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2. Türkischer Mokka mit Zucker

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»Ach, die Kondome!« Ich rang mir mühsam ein Lachen ab, während ich krampfhaft überlegte, wie ich meinem Vater eine plausible Erklärung dafür geben konnte, was eine Großpackung gefühlsechter Kondome im Besitz seiner vermeintlich noch jungfräulichen Tochter zu suchen hatte.

»Ja, die Kondome, es sei denn, du hast noch mehr Präservative, von denen ich nichts weiß.«

»Die gehören mir nicht.« Das war ja eigentlich keine echte Lüge, nicht wahr? Immerhin war ich eine Frau, und Frauen benötigten ja keine Kondome, sondern Männer.

»Meine Kollegin, Tamara Krause, hatte mich gebeten, sie für einen Junggesellinnen-Abschied zu besorgen. Danke, dass du sie gefunden hast, Papa!« Ich umarmte ihn.

»Komische Sitten haben diese Deutschen. Kondome für einen kina gecesi. Das gehört sich einfach nicht!«

»Nein, Papa, das ist kein Henna-Abend. Einen Junggesellinnen-Abschied feiert man meistens in einer Bar und macht Späße, lustige Spiele, weißt du.«

Aber Papa schüttelte nur missbilligend den Kopf.

Dafür, dass ich ein Doppelleben führte, fand ich, dass das Leben bei uns Morans relativ alltäglich verlief.

Wenn ich keinen Auftritt als »Roxy« hatte und pünktlich zu Hause war, dann deckte ich den Tisch und machte einen Salat, so dass wir uns gemeinsam zum Abendessen an den Tisch setzen konnten. Das Abendessen ist bei uns wie in den meisten türkischen Familien sehr wichtig. Es ist Familienrat und Essen zugleich, wir erzählen einander, wie wir den Tag verbracht haben, diskutieren über Probleme und erzählen uns Neuigkeiten aus der Nachbarschaft. Wir setzen uns grundsätzlich immer erst dann an den Tisch, wenn alle da sind, und keine Minute vorher, es sei denn, einer von uns ist verhindert und ruft an, damit die anderen nicht warten.

Meine Eltern hatten sich zwar an meine »Überstunden« gewöhnt, sie freuten sich aber immer sichtlich, wenn ich abends zu Hause mit ihnen aß. Nach dem Abendessen räumten Papa und ich gemeinsam den Tisch ab, während meine Mutter die Küche aufräumte. Papa kochte uns dann türkischen Schwarztee, den wir gemütlich vor dem Fernseher tranken, bevor wir zu Bett gingen.

Viel mehr gibt es über uns eigentlich nicht zu berichten.

Im Hause der Balabaks hingegen gibt es eine Sensation, um die ich Pelin schon immer beneidet habe.

Es ist Pelins anneanne, ihre Großmutter.

Da ich mich an meine eigene Oma nicht erinnern kann und Pelins Oma von Kindesbeinen an kenne, nenne auch ich ihre Oma anneanne, genau wie Pelin.

Anneanne ist vor langer, laaaanger Zeit geboren worden. Damals gab es noch eine andere Zeitrechnung in der Türkei, das ist kein Witz! Da sie aus einem Dorf stammt und nie lesen und schreiben gelernt hat, weiß sie nur, dass sie geboren wurde, als es Kirschen auf dem Markt zu kaufen gab. Wir vermuten, das war im Sommer 1925, sind uns da aber nicht so ganz sicher.

Insgeheim glaube ich, dass anneanne uns alle noch überleben wird, denn obwohl sie klein und dürr ist, strahlen ihre lebhaften rehbraunen Augen einen unverkennbaren Witz und einen messerscharfen Verstand aus. Das allein aber macht sie noch zu keiner Sensation.

Das Besondere an anneanne ist, dass sie eine Hexe ist!

Sie kann aus dem Kaffeesatz die Zukunft lesen, Menschen verhexen oder Geister herbeirufen, jedenfalls sind Pelin und sie selbst überzeugt davon.

Und meine Freundin Pelin ist ihre einzige Schülerin.

Schon seit wir kleine Mädchen waren, eiferte sie ihrer Oma mit großer Energie nach.

Im Kindergarten verfluchte sie den rothaarigen Rotzlöffel, der sich darüber lustig machte, dass ihr Deutsch so schlecht war.

Am nächsten Tag aß der Junge eine Lakritzschnecke, die Pelin ihm großzügig aus ihrer Tüte angeboten hatte. In seiner Gier griff er gleich mehrmals zu, während Pelin nur sanft lächelte.

Eine Stunde später verschwand der Kleine mit hochrotem Kopf auf dem Klo und kam den ganzen Tag nicht wieder heraus.

Ich habe erst Jahre später erfahren, dass sie die Abführtabletten ihrer Großmutter in die Lakritzschnecken eingearbeitet hatte, nur um sicherzugehen, dass der Fluch sich auch erfüllte.

Als ihre erste Liebe Harun sie mit einer anderen Frau betrog, war Pelin, damals zwanzig Jahre alt, am Boden zerstört. Sie erwischte ihn mit einer Blondine im Bett, die von Pelins Existenz nichts wusste und ebenso schockiert war wie meine Freundin.

»Warum schläfst du mit einer anderen Frau, wenn du doch mit mir zusammen bist?«, stellte sie ihn zur Rede.

»Ich bin eben ein Mann.«

»Aber von mir erwartest du, dass ich noch Jungfrau bin, wenn wir heiraten, ja?«

»Natürlich! Du bist ja auch eine Frau«, sagte er, als würde das alles rechtfertigen.

Pelin drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Wohnung.

Da ich sie zu Harun gefahren hatte, habe ich wohl oder übel alles mitbekommen. Während der Fahrt sprach sie nicht, und als wir bei ihr zu Hause ankamen, murmelte sie arabische Worte vor sich hin, während sie irgendetwas auf ihrer Herdplatte in der Küche röstete, was einen beißenden, tränentreibenden Rauch erzeugte.

»So!«, murmelte sie zufrieden, als sie sich bald darauf zu mir an den Küchentisch setzte.

Warum genau Harun sich so plötzlich veränderte, kann niemand so recht sagen. Man munkelt, er hätte sich irgendeine Krankheit oder so etwas zugezogen. Die Wahrheit war, dass er lange, seeeehr lange keinen mehr hochbekam, und das geschah ihm auch recht, finde ich!

Pelins Ex-Lover Harun, der ein hoffnungsloser Macho war, als sie noch zusammen waren, ist nun ein zitternder Waschlappen, der sich vor seinem Drachen von Weib beinahe zu Tode fürchtet. Gelegentlich finde ich Pelin ein wenig furchterregend.

Anneanne hat ihrer Enkelin viel beigebracht, ihr aber auch vieles verboten, was Pelin natürlich nie daran gehindert hat, trotzdem zu tun, was sie wollte. Pelins größter Traum war es, sich eines Tages als Wahrsagerin selbstständig zu machen, und den Grundstein dafür hatte sie bereits gelegt.

Da Pelin mir so oft aus der Tinte half, stellte ich mich ihr immer wieder gerne als Versuchskaninchen zur Verfügung, obwohl ich selbst an den ganzen Kram nicht glaubte. Na ja, meistens jedenfalls.

Mir las sie aus dem Kaffeesatz und ich machte mich lustig über sie, obwohl sie fest davon überzeugt war, dass sie eines Tages eine bekannte Wahrsagerin werden würde. Pelins »Zelt«, also der Ort, an dem sie ihre Prophezeiungen verkündete, befand sich in einem Bürogebäude in der Innenstadt. Wenn man vier Stockwerke hochtrabte und einen ellenlangen, nur schwach beleuchteten Korridor entlangging, dann sah man am Ende des Flurs endlich ein schwaches Licht schimmern, »Pelins Zigeunerzelt«, wie sie es nannte. Hier führte sie ihre dubiosen Séancen durch.

Es war Sonntag, und Pelin und ich saßen in ihrem »Zelt«, das aber eigentlich nichts weiter als eine Abstellkammer in einem Bürogebäude war. Wenn Pelin keine Sitzung hatte, war die Besenkammer genau das, was sie war, nämlich eine Besenkammer, in der Putzmittel, Staubsauger, Mopp, Wassereimer und Besen lagerten.

Wenn Pelin kam, verhängte sie einfach alles mit dunkelblauen Samttüchern und stellte einen kleinen Tisch auf, den sie mit blutrotem Samt drapierte. Hinter ihr befand sich ebenfalls ein kleiner Beistelltisch, auf dem eine einzelne elektrische Herdplatte stand. Neben der Herdplatte befanden sich eine Dose voll Mokkapulver, eine gefüllte Zuckerdose und eine Flasche Quellwasser.

» So, dann wollen wir mal sehen, was die nächsten Monate dir so bringen«, erklärte sie, während sie eines der kleinen weißen Mokkatässchen mit Wasser füllte und das auf diese Weise abgemessene Wasser in das kleine Töpfchen aus Messing goss. Nun fügte sie einen gehäuften Teelöffel türkischen Mokka hinzu und gab zwei gestrichene töffelchen Zucker mit hinein. Dann rührte sie die Mischung kräftig um und stellte das Töpfchen auf die heiße Herdplatte. Wenige Augenblicke später schäumte der Mokka schon auf. Pelin schöpfte zwei Teelöffel Mokka ab und gab ihn in meine Tasse. Als der Mokka nun richtig zu brodeln begann, kippte sie den dampfenden Inhalt in meine Tasse, bis diese randvoll war.

»So, dann mal runter mit dem Zeug!«, forderte sie mich munter auf.

Türkischer Mokka ist nicht nur sehr stark, er hat auch ein Sediment, das man auf keinen Fall trinken sollte. Da ich türkischen Kaffee nicht so gerne mag, neige ich dazu, ihn schnell hinunterzukippen, um es gleich hinter mich zu bringen. Dabei habe ich schon öfter den sandigen Kaffeesatz mitgetrunken, was keinesfalls angenehm ist.

Ich nippte vorsichtig an meiner Tasse.

»Wie war Hases Verabschiedung?«, erkundigte ich mich.

»Och, irgendwie traurig, aber du kennst ja den Hasen, er hat sich unheimlich gefreut, dass er endlich mehr Zeit in der Türkei verbringen kann. Stell dir vor, er wird dort einen Türkischkurs besuchen!«

»Nee, echt?«

»Ja, er sagte, wenn er uns nicht mehr hat, dann muss er eben selbst lernen, klarzukommen. Also ich finde das wirklich bewundernswert, in dem Alter noch so zielstrebig zu sein!«

»Stimmt. War er denn sehr enttäuscht, dass ich nicht kommen konnte?«

Pelin lächelte. »Ja und nein, er hätte dich noch gerne gesehen, aber er sagte, er kommt demnächst noch mal vorbei und sagt dann hallo.«

»Ich hätte ihm zu gerne auf Wiedersehen gesagt«, bedauerte ich.

Da ich mir den Bänderriss am Donnerstag zugezogen hatte, hatte ich den Ausstand meines alten Chefs natürlich verpasst, weil ich ein paar Tage überhaupt nicht gehen durfte.

