Читать книгу Perry Rhodan 3065: Beteigeuze - Susan Schwartz - Страница 8
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Im Licht der Beteigeuze
Der Flug der ORATIO ANDOLFI war für die ganze Mannschaft – und das Schiff – eine Tortur gewesen.
Das Beteigeuzesystem lag 650 Lichtjahre vom Solsystem entfernt. Im Heimatuniversum hätte diese Reise kaum nennenswerte Probleme mit sich gebracht; im anderen Zweig des Dyoversums sah das völlig anders aus. Trotz der Fortschritte, die den terranischen Technikern seit der Versetzung der Erde vor fast einem halben Jahrtausend gelungen waren, führte eine derartige Strecke an die Grenzen der Leistungsfähigkeit.
Zahlreiche Linearetappen über jeweils maximal 25 Lichtjahre lagen hinter dem Liga-Flaggschiff. Jeder einzelnen war eine Kartografierung des aktuellen Zustands im Linearraum durch LOOKOUT-Sonden vorausgegangen. Etwa nach der 20. Etappe waren umfangreiche Reparaturen notwendig geworden, die von den Technikern an Bord nicht nur fachliche Höchstleistungen, sondern auch Improvisationstalent verlangt hatten.
Aber Kommandantin Ghizlane Madouni und ihre Mannschaft führten das Flaggschiff und galten deshalb als die Besten in ihrem Job. Perry Rhodan hatte einen Großteil der Reise in seinem Quartier verbracht und die Zeit genutzt, nach den anstrengenden Ereignissen auf Zeut, Ceres und im Wegasystem wieder zu Kräften zu kommen.
Die bevorstehende diplomatische Zusammenkunft auf der Heimatwelt der Yura würde ihm alles abverlangen, daran zweifelte er nicht eine Sekunde.
Zwar sollte der Chefdiplomat Nevio Torwesten die Gespräche für die terranische Seite führen ... aber nicht umsonst hatte die topsidische Gelegemutter und Anführerin des Sternengeleges nach einem Treffen mit Perry Rhodan in persona verlangt.
Letztlich, da gab er sich keinen Illusionen hin, würde die Entscheidung zwischen ihm und Bun-Akkbo fallen, und das nicht, weil er sich in den Vordergrund drängte, sondern weil ...
... ja, weil etwas ihn stets in die Schlüsselrolle schob.
Er wusste selbst nicht, wie er jenes Etwas benennen sollte.
Das Schicksal? An einem solchen unpersönlichen Konzept hegte er tief sitzende Zweifel.
Bestimmung? Falls ja, woher kam sie? Von einer wie auch immer gearteten Kraft im Hintergrund? Von den Höheren Mächten des Kosmos?
Vielleicht, dachte Perry Rhodan, war dieses Etwas nichts weiter als die Folge seines eigenen Charakters, die Summe seines bisherigen Lebens und seiner Entscheidungen.
Er freute sich auf die Begegnung mit der mächtigsten Topsiderin, der Anführerin des Sternengeleges, das in diesem Teil des Dyoversums mit Fug und Recht als Supermacht galt.
Außerdem waren die Topsider schon deshalb interessant, weil sie das einzige bislang bekannte Volk waren, das es in beiden Hälften des Dyoversums gab.
Zumindest wenn man von den Terranern absah, aber diese waren erst vor wenigen Jahrhunderten durch die Versetzung ihrer Heimatwelt in diesen Universenzwilling gelangt.
Wie erklärte sich die Existenz der hiesigen Topsider? Waren Vorfahren der Sternengelege-Topsider einst ebenso wie die Terraner versetzt worden? Oder hatten sie sich tatsächlich ursprünglich in diesem Zweig des Dyoversums entwickelt?
Viele Fragen harrten auf Antwort, zumal sie auf ständig weitere Unklarheiten verwiesen, die die Wissbegierde anstachelten.
Aber eines nach dem anderen.
Der aktuelle Konfliktfall musste geklärt werden, und wenn das misslang, stellten sich alle Fragen womöglich als müßig heraus. Weil es nach einem neuen Entflammen des Krieges vielleicht keinen Terraner mehr gab, der sie sich stellen könnte.
*
»Du warst also tatsächlich noch nie selbst hier?«, fragte Perry Rhodan eine Stunde später Ghizlane Madouni. Die Kommandantin hatte ihn kurz vor der Ankunft am Ziel in die Zentrale der ORATIO ANDOLFI gebeten.
