Читать книгу Sprachgewalt - Susanne Weiss - Страница 7
ОглавлениеEinführung
„Es ist viel leichter, Menschen zu belügen, als sie davon zu überzeugen, dass sie belogen wurden.“
Mark Twain
Es gibt ein paar dunkle Geheimnisse in den Tiefen des Schädels, die kaum jemand kennt und die uns täglich Streiche spielen. Niemand lässt sich gern manipulieren und hinters Licht führen. Aber es geschieht millionenfach. Wir rühmen uns unserer Freiheit. Aber sind wir wirklich frei? Gleichzeitig beleidigen wir unsere Mitmenschen, ohne es zu ahnen (Das habe ich nicht gewollt ...) und setzen ohne Ende Missverständnisse in die Welt (das habe ich so nicht gemeint ...) Und warum, so fragen sich Chefs und streitende Paare, reagiert mein Gegenüber nicht so, wie ich es gern hätte? Nun, der Glaube, unsere goldenen Worte kämen 1 : 1 beim anderen an, ist magisches Denken. Und mehr Menschen als je zuvor glauben jeden Mist, der ihnen in Kübeln voller Plastikwörter vor die Füße gekippt wird.
Fake News, Hate Speech und Framing sind in aller Munde, aber leider nicht in jedermanns Verstand. Von wenigen Dingen haben Menschen so wenig Ahnung wie von diesem großartigen Werkzeug echter Aufklärung, das zugleich so viel Schaden anrichten kann: Sprache. Sie umgibt uns wie Luft und Leben. Und dennoch wissen wir mehr über Autos, Fernseher, Smartphones, Fußball und Wimperntusche als über eine unserer wichtigsten Kulturtechniken. Wir nutzen sie täglich. Aber wir sind ihr auch täglich ausgesetzt. Um das Maß voll zu machen, erklären uns funktionale Analphabeten, es läse ja sowieso niemand mehr und Bilder täten es auch. Hier trifft es ein altes Sprichwort auf den Punkt: Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, ist jeder Gegenstand ein Nagel.
Sucht Euer Heil nicht in den „Leitmedien“ heutiger Tage. Sogenannte „Alpha-Journalisten“ denunzieren jedes noch so seriöse und robuste Wissen zum Thema Sprache und Sprachwirkung als „akademische Spielereien“ und ähnliches. Ich für mein Teil würde zu gern erleben, wie Klaus Kleber Wilhelm von Humboldt als Verschwörungstheoretiker (die neue Allzweckwaffe der „Leitmedien“) entlarvt, weil der ihm erklärt, wie Sprache funktioniert.
Nun führt die manchmal anarchische Ausdifferenzierung des Medienangebots zu einer gewissen Gereiztheit bei den Granden der „Leitmedien“. Sie wissen, dass immer mehr Menschen an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln. Überall grassiert die Furcht vor Bühnenverkleinerung und vor dem Verlust der alleinigen Deutungshoheit. „Hinzu kommt“, so der Kommunikations- und Medienforscher Norbert Bolz in einem Interview, „dass sich viele Journalisten als Oberlehrer der Nation missverstehen - und das lassen sich viele Menschen nicht mehr bieten. Die Objektivität der Medien steht also nicht nur ‚erkenntnistheoretisch’ zur Debatte. Man hat als Leser oder Zuschauer immer häufiger den schlechten Geschmack der Manipulation auf der Zunge.“
Die irrwitzige Konzentrations- und Konkurrenzsituation im Mediensektor führt darüber hinaus zu nie gekannter handwerklicher Schlamperei. Framing, Fake News und seit 2020 sogar Hate Speech kommen da gerade recht, um das Terrain zu verteidigen und um Auflage zu machen. Wenn aber unbescholtene Bürger plötzlich als rechtsradikale, antisemitische, psychisch labile Verschwörungstheoretiker und Spinner diffamiert werden, weil sie eine Frage stellen, von verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch machen oder eine Debatte fordern, ist etwas ganz und gar schief gelaufen. Unfreiwillig komisch wird es, wenn man im Zuge solcher Kampagnen die neuen Staatsfeinde unter „Homöopathen“ und „Grundgesetzträgern“ ausmacht. Ein fast schon gruseliges Beispiel hat der Medienwissenschaftler Michael Meyen, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München in eigener Sache zu berichten.
https://medienblog.hypotheses.org/9621
„Pseudoumwelt“
Nicht, dass an Fake News und Framing irgendetwas neu wäre. Die Welt, welche die Medien erschaffen, ist ohnehin eine Konstruktion, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Walter Lippmann, berühmt-berüchtigter Propagandist der „gelenkten Demokratie“, wusste schon vor mehr als 100 Jahren genau, dass Worte und Sprachbilder soziale Realitäten gestalten. Er nannte das, was die Medien zu seiner Zeit schufen und was sie heute umso mehr erschaffen, „Pseudoumwelt“. Was wir in den Medien konsumieren, ist eine Wirklichkeit aus zweiter Hand, weil wir schlechterdings nicht überall dabei sein können. Allerdings werden es viele schon erlebt haben. Man war bei etwas offenbar Berichtenswertem selbst dabei, liest es anschließend in der Zeitung oder hört es im Radio und fragt sich: Wovon reden die da? „Je mehr Schichten zwischen einem Ereignis und dem Empfänger eines Berichts liegen, desto leichter ist Beeinflussung und Propaganda möglich. Je weniger man weiß, desto größer wird der Gestaltungsraum für eine fast beliebige Pseudoumwelt“, erklärt der Ökonom und Kulturhistoriker Walter Ötsch in einem Interview mit den „Nachdenkseiten“.
