Читать книгу Wir müssen reden - Susanne Schnabl - Страница 7

Оглавление

Es ist Frühling und ich suche im 21. Wiener Gemeindebezirk das Nagelstudio von Frau T. Leerstehende Geschäftslokale, dazwischen ein Supermarkt, eine Sportwetten-Bar, ein Kebab-Stand, ein Handyladen, irgendwo hier muss es sein, und während der Streusplit unter den Füßen noch an den Winter erinnert, lässt die Frühligssonne die triste Gegend ein wenig freundlicher erscheinen. Sagen wir so, es gibt einladendere Gegenden, durch die man mit seinem Einkaufssackerl schlendern kann. Aber das machen hier die meisten ohnehin im nahegelegenen Shoppingcenter. Es ist eine jener Einkaufstraßen, an deren Auslagen und Geschäften man wie in so vielen Städten die gesellschaftliche Veränderung der vergangenen fünfzig Jahre ablesen kann. Vom Eisenwarenhändler ist nur mehr das Schild über der Auslage geblieben, in der jetzt die Schneiderpuppe des türkischen Änderungsschneiders samt Preisliste steht. Nebenan kann man Kebab und Pizza essen.

Da ist es auch schon. Unzählige kleine Nagellack-Fläschchen stehen in der Auslage. Das ist das Geschäft jener Frau, die in ihren Postings so wütend klang, sich später am Telefon schon ein wenig anders anhörte und mir schlussendlich dieses Interview, zu dem ich gerade unterwegs bin, doch zugesagt hat. Uns Journalisten wird vorgeworfen, dass wir zu selten nach draußen gehen und unseren Blick, gerade wenn es um Politik geht, nicht dorthin richten, wo die Sorgen und Ängste der Menschen zu Hause sind. Also raus aus der Redaktion, dem Fernsehstudio, der Blase und Nabelschau auf der Suche nach Frau T. und ihrem Nagelstudio.

Seit mehr als zwei Jahren dreht sich die Berichterstattung um Wutbürger, Protestwähler, Fake News, den Zorn auf das Establishment, die Ablehnung gegenüber Andersdenkenden, den Hass im Netz. Darüber wurde schon so viel gesagt und geschrieben, aber ins Gespräch kommen mit jemanden, der all diese Skepsis auch gegenüber uns Journalisten teilt, das ist schwieriger als angenommen. Sich entrüsten, schimpfen, jammern oder sich gegenseitig aus dem Weg gehen, das geht schnell und bequem, aber miteinander reden? „Lügenpresse“. Genau das hat es mir auch nicht leicht gemacht, mit Frau T., die hier anonym bleiben möchte, ins Gespräch zu kommen. Es hat Wochen gedauert. Nur zögerlich antwortete sie auf meine Nachrichten. Das Misstrauen ist groß, ihre Verunsicherung offenbar noch mehr.

Frau T. ist Mitte vierzig, betreibt seit Jahren ein kleines Nagelstudio, und wenn sie nicht gerade mit ihren Kundinnen beschäftigt ist, sitzt sie vor ihrem Computer im Geschäft. Sie lächelt verlegen, als sie mir die Türe öffnet. Auch ich bin ein wenig angespannt und so bemühen wir zunächst einmal das Wetter und sprechen ein wenig über ihre Arbeit, während sie gastfreundlich den Kaffee herunterlässt und fragt, ob es stört, wenn sie rauche. Schön langsam bricht das Eis und wir kommen ins Gespräch.

Sie erklärt, warum sie Meldungen, die sie immer wieder auf Facebook liest, für glaubwürdig hält und „die Medien“ für gesteuert. „Irgendetwas muss da ja dran sein“, wiederholt sie ihren Standpunkt, ihre Zweifel auf meine Nachfragen. Das geht eine Zeitlang so. Erst als sich eine gewisse Vertrautheit breit gemacht hat, kommen Frau T. und ich richtig ins Reden. Sie klingt gar nicht zornig wie in ihren Postings auf Facebook, in denen sie unter anderem die angebliche Großzügigkeit gegenüber Flüchtlingen beklagt, die Smartphones geschenkt bekommen würden – diese Falschmeldung hält sich trotz aller Richtigstellungen noch immer. Ihr Facebook-Profil liest sich stellenweise wie jenes einer Wutbürgerin, von denen so oft die Rede ist und die sich selbst selten bis nie zu Wort melden, um einmal öffentlich zu erklären, was sie hinter diesen ärgerlichen Sätzen im Netz so zornig macht. Frau T. ist diesbezüglich eine Ausnahme. Sie hat meine Nachrichten im Gegensatz zu den vielen anderen, die ich kontaktiert hatte, nicht ignoriert oder geblockt, sondern sich zurückgemeldet. Aber von der zornigen Frau im Netz, der ich jetzt hier am Maniküretisch gegenübersitze, ist nicht mehr viel Wut zu spüren. Schallgedämpft erzählt sie von „denen da oben“, dem System, den Ausländern und Flüchtlingen, ihrer Sicht auf die Welt, der Politik und ihrer Unzufriedenheit. „Schauen Sie“, beginnt sie fast jeden Satz, „man darf das ja alles, was man sich so denkt, nicht mehr sagen.“ „Was denn?“ „Naja, die Wahrheit“, seufzt Frau T. und zieht an ihrer Zigarette. Die „Wahrheit“ also, welche nicht mehr ausgesprochen werden dürfe, die wird auch hier im Nagelstudio immer wieder bemüht. Es sind Vermutungen, Gerüchte, zum Teil Vorurteile über Flüchtlinge, Ausländer, Politiker und Medien, die sich trotz Fakten hartnäckig halten und mit ihnen Frau T.s Unsicherheit über eine ungewisse Zukunft. Und dann sagt sie diesen einen Satz, der mich noch tagelang beschäftigt: „Aber mir, uns hier, hört ja niemand zu!“

Zuhören

Geht es darum? Das, was der Soziologe Hartmut Rosa in seinem gleichnamigen Buch „Resonanz“ nennt. Wahrgenommen, gesehen und gehört werden zu wollen. Frau T. klingt gekränkt, als sie diesen Satz sagt. Und sie erklärt auch auf Nachfrage, dass sie nach den Monaten des Wahlkampfes das Gefühl habe, dass ständig nur über „die anderen, die Fremden“ gesprochen werde, als „würde es uns hier nicht geben“. Dass sie Angst habe, dass ihre Kinder keinen guten Job bekommen werden und dass sie trotz ihres kleinen Geschäftes mit anderen, die sich gerade ein neues Auto kaufen oder auf Urlaub fahren, nicht mithalten könne. Nach eineinhalb Stunden hab ich den Eindruck, Frau T. fühlt sich nicht nur abgehängt, sie fühlt sich als Teil unserer Gesellschaft vor allem unsichtbar. Nicht wahrgenommen.

Ohne diese Recherche, der Suche nach einem Interview für einen Beitrag wäre ich ihr nicht begegnet. Mich hätte es gar nicht in ihre Gegend verschlagen, in ihr Nagelstudio. Und auch umgekehrt. Wir wären uns nicht einfach so über den Weg gelaufen, ins Gespräch gekommen – weder in der Arbeit noch im Supermarkt, im Kindergarten, in der Schule unserer Kinder oder auf dem Fußballplatz. Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Zwei völlig verschiedene Lebenswelten sind das in ein und derselben Stadt. Die viel zitierten Filterblasen, die gibt es eben nicht nur in den sozialen Medien, wo ich auf die zornig postende Frau aus Floridsdorf gestoßen bin, die gibt es auch im wirklichen Leben. Aber was ist, wenn diese Filterblasen viel größer sind, als wir uns eingestehen wollen? Und was geschieht, wenn wir auf jemanden aus einer ganz anderen Blase, einer ganz anderen Welt stoßen wie soeben Frau T. und ich? Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass wir in digitalen Echokammern leben, wo unsere persönliche Meinung dauernd aufs Neue bestätigt wird. So eine Art Schulterklopfen und klick, fertig ist das meist stromlinienförmig durch Algorithmen generierte Weltbild, ein immer wiederkehrendes Echo des eigenen Standpunktes.

Was passiert aber, wenn jemand widerspricht? Geben wir dann Kontra, verteidigen uns und unsere Haltung oder sind wir beleidigt, vielleicht wehleidig, ziehen uns zurück, werden stumm und schweigen? Das hängt freilich ganz vom Thema und der Dringlichkeit ab, aber meistens scheuen wir die Diskussion, die Konfrontation, den Streit. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie begegne ich jener Frau aus dem Nagelstudio, die mich Wochen zuvor noch als Teil der „Lügenpresse“ bezeichnet hatte? Manchmal ist es Bequemlichkeit, manchmal das, was man als Wurschtigkeit bezeichnet, manchmal fehlt die Energie und manchmal kommt es einem sinnlos vor und vielleicht ist es das hin und wieder auch, sich auf eine Diskussion mit ungewissem Ausgang einzulassen. Zum Beispiel erst unlängst im Zug, wenn der unbekannte, gesprächige Sitznachbar sich anfangs noch über das Wetter beschwert und, immer mehr in Fahrt kommend, einen Skandal nach dem anderen ausmacht und die Welt vom Fernsehprogramm bis zur Politik kurz vor dem Abgrund stehen sieht. Selbst wenn man innerlich laut „Nein, früher war nicht alles besser!“ ruft, bequemt man sich dann nur zu einem leisen „Naja“, in der Hoffnung, den Redeschwall vielleicht so zu bremsen. Dafür ziehen wir dann ein anderes Mal zutiefst überzeugt in den Streit und kämpfen mitunter energisch für Nebensächlichkeiten, sodass uns für die wirklich großen Auseinandersetzungen die Energie und oft auch der Mut fehlen. Manchmal aber vermeiden wir den Streit und den Widerspruch aus Unsicherheit, dabei auf der richtigen Seite zu stehen, oder aus Angst vor der möglichen Wucht der Reaktion.

So erklärt mir Frau T., dass sie eigentlich nicht mehr über Politik reden wolle. „Warum?“, frage ich sie. Damit habe sie „in diesem Facebook“ nur schlechte Erfahrungen gemacht. „Angepöbelt bin ich worden, weil ich anderer Meinung war. Ich sei eine Rassistin, weil ich meine, dass schon genug Menschen zu uns gekommen sind. Ich, eine Rassistin!? Ich lackier hier Nägel, wenn’s sein muss, auch mit mitgebrachtem Halal-Nagellack (ein wasserdurchlässiger Nagellack für praktizierende Musliminnen erfahre ich später – wieder etwas gelernt).“ Die Realität ist dann halt doch ein wenig komplexer und bunter als so manches Schwarz-Weiß-Posting. „Was haben Sie denn den Leuten geantwortet, die Sie beschimpft haben?“, will ich wissen. „Nichts. Warum soll ich mich rechtfertigen, mich beleidigen lassen?“, fragt sie, zündet sich die nächste Zigarette an und erklärt, dass sie es anfangs spannend fand, sich über Facebook mit anderen, zumeist Unbekannten auszutauschen. Nicht der übliche Smalltalk wie mit vielen ihrer Kundinnen hier im Nagelstudio. Und dennoch sei sie zu dem Schluss gekommen: „Das bringt nix. Soll ich herumstreiten? Ich weiß nicht. Das ist anstrengend. Ich habe ständig das Gefühl, mich für oder gegen etwas oder jemanden entscheiden zu müssen, um ja auf der richtigen Seite zu stehen. Mir ist das zu anstrengend“, seufzt sie und setzt fort, „mir ist das zu viel geworden und daher poste ich nichts mehr, wenn’s um Politik geht. Keine Kommentare mehr, nix.“ „Also Rückzug?“, schau ich sie fragend an. „Ja, kann man so sagen. Am Ende kommt dabei eh nix raus.“ Und tatsächlich: Auf ihrem Facebook-Profil sind alle Kommentare und Postings, in denen es um Politik geht, gelöscht. Zu lesen sind dort nur mehr Kalendersprüche und Werbung für ihr kleines Geschäft. Frau T. hat sich für den Rückzug ins digitale Biedermeier entschieden. Aber kann eine pluralistische Gesellschaft funktionieren, wenn wir aus Angst vor dem Shitstorm oder eben auch aus Bequemlichkeit oder gar Wehleidigkeit mit Andersdenkenden nicht mehr ins Gespräch kommen, weil wir uns mit Widerspruch erst gar nicht auseinandersetzen wollen? Lieber schweigen und nur noch dort mitreden, wo man sich ohnehin verstanden fühlt: zu Hause im Wohnzimmer, im Freundeskreis, in Chat-, in WhatsApp- oder Twitter-Gruppen, im Safe Space. Man bleibt lieber unter sich. So entstehen immer kleinere Gruppen und Stämme Gleichgesinnter und Ähnlichdenkender, zwischen denen Meinungsverschiedenheiten selten bis nie offen ausgetragen werden. Oft schwingt die Frage, die Sorge mit, ob dieses oder jenes womöglich Beifall von der falschen Seite provoziert. Dann schweigt man lieber gleich oder schnitzt seine Aussagen im Kopf so zurecht, dass sie erst gar nicht anecken. Bloß nicht provozieren, widersprechen oder gar quer denken. Um den Inhalt geht es dabei nicht, sondern vielmehr darum, auf der richtigen Seite zu stehen. Es geht um Allianzen, die eigene Person und um Inszenierung und dabei nur selten um die Sache.

Aber wie sieht eine Gesellschaft aus, in der vieles aus Angst vor der Reaktion gar nicht mehr gesagt und geschrieben wird? Dreht sich die „Schweigespirale“1 dann immer schneller und die Lauten geben ausnahmslos den Ton an? Frau T. gehört nicht zu den Lauten, sie hat sich verabschiedet. Politisiert wird zu Hause, im Netz postet sie nur mehr Unverfängliches: Kalendersprüche statt Politik.

Wir müssen reden

Подняться наверх