Aber morgen sollte unser neuer Chef kommen, und ich wollte nicht schon am ersten Tag einen schlechten Eindruck machen und durch Abwesenheit glänzen. Mein Bein tat noch immer weh, und ich zweifelte daran, dass es eine so gute Idee war, die vielen Treppen zu Pelins »Zelt« hochzusteigen.

Als ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, legte ich den Unterteller auf die Tasse, schüttelte die Tasse vorsichtig und wünschte mir etwas. Das sollte man grundsätzlich für sich behalten. Na gut, ich gebe es zu: Ich wünschte mir einen richtig tollen Mann. Der mich gerettet hatte, war ja wirklich nicht zu verachten gewesen.

Ich drehte die Tasse so um, dass sie einen Kopfstand auf der Untertasse machte.

»Gut gemacht!«, lobte Pelin mich, denn in der Vergangenheit hatte ich mir bei diesem kniffligen Prozess den Kaffeesatz oft auf meinen Schoß gekippt.

Nun mussten wir nur noch abwarten, bis die Tasse ausgekühlt war.

»Erzähl mir in der Zwischenzeit noch mal von deinem Märchenprinzen«, forderte sie mich mit leuchtenden Augen auf.

»Nein, das habe ich dir in den letzten Tagen doch schon hundertmal erzählt!«

»Aber das ist soooo romantisch! Was ist, wenn er dich später einmal heiratet?«

»Ich kenne den Typen nicht, und er kennt noch nicht einmal meinen Vornamen. Wie soll er mich denn da bitte schön finden?«

»Sei nicht immer so schrecklich pragmatisch!«, mahnte sie mich beleidigt.

»Aber du weißt doch genau, dass deine kleine Wahnvorstellung unmöglich realisierbar ist, nicht wahr?«

»Warum? In der Liebe ist doch alles möglich, und alles ist erlaubt«, antwortete sie schnippisch.

»Pelin, du vergisst, wer wir sind. Selbst wenn dieser Jan mich auf wunderbare Weise ausfindig machen würde und wir ein Traumpaar werden, könnten wir nie, nie, niemals heiraten. Wir sind Türkinnen, hast du das denn schon vergessen?«, widersprach ich milde.

Sie schnaubte verächtlich. »Jajaja, und wir dürfen auch nur Türken heiraten, weil unsere Eltern sonst einen Familienkrieg anzetteln oder Harakiri machen würden oder so was, schon klar.«

Ich nickte bedauernd. »Aus diesem Grund tun wir doch auch das, was wir tun, heimlich, nicht wahr?«

Pelin lehnte sich zurück und stampfte mit dem Fuß auf. »Das ist so ungerecht! Was ist denn, wenn dieser Kerl tatsächlich die Liebe deines Lebens wäre? Würdest du dann einfach einen x-beliebigen Türken heiraten und in Kauf nehmen, dein Leben lang unglücklich zu sein? Oder würdest du als alte Jungfer mit gebrochenem Herzen enden?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde niemals heiraten. So ist das eben. Das ist nun mal mein Schicksal.«

»Aber ich würde gerne heiraten.«

»Dann tu es, genügend willige Kandidaten gibt es ja!«, neckte ich sie. Pelin ist der Inbegriff einer orientalischen Schönheit, und die Männer fliegen auf sie. Ihre Taille ist sehr schmal, ihre Beine lang und grazil, und sie hat die schönsten dunkelbraunen Locken und die hübschesten Rehaugen, die ich je gesehen habe. Sie ist das Sinnbild der vollkommenen türkischen Frau, denn alles an ihr ist weich und rund, obwohl sie anmutig und schlank ist.

»Dann wollen wir mal«, unterbrach sie unsere Unterhaltung, während sie die Tasse hob und von dem Unterteller trennte, so dass sie nun in das Tässchen hineinschauen konnte.

»Ich sehe eine Verletzung«, erklärte sie wichtig.

»Dafür musstest du nicht in die Tasse sehen«, gähnte ich gelangweilt, während sie mir einen strafenden Blick zuwarf.

»Ich sage dir nur, was ich im Kaffeesatz lese, okay? Nun halt die Klappe und hör zu! Ich sehe eine Verletzung, die nur der Anfang ist. Mit dieser Verletzung wird sich dein ganzes Leben ändern. Da ist ein dunkler Mann ... er ... sieht beinahe aus wie ein Affe, so nach vorne gebeugt ...«

Ich verdrehte die Augen.

» Schon wieder ein Heiratswilliger?«

»Sieht ganz so aus. Das ist ja seltsam. Diesmal scheint es so, als würdest du ihn tatsächlich heiraten.«

»Hast du heute früh wieder heimlich am Raki deines Vaters genippt?«, erkundigte ich mich sarkastisch, doch sie war so in meine Tasse vertieft, dass sie mich gar nicht beachtete.

»Da ist noch ein anderer Mann ... also das verstehe ich nicht ... du heiratest den dunklen, liebst aber den helleren Mann?«

Ich schüttelte besorgt den Kopf. »Schau genau hin, vielleicht liegt da irgendwo in einer Ecke auch noch ein Rotschopf, den ich heiraten kann, denn aller guten Dinge sind schließlich drei!«

»Du kannst es mir glauben oder nicht, aber das ist es, was die Zukunft dir bringen wird«, sagte Pelin gekränkt und setzte das Mokkatässchen ab. Nun nahm sie den Unterteller, auf den der Satz aus der Tasse geflossen war, während die Tasse umgestülpt auf dem Teller gelegen hatte. Sie hielt die Untertasse schräg hoch, so dass der Satz nun wieder vom Teller in dicken, schwerfälligen Klümpchen in die Tasse zurücktropfte.

»Dein Wunsch wird erfüllt werden«, verkündete Pelin dramatisch.

»Das sagst du immer.«

»Weil es stimmt«, verteidigte sie sich.

»Ach, Süße, was wäre mein Leben nur ohne deine Weissagungen?«

Als ich unsere Haustür aufschloss und die vielen fremden Schuhe im Korridor erblickte, die Mama wie Zinnsoldaten ordentlich aufgereiht hatte, stöhnte ich entsetzt auf. Für einen Moment war ich versucht, schnell und leise den Rückzug anzutreten, aber als ich mich wieder hinausschleichen wollte, öffnete sich die Wohnzimmertür und Mama erschien strahlend.

»Melda! Schatz! Schön, dass du endlich da bist! Ayshe ist hier, und sie möchte dir gerne jemanden vorstellen!«

Ich fand nicht, dass das ein Grund zur Freude war. Ich dachte an Ayshe, die klatschsüchtige Kupplerin.

»Mama! Ich bin müde! Ich habe morgen einen anstrengenden Tag vor mir!«, flehte ich um Gnade.

»Papperlapapp! Du kommst schon noch pünktlich ins Bett. Nun komm herein und sag mal Hallo.« Mama hakte mich unter und zog mich aus dem dunklen Korridor ins taghell beleuchtete Wohnzimmer hinein.

»So, da ist unsere Melda!«, rief sie in die Gruppe hinein, die um unseren Wohnzimmertisch herum versammelt war.

Da hockten vier Personen halbkreisförmig um unseren rechteckigen Couchtisch herum. Sie sahen aus wie fette Spinnen, die auf eine saftige Beute in ihrem Netz lauerten. Ganz links saß Papa auf einem Küchenstuhl, damit die Gäste es auf der Couch bequem hatten, und versuchte vergeblich, imposant und respekteinflößend zu wirken.

Er trug beigefarbene Kordhosen und ein kariertes Hemd mit einer gestreiften Krawatte. Papa besitzt, glaube ich, ohnehin nur zwei Krawatten und weigert sich standhaft, sich eine neue zuzulegen, weil er sie ja doch nie trägt.

Neben ihm, links außen auf der Couch, hockte die widerliche Kupplerin Ayshe, die es sich zum Lebensziel gemacht hatte, unverheiratete, alte Jungfern wie mich unter die Haube zu bringen, koste es, was es wolle. Da sie älter als meine Eltern war, gebot es der Respekt, dass ich sie »Tante Ayshe« nannte, obwohl ich sie nicht leiden konnte und wir Gott sei Dank auch nicht verwandt waren. Ayshe sah aus wie eine außerirdische Bowlingkugel, sie war klein, kugelrund und hatte schreiend orangefarbenes Haar, das sie mit zahlreichen Schmetterlingsspängchen geschmückt hatte. Ihr Kleid war türkisfarben, und als sie sich bewegte, um nach der Schokolade zu greifen, die Mama einladend auf einer Schale drapiert hatte, konnte ich hören, wie ihr Hüfthalter unter der Anstrengung ächzte, all das Fett unter Kontrolle zu halten.

Neben ihr saß eine große, kräftige Frau mit einem schwarzen Kopftuch. Als mein unsicherer Blick auf sie fiel, bemerkte ich, wie sie mich sachlich musterte, als wäre ich ein Rind oder ein Pferd, das zum Verkauf steht.

Der Hann neben der Frau mit dem Kopftuch war selbst sitzend kleiner als diese – offenbar seine Gattin. Er hatte einen kleinen Bauch und eine Halbglatze. Leider war er einer der Männer, die die eine Seite ihrer halben Haarpracht lang wachsen lassen, damit sie sie auf die andere Seite herüberkämmen können, um so die glänzende Ödnis auf ihrem Schädel zu verbergen.

Ich finde, einer sollte diesen Männern mal erklären, dass eine Glatze sehr viel besser aussieht als dieser misslungene Versuch, eine Wüste mit Lakritzfäden zu bekleben. Ich hätte ihm ja den Gefallen getan und es ihm erklärt, aber Mama hätte mich dann bestimmt geköpft, oder noch schlimmer: mir eine ihrer ewigen Strafpredigten darüber gehalten, wie man sich verhält, wenn Besuch da ist. Denn Gastfreundschaft ist ein Heiligtum.

Dieses Prachtexemplar von Mann hatte seine graumelierten Haare mit irgendeinem scheußlichen Kleber befestigt, denn sie sahen aus wie aufgemalt und bewegten sich keinen Deut, als er mir anerkennend zunickte. Sein grauschwarzer Schnurrbart wackelte begeistert, als er den jungen Mann neben sich anstieß.

Der Mann rechts außen auf der Couch schien sein Sohn zu sein. Erstaunlicherweise trug er einen gut geschnittenen Anzug, vermutlich Boss, stellte ich leise erstaunt fest, ein tadellos sitzendes hellblaues Hemd und eine passende Krawatte. Er wirkte nervös, als er seinen Kopf hob. Er hatte schönes, schwarzes Haar, das ihm vorn ein wenig in die Augen fiel, und pechschwarze Augen, die hoffnungsvoll aufleuchteten, als er mich sah. Eigentlich sah er gar nicht so übel aus. Trotzdem. Ich hatte meine Prinzipien.

»Guten Abend! «, grüßte ich höflich.

Mama verpasste mir einen Stups und sah mich strafend an.

Ich schüttelte energisch den Kopf, doch Mama nickte störrisch.

Ich hasste es.

Ich konnte es nicht leiden, fremden Menschen die Hand zu küssen! Ich fand, das war eine Sitte aus dem vorigen Jahrhundert, die man sinnvollerweise im zivilisierten Europa abgeschafft hatte.