»Die wenigsten konnten in unserer Hälfte des Dyoversums jemals eine solche Strecke zurücklegen.«
»Und unter diesen wenigen wäre die Kommandantin des Flaggschiffs nicht gewesen?«
»Gerade die nicht!« Ghizlane Madouni machte eine umfassende Handbewegung, die vor allem das gewaltige Umgebungsholo in der Mitte der Zentrale einschloss. »Die ANDOLFI wird zu Hause gebraucht, im Solsystem, oder bei von uns besiedelten Planeten in der Nähe ... nicht so weit draußen. Es gab für mich nie einen Grund, bis hierher zu fliegen.«
»Und jetzt werden die Weichen für die Zukunft ausgerechnet hier gestellt«, sagte Rhodan nachdenklich.
Natürlich wusste er, warum die Gelegemutter für die Verhandlungen zur Heimatwelt der Yura gebeten hatte – auf dieser Welt hatte sich einst ein Konflikt zwischen ihren beiden Völkern entzündet. Es handelte sich also um historischen Boden, und Rhodan gefiel der Gedanke, die Symbolik dieses Planeten gewissermaßen umzudrehen und dort den Frieden einzuleiten ...
... aber er fragte sich, ob es womöglich andere Gründe für die Wahl gab.
Verborgene Gründe, die den Topsidern einen Vorteil verschafften, der momentan im Dunkeln lag.
Rhodan entschied sich, das Positive in den Blick zu nehmen und sich darauf zu konzentrieren. Er hoffte, dass es tatsächlich nur um neutralen, geschichtsträchtigen Boden ging – verbunden mit einer gewissen Spitze, denn die Terraner mussten die komplexe Reise über 650 Lichtjahre zurücklegen, während die Topsider aus dem Orion-Deltasystem nur 214 Lichtjahre zu überbrücken hatten.
»Ich war bereits dort«, griff Rhodan den Gesprächsfaden wieder auf. Dass er nicht tatsächlich diesen Ort, sondern sein Gegenstück im anderen Teil des Dyoversums meinte, lag auf der Hand. »Aber diese gewaltige rote Sonne ist stets aufs Neue imposant.«
Beteigeuze galt als Riesenstern – mit einer etwa 40.000 Mal höheren Leuchtkraft als Sol. Der Stern stand als riesiger Ball im Zentrum des Umgebungsholos; ein glühender Gigant selbst in dieser Wiedergabe. Er flackerte wie Feuer, die Protuberanzen schienen in den Raum greifen und alles verschlingen zu wollen.
14 Welten umkreisten die Beteigeuze, von denen allerdings nur die dritte und vierte in der habitablen Zone lagen.
Planet Nummer Drei war eine Dschungelwelt ohne eingeborenes intelligentes Leben, mit mörderischer Luftfeuchtigkeit und hohen Temperaturwerten. Kurz schweiften Rhodans Gedanken in die Vergangenheit. Dort hatte er im Jahr 1984 alter Zeitrechnung den Springern vorgespielt, es handelte sich um Terra ... was letzten Endes zur Zerstörung des Planeten im Heimatuniversum geführt hatte. In diesem Beteigeuzesystem existierte er noch.
Der vierte Planet trug den Namen Vurayur – er war die Heimat der Yura. Die Weltenkugel umkreiste die Sonne in einem beträchtlichen Abstand, ein Planetenjahr dauerte 260 Terra-Jahre.
Rhodan warf der Kommandantin einen fragenden Blick zu und deutete auf das Holo. »Darf ich?«
Sie nickte.
Er griff hinein und zoomte die Ansicht auf Vurayur heran. Der Mond des Planeten huschte über seinen Handrücken. Bald stand die gesamte Welt mannsgroß vor ihm. Rhodan umrundete sie.
Ein gewaltiger Ozean bedeckte den größten Teil der Oberfläche, es gab nur einen einzigen Kontinent – Rhodan schätzte ihn etwa auf die Größe von Europa. Der Umriss erinnerte ihn an ein grob gezimmertes Schiff, an dessen Heck ein winziges Segel flatterte.
»Die Yura leben im Meer und entlang von Kanälen und Flüssen an Land«, erklärte Ghizlane Madouni. »Vereinzelt wohnen sie in offenen Tanks, nie in geschlossenen Gebäuden.«
Wieder griff Rhodan in das dreidimensionale Abbild und zog einen Bereich heran – einen Teil des Kontinents, auf dem eine kleine Stadt lag. Die Wiedergabe blieb für einige Sekunden unscharf, bis die Sensoren neue Daten lieferten, dann zeichneten sich einzelne Wohnbereiche ab, stets umringt von Grünflächen und Seen.
Idyllisch, dachte er.
»Also ist dies Orionopolis?«, fragte er. So hieß die Siedlung, die die Liga auf Einladung der Yura gegründet hatte.
Ghizlane nickte. »Dort werden wir erwartet. Der einzige Ort im Universum, an dem etwa gleich viele Terraner und Yura zusammenleben. Auf Terra gibt es etliche unserer Freunde, aber ... Orionopolis fühlt sich völlig anders an, wenn man den Gerüchten glauben will.«
»Die Vorstellung scheint dir zu gefallen.«
Die Kommandantin grinste. »Ich mag Gerüchte.«
*
Der Raumhafen von Orionopolis lag abseits der Siedlung. Das kleine Landefeld konnte die gewaltige Kugel der ORATIO ANDOLFI nicht aufnehmen. Das Flaggschiff schwenkte deshalb in einen stationären Orbit ein.
Ein Beiboot brachte die terranische Delegation auf den Planeten. Der Pilot transportierte neben dem Chefdiplomaten Nevio Torwesten und Perry Rhodan auch Madouni und die Residentin Orfea Flaccu. Sie bildeten die Vorhut – später würde ein etwas größeres Einsatzteam folgen, dem unter anderem Sichu Dorksteiger, Farye Sepheroa und Iwán/Iwa Mulholland angehörten.
Auf dem Raumhafen standen einige kleinere Kugelraumer und ein eindeutig topsidisches Pfeilkugelschiff, die momentan größte Einheit. Es handelte sich weder um ein Kriegsschiff der KLECHTO-Klasse noch um eines der PRECZER-Klasse. Beide hätte Rhodan mittlerweile sofort erkannt.
»Es ist die ROCHCHOD, das Schiff der topsidischen Delegation«, sagte Ghizlane Madouni, als sie auf die Schwebeplattform traten, die sie an ihrem Landefeld erwartete. Es wehte ein sanfter Wind, die Temperatur fühlte sich angenehm warm an, knapp unter 30 Grad, schätzte Rhodan. »Ein topmoderner FRECKZA-Kreuzer. achthundertsiebzig Meter lang, die seitliche Kugel etwas weniger als dreihundert Meter im Durchmesser. Klechna-Ertz ist damit extrem stilvoll angereist, würde ich sagen.«
»Klechna-Ertz«, wiederholte Nevio Torwesten ohne erkennbare Begeisterung. »Meine topsidische Kollegin.«
Der Chefdiplomat war ein gesetzter, grauhaariger Mann, dem die Lebenserfahrung in Form etlicher Falten ins Gesicht geschrieben stand. Rhodan hatte ihn inzwischen einige Male gesprochen und konnte ihm ein sehr einnehmendes, charismatisches Wesen attestieren. Es kam ihm vor, als würden die strahlend blauen Augen beinahe hypnotisch leuchten – vielleicht ein Trick mit einer speziellen Art Kontaktlinse.
Alles in allem blieb Torwesten ein wenig undurchsichtig oder spielte die Rolle des Undurchsichtigen zumindest. Womöglich brachte das sein Diplomatendasein mit sich, in dem es einerseits um Offenheit ging, er andererseits die Dinge aber klugerweise erst zu dem Zeitpunkt auf den Tisch legen durfte, zu dem es ihm angebracht schien.
»Hat sich Klechna-Ertz bereits bei dir gemeldet, Residentin?«, fragte Torwesten.
»Mit keinem Wort«, antwortete Orfea Flaccu.
»Was wisst ihr über sie?«, fragte der Diplomat, während sich die Schwebeplattform in Bewegung setzte. Einige senkrecht nach oben verlaufende Stangen boten bequemen Halt und ermöglichten einen festeren Stand, als die Geschwindigkeit zunahm. Zusätzlich verhinderte ein Energieschirm allzu starken Fahrtwind.
Rhodan kannte das vorbereitende Papier des Geheimdienstes. »Dass sie als Diplomatin auf Terra diente, ehe sie von Zhrecter in dieser Position abgelöst wurde.«
»Korrekt!« Torwesten schielte in Richtung des einzigen Sessels auf der Plattform, den wahrscheinlich ein Pilot besetzt hielt, wenn die Fahrt nicht – wie in diesem Fall – positronisch gesteuert ablief. »Äh ... macht es euch etwas aus?«
»Setz dich nur«, sagte die Residentin schmunzelnd.
Illustration: Dirk Schulz
Der Diplomat ließ sich nieder und faltete die Hände über seinem Wohlstandsbäuchlein. »Inoffiziell gibt es eine weitere, sehr entscheidende Information zu Klechna-Ertz. Sie wird als potenzielle Nachfolgerin der Gelegemutter gehandelt.«
»Denkt Bun-Akkbo daran, abzutreten?«, fragte Rhodan.
»Zumindest weder aktuell noch konzeptionell freiwillig. Aber das Sternengelege ist stets für alles gewappnet und rechnet mit jeder Eventualität.«
»Die ... wie aussieht?«
»Dass die Gelegemutter sterben könnte.« Der Diplomat hob die Hände etwas an und tippte die Fingerspitzen rhythmisch aneinander. »Natürlicher Tod, Unfall, Krankheit, Gewalt ... lassen wir das außen vor. Die Möglichkeit besteht immer. Eine Gelegemutter des Sternengeleges hat keine eigenen Nachkommen.«
»Und falls doch?«, fragte Rhodan.
Torwesten wandte den Blick zu ihm und strich mit dem Zeigefinger über die Oberlippe, eine langsame, bedächtige Bewegung. »Sie hat keine. Dafür sorgt ein operativer Eingriff als Teil der Zeremonie, mit der sie ins Amt erhoben wird. Sie wird niemals Eier ablegen. Und sie kann das Amt nicht antreten, falls sie bereits Nachkommen hat.«
Rhodan wusste, wie die Nachfolgerin einer Gelegemutter ausgewählt wurde. Kurz nach der Amtseinsetzung wählten sämtliche Topsiderinnen vier junge Frauen aus ihrer Mitte, die von der aktuellen Gelegemutter einige Jahre lang mit wichtigen Aufgaben betraut und bei ihrer Arbeit bewertet wurden. Zu gegebener Zeit adoptierte die Gelegemutter eine dieser vier Topsiderinnen und designierte sie damit zu ihrer Nachfolgerin.
»Die aktuelle Nachfolgerin ist Klechna-Ertz«, vermutete Rhodan.
»Sie ist noch nicht adoptiert, aber ...« Ein kurzes Zögern. »... man geht davon aus, dass es nach Ablauf dieser Krise so weit sein wird. Was dem diplomatischen Treffen zusätzliche Brisanz verleiht.«
»Man geht davon aus?«, fragte Orfea Flaccu. »Um wen genau handelt es sich dabei?«
Nevio Torwesten lächelte. »Um für gewöhnlich gut informierte Kreise.«
Rhodan musste grinsen; diese alte Floskel starb wohl niemals aus.
»Kreise, zu denen jemand wie die Residentin der Liga offenbar nicht gehört?«, stellte Orfea Flaccu fest.
Nevio Torwesten nickte bedächtig. Er ließ sich Zeit mit einer Antwort. »Vielleicht funktioniert das diplomatische Netzwerk in mancherlei Hinsicht besser als der Liga-Dienst.«
Sie schwiegen eine Zeit lang, und Rhodan fragte sich, wie die Residentin mit dieser Schlappe wohl umging. Es erleichterte ihn, als er sie milde lächeln sah.
Die Schwebeplattform erreichte den äußeren Rand des Landefelds und damit einen lang gezogenen Flachbau, der an das Fabrikgebäude einer automatischen Fertigungsstraße erinnerte – ein trister, metallischer Schlauch, der da und dort unter einem Sonnenstrahl aufblitzte.
Im Hintergrund, nach einem etliche Hundert Meter breiten Grünstreifen, erstreckte sich ein Meer aus Blumen in den schillerndsten Farben, daran anschließend begannen die ersten Wohnbereiche der Stadt Orionopolis.
