Читать книгу Einführung in die Beratungspsychologie - Susanne Nußbeck - Страница 8

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1 Einführung

Beratung hat eine lange Tradition in vielen Lebensbereichen. Im einführenden Kapitel erhält der Leser einen Überblick über die Entwicklung der Beratungswissenschaften, wie sie sich in der Geschichte in Deutschland und in den angloamerikanischen Ländern darstellt, und darüber, welche Themen heute aktuell sind. „Beratung“ wird von verschiedenen Autoren mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung definiert. Abgrenzungen zu „Therapie“ auf der einen und „Mediation“ auf der anderen Seite, die beide ebenso wie die Beratung auf Veränderungen zielen, von denselben Berufsgruppen ausgeübt werden, oft denselben theoretischen Hintergrund haben und sich häufig gleicher Mittel bedienen, stellen das Spezifische des Konzeptes „Beratung“ heraus. Beratungen geschehen in Kommunikation mit Menschen, die sich in einer Phase der Entscheidungsnot oder Orientierungslosigkeit befinden. Dem Berater kommt daher eine hohe ethische Verantwortung zu, seine Position nicht auszunutzen und dem Klienten nicht zu schaden.

1.1Historische Entwicklung

Beratung ist ein allgegenwärtiges und zeitloses Phänomen. Jeder Herrscher hatte und hat seine Berater, für jeden Anlass finden sich kundige Experten. Mehr oder weniger seriöse Beratung kann man für alle Lebenslagen erhalten. Professionelle Beratung hingegen findet häufig im pädagogisch-psychologischen Bereich und in der Sozialen Arbeit statt, wo sie schon früh institutionalisiert wurde. In der Familien- und Jugendfürsorge gibt es Beratung seit Ende des 19. Jahrhunderts. Seither hat sie einen umfassenden Wandel in ihren Grundannahmen und Zielen durchgemacht.

Geschichte der Erziehungsberatung

Schon im Kaiserreich gab es Beratungen für die Betreuung unehelicher Kinder und Waisenkinder, „Kinderrettungsvereine“, deren „Reiseagenten“ beratende Hausbesuche bei ihrer hilfsbedürftigen Klientel machten (Sommer 1995). Stellen, die für „Beratung in Fragen der Erziehung“ zuständig waren, wurden in Deutschland nach dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 etabliert (Schröder 2004). Die damit verbundenen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in die Familien, die damals – wie auch heute noch – besonders sozial schwache Familien trafen, wurden abgeleitet aus der Maxime, dass jedes deutsche Kind ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit habe (Sommer 1995). Zur Überwachung dieses Anspruchs wurden in den Städten Jugendämter gegründet, deren Leiter meist Verwaltungsfachleute ohne sozialpädagogische Ausbildung waren. Den Jugendämtern angegliedert entstanden Erziehungsberatungsstellen, die oft unter der Leitung von Kinderärzten oder Psychiatern standen (Sommer 1995).

1931 gab es neben den Beratungsstellen der Jugendämter mehr als 100 freie oder kirchliche Erziehungsberatungsstellen (Dietzfelbinger et al. 2003). Beratung umfasste zu der Zeit überwiegend konkreten Informationsbedarf und die Sicherung des Lebens unter als allgemein gültig angenommenen sozialen Norm- und Wertvorstellungen in den Bereichen Bildung, Erziehung, Leben und Beruf (Großmaß 2004b) und verstand sich weniger als Interaktion zwischen Berater und grundsätzlich gleichberechtigten und eigenverantwortlichen Menschen in kritischen Lebenssituationen denn als Hüter einer den gesellschaftlichen Normen entsprechenden Lebensweise.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die in der NS-Zeit gleichgeschalteten und teilweise geschlossenen Beratungsstellen neu gegründet oder umgestaltet. In den fünfziger Jahren gab es Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche und deren Eltern als Erziehungsberatungsstellen auf kommunaler Ebene oder in kirchlichen Trägerschaften. Ehe-, Familien- und Lebensberatung wird jedoch auch noch am Anfang des 21. Jahrhunderts weiterhin überwiegend von den Kirchen angeboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Erziehungsberatung immer noch eher ein autoritäres Fürsorgesystem, in dem Beratung der normativen Lenkung diente (Großmaß 2004b). Nach 1970 nahm die Zahl der Erziehungsberatungsstellen deutlich zu. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) wurde dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung getragen. Vielfältige Lebensentwürfe werden heute akzeptiert, die sich nicht allgemein gültigen Normen unterordnen lassen. Erziehungsberatung wird im Sinne von Hilfe zur Konfliktlösung als Anspruch an die Jugendhilfe festgeschrieben (Menne 2017).

Geschichte der Berufsberatung

Ein zweiter Strang institutionalisierter Beratung in Deutschland entstand 1927 mit dem „Gesetz über die Einrichtung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung – AVAVG“. Damit wurde die staatliche Berufsberatung eingeführt (R. Thiel 2004), die bis 1997 ein Monopol der Arbeitsverwaltung blieb. Die Aufgaben der Berufsberatung waren zunächst die Vermittlung von Lehrstellen und Arbeitskräften (Schröder 2004). Infolge der Ausdifferenzierung des Arbeitsmarktes und der zunehmend vielfältigeren beruflichen Anforderungen wurden später auch individuelle und gesellschaftliche Probleme in die Berufsberatung einbezogen. Sie wurde damit zur Einzelberatung, zur Hilfe zur Selbsthilfe, fast eine „Kurztherapie“ bei Vermittlungsproblemen, die in der Person des zu Vermittelnden gesehen werden. Assessments, testpsychologische Feststellung der Fähigkeiten, um Personen an Stellen anzupassen, wurden weitere Bereiche der Berufsberatung.

Wandel des Verständnisses von Beratung

In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts kam es aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen, die durch die Studentenbewegung von 1968 ausgelöst wurden, zu einem intensiven Ausbau des Beratungsangebotes, das dann zunehmend psycho-soziale Beratung umfasste (Schröder 2004). Beratung wird nun ein stärker psychologisches Hilfeangebot, das sich an den Bedürfnissen und Problemlagen der Klientel orientiert. Die Vermittlung von Informationen und das Anpassen an Wertvorstellungen der Gesellschaft traten in den Hintergrund und Beratung rückte in die Nähe von psychotherapeutischen Verfahren. Besonders die Anregungen aus der humanistischen Psychologie wurden übernommen und die Techniken der klientzentrierten, nicht-direktiven Gesprächsführung werden bis heute als Basisqualifikation für Psychologen und Sozialpädagogen angesehen. Mit der systemischen Sicht auf Familien und andere Gruppierungen, in denen Menschen leben, änderte sich der Blick auf die Problemlagen. Nicht mehr die einzelne Person steht im Vordergrund der Erziehungs-, Ehe- oder Lebensberatung, sondern das System, in dem die Person lebt und das sie mit konstituiert.

Felder psycho-sozialer Beratung

Pädagogik und Soziale Arbeit sind nach wie vor die wichtigsten Felder psychologischer Beratung. Die Bereiche, in denen sie angeboten wird, weiteten sich jedoch aus. Seit den sechziger Jahren etablierte sich Bildungsberatung als neuer Zweig (Schröder 2004), der Orientierungs- und Entscheidungshilfen bei der Realisierung individueller und gesellschaftlicher Bildungsziele beinhaltet. Studienberatung als Weiterführung der Bildungsberatung entstand nicht zuletzt aufgrund sich immer weiter ausdifferenzierender Studienangebote, die kaum mehr überschaubar waren (Stiehler 2004). Selbsthilfegruppen zu allen Wechselfällen des Lebens formierten sich in den siebziger Jahren (W. Thiel 2004). Der Psychiatrie-Enquête (1975) folgten sozialpsychiatrische Reformen und entsprechende Beratungs- und Betreuungsangebote für psychisch kranke Menschen (v. Kardorff 2004). Beratung wird in vielen Feldern des sozialen Lebens als unabdingbar angesehen, und eine Beratungspflicht in manchen Bereichen auch zur Voraussetzung für Entscheidungen gemacht: So ist die Schwangerschaftskonfliktberatung bei gewünschtem Abbruch der Schwangerschaft seit 1976 vorgeschrieben (Koschorke 2004), vor die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe oder der Agentur für Arbeit ist ein Beratungsgespräch gesetzt. Mit dem Drogenproblem, das seit den siebziger Jahren zu einem besonderen Problem der Jugendhilfe wurde, kamen Drogen- und Suchtberatungsstellen hinzu (Vogt / Schmid 2004). Heute gibt es Beratungsstellen für praktisch alle Lebens- und Problemlagen.

Ausbildung für Berater

Angesichts dieser Entwicklungen wird wohl niemand die Notwendigkeit einer Ausbildung in Beratungsmethoden und -kompetenzen bestreiten. Beratung wird in allen Feldern menschlicher Entwicklung und zwischenmenschlicher Konfliktmöglichkeiten und von Organisationen, die sich mit diesen Problemen befassen, als wichtiges Element angesehen. Weiterbildende, berufsbegleitende Studiengänge und Masterstudiengänge an (Fach)Hochschulen und privaten Hochschulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten haben sich etabliert. In der Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB) haben sich 21 Verbände zu einem Dachverband zusammengeschlossen und ein Konsenspapier zum Beratungsverständnis herausgegeben, das u.a. eine Weiterbildung auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Studiums vorsieht und ständige Qualitätssicherung fordert (DGfB 2003). Der Trend geht also auch in Deutschland in Richtung auf eine vereinheitlichte und Qualitätsansprüchen genügende, anerkannte Ausbildung psycho-sozialer Berater.

Counseling in den USA

In den angloamerikanischen Ländern hat sich eine eigene Beratungswissenschaft schon länger etablieren können. In der von Witmer am Ende des 19. Jahrhunderts eröffneten psychologischen Klinik und der nachfolgenden Child-Guidance-Bewegung, die sich heilpädagogisch und erzieherisch Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten widmete, liegen ihre Ursprünge (Rechtien 2004b). Die Tatsache, dass psychisch kranken und entwicklungsgestörten Kindern durch therapeutische Interventionen geholfen werden konnte, veränderte den Blick in der Öffentlichkeit und führte in der Psychologie dazu, mehr auf das Entwicklungspotential zu achten als auf Defizite, die überwunden werden müssen (Gelso / Fretz 1999). Die Entwicklung zu einer eigenen Disziplin schlägt sich in den USA durch die Gründung einer Division „Counseling and Guidance“ der American Psychological Association (APA) bereits im Jahr 1946 nieder. Ausbildungsrichtlinien werden von der APA herausgegeben und sorgen so für einen professionellen Standard.

Counselling in Großbritannien

In England wurde 1970 die „Standing Conference for the advancement of counselling“ gegründet, die 1977 in die British Association for Counselling (BAC) überging. Im Jahr 2000 wurde mit der Erweiterung des Namens in British Association for counselling and psychotherapy (BACP) die fachliche Nähe von Beratern und Therapeuten deutlich, die in England gegenüber dem Ratgeben, Überwachen und der Sozialen Arbeit stärker als in Deutschland betont wird (Feltham 2004). 2018 wurde das „Ethical framework“ überarbeitet, wobei insbesondere ein evidenzbasiertes Vorgehen in der Beratung betont wird (BACP 2018).

Empowerment

Im Zuge der in den sechziger Jahren in den USA entstandenen „Community Psychology“, im Deutschen als Gemeindepsychologie übersetzt, kam der Empowerment-Gedanke (Rappaport 1985) in die Beratungskonzepte. In der Gemeindearbeit ging es zunächst um ein gemeindenahes Versorgungssystem zur Bekämpfung von Rassenunruhen und Armut. Heute wird unter Empowerment, „Selbstbefähigung“, meist die „Hilfe zur Selbsthilfe“, das Wecken eigener Ressourcen der Ratsuchenden, verstanden. Der Blick auf die Stärken statt auf die Defizite der Klientel führt zu einer veränderten Sicht des Beratungsauftrages. Die Förderung von Ressourcen und Gesundheit der Klienten steht heute stärker im Mittelpunkt der Beratung (Brandes/Stark 2019).

Supervison

Seit Beginn der neunziger Jahre spielt Qualitätssicherung in den heute vielfältigen Beratungsanlässen und -institutionen eine immer bedeutendere Rolle (Vogel 2004). Besonders die verschiedenen Formen der Supervision haben sich hier etabliert (Pühl 2004). Beratung hat sich von einer reinen Informationsvermittlung und Anleitung zu normkompatibler Lebensführung zu differenzierten Konzepten gemeinsamen Problemlösens unter wissenschaftlichen Standards und Kontrolle entwickelt.

1.2Aktuelle Definitionen von Beratung

Beratung ist ein der Alltagssprache entlehnter Begriff. Man berät sich, wenn mehrere Personen mit einer Sache befasst sind, man sucht den Rat eines Vertrauten, von dem man annimmt, dass er einem wohl gesonnen ist, manchmal erhält man ungebeten gut gemeinte Ratschläge und manchmal wird sogar gedroht: „Ich rate dir gut …!“. Ge- und beraten wird in allen Lebenslagen und in allen Bereichen: Finanzberatung, Ernährungsberatung, Rechtsberatung, Berufsberatung, Studienberatung, Modeberatung … – die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Beratung als Vermittlung von Informationen und Anstoß zu Veränderungen findet sich mehr oder weniger explizit und institutionalisiert in praktisch allen Berufsfeldern, wohingegen ausgearbeitete Konzepte eher selten sind.