Weil es sich aber so gehörte, trat ich wie ein geprügelter Hund vorwärts, verneigte mich steif und küsste der fetten Ayshe und den Eltern des Mannes die Hand, weil man das bei älteren Leuten eben tat.

Ayshe plusterte sich sichtlich auf, als wolle sie sagen: »Seht ihr, ich habe es euch ja gesagt! Das Kind ist gar nicht so verdorben, wie man meinen könnte!« Pah! Wenn die wüsste! Ich war sogar noch viel verdorbener!

Auch Mama setzte sich nun auf den freien Stuhl neben meinem Vater, und ich war die Einzige, die herumstand und Löcher in die Luft starrte. Wenn ich mir Mühe gab, dann löste ich mich vielleicht in Luft auf.

Papa zog einen dritten Stuhl heran und hieß mich endlich Platz zu nehmen.

»Herr und Frau Tütün, Ali, das ist also unsere Melda«, stellte Papa mich überflüssigerweise vor.

Als wenn die das nicht längst schon wüssten!

»Melda, wie wäre es, wenn du uns einen Kaffee kochst?«, schlug die Kupplerin vor. Ich warf Mama einen hilfesuchenden Blick zu, doch sie tat so, als hätte sie ihn nicht bemerkt.

»Das ist eine glänzende Idee«, stimmte sie stattdessen zu.

»Mama ...«, wand ich hilflos ein.

»Melda, die Tassen sind im Vitrinenschrank.« Dieser Satz duldete absolut keinen Widerspruch.

Ich unterdrückte nur mühselig ein Stöhnen und rollte entnervt mit den Augen, was von der Kopftuchfrau mit einem äußerst mißbilligenden Zusammenkneifen ihrer fadendünnen Lippen quittiert wurde.

»Natürlich«, antwortete ich ohne jede Begeisterung.

Diesen Prozess hatte ich schon etliche, nein, Hunderttausende Male durchlebt, und er widerte mich derart an, dass ich am liebsten laut schreiend aus dem Haus gelaufen wäre. Die Tatsache, dass ich meine Eltern sehr liebte und sie und ihre Tradition respektierte, wenn auch nicht guthieß, war der einzige Grund, dass ich es hier noch aushielt.

Ich trottete mutlos in die Küche.

Ich brauchte unbedingt einen Plan.

Also schlich ich mich noch einmal in den Hausflur, so gut das mit einer Schiene am Bein eben ging, angelte nach dem Handy in meiner Handtasche und wählte eine Nummer.

»Pelin?«

»Ja?«

»Es ist wieder so weit.«

»Du meine Güte, schon wieder?«

»Leider!«

»Sie war doch erst vor drei Wochen bei euch.«

Ich seufzte. »Ayshe scheint nun einmal fest dazu entschlossen zu sein, mich zu verheiraten.«

Pelin lachte leise. »Bin schon unterwegs.«

»Du bist ein Schatz!«, sagte ich dankbar und beendete das Gespräch.

So, nun ging es mir bedeutend besser. Ich humpelte wieder in die Küche und bereitete die Zutaten für den traditionellen türkischen Mokka vor, öffnete den Schrank, holte Mamas vergoldete Mokkatassen hervor, platzierte sie auf dem vergoldeten Tablett, füllte den großen Mokkatopf mit Wasser und Kaffee und gab Zucker hinzu.

Das war alles, was ich tat, denn das Besondere am türkischen Mokka ist sein cremiger Schaum, der mir nie, niemals im Leben gelingen würde, einfach aus dem Grund, weil ich türkischen Kaffee gar nicht kochen kann.

»Was tust du denn da so lange?« Mama öffnete leise die Küchentür und blickte mir prüfend über die Schulter.

»Ich äh ... ich habe die Tassen gespült, weil sie staubig waren.«

»So? Gut! Dann beeil dich, Frau Tütün wird allmählich ungeduldig, und wir wollen sie ja schließlich nicht verärgern, nicht wahr? Dieser Ali scheint eine wirklich gute Partie zu sein, Melda, stell dir vor, er ist Ingenieur!«, flüsterte Mama mit fiebrigen Wangen und verschwand wieder.

»Er ist Ingenieur«, äffte ich sie wütend nach.

»Als ob es mir in irgendeiner Weise wichtig wäre, welchen Beruf dieser Idiot da drinnen ausübt«, murmelte ich vor mich hin, während ich im Mokkatöpfchen, dem cezve, herumrührte.

Ein energisches Klopfen am Küchenfenster riss mich aus meinen Gedanken.

»Pelin!«, rief ich erleichtert und öffnete das Küchenfenster, damit sie hereinkommen konnte.

»Hi! Hast du schon alles vorbereitet? Hervorragend!«, lobte sie mich, während sie sich durch das Fenster hineinzwängte.

Ohne mich weiter zu beachten, ging sie zum Herd hinüber und warf einen prüfenden Blick in das Mokkatöpfchen.

»Wir sollten keine Zeit verlieren. Du musst den Herd schon anschmeißen, dann können wir loslegen«, erklärte sie sachlich.

Pelin war ganz in ihrem Element. Mit roten Wangen packte sie ein grünes Samttuch aus ihrer riesigen Umhängetasche und breitete es auf dem Küchentisch aus. Darin befand sich ein Päckchen mit Kräutern, die es nur im östlichen Teil der Türkei gibt.

Sie murmelte arabische Litaneien vor sich hin, doch ihre Augen glänzten, als würde sie ein Duett mit Ricky Martin singen. Es erstaunte mich immer wieder, wie sehr meine beste Freundin in ihrem Aberglauben aufging.

Während sie noch immer merkwürdige Beschwörungen vor sich hin murmelte, warf sie eine kleine Handvoll der seltenen Kräuter ins Mokkatöpfchen, und es zischte kurz auf, bevor die getrockneten, grünen Blätter in den braunen Kaffeefluten versanken.

»So, du kannst nun weitermachen«, sagte Pelin leichthin, während ich sie argwöhnisch beobachtete.

Man könnte glauben, dass auch ich einen an der Waffel habe, nicht wahr? Immerhin hatte ich sie angerufen und ließ gerade zu, dass sie irgendwelche Verwünschungen aussprach. Ich war eigentlich gar kein abergläubischer Mensch. Für mich zählte das, was ich sah und beweisen konnte. Demnach sollte ich den Humbug hier nicht zulassen. Aber genau hier prallten meine Überzeugungen aufeinander. Ich glaubte nur an das, was ich sah. Und das, was ich sah, bewies, dass Pelins Zauber es immer schaffte, mir aus kniffligen Situationen wie dieser herauszuhelfen.

Es war ja nicht das erste Mal, dass Ayshe hier vorbeischaute mit der Absicht, meine Wenigkeit an den Mann zu bringen. Ich gebe sogar zu, dass dieser Anwärter auf den Platz an meiner Seite noch einer von den harmloseren war.

Ich habe mich gelegentlich gefragt, ob Ayshe einen Nebenverdienst als Zuhälterin hat. Der Typ mit der vierreihigen Goldkette und der Ray-Ban-Sonnenbrille, der erst neulich mitsamt seinem Mercedes bei uns vorgefahren war, sah haargenau so aus, wie ich mir einen Gigolo vorgestellt habe, vielleicht sogar eine Spur schmieriger.

Er hieß Ismail und liebte knallrote, gemusterte Seidenhemden, die er bis zum Ansatz seines speckigen Bauchnabels offen trug, damit nur ja jeder in den Genuss seines Goldes und seiner üppigen Brustbehaarung kam. Er trug weiße Hosen wie Don Johnson in »Miami Vice« und darunter riesige Sportschuhe, die er auch dazu hätte benutzen können, auf dem Mars zu landen. Groß genug waren sie jedenfalls.

Sein Haar war schulterlang und im Nacken straff zu einem Würmchen zurückgegelt. Noch während er die Auffahrt zu unserem Haus heraufkam, zog uns der Duft eines ambossschweren Aftershaves in die Nase: Mama wurde entweder bei seinem Anblick oder bei seinem durchdringenden Geruch schwindelig, dann wurde sie blass, während Papa sie stützte.

Mir war von vornherein klar, dass Mama und Papa ihn nur empfingen, damit ich wüsste, dass es auch miese türkische Männer gab und ich mir gefälligst einen anständigen Kerl aussuchte, solange es noch welche gab, denn Männer warteten ja auch nicht ewig, und ich war ja auch schon sechsundzwarizig bla bla bla ...

Na ja, ich wollte natürlich nichts riskieren und habe deshalb, wie immer, wenn Ayshe mit einem Heiratskandidateri im Schlepptau vorbeikam, Pelin angerufen, die den Zuhälter vergrault hat.

Wie gesagt, ich glaubte nur an das, was ich sah, und ich sah immer wieder, dass Pelin diese merkwürdigen Kräuter in den Kaffee mischte und dass die Männer dann urplötzlich kein Interesse mehr an mir hatten. Ich weiß nicht, wie, aber es funktionierte immer!

Der Kaffee begann zu brodeln, und ich verteilte den Schaum mit einem Teelöffel gleichmäßig in die Tässchen, dann griff ich nach einem Teesieb und filterte die Kräuter heraus. Erst dann kippte ich den Kaffee in die Mokkatässchen.

Pelin zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Keine Angst, bisher hat es doch auch immer geklappt«, lächelte sie.

Dann öffnete sie mir zuerst die Küchentür und dann die Tür zum Wohnzimmer.

»Oh, ihr habt Besuch? Entschuldigt, das wusste ich nicht. Ich komme morgen wieder«, flötete Pelin unschuldig.

»Nein, bleib doch, Pelin! «, erwiderte Mama herzlich und legte einen Arm um sie.

»Pelin ist die Tochter meiner besten Freundin, und sie ist mir teuer wie eine zweite Tochter«, erklärte sie stolz.

Pelin und ich tauschten einen vielsagenden Blick aus. Sie hatte für den Bruchteil einer Sekunde ein schlechtes Gewissen, das konnte ich genau sehen.

Pelin lächelte schwach und nahm dann neben meinem Vater auf einem weiteren Stuhl Platz, während ich kommentarlos den Kaffee verteilte.

»Melda, ich muss schon sagen, von allen Mädchen weit und breit kochst du hier den besten Kaffee«, lobte Ayshe mich, während sie genüsslich an ihrer Tasse nippte. Ich rang mir ein höfliches Lächeln ab, während ich mir vorstellte, wie sie an dem riesigen Schluck Kaffee, der ihr gerade den feisten Hals herabrann, erstickte.

Mädchen! Ich war ganz sicher kein Mädchen mehr! Ich war eine ausgewachsene Frau, halt nein, ich war sogar mindestens zwei Frauen, jawohl! Das musste mir erst einmal einer nachmachen.

»Wir sind heute hier, um über die Zukunft von Melda und Ali zu sprechen«, riss die Kupplerin erneut das Wort an sich, während Ali unruhig an seiner Krawatte herumnestelte.

»Ihr Eltern habt zugestimmt, dass Ali und Melda einander kennen lernen ...«

»Luft!«, japste Ali leise, doch niemand beachtete ihn.