Die Plattform hielt vor dem Flachbau, eine Tür öffnete sich, und ein Terraner trat heraus.
Er war ein hochgewachsener Mann mit millimeterkurz geschorenen roten Haaren. Hinter einem Ohr klemmte ein fingerlanger Metallstift. Er trug ein Hemd aus lose fallendem, pinkfarbenem Stoff und eine robuste Lederhose. »Ich bin Odai Krimmer«, sagte er und zeigte sich überschwänglich herzlich: Er umarmte alle und verteilte Wangenküsse rechts und links.
Rhodan ließ es über sich ergehen, fühlte sich aber genauso, wie Ghizlane Madounis Gesicht aussah, in dem sich eine Mischung aus Befremdung und Amüsement spiegelte.
»Ich bin der Sicherheitsexperte rund um das diplomatische Treffen«, fuhr Krimmer fort. »Oder, wenn ihr mir eine saloppere Beschreibung gestattet, derjenige, der euch den Hintern retten wird.«
*
Odai Krimmer brachte sie in einem Flugtaxi nach Orionopolis, dort in einen der zahllosen Parks. Mehrere Kanäle flossen im Abstand weniger Meter und kreuzten sich häufig, sodass ein fast schachbrettartiges Netz aus schmalen Wasserstraßen entstand. Auf den Flächen dazwischen tummelten sich Menschen, lagen in der Sonne, grillten, lachten. In den Kanälen staksten einige Yura, meistens auf drei oder vier der sieben Tentakel aufgerichtet.
Krimmer führte Rhodan und seine Begleiter zu einem Café, das am Rand des Parks lag, mit bester Sicht ins Grüne. Zunächst sah es so aus, als gäbe es keine freien Plätze, doch als sie sich näherten, schob sich ein Tisch – exakt passend mit fünf Stühlen – aus dem Boden.
»Hier ist man sehr auf exquisiten Service bedacht«, sagte der Sicherheitsexperte. Mit einem breiten Grinsen ergänzte er: »Und auf Diskretion, was allerdings die normalen Gäste nicht wissen. Die Positronik hat mich erkannt, ich komme oft hierher. Uns steht ein schönes Separee mit ausreichender Privatsphäre zur Verfügung, auch wenn es nicht so aussieht.«
Sie setzten sich.
Rhodan entging das leichte, kaum wahrnehmbare Flirren in der Luft rundum nicht. Sie konnten ungestört sehen und hörten alles, was sich in ihrer Umgebung abspielte ... aber er zweifelte nicht daran, dass kein Wort ihres Gespräches nach draußen drang.
Krimmer bestätigte diese Vermutung. »Wir können völlig offen sprechen. Ich dachte, es ist etwas netter als mein Büro in dem bunkerartigen Ding in der Siedlung, die die Yura für das diplomatische Treffen errichtet haben. Außerdem liegt es für unseren Gast auf dem Weg.«
»Unser Gast?«
»Kaloyd. Er ist Kontaktmann bei den Yura und nebenbei der Projektverantwortliche für den Siedlungsneubau. Wenn man davon absieht, dass meine topsidische Kollegin Wrachsha und ich noch mehr Verantwortung dafür tragen, denn wir klopfen dort alles auf die notwendige Sicherheit ab. Was den guten Kaloyd eine Menge Nerven gekostet hat.«
»Mich wundert, dass er einen Eigennamen trägt«, sagte Residentin Flaccu.
»Wenn Yura als Kontaktpersonen fungieren sollen, wählen sie meistens einen Namen, um uns den Umgang mit ihnen zu erleichtern.«
»Und er wird zu uns stoßen?«
»Er begleitet uns zum Primrat – dem Regierungsoberhaupt seines Volkes. Aber vorher möchte ich euch grundlegend die Situation erklären.«
»Wir hören«, versicherte Ghizlane Madouni.
»Die eben erwähnte Wrachsha sorgt auf Seite der Topsider für die Sicherheit vor und während des Treffens. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, dezent vorzugehen und im Hintergrund zu bleiben. Sie geht rigoroser vor als ich. Um es gelinde zu sagen. Sie würde am liebsten eine Hundertschaft Kampfroboter in der Siedlung verteilen und ...«
»Mit welcher Gefahr rechnet sie?«, unterbrach die Residentin.