Gibt man in eine Literatursuchmaschine den Begriff „Ratgeber“ ein, erhält man eine Flut von Treffern, die die Zahl von 10.000 deutlich überschreitet. Von der „Anleitung zum Unglücklichsein“ (Watzlawick 1983) über die „Entdeckung der Faulheit“, Ratschläge sich bei der Arbeit möglichst wenig anzustrengen (Maier 2005), bis hin zu konkreten Ratgebern für alle Wechselfälle des Lebens findet man mehr oder weniger brauchbare Titel, deren Autoren oft trivialen psychologischen Erklärungsmustern folgen und ihre Lebensweisheiten beratend weitergeben wollen.

Was aber unterscheidet diese Art der Beratung von professioneller, psychologischer Beratung? Psychologisch-pädagogische Beratung geht über das reine Übermitteln von Informationen hinaus. Sie ist


Beratung

„ein zwischenmenschlicher Prozess (Interaktion), in welchem eine Person (der Ratsuchende oder Klient) in und durch die Interaktion mit einer anderen Person (dem Berater) mehr Klarheit über eigene Probleme und deren Bewältigung gewinnt. Das Ziel der Beratung ist die Förderung von Problemlösekompetenz.“ (Rechtien 2004b, S. 16)

Beratung spielt sich also immer in einem Interaktionsprozess zwischen zwei Menschen ab, welcher Art die Interaktion ist und welche Kompetenzen den Berater befähigen, die Problemlösekompetenz des Ratsuchenden zu fördern, bleibt in dieser Definition jedoch offen. Dietrich (1983) definiert wesentlich differenzierter:


„Beratung ist in ihrem Kern jene Form einer interventiven und präventiven helfenden Beziehung, in der ein Berater mittels sprachlicher Kommunikation und auf der Grundlage anregender und stützender Methoden innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes versucht, bei einem desorientierten, inadäquat belasteten oder entlasteten Klienten einen auf kognitiv-emotionale Einsicht fundierten aktiven Lernprozeß in Gang zu bringen, in dessen Verlauf seine Selbsthilfebereitschaft, seine Selbststeuerungsfähigkeit und seine Handlungskompetenz verbessert werden können.“ (Dietrich 1983, S. 2)

Der Berater muss die grundlegenden Handlungsmuster der Diagnostik, Intervention und Evaluation kennen, um beratend tätig zu werden, aber auch nicht jede Person kann für Dietrich Klient sein. Sie muss einen „Problemdruck“ haben, sich belastet fühlen, und das Bedürfnis zur Veränderung haben. Unter „Belastung“ versteht Dietrich übermäßige Anforderungen, unter „Entlastung“ ein ebenso schädliches Fehlen von Anforderungen. Die Person muss über bestimmte reflexive und sprachliche Voraussetzungen verfügen, sie muss sich selbst und die Welt, in der sie lebt, für grundsätzlich veränderbar halten und muss ein Minimum an Willen zur Eigeninitiative aufbringen (Dietrich 1983). In dieser Definition wird nicht auf die Beziehung zwischen Ratsuchendem und Berater eingegangen (Sander 2004), die in der Arbeit mit den Klienten eine zentrale Rolle spielt. Auch schließen die von Dietrich formulierten Anforderungen an die Klienten eine Beratung, wie sie vielfältig im Rahmen der Familienarbeit mit Multiproblemfamilien „verordnet“ wird, praktisch aus.

Die Definition von Nestmann, Engel und Sickendiek (2004, S. 599)


„Beratung ist eine vielgestaltige, sich ständig verändernde und durch viele interne und externe Einflussfaktoren bestimmte professionelle Hilfeform. Sie unterstützt in variantenreichen Formen bei der Bewältigung von Entscheidungsanforderungen, Problemen und Krisen und bei der Gestaltung individueller und sozialer Lebensstile und Lebensgeschichten“

geht weniger auf die individuellen Voraussetzungen von Berater und Ratsuchendem ein, sondern macht auf die unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Konzepte aufmerksam und betont Unterstützung und Hilfe durch den Berater. Um dieses leisten zu können, braucht der Berater spezifisches Fachwissen, um mit dem Ratsuchenden kompetent Handlungsalternativen, Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben, Erklärungsmöglichkeiten oder Gefährdungen erarbeiten zu können. Andererseits braucht er allgemeine Kompetenzen der Beratungsmethoden, Gesprächsführung, diagnostisches Wissen und ein Wissen um Kommunikationsmodelle, Interaktionsprozesse und Beziehungsaufbau. „Beratung“ ist damit sehr offen definiert und läuft Gefahr, unbestimmt und diffus zu bleiben.

