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2 Weihnachten bei Otterbeins
ОглавлениеDiese Villa war einfach ein Traum: ich sah mich um, herrliche Stuckdecken, die wunderbaren antiken Möbel und jetzt in der Mitte dieser Weihnachtsbaum, klassisch geschmückt mit Holzspielzeug und Strohsternen. Wie jedes Jahr hatten wir abgemacht, dass wir uns nichts schenken, wir hatten ja schließlich alles. Trotzdem waren viele Pakete unter dem Baum.
Ich hatte es wirklich gut bei Adelheid getroffen, Glück im Unglück nannte man das wohl. Adelheid war nicht nur eine knallharte Geschäftsfrau, die immer wusste, was sie wollte, sondern auch eine großzügige Person.
Andrerseits erwartete sie auch Gegenleistungen. Nach dem Tod meiner Eltern hatte sie mich aufgenommen, für sie als beste Freundin meiner Mutter war das selbstverständlich. Sie liebte Kinder und Tiere, leider hatte sie nach der Geburt ihres ersten Kindes Olaf keine Kinder mehr haben können. Die Geburt war so schwungvoll, dass nicht nur das Kind den Geburtskanal verließ, sondern auch die Gebärmutter mit Karacho hinterherrutschte.
„Weg ist weg!“, sagte sie lakonisch, wenn man sie auf diesen wunden Punkt ansprach.
Sie hatte sich immer eine große Kinderschar gewünscht, am liebsten eine ganze Fußballmannschaft.
Diesen Wunsch hatte sie lange als erfolgreiche Geschäftsfrau verdrängt, doch seit Ihrer Herzoperation machte sie sich Sorgen um die Zukunft. Sie hatte nachgedacht, Geld beruhigt, aber es macht nicht glücklich. Glücklich machen kleine, junge Lebewesen. Das wusste sie, als Vorsitzende des Zoovereins ganz genau. Was für eine Freude war es doch immer ein frisch geborenes Wesen zu sehen. Vom Goldhamster bis zum Junglöwen. Diese Augenblicke waren immer wieder beglückend. Wie beglückend musste es dann erst mal sein, ein Enkelkind in den armen zu wiegen.
Leider war ihr einziger Sohn Olaf der Typ großer Junge, Er hatte eine Modelleisenbahn mit allen möglichen Extras aufgebaut und sein größtes Glück war es mit seinem Freund Christoph in diesem Bastelkeller zu basteln., wenn er nicht gerade mit ihm am Taubenschlag war.
Olaf war der einzige Sohn, weit entfernt von einer Fußballmannschaft. In der Schule war er das typische Mobbingopfer.
Adelheids Fürsorge war schon bald sprichwörtlich in der Kleinstadt. In jeder Pause stand sie an dem Schulhofzaun und beobachtete ihren Sohn und vor allen Dingen die anderen Kinder und machte Fotos. Kein Schulausflug ohne Mutter Adelheid, Gespräche mit Lehrern blieben erfolglos. Der Ablöseprozess vollzog sich langsam und war für die Mutter schwieriger, als für den Sohn. Der war die Bevormundung seiner Mutter von klein auf gewohnt und widersprach so gut wie nie.
Nun wurde Adelheids Sohn, der Stammhalter im nächsten Jahr vierzig Jahre alt und kein Stamm, den er hätte halten können, war in Sicht. Natürlich hatte sie sich in jede Freundschaft seines Sohnes eingemischt; und damit alle möglichen Freundinnen bzw. Schwiegertöchter vergrault.
Dann war da dieser schwache Moment, lag es an der späten Stunde, am Alkohol, an der Einsamkeit. Ich kann es nicht analysieren, obwohl ich mich normalerweise wirklich im Griff hatte, Adelheid verwickelte mich in ein Gespräch. Sie fragte mich, wie ich mein Leben sähe, geschickt lenkte sie mich in die Sackgasse.
„Findest du Olaf nett?“, fragte sie nach dem x-ten Glas Whiskey.
Ich kicherte verlegen.
„Oh, wie süß!“, schnurrte Adelheid. „Das hab ich mir doch fast gedacht. Du bist in Olaf verliebt.“
„Nein, nein,“ wehrte ich ab…und fuchtelte abwehrend ab.
„Olaf ist doch wie ein großer Junge.“
„Genau, deshalb macht der große Altersunterschied dir nichts aus.“ Begeistert klatschte sie in die Hände.
Wunderbar. Lisa, du bist meine Traumschwiegertochter und ich spendiere euch beiden eine Traumhochzeit.
Am nächsten Morgen hatte ich einen dicken Kopf wie ein Medizinball, ich erkannte mich selbst im Spiegel nur an meinen kastanienbraunen Locken. Meine grünen Augen waren leuchtend rot umrandet, als hätte ich sie mit Lippenstift markiert. Gut, dass mich nie jemand darauf angesprochen hatte, es war sicher doch nur ein Alptraum.
Adelheid hielt das kleine Glöckchen in der Hand und bimmelte. Erwin, ihr ergebener Ehemann und Vater von Olaf, saß am Flügel und spielte „Stille Nacht.“
Weihnachten bei Otterbeins war eben etwas ganz besonderes. Heimelig.
Wir sangen gemeinsam und ich sah auf dem Flügel ein Schmuckkästchen kleines, weihnachtlich verpacktes Schmuckkästchen. Erwin hatte es sicher schon dort für Adelheid deponiert. Wir umarmten uns nach der Musik und wünschten uns frohe Weihnachten. Adelheid holte die Champagnergläser und Erwin ließ den Korken knallen. Ich hatte hier wirklich Glück gehabt in diese Familie als Stiefkind zu kommen.
Adelheid nahm das Schmuckkästchen und reichte es Olaf.
„Für dich, mein Sohn.“, dabei kniff sie ein Auge zu und blinzelte mich an.
Olaf öffnete das Geschenk, darin waren zwei goldene Ringe.
Olaf kräuselte die Stirn.
„Was ist das?“
„Das sind deine Verlobungsringe. Für Lisa und dich.“
Ich sah Olaf mit großen Augen an:
„Das ist ja eine Überraschung!“, stammelte ich.
„Für mich auch.“, murmelte er zurück. Er steckte mir den Ring an den Finger. Adelheid klatschte hysterisch in die Hände. Erwin haute voll in die Tasten und spielte den Hochzeitsmarsch aus dem Sommernachtstraum von Felix Mendelsohn- Bartholdy. Ich nahm einen großen Schluck Champagner und verschluckte mich. Die Kohlensäure kribbelte in der Nase. Ich rettete mich auf das Klo und schaute in den Spiegel. Ich sah in meine dunkelgrünen Augen und redete mit mir selbst:
„Lisa, was passiert hiergerade mit dir?“
Ich drehte verlegen meine schokoladenbraunen Locken.
Werde ich verkuppelt? Mit einem Mann, den ich nicht will?
Adelheid meint es immer gut mit mir, aber das hier?
Sch… wie komme ich da jetzt wieder raus?. Fünf Minuten allein. Das brauchte ich in diesem Moment.
Ich hörte die Türglocke, hatte Erwin etwa einen Weihnachtsmann bestellt?
Zuzutrauen wäre es ihm. Die Stimmen im Flur waren mir wohlbekannt. Also musste ich meinen Rückzugsort wieder verlassen und gesellte mich zu den Gästen.
Meine Freundinnen Caroline und Julia. Wie nett, dass sie uns besuchten.
Adelheid berichtete sofort begeistert von der Verlobung.
Die beiden guckten mich ratlos an:
„Das kommt ja überraschend.“, fand Caroline ihre Stimme wieder.
„Natürlich werde ich euch in meiner Boutique „Schuhgöttin“ beraten. Auf der nächsten Modemesse werde ich für euch die elegantesten Schuhe kaufen.“
Adelheid führte die Gäste ins Wohnzimmer.
„Seht her, der ganze Baum voller Spielzeug, und hier steht schon eine Babywiege. Natürlich erwarten wir Enkelkinder.“ Der Blick von Adelheid erschlug mich fast.
„Ich dachte, du willst im nächsten Jahr beruflich voran kommen.“, Julia sah mich erstaunt an.
Erwin lenkte sofort ein: „das brauchen wir heute nicht zu besprechen, Adelheid. Eins nach dem anderen.“
Die Freundinnen prosteten mir etwas verlegen zu, Adelheid hatte inzwischen auch ihnen Champagner serviert.
„Na, dann hast du dir für das nächste Jahr einiges vorgenommen.“, brachte Julia das Gespräch wieder in Gang.
Olaf und ich tauschten Blicke. Olaf guckte so verdattert. Oh je, konnte der Mann blöd gucken, dachte ich gerade, als mich Adelheid ansprach: „das Schöne in unserer Familie ist, dass Schwiegermutter und Schwiegertochter ein Herz und eine Seele sind.“
Sie umarmte mich so heftig, dass ich kaum noch Luft bekam. Mein Hals fing an zu jucken, bestimmt bekam ich diese roten Flecken.
„Julia, dein Cape ist sehr elegant.“, wechselte ich das Thema.
Julia lupfte den Wollstoff zur Seite und in ihrem Arm saß ein Lebewesen aus grauem Fell.
Wer ist das denn?“, riefen alle durcheinander.
„Wie süß!“
Das ist sehr lustig
„Das ist Julius, er ist erst vier Wochen alt. Seine Mutter ist leider gestorben. Jetzt bin ich seine Ersatzmutter.“
Julia strahlte und zeigte das Faultierbaby, das sich verschämt an sie kuschelte.
„Bei uns seid ihr gut aufgehoben, schließlich weiß ich als Vorsitzende des Zoovereins, mit welcher Hingabe die Mitarbeiter des Zoos sich für ihre Tiere einsetzen. Gerade du, Julia, als Zootierärztin nimmst ein Faultier mit nach Hause. Das ist doch einfach großartig! Das muss in meiner nächsten Rede erwähnt werden.“, Adelheids Stimme vibrierte vor Begeisterung.
Irgendwann spät in der Nacht lag ich im Bett, und wollte einfach schlafen und vergessen. Bitte nichts, einfach gar nichts träumen!
Aber es ging noch schlimmer. Ich fiel nicht wie erhofft, in einen Erholungsschlaf, sondern träumte von meiner eigenen Beerdigung:
Ganz nah neben mir stand Olaf, mein Stiefbruder. Er hatte gerötete Augen, als hätte er die ganze Nacht den Föhn an seine Augen gehalten. Seine Haut wirkte grau und schlaff. Sie erinnerte mich an einen Elefanten. In dem Anzug, den er trug, sah er aus, wie ein Garderobenständer.
Neben ihm stand mein Stiefvater Erwin, der irgendwie allein komisch wirkte, wo war denn nur Adelheid, seine Frau, meine Stiefmutter und zukünftige Schwiegermutter? Sicher hatten wir uns öfter gestritten, aber dass sie deshalb nicht zu meiner Beerdigung käme, hatte ich nicht erwartet.
Mein Blick kreiste weiter, meine Freundin Caroline, die erst kürzlich ihre Schuhboutique „Schuhgöttin“ eröffnet hatte, stand neben meinem Chef Brummel. Caroline hatte natürlich extravagante schwarze Lackschuhe an, sie ließ keine Chance aus, um für ihr neues Geschäft Werbung zu machen. Mein Chef kam zu meiner Beerdigung. Das machte mich jetzt im Nachhinein richtig stolz. Ich dachte immer, er hielt nicht viel von mir. Andererseits mal raus aus dem Büro an die frische Luft,… da ist eine Beerdigung mal eine gelungene Abwechslung. Seinem Gesicht war keinerlei Regung anzusehen. Stur starrte er auf seine Schuhe.
Meine Freundin Julia, war auch dabei. Ich hatte immer gehofft, dass sie sich für diesen Termin Zeit nähme, war jetzt doch etwas gerührt. Sie hatte eine elegante schwarze Stola umgelegt, die plötzlich anfing, sich zu bewegen. Was war das? Irgendwas graues Pelziges war zu sehen! Unter ihrem Cape hatte sie ihren „Adoptivsohn“ Faultier Julius versteckt. Ihre Handaufzucht, die ihr so sehr ans Herz gewachsen war, das die beiden unzertrennlich waren. Jetzt war ich sogar ein bisschen stolz. Wer hat schon ein Faultier auf seiner Beerdigung?
Aber wo zum Teufel steckte Adelheid, meine Stiefmutter und zukünftige Schwiegermutter? Sicher hatten wir uns öfter gestritten. Wie oft hatte sie mich „undankbar“ genannt? Natürlich sollte ich ihr dankbar sein. Aber Dankbarkeit muss auch mal ein Ende haben. Immerhin hatte sie sich nach dem plötzlichen Unfalltod meiner Eltern um mich gekümmert, wie um ein eigenes Kind. Sie war mein Vormund und hatte alles gut für mich geregelt, wirklich. Und ihr Sohn Olaf war ein lieber Kerl, aber ihn heiraten? Wer heiratet ein Kind? Olaf war von klein auf so erzogen, dass er immer das tat, was seine Mutter sagte, sein Vater rebellierte auch nicht. Er behauptete immer, dass er sich unter dem Pantoffel seiner Frau richtig wohl fühlte. Warum war ich auf meiner Beerdigung?
Adelheid hatte wieder und wieder gejammert. Gehänselt, verspottet und ausgelacht würde sie von ihren Freundinnen, dass sie keine Enkelkinder hätte. Es gäbe sogar das Gerücht, dass Olaf schwul sei. Lisa erinnerte sich noch, wie sich Adelheid in Rage geredet hatte, Ihre Stimme wurde immer lauter, ja kreischte, hysterisch. Schließlich sprang sie vom Küchentisch auf, Ich sah das große Schlachtermesser und Blut, Blut überall. Dann wusste ich nichts mehr. Jemand beobachtete mich, ich sah in die Richtung, etwas abseits vom Grab standen zwei Polizisten, in der Mitte Adelheid. Sie war mit einem Polizisten mit Handschellen verbunden.
„Willst du diese Schuld wirklich auf dich nehmen?“, hämmerte es in meinem Kopf.
Das Hämmern war nicht in meinem Kopf, sondern war die Musik des Radioweckers. Selten hatte ich mich so auf einen Arbeitstag gefreut, wie nach diesen Weihnachtsfeiertagen.