»Sie misstraut uns. Also nicht unbedingt persönlich, aber den Terranern ganz allgemein. Die Gelegemutter höchstpersönlich wird nach Vurayur kommen. Wrachshas Meinung nach wäre das für uns die ideale Gelegenheit für ein Attentat.«
»Womit sie recht hat«, sagte Ghizlane Madouni. »Sofern es auch nur den Hauch einer sinnvollen Begründung dafür geben würde, jetzt einen Anschlag auf Bun-Akkbo durchzuführen. Wofür hält sie uns?«
»Für Terraner«, antwortete der Chefdiplomat Nevio Torwesten trocken. »Für manche Topsider, nennen wir sie die Unbelehrbaren, bedeutet dass, das wir Bestien sind. Verzweifelt, wahnsinnig, machtlüstern ... je nachdem. Auf jeden Fall unberechenbar. Und was tun unberechenbare Personen?« Er schnippte mit den Fingern. »Genau: unberechenbare Dinge!«
»Du findest Wrachshas Vorstellungen also richtig?«, fragte Ghizlane.
»Unfug! Ich will euch lediglich helfen, ihre Denkweise nachvollziehen zu können. Ich beschäftige mich seit Jahren mit ihnen und ihrem Blick aufs Universum. Das Sternengelege ist militärisch, es breitet sich aus und ist zugleich heimatverbunden; die Topsider sind kriegerisch, aber im Privaten an Kunst und Dichtung interessiert.
Sie denken anders als wir – die Differenzen beschränken sich nicht auf Äußerlichkeiten. Nehmen wir als Beispiel nur eine der Grundlagen des Lebens – die Bindung an ihre Nachkommen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man Kinder austrägt oder Eier in ein Nest legt. Versteht mich nicht falsch, ich will das nicht abwerten, das wäre Unsinn. Ich stelle lediglich fest, und meine dringende Mahnung an euch lautet: Glaubt nicht, dass Topsider so denken wie wir! Sie folgen auch nicht unserer Logik.«
»Eine leidenschaftliche Rede«, sagte Perry Rhodan. »Aus all meiner Erfahrung, nicht nur mit den Topsidern aus meinem Heimatuniversum, sondern mit zahllosen Fremdvölkern, kann ich dir nur zustimmen. Aus falschen Erwartungen folgen Enttäuschungen, und die sorgen für Konflikte.«
»Dann hast du eine wichtige Grundregel der Diplomatie verstanden.«
Rhodan grinste. »Danke für dieses Lob aus berufenem Mund!«
»Gerne geschehen«, sagte Torwesten todernst.
»Aber zurück zu Wrachsha«, forderte Odai Krimmer. »Die Roboter in der Siedlung habe ich ihr ausgeredet – oder bin zumindest auf einem guten Weg bei diesem Vorhaben. Sie wird zumindest ihre Ansprüche zurückfahren, davon gehe ich aus. Eine andere Idee, an der sie einen Narren gefressen hat, ist übrigens weitaus verrückter. Sie hat allen Ernstes gefordert, nicht nur möglichst sämtliche Poyiden an Land wie im Meer mit Mikrosendern auszurüsten, sondern auch die Bachu!« Er lachte, als wäre ihm ein besonders guter Witz gelungen.
Nur konnte Rhodan die Pointe nicht nachvollziehen, da er weder die Poyiden noch die Bachu kannte. Den fragenden Gesichtern nach zu urteilen ging es seinen drei Begleitern genauso.
»Oh«, machte der Sicherheitsexperte. »Ich sehe, wo das Problem liegt. Also gut. Die Poyiden sind Raubtiere, die den Yura vom grundlegenden Körperbau her sehr ähneln. Sie leben meist im Meer, können aber für eine beschränkte Zeit an Land jagen. Ihre bevorzugten Opfer sind durchaus wehrhafte Panzerschnecken – eben die Bachu. Wenn sich diese beide Tierarten nicht gegenseitig anfallen, greifen sie häufig Yura an. Oder Terraner. Und zweifellos werden sie vor Topsidern nicht haltmachen.«
»Weshalb Wrachsha gerne wüsste, dass sich keine dieser Biester im Umfeld der Siedlung herumtreiben, während die Gespräche laufen«, sagte Rhodan.