Etwas konkreter Informationsvermittlung und aktive Beteiligung beider Interaktionspartner vereinend definieren Schwarzer und Posse (1986, S. 634) Beratung als


„eine freiwillige, kurzfristige, oft nur situative, soziale Interaktion zwischen Ratsuchendem (Klienten) und dem Berater mit dem Ziel, im Beratungsprozess eine Entscheidungshilfe zur Bewältigung eines vom Klienten vorgegebenen aktuellen Problems durch Vermittlung von Informationen und / oder Einüben von Fertigkeiten gemeinsam zu erarbeiten.“

Alle Definitionen beinhalten den Gesichtspunkt der Unterstützung und Hilfe für einen Ratsuchenden bei der Lösung eines Problems und betonen die eigene, aktive Beteiligung des Ratsuchenden am Beratungsprozess, ohne die das Ziel der Beratung nicht erreicht werden kann. Beratung stellt sich damit als ein interaktiver Prozess dar, der bestimmten Regeln folgt, die dazu beitragen sollen, dass der Ratsuchende selbst einen Weg zur Lösung seines Problems oder zu einer Entscheidung findet.

Beratung

■ Beratung ist ein zwischenmenschlicher Prozess in sprachlicher Kommunikation.

■ Beratung dient neben der Vermittlung von Informationen der Verbesserung der Selbststeuerung und dem Aufbau von Handlungskompetenzen, der Orientierung und Entscheidungshilfe, der Hilfe bei der Bewältigung von Krisen.

■ Der Ratsuchende ist veränderungswillig, sucht die Beratung in der Regel freiwillig und ist aktiv am Prozess beteiligt.

■ Der Berater braucht Fachwissen über das Problemfeld und Beratungswissen zur Beziehungsgestaltung.

1.3Abgrenzung zu Therapie und Mediation

Beratung, Mediation und Therapie zielen auf Veränderung, das Auslösen von Lernprozessen und Entwickeln neuer Handlungsmuster ab. Sie bedienen sich der gleichen zumeist aus psychotherapeutischen Konzepten abgeleiteten Mittel. Auch Beratungsmethoden haben ihre Wurzeln in Techniken und Erklärungsmustern der Psychoanalyse, der Gesprächstherapie, der Gestalttherapie oder der Verhaltenstherapie. In Therapie und Beratung arbeiten überwiegend dieselben Berufsgruppen: Psychologen, Pädagogen, Mediziner, Sozialpädagogen, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Sowohl bei der Beratung als auch bei der Therapie geht es um zwischenmenschliche Beziehungen und persönliche Konflikte, die mit Hilfe kommunikativer Mittel bewältigt werden sollen. So ist es verständlich, dass manche Autoren keinen Unterschied zwischen beiden sehen, wenn Therapie und Beratung zum Ziel haben, „menschliches Leid zu lindern, Probleme zu lösen und dem Menschen zu einem zufriedeneren Leben zu verhelfen“ (Argelander 1985, S. 10). Der Unterschied besteht dann allein in der Dauer des Prozesses, so dass Beratung zur „Kleinen Therapie“ wird (Dryden / Feltham 2006; Rogers 1972).

Therapie

Bei aller Gemeinsamkeit gibt es dennoch gravierende Unterschiede. Therapie als im Bereich der Heilkunde angesiedelte Behandlung psychischer Störungen befasst sich grundsätzlich mit Phänomenen von Krankheitswert. Sie ist seit 1998 institutionell verankert durch das Psychotherapeutengesetz (PsychThG), setzt eine Approbation des Therapeuten voraus und wird im Allgemeinen über die Krankenkassen finanziert. Psycho-soziale Beratung dagegen wird meist für die Ratsuchenden kostenfrei von Beratungsstellen in öffentlicher oder kirchlicher Trägerschaft angeboten. Zunehmend entstehen jedoch auch freie Praxen für Lebensberatungen aller Art, möglicherweise als Folge des Psychotherapeutengesetzes, das nicht allen langjährigen psychologischen Psychotherapeuten Approbation und Kassenzulassung gewährt. Beratung dient der Überwindung persönlicher und sozialer Schwierigkeiten außerhalb der Heilkunde. Sie bedeutet Kompetenzerweiterung und Entscheidungshilfen bei Orientierungsbedarf in bestimmten Bereichen der Lebensführung, ohne dass grundsätzlich eine Störung der Person oder des Systems angenommen wird. Die angenommene selbständige Veränderungsfähigkeit des Klienten einer Beratung kann als ein wesentlicher Unterschied zur Therapie angesehen werden, bei der der Veränderungsprozess selbst im Mittelpunkt steht.

Beratung

Beratung befasst sich mit relativ ungestörten Personen, sie fokussiert Stärken und Ressourcen des Ratsuchenden in seiner Interaktion mit der Umwelt und in einer zeitlich begrenzten Dauer (Gelso / Fretz 2001) und betont damit stärker das Wohlbefinden und die Selbstwirksamkeit gegenüber der Fehlanpassung oder Störung. Beratung kommt damit auch eine präventive und entwicklungsfördernde Rolle zu. Beratung im psycho-sozialen Feld braucht daher Kompetenzen in allen Teildisziplinen der Psychologie, also in der Entwicklungspsychologie, der Differentiellen Psychologie oder Diagnostik, in der Sozialpsychologie und der Allgemeinen Psychologie (Schröder 2004).

Mediation

Mediation ist in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts als außergerichtliches Einigungsverfahren bei Trennungen, tariflichen Auseinandersetzungen, im kommunalen Bereich oder Konflikten über öffentliche Entscheidungen entstanden (Bastine / Theilmann 2004). Mediation ist heute ein Vermittlungsverfahren, bei dem zwei oder mehr Personen, die in Konflikt über eine Sache geraten sind, sich in ihren Meinungen „festgefahren“ haben und sich nicht einigen können, durch die Vermittlung einer neutralen, allparteilichen Person, dem Mediator, zu einer eigenen Lösung kommen. Die Mediation dient der Erlangung einer selbstbestimmten und einvernehmlichen Regelung, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt. Sie zielt darauf ab, dass die uneinigen Partner den Standpunkt des anderen besser verstehen und dass eine konkrete Lösung erarbeitet wird. Sie hat auch präventiven Charakter, indem sie die Problemlösekompetenz der beiden Partner für zukünftige Konflikte stärkt. Das Vorgehen der Mediation ist rein lösungsorientiert, strukturiert und fokussiert das Streitthema. Dies unterscheidet sie von der Paarberatung, bei der es um die Bearbeitung bestehender Konflikte geht (Bastine / Theilmann, 2004). Mediation wird häufig im Vorfeld von gerichtlichen Auseinandersetzungen eingesetzt, um eine einvernehmliche Lösung selbst zu erarbeiten, statt sich der Vorgabe eines Richters beugen zu müssen. Mediation bedient sich zwar bei der Formulierung eines Konfliktes ähnlicher Mittel wie die Beratung, sie hat aber nicht die Veränderung der Personen, sondern allein die Lösung des Konfliktes zum Ziel.

Unterschiede Beratung – Therapie – Mediation

Auch wenn es mehr oder weniger deutliche Überschneidungen gibt, lassen sich die drei Konzepte sowohl inhaltlich als auch im Vorgehen als auch rechtlich voneinander unterscheiden (siehe Tabelle 1). Der Zugang zum Beratungsangebot ist offen für alle Ratsuchenden, der zur Therapie höher schwellig durch eine Begutachtung der Therapiebedürftigkeit, eine Diagnose von Krankheitswert im Zusammenhang mit der Kostenübernahme. In der Beratungssituation gibt es ein klares Angebot in Bezug auf die Lösung eines definierten Problems, in der Therapie wird das grundlegende Problem oft erst erarbeitet, während die Mediation sich auf die Vermittlung in Konfliktsituationen beschränkt.

Tab. 1: Einige Unterschiede zwischen Therapie, Beratung und Mediation


1.4Ethische Fragen

Menschenbild

Auch Berater unterliegen, wie alle Menschen, den Normen und Werten der Gesellschaft, in der sie leben, die sie in ihrem Sozialisationsprozess internalisiert haben und die ihr Menschenbild prägen. Dies bestimmt auch ihre Haltung zum Klienten. Ein Beschreiben von Problemen unabhängig von diesen Normen und dem Menschenbild des Beraters ist ebenso unmöglich wie eine ethisch völlig neutrale beraterische Grundhaltung (Schrödter 2004). Berater müssen daher ihre Haltung zum Klienten und ihre Motivation zum Eingreifen beständig reflektieren.

Missbrauch und Manipulation

Klienten, die Rat suchen, sind in der Regel belastet und verletzlich und infolgedessen empfänglich für Missbrauch und Manipulation. Berater erheben den Anspruch, hilfreich für den Ratsuchenden zu sein, Beratungsprozesse können in manchen Fällen jedoch auch schädlich sein. Nutzen und möglicher Schaden von Beratung müssen gegeneinander abgewogen werden. Der Berater muss sich der Grenzen seiner Kompetenzen bewusst sein und sie einhalten. Sein Handeln muss geleitetet sein von theoretischen und empirischen Kenntnissen über Prozesse des Interaktionsgeschehens, aber auch Kenntnisse hinsichtlich des problematischen Sachverhaltes sind erforderlich. Insbesondere konfrontative oder paradoxe Techniken, die manchmal in der Beratung angewendet werden, können unangemessen sein, wenn sie den Ratsuchenden psychisch destabilisieren, von zweifelhaftem theoretischen Wert sind oder den Klienten be- statt entlasten. Im Einzelfall sind Kosten und Nutzen einer Beratungssituation oft schwer zu prüfen, so dass ständige hypothesengeleitete Reflexion des Vorgehens und kollegiale Supervision als Kontrolle der beraterischen Tätigkeit und Schutz vor Verstrickungen des Beraters in die Probleme seines Klienten nötig sind.

asymmetrischer Prozess

Beratung geschieht bei aller Anerkennung des Ratsuchenden als gleichberechtigter Partner immer in einem asymmetrischen Prozess zwischen einem Rat oder Hilfe suchenden Klienten und einem Berater, der die Hilfe zu geben vermag. Der Ratsuchende hat demnach die Erwartung, dass der Berater ihm aus einer subjektiv als hilflos erlebten Situation heraushilft, während der Berater die Kompetenz hat, dies zu tun. Der Berater setzt den Rahmen, wie Situation und Beziehung gestaltet werden, darf diese Definitionsmacht aber nicht in eine allgemeine Machtposition gegenüber dem Ratsuchenden umwandeln. Die Würde des Ratsuchenden als eigenständiger, unabhängiger und sein Leben grundsätzlich selbst verantwortender Mensch muss jeder Zeit gewahrt bleiben.

Beziehung zum Berater

In der Beratung kommen oft sehr persönliche und manchmal auch tabuisierte Themen zur Sprache. Dies schafft eine Nähe in der Interaktion zwischen Berater und Ratsuchenden, die manchmal vom Klienten als persönliche Beziehung zum Berater fehlgedeutet wird. Es versteht sich von selbst, dass der Berater diese Offenheit der Beratungssituation nicht zu einer ausbeuterischen oder intimen Beziehung ausnutzen darf.

Idealerweise steht der professionelle Berater in keiner anderen als der Beraterbeziehung zum Klienten, um mögliche Abhängigkeiten zu vermeiden. Besonders im pädagogischen Feld ist dies manchmal nicht gegeben, wenn der Beratungslehrer einer Schule gleichzeitig ein Lehrer des Rat suchenden Schülers ist. Dass es hier zu einer Rollenkonfusion kommen muss und der Schüler sich dem Beratungslehrer bei Problemen, die über reine Schullaufbahnberatung hinausgehen, nicht ausreichend öffnen kann, liegt auf der Hand.

Schweigepflicht

Der Ratsuchende vertraut dem Berater, Verständnis für seine Problemlage zu haben, ihm bei ihrer Lösung zu helfen, sich einer normativen Verurteilung seiner Verhaltensweisen zu enthalten und das in der Beratungssituation Erfahrene nicht weiterzugeben. Der Ratsuchende muss sich der absoluten Verschwiegenheit des Beraters sicher sein. Da, wo eine Weitergabe von Informationen an Dritte nötig erscheint, muss der Ratsuchende vorher darüber aufgeklärt werden und einverstanden sein. Manchmal werden Dokumentationen von Beratungsverläufen in Akten weitergegeben, vornehmlich an Kostenträger, so dass die Vertraulichkeit nicht immer gegeben ist. Auch in Gruppenberatungen ist zwar der Leiter zum Schweigen verpflichtet, nicht jedoch die übrigen Teilnehmer (Linden/Helmchen 2018). Problematisch ist, wenn im Verlauf der Beratung geplante oder bereits begangene strafbare Handlungen, beispielsweise Kindesmisshandlungen oder Missbrauch, offenbar werden, eine Suizidgefährdung erkennbar ist oder andere Personen geschützt werden müssen, wie bei einer HIV-Infektion des Ratsuchenden oder einer Bedrohung Dritter. Dann steht der Berater vor dem Dilemma, Rechtsgüter gegeneinander abwägen zu müssen, den Beratungsprozess zu gefährden oder geeignete Möglichkeiten zu finden, die Information weiterzugeben, ohne die Schweigepflicht zu brechen. Dann kann der Berater nicht mehr nur im Sinne des Klienten, sondern muss auch im Sinne gefährdeter Dritter handeln (McLeod 2013a).

Freiwilligkeit

Grundsätzlich setzt effektive Beratung Freiwilligkeit voraus. Diese Voraussetzung ist in der Praxis nicht immer gegeben, wenn beispielsweise gesetzliche Beratungspflicht bestimmt ist oder von Gerichten oder anderen Institutionen Auflagen, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, gemacht werden. Eine solche „Verordnung“ von Beratung belastet die beratende Beziehung und macht zunächst einen Prozess der Vertrauensbildung nötig, so dass der Klient sich öffnen und das Beratungsangebot annehmen kann (Glöckler 2013). Dies gelingt nicht immer und darf dem Klienten nicht schuldhaft angelastet werden, so dass der Berater möglicherweise persönlich betroffen ist, wenn seine Angebote verschmäht werden.

Motivation des Beraters

Die Motivation des Beraters, helfend tätig zu werden, kann ganz unterschiedlich sein. Ein gelegentlicher Ratgeber hat meist persönliche Motive, die in der Beziehung zum Ratsuchenden liegen, dessen Wohlergehen ihm wichtig ist, den er vor Schaden bewahren oder dem er einfach seine Lebensweisheit weitergeben will. Der professionelle Berater hat ebenfalls offene und auch verdeckte Motive, gerade diese Rolle einzunehmen, über die er sich klar sein muss, will er sich nicht in der helfenden Beziehung in eigene Probleme verstricken.

Ökonomisierung der Hilfe

Die Professionalisierung helfender Beziehung führt auch zu ihrer Ökonomisierung. Der Berater verdient, ähnlich wie der Therapeut oder der Arzt, sein Geld mit den Problemen anderer Menschen. Wenn der Ratsuchende auf den Kostenfaktor reduziert wird, kann das die Regulation des Beratungsprozesses belasten, indem er beispielsweise nicht rechtzeitig beendet wird. Bei institutionalisierter Beratung in öffentlichen Stellen, stellt sich dieses Problem weniger, weil die Berater unabhängig von den finanziellen Beiträgen der Klienten bezahlt werden. Es kann jedoch bei drohender Schließung und dem erforderlichen Nachweis der Notwendigkeit einer Beratungsstelle dazu kommen, dass Beratungsverhältnisse unnötigerweise begonnen oder in die Länge gezogen werden.

Beratungsrecht

Es gibt kein allgemeines Beratungsrecht, das Rechtsnormen für Verantwortlichkeiten im Beratungsprozess festlegt. Entsprechende Hinweise finden sich in den Sozialgesetzen, dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII), im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Strafrecht, im Psychotherapeutengesetz (PsychThG) oder in den gesetzlichen Grundlagen zur Ausübung des Heilpraktikerberufes (Barabas 2004). Die ethische Verantwortung für den Beratungsprozess ist in das Ermessen des einzelnen Beraters gestellt, der sich wiederum an den Statuten seines Berufsverbands orientieren kann, die meist ethische Grundsätze beinhalten. Für ein berufsregelndes Gesetz, um Fachlichkeit und Vorbildung des Beraters zu garantieren, wäre ein einheitliches Berufsbild des Beraters allerdings hilfreich (Barabas 2004).


1.5Übungsfragen zu Kapitel 1

1. Was sind Felder psycho-sozialer Beratung?

2. Wie kann man Beratung definieren?

3. Was ist das allgemeine Ziel von Beratung?

4. Was unterscheidet Beratung von Therapie?

5. Welche ethischen Grundsätze muss ein Berater einhalten?

6. Welche Probleme können sich in der Beziehung zwischen Berater und Klient ergeben?

Einführung in die Beratungspsychologie

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