Читать книгу Tomate, Tulpe, Rosmarin. Schreibwerkstatt für gut erzählte Information - Susanne Weiss - Страница 8
ОглавлениеEinführung
Nachdem ich unter einer vortrefflich aufgeblühten Sonnenblume nahezu ausgedorrt war, pflanzte ich mich auf einen Kürbis, der unterwegs war nach dem Felde Perret. Dort grabe ich eine Schwarzwurzel aus, deren Stengel in Samen geschossen war und auf deren Birne eine lianen-umschlungene Melone saß. Dieser Spargel beginnt eine Rübe zu umwinden, die ihm die Rabatten zertrampelte und die Zwiebeln zerstampfte. Aber Pusteblume, um keine Knallschoten zu ernten, schlug er sich in die Büsche und verpflanzte sich dann in Brachland. Später sah ich ihn vor den Gärten der Vorörtler wieder. Er fasste eine Linse in Höhe seiner Mandelblüte ins Gerstenkorn.
Dieser herrliche Text zur Einstimmung stammt aus Raymond Queneaus Klassiker „Stilübungen“. Darin schenkt er uns 99 kurze Texte zu ein und demselben Thema. Eigentlich handelt es sich um die Erzählung einer Begegnung während einer Busfahrt. Unter den verschiedenen Überschriften nimmt sie aber überraschende Gestalt an. Dies hier ist die Stilübung „Botanisch“.
Die „Exercices de style“, so der Originaltitel, erschienen zuerst 1947 in Paris.
Weitere Beispiele im Werkstattbuch
Willkommen in der Werkstatt!
Über Pflanzen zu schreiben, macht besonders viel Spaß. Tatsächlich ist dem Handwerk das Thema egal. Deshalb können Sie alles hier Gelernte auf andere Schreibprojekte und -aufgaben übertragen. Es ist dasselbe Prinzip wie beim Klavierspiel. Ob Sie einen C-Dur-Akkord in einem Gassenhauer oder in einem Stück von Friedrich Liszt spielen, ist dem Akkord egal. Und dem Klavier auch.
Was Sie in diesem Kurs erwartet
In Kapitel EINS stelle ich Ihnen die Basistextsorten vor. Hier zur Einstimmung genretypische Textanfänge.
Die Nachricht:
Am Vormittag des 1. April 1637 verursachten Tulpenhändler Tumulte an der Börse von Rotterdam.
Die Textsorte Nachricht ist schon im ersten Satz deutlich zu erkennen. Die wesentlichen Informationen sind auf den Punkt gebracht. Die Übungsnachricht handelt vom Tulpenwahn, der im 17. Jahrhundert die Niederlande fast in den Ruin trieb.
Die Geschichte:
Die Kandidatin betrat den halbdunklen Raum durch eine Seitentür. Mit skeptischem Blick betrachtete sie die sechsköpfige Jury. Der Vorsitzende öffnete ein Dossier „Sie möchten also eingebürgert werden.“ Die Kandidatin neigte vornehm den edlen Kopf. „Soll das ein ‚Ja’ sein?“, herrschte der Vorsitzende sie an.
Das ist der Anfang einer Geschichte des beschwerlichen Weges einer Mittelamerikanerin nach Europa. Dieser Anfang bringt nichts auf den Punkt. Er lässt vielmehr Fragen offen.
Kapitel ZWEI ist eine Kombination aus einfachen Fingerübungen mit lebensdienlichen Erkenntnissen der Neurowissenschaften zum Thema Sprache und Schreiben. Beim Üben können Sie alte schlechte Gewohnheiten loswerden wie zum Beispiel Schachtelsätze, sprachliche Nebelfahrten durch zu viel Passiv oder den leidigen Nominalstil. Im theoretischen Teil begegnen wir dem Reptiliengehirn in uns, gewinnen erste Einblicke in die unterschätzte Macht der Sprache und lernen weitere genretypische Textanfänge kennen.
In den Kapiteln DREI und VIER schreiben Sie eine Nachricht und eine Geschichte. Wir bleiben zwar bei Tulpe und Tomate, aber wir drehen den Spieß um. Sie verwandeln die Tulpennachricht, die Sie gleich finden werden, in eine Geschichte und die Tomatengeschichte in eine Nachricht.
In Kapitel FÜNF verschränken Sie beide Textsorten miteinander und schreiben ein Stück gut erzählte Information – oder eine informative Geschichte, ganz wie Sie wollen. Das ist die Textsorte, die Sie als angenehme Lektüre in Magazinen oder Buchkapiteln finden.
Zum Schluss: Überschrift und Kleintexte