»Und so sind wir hier nun zusammengekommen, um über die Zukunft unserer Kinder zu sprechen«, leierte Ayshe ihren Spruch herunter. Ich kannte ihn mittlerweile auswendig und betrachtete interessiert meine Fingernägel. Der Lack auf meinem kleinen Finger blätterte ab, und ich beschloss, sie mir zu lackieren, sobald alle Gäste das Haus verlassen und ich ein schönes, heißes Bad genommen hatte.

»Ich ... brauche ...«, hechelte Ali und lockerte hektisch seine Krawatte.

Fragend zog ich eine Braue hoch und wandte mich Pelin zu, die jedoch beruhigend den Kopf schüttelte. Gut, er würde also nicht ersticken oder Mamas handgewebten Seidenteppich mit Erbrochenem ruinieren.

»LUFT!«, schrie er plötzlich laut auf, und rannte hinaus vor die Tür.

Alle rissen erstaunt die Augen auf, und sogar Ayshe hielt in ihrem selbstverliebten Monolog inne.

»Was ist denn los mit eurem Sohn? Hat er ... irgendeine Krankheit, von der wir wissen sollten?«, erkundigte sie sich scharf.

Die Kopftuchmama und der kleine Vater schauten einander ratlos an.

Wir warteten alle ein paar Minuten, doch Ali blieb verschollen. Es war, als wäre das Bermuda-Dreieck mitten in unserem Häuschen aufgetaucht und hätte ihn verschluckt.

»Nun, vielleicht gehen wir besser.« Zögernd richtete Alis Mutter sich auf.

»Ja, wir ... kommen ein andermal wieder, Bitte entschuldigen Sie uns. « Auch sein Vater erhob sich ein wenig ratlos.

»Warum denn? Nun bleibt doch sitzen! Melda! Geh und sieh nach ihm!«, befahl Ayshe energisch.

Soʼn Mist! Gerade, als der verdammte Spruch oder die Kräuter wirkten, sollte ich hinausgehen und den Kerl besänftigen? Kam nicht in Frage!

Pelin half mir auf, und wir gingen gemeinsam in Richtung Haustür.

»Warte hier«, flüsterte Pelin und trat zu Ali hinaus, der auf der Fußmatte saß und sehr kläglich ausschaute.

Pelin setzte sich neben ihn und sagte etwas Belangloses, während sie ihm mit der andern Hand etwas auf den Kopf träufelte. Er bemerkte das natürlich nicht, weil er gerade an ihren Lippen hing.

Dann wurde er entsetzlich blass und beugte sich vornüber.

»Mir ist schlecht«, murmelte er schwach.

»Bitte ... sei so nett und sag meinen Eltern, dass wir gehen müssen.«

»Gern.« Pelin erhob sich anmutig und zwinkerte mir zu.

»Der ist geschafft, keine Sorge!«, wisperte sie. Doch als ich zurück ins Wohnzimmer humpelte, drehte sie sich noch einmal zu Ali um, und in ihren Augen spiegelte sich Mitleid und eine gewisse Sympathie.

»Was denn, bedauerst du diese Typen etwa, die sich eine Frau aussuchen wie eine neue Hose oder ein Sweatshirt?«, murmelte ich ungläubig.

»He, nun reg dich wieder ab. Nein, eigentlich tun diese Typen mir nie leid, aber dieser hier scheint doch eigentlich ganz nett zu sein, nicht wahr?«

»Was? « Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte.

»Na ja, vielleicht ist er ja einsam, oder er ist nur deshalb hier, weil ihn seine Eltern dazu gedrängt haben, genauso wie deine Eltern dich dazu bringen, diese Kupplerin und ihre Anhängsel wieder und wieder zu empfangen. «

»Ach Quatsch! Wenn man dich so hört, könnte man glauben, du magst diesen Ali!«, meinte ich boshaft.

Pelin errötete. »Unsinn! Und du solltest dich hüten, Swami Pelin zu verärgern. Womöglich werde ich dir dann nämlich nicht mehr dabei helfen, den nächsten Typen loszuwerden!«, frotzelte sie gutmütig.

Ich lachte und legte ihr den Arm um die Schultern. »Was würde ich nur ohne meine osmanische Hexe tun?«

Sie lächelte befriedigt. »Psst, da kommen die Tütüns.«

Mit großem Bedauern verabschiedeten wir erneut einen Schwiegersohn in spe, während ich überlegte, ob ich mit einem Bänderriss in zwei Tagen schon wieder auf die Bühne klettern konnte. Ich musste mich unbedingt abreagieren, und Schlagzeug spielen war das beste Mittel.

Pelin gähnte. »So, ich glaube, ich gehe jetzt. Und du gehst am besten auch zu Bett, Melda. Immerhin steht uns beiden morgen ein langer Tag bevor.«

Mama und Papa standen in der Eingangstür und starrten einander ratlos an, während auch ich gähnte. »Ich nehme noch ein Bad.«

Es ging nichts über ein schönes, heißes Bad, besonders jetzt, im Herbst. Ich goss Lavendelöl ins dampfend heiße Wasser und stieg schaudernd in die Wanne, wobei ich darauf achtete, meinen verletzten Fuß nicht nass zu machen. Ich ließ ihn einfach über den Beckenrand baumeln.

Meine Haut rötete sich in den heißen Fluten, und ich räkelte mich wohlig und schloss die Augen. Ich war immer ungemein erleichtert, wenn Ayshe unser Haus verlassen hatte. Ich fand sie lästig, und es nervte mich, dass meine Eltern sie immer wieder hereinließen, damit sie mich mit irgendwelchen Kerlen verkuppeln konnte, die ich nicht kannte oder nicht ausstehen konnte.

Es klopfte leise an der Tür. »Wer ist da?«

»Ich binʼs.« Es war meine Mutter.

»Komm rein.«

Mama betrat das Bad, in dem alle glänzenden Oberflächen beschlagen waren. Sie hielt eine Tasse mit Kamillentee in den Händen.

»Hier, du brauchst vielleicht etwas zur Beruhigung«, meinte sie und reichte mir die Tasse.

Ich blinzelte überrascht. »Oh, danke!«

Sie setzte sich an den Wannenrand und sah mir dabei zu, wie ich genüsslich am Tee nippte.

»Weißt du, Melda, wir lieben dich mehr als unser eigenes Leben.«

»Das weiß ich, Mama. Ich liebe euch doch auch«, erwiderte ich sanft.

»Allmählich machen wir uns Gedanken. Warum hast du keinen Freund? Warum hast du uns bisher mit keinem Mann bekannt gemacht? Wir sorgen uns wirklich um dich, Liebes.«

»Das müsst ihr nicht.« Ich war doch nicht blöd! Mir war ganz klar, dass sie darauf bestehen würden, dass ich den Mann, den ich ihnen vorstellte, auch heiraten musste. Also habe ich meine Freunde immer geheim gehalten.

»Melda, du kannst es uns sagen: Bist du ... bist du lesbisch? Liebst du Pelin?«

Ich verschluckte mich an meinem Tee und ließ die Tasse versehentlich ins Badewasser plumpsen. »Au verdammt! Was? Herrje, Mama, was soll denn diese Frage?«

»Antwortemir!«

»Quatsch! Pelin ist meine beste Freundin! Igitt, ich könnte nie ...«

Sie sackte erleichtert in sich zusammen. »Gott sei Dank!«

Sie schwieg eine Weile. »Kind, was wirst du tun, wenn dein Vater und ich nicht mehr auf der Welt sind? Dann wirst du einsam sein, ohne Familie, ohne Halt, ohne Liebe und Geborgenheit. Was wirst du dann tun? Wir machen uns Sorgen, dass du eines Tages ganz allein bist.«

»Ach Mama, ich habe doch Pelin. Sie wird immer bei mir sein.«

»Doch auch Pelin wird eines Tages heiraten und Kinder haben, die ihre Aufmerksamkeit mehr fordern werden als du.« Meine Mutter strich mir meine langen Haare zurück.

»Du hast meine Haare, weißt du das? In meiner Jugend sahen sie ganz genauso aus.«

»Auch wenn Pelin verheiratet ist und zehn Kinder hat, wird sie immer meine beste Freundin sein. Und selbst wenn nicht: ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen!«, antwortete ich schärfer, als ich wollte, und tauchte unter.

Als ich wieder auftauchte, stand meine Mutter am Beckenrand und sah so traurig aus, dass es mir beinahe das Herz brach.

»Ich will nicht mit dem Gedanken sterben, dich ganz allein auf dieser Welt zurückzulassen, warum kannst du das nicht verstehen?«

Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging.

Ich war wütend, und in meinem Hals steckte ein Kloß. Sterben? Was sollte das? Sie war noch viel zu jung zum Sterben.

Ich hätte ja so gerne geheult, aber dazu war ich zu wütend. Ich konnte doch nicht einfach einen Mann heiraten, damit Mama ihren Frieden hatte, nicht wahr? Ich war der Meinung, dass dazu wesentlich mehr gehörte, Liebe zum Beispiel.

Die Freude am Bad war mir nun verdorben, also wickelte ich mich in meinen flauschigen Bademantel und humpelte in mein Zimmer.

Dort wartete auch schon Papa. Mist! Für einen Rückzug war es zu spät, er hatte mich schon gesehen.

Er sah ernst aus. Auch das noch! Seit wann verteilten die beiden ihre Strafpredigten im Doppelpack?

»Melda, wir müssen uns einmal unterhalten.«

Nicht schon wieder! Aber ich sagte nichts und setzte mich stumm auf mein Bett.

»Ich weiß nicht genau, wie und warum du alle heiratsfähigen Männer zum Teufel jagst.« Ich holte Luft, um zu protestieren, doch er bedeutete mir, zu schweigen.

»Ich will nur, dass du eines weißt: Du wirst nur einen türkischen Mann heiraten.«

Ich sah ihn verständnislos an.

»Hast du mich verstanden?«, fragte er scharf. »Nur ein türkischer Mann kann mein Schwiegersohn werden. Wage es nicht, mir mit einem anderen Kerl anzutanzen, habe ich mich klar ausgedrückt?« Papas Ton duldete keine Widerrede.

Ich nickte dumpf.

»Und wenn dieser junge Mann von eben, Ali, wiederkommt, dann möchte ich, dass du ihn dir einmal ganz genau ansiehst. Er ist Ingenieur bei einem großen Automobilkonzern, weißt du. Das bedeutet, er ist wohlhabend und kultiviert. Einen besseren Mann wirst du nie bekommen.«

Ich nickte zornig.

» Gut. Ich wünsche dir eine gute Nacht.« Er verließ das Zimmer und ließ mich mit meiner Wut allein.

Ich wünschte, ich würde sie nicht so sehr lieben, meine Eltern. Ich wünschte, sie würden sich keine Sorgen darum machen, dass ich einsam sein könnte, wenn sie nicht mehr auf der Welt sind. Ich wünschte, ich wäre verantwortungslos und unsensibel genug, einfach die Kurve zu kratzen und mein altes Leben hinter mir zu lassen.

Und ich dachte auch, dass ich nie, niemals heiraten würde!

Ich machte mir an diesem Abend noch lange Gedanken und haderte mit meinem Schicksal, so dass ich lange nicht einschlafen konnte.

Aus diesem Grund ging ja auch am nächsten Tag alles schief.

Türkischer Mokka mit Schuss

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