»Man könnte es natürlich anders lösen«, sagte Krimmer, »etwa mit einem Energieschirm um die Gebäude. Nicht, dass am Ende die Residentin zur Beute einer Panzerschnecke wird.« Er lachte wieder, wurde jedoch sofort ernst. »Aber einen Schirm werden die Topsider nicht akzeptieren, solange nicht sie allein sämtliche benötigte Technologie liefern. Wenn wir etwas beisteuern, verlangt Wrachsha, dass alle Topsiderinnen Kampfanzüge tragen. Weil sie damit rechnet, dass wir Waffen einschmuggeln oder planen, die Echsen mit Fesselfeldern festzusetzen.« Er seufzte.
»Kampfanzüge klingen nicht sehr harmonisch, während gerade Friedensgespräche geführt werden«, sagte die Residentin. »Und wieso lässt du nicht zu, dass die Topsider den Energieschirm stellen?«
»Um sämtlicher Mächte zwischen den Sternen willen!«, rief der Diplomat. »Wenn ich das zulasse, geht mir niemand von euch ohne Kampfanzug in die Siedlung!«
Ja, dachte Rhodan, man kann durchaus von einem nicht geringen gegenseitigen Misstrauen sprechen.
Das konnte ja heiter werden.
Ein Yura kam mit weit ausholenden, fast rollend wirkenden Bewegungen seiner Lauftentakel näher. Er blieb direkt vor dem Energieschirm stehen. Er trug einen grellblauen Humidoranzug.
»Odai Krimmer«, sagte er. »Der Primrat wartet auf dich und deine Gäste. Gehen wir.«
*
Das zweite Protokoll
Es spielt sich an einem unscheinbaren Ort ab, weit jenseits der sonstigen Kampfhandlungen. Ein terranischer Kugelraumer fällt inmitten der Oortschen Wolke aus dem Linearraum.
Ob Absicht oder Zufall, vermag der Beobachter nicht zu beurteilen, aber das Geschehen zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. »Interessant«, sagt die Stimme. »Planst du dort etwas, Perry Rhodan, oder ist dir das entgangen?«
Ein Komet rast ganz in der Nähe des Kugelraumers vorüber. Was man eben Nähe nennt, draußen im All. Würde es sich auf einem Planeten abspielen, spräche man von einer gewaltigen Entfernung. Was kümmert es einen Menschen, was auf einem anderen Kontinent geschieht? Er hört höchstens davon oder sieht einen Bericht darüber.
Die meisten Dinge sind relativ, denkt der Beobachter
Das terranische Raumschiff treibt antriebslos dahin. Offenbar ist sämtliche Technologie ausgefallen. Erst beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass die Hülle beschädigt ist. Nicht etwa großflächig, sondern es gibt einige kleine, nur wenige Meter weit klaffende Risse. Aber ob ein oder hundert Meter – die Atmosphäre entweicht, als das wohl notdürftig errichtete Schutzfeld kollabiert.
Dinge werden ins All gerissen: ein Roboter, eine Arbeitskonsole, ein Mensch.
Drei topsidische Schiffe rasen heran. Sie feuern, ohne ihren Flug zu verlangsamen. Die Salven schlagen in den ungeschützten Kugelraumer. Am oberen Pol zerbirst die Hülle. Gewaltige Trümmerstücke treiben davon.
Schon sind die Topsider vorüber.
Ein weiterer Schuss, im letzten Augenblick, ehe die Geschütze außer Reichweite gelangen. Der Kugelraumer explodiert.
»Keine Hilfe«, sagt die Stimme.
Weder rechtzeitig, um das beschädigte Schiff zu evakuieren oder ihm beizustehen ... noch jetzt, um mögliche Überlebende zu retten.
Aber es gibt ohnehin keine Rettungsboote. Vielleicht waren schon vorher alle an Bord tot, als der Raumer ungeplant und teilzerstört aus dem Linearraum fiel.
»Was lernen wir daraus?«, fragt die Stimme. »Konntest du nicht eingreifen, Rhodan? Wolltest du nicht? Oder ist dir dieses Detail inmitten der vielen Kampfherde im Solsystem einfach entgangen?«
Der Sprecher sinniert über die Fragen. Die Antworten wird er selbst finden müssen, anderswo im Schlachtengeschehen.
»Zeig mir mehr, Rhodan«, sagt er. »Zeig mir, wie du bist!«
Und: »Zeig mir, wer du bist.«