Gelenkte Demokratie
In den Medien ist Manipulation durch Sprache kein Thema. Wer will sich schon mit dem konfrontieren, was er anrichtet? Es gibt weder einen breiten politischen Diskurs noch eine Debatte in den Medien, am wenigsten im Wissenschaftsbetrieb. Hier kommen Sprache und Schreiben als lebensdienliche Kulturtechniken allenfalls am Rande (und oft unwillig) vor. „ ... die Ausschaltung rhetorischer Lehrinhalte aus der akademischen Ausbildung [bedeutete] auch einen Verlust an kritischer rhetorischer Rationalität und [förderte] die Entstehung einer manipulierbaren Öffentlichkeit in der Massengesellschaft“, erklärt dazu Gert Ueding, Rhetorik-Professor aus Tübingen in seinem Buch „Moderne Rhetorik“. (Ueding, 2009)
Dagegen sind die Großmeister aus den „Public Relations“ seit jeher bestens beschlagen. Edward Bernays, ein Zeitgenosse Walter Lippmanns, machte keinen Hehl daraus, wie er die Dinge sah. „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist.“ Das erklärt Bernays in seinem 1928 erschienenen Buch mit dem Titel „Propaganda“. Bernays war auch maßgeblich beteiligt an der Umbenennung von „Propaganda“ in „Public Relations“, und er kannte seine Werkzeuge. Einer seiner größten Fans war Josef Goebbels, Reichspropagandaminister Hitlers.
Beispiele
Wie Sprache soziale Realität gestaltet, beschreibt die Linguistin Elisabeth Wehling anhand einer Meinungsumfrage zum Thema Kriminalitätsbekämpfung in einer fiktiven Stadt. Zwei Texte wurden vorgelegt, beider Grundlage waren dieselben Zahlen und Statistiken. Doch sie nutzten unterschiedliche Frames, einen Virus-Frame wie in „Kriminalitätsvirus infiziert die Stadt ... und befällt alle Wohngegenden“ und einen Raubtier-Frame wie in „Das Kriminalitätsraubtier jagt zunehmend in der Stadt ... Heute lauert ... Kriminalität in allen Wohngegenden.
Gefragt, ob präventive Sozialpolitik oder harte Gefängnisstrafen das beste Mittel seien, plädierte die Virusgruppe für bessere Bildung und den Abbau von Armut, um das gesellschaftliche System widerstandsfähiger gegen das ‚Virus Kriminalität’ zu machen. Die Raubtiergruppe plädierte für mehr Polizei und dafür, die Raubtiere einzusperren.
Auch wer bei Umfragen bestimmte Ergebnisse erzielen will, achtet auf die Worte. Denn von der Wortwahl in der Frage sind die Antworten abhängig. Der Meinungsforscher Tom W. Smith fand z. B. heraus, dass man „Armen“ gern helfen würde, wohingegen „Wohlfahrts- bzw. Sozialhilfeempfänger“ eher leer ausgingen. Schließlich liegen die dem Staat auf der Tasche – ein allzu vertrautes Framing.
Ganz fabelhaft wird es, wenn Zeugen eines Unfalls (man zeigte zwei Gruppen denselben Film) mit verschiedenen Worten nach dem Hergang der Ereignisse gefragt werden, berichtet der Linguist Robert Shuy. Die Personen schätzten die Geschwindigkeiten von Fahrzeugen unterschiedlich ein je nachdem, mit welchen Worten sie danach gefragt wurden. Wurden sie danach gefragt, wie die Wagen „ineinanderkrachten“, gaben sie höhere Geschwindigkeiten an als die Gruppe, die man nach dem Hergang des „Aufpralls“ fragte.
Wie kann Manipulation durch Sprache so gut funktionieren? Der Kognitionswissenschaftler Arthur Jacobs erklärt es uns: „Beim Lesen wie beim Sprachverstehen sind Prozesse im Spiel, die auf denselben oder ähnlichen neuronalen Mechanismen beruhen wie beim direkten Erleben. Diese mentale Simulation verbal oder schriftlich beschriebener Situationen bewirkt demnach ( ... ) eine mit der realen Wahrnehmung vergleichbare, bisweilen sogar stärkere Eindrücklichkeit. Das Schriftbild von Worten und Sätzen stellt dieselbe Art von sensorischen Reizen dar wie Objekte oder Gesichter.“ (Schrott, Jacobs, München 2011) Und mehr noch. „Nur“ Wörter sind imstande, das Gehirn auf physische Bewegung vorzubereiten. „Allein an einen Kiesel zu denken“, so Jacobs, „bereitet uns schon darauf vor, die Hand auszustrecken, die Finger zu schließen und mit dem Arm auszuholen.“
Doch dazu später mehr.
Nun? Sollte es sich nicht lohnen, einen Blick hinter die Kulissen der Sprache zu werfen? Es ist natürlich bequem, sich manipulieren lassen, und wenn es gerade gelegen kommt, etwas in einen Text hineinzulesen, was gar nicht darinsteht. Es ist auch bequem, sich durch Wörter dazu zu bringen zu lassen, etwas zu denken, was diejenigen wollen, die die Wörter benutzen.
Aber wäre selber denken nicht eine prima Alternative?