hingelegt, um sich auszuruhen?

Irgendetwas stimmte nicht, irgendetwas war ...

»Was hast du getan?«, fragte Wale-Kry-Lölözyn mit scharf sirrender Stimme. »Du Feigling!«

Das letzte Wort spuckte sie ihm voller Verachtung und Herablassung entgegen, aber Klybz glaubte auch, Erschrecken darin zu hören. Und Entsetzen. Oder Trauer?

Feigling? Wieso ...? Was meinte sie damit?

Und dann verstand der Kommandant. »Wie konntest du nur? Bei der Blassroten Kreatur der Heilung – das war falsch! Du darfst uns nicht im Stich lassen!«

Der alte Mann hob den linken Arm und bedeckte kurz den Mund – eine Geste der Scham. Erst nach Sekunden gab er den Hals wieder frei.

»Wie hätte ich es nicht tun können?«, fragte er. »Ich habe mir ein Gift injiziert, denn ich fürchte mich vor dem, was kommen wird. Wir reisen noch acht Jahre, wenn alles gut geht. Sobald die Besatzung und die Siedler die Wahrheit erfahren, wird Panik ausbrechen. Die Anzahl der Passagiere wird in diesen zusätzlichen Jahren explodieren. Es wird eng an Bord. Krankheiten werden zunehmen. Ich müsste rund um die Uhr im Einsatz sein, aber ich bin alt! Ich finde die Kraft für eine solche Aufgabe nicht mehr!«

»Und stattdessen fliehst du in den Tod?«, fragte Klybz. »Kein aufrechter Gataser tut so etwas! Wir brauchen dich! Du bist Teil der Kampagne-78, weil du ...«

»Lass die Vorwürfe!«, bat Wale. »Sie ändern und helfen nichts.«

Sie trat an die Pritsche, legte dem Alten die Hand auf die Brust. »Wir brauchen dich«, wiederholte sie die Worte des Kommandanten, jedoch in sanfterem Tonfall. »Du magst alt sein, doch du bringst mehr medizinische Erfahrung mit als jeder sonst. Gerade wenn die Bevölkerung in der CHYLLITRISS zunimmt, ist deine Stimme unverzichtbar.«

»Aber ich habe Angst. Ich kann das nicht. Nicht weitere acht Jahre lang!«

»Du sagtest, dass es Panik an Bord geben würde«, sagte die Pilotin. »Ich halte das tatsächlich für möglich. Was denkst du? Wird es weniger extrem, sobald Klybz verkünden muss, dass sich unser Chefmediker selbst ermordet hat, weil er sich vor der Zukunft fürchtete?«

Asis-Asyv-Griist schwieg. Seine Augen bewegten sich unruhig.

Wale sah ihn eindringlich an. »Was hast du dir injiziert? Kannst du die Wirkung rückgängig machen?«

Der Mediker blieb reglos und stumm.

»Bitte!«, drängte sie.

Griist antwortete mit einem sirrenden Klagelaut, der in ein protestierendes, trotziges Wutschwirren überging. Er setzte sich auf. »Na gut! Ich nehme ein Gegenmittel und erfülle meine Aufgabe! Aber wenn wir ...«

»Kein Aber«, unterbrach der Kommandant. »Wir schaffen es! Wir werden Dryviert erreichen. Und weißt du auch, warum? Weil wir Gataser sind!«

Der Chefmediker ging zu einer Medikamentenkonsole. »Weil wir Gataser sind«, wiederholte er dabei leise.

Perry Rhodan 3080: Sternfinder

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