Читать книгу Geschichten von Jar - Sven Röhr - Страница 4

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2. Die Rückkehr nach Jar und ein Abschied

Alles um sie herum wurde auf einmal seltsam hell und angenehm warm. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr sie und …

Was sie dann sahen war etwas, was Ricarda nie erwartet hätte. Sie standen auf einmal auf einem großen Platz, mitten in einem Park. Direkt neben ihnen erhob sich ein großer Baum. Vor ihnen war ein riesiger Brunnen, der in kleinen pulsierenden Stößen Wasser aus großen Figuren spritze. Sie sahen aus wie Fabelwesen. Ricarda drehte leicht den Kopf und sah hinter sich ein riesiges Schloss. Der Park, in dem sie sich befanden, war so groß, so dass Ricarda kaum das Ende sehen konnte.

Er schien in verschiedene Landschaften unterteilt zu sein, denn er enthielt viele verschiedene Farben und Stile. Jede dieser Landschaften hatte eine dominierende Farbe und fast alle Blumen und Gewächse enthielten diese Farbe in den unterschiedlichsten Tönen. Aber das Seltsamste war über ihnen. Der Himmel.

Er leuchtete in einem zarten Rot und Blau. In ihm befanden sich zwei Sonnen, die sehr hell schienen. Große Vögel zogen über ihnen vorbei. Dann schaute sie nach vorne und vernahm einen heftigen Jubel. Eine Menschenmenge war unter ihnen versammelt. Nun erst registrierte Ricarda, dass sie auf einer Erhöhung inmitten des Parks standen. Etwas weiter entfernt erspähte sie eine große Stadt. Sie lag malerisch am Ende des Parks.

Als die drei durch das Portal traten, brach ein riesiger Jubel los. Die Menschen riefen etwas, was Ricarda nicht verstand. Aber sie wusste, dass es ihnen galt und dass diese Menschen ihre Ankunft feierten.

Johanna stand neben ihr, und sie hob feierlich ihre Hände, aber sie hatte dabei noch Ricardas und Katjas Hände fest umschlossen. Auf einmal erlosch hinter ihnen ein Licht und Ricarda bemerkte, dass Tom durch das Portal schritt und es sofort wieder verschloss. Er trat zur Seite und begab sich an den Rand des Brunnens. Dort setzte er sich nieder und lächelte zu den drei Frauen hinüber.

Ricarda bemerkte auch eine Gruppe von Männern vor ihnen. Nein, es waren Frauen und Männer. Sie trugen hellblaue Roben aus Seide, wie es schien. Sie traten vor und verbeugten sich vor den Dreien. Eine Frau trat aus der Gruppe hervor und kam zu ihnen herüber. Kurz vor ihnen hielt sie an und ging in die Knie. Die anderen der Gruppe knieten ebenfalls und schauten in ihre Richtung. Da entging es Ricarda kaum, dass sich die gesamte versammelte Menschenmenge auf die Knie begab. Nur, Tom nicht. Er saß auf dem Rand des Brunnens und schaute zu ihnen hinüber.

„Seid gegrüßt, Prinzessin Johanna Valise con Jar. Gesegnet sei der heutige Tag, da Ihr wieder unter uns weilt. Eine junge Prinzessin alleine haben wir erwartet, aber wir haben eine königliche Familie bekommen.

Sie wandte sich an Ricarda.

„Wir sind Euch zu ewigem Dank verpflichtet. Ihr habt die Prinzessin weise und selbstlos groß gezogen und nun habt Ihr den Schritt gewagt, selbst in unsere Geschichte zu treten. Eine Geschichte, die nicht die Eure ist, die Ihr aber nun durch die Liebe zu Eurer Tochter dazu gemacht habt. Johanna Valise con Jar konnte keine bessere Wahl treffen, als Euch zu ihrer Vertrauten zu machen.

Nun wandte sie sich zu Katja.

„Junge Prinzessin, Euer Bild ist nicht klar, aber was zu sehen ist, zeigt mir, dass wir noch großes von Euch erwarten dürfen. Euer Herz liegt rein vor uns und auch Dir legen wir unsere Herzen zu Füßen.

Die Frau drehte ihren Kopf in die Richtung von Johanna.

„Prinzessin, zu früh müsst ihr eine Bürde übernehmen, die selbst für jemand Großen zu viel ist. Aber ohne zu zögern habt Ihr sie angenommen. Damit habt Ihr Eurem Volk gezeigt, dass Ihr mehr als würdig seid, diese Krone zu tragen.

Aus der Menge der Weisen traten drei Gestalten hervor. Zwei Frauen und ein Mann. Sie trugen drei Kronen. Eine größere und zwei kleine. Alle glänzten silberfarben und sahen kunstvoll gefertigt aus. Feinstes Kunsthandwerk war an ihnen angewendet worden. Jede hatte neun Spitzen in denen Edelsteine funkelten. Die drei Weisen stellten sich vor ihnen auf. Johanna ging in die Knie - mit erhobenem Haupt.

Katja tat es ihr nach und Ricarda merkte, wie sie die gleiche Haltung einnehmen musste. Die Weisen setzten ihnen die Kronen auf und steckten ihnen königliche Siegelringe an ihre Finger. Johanna erhob sich. Ricarda und Katja stellten sich neben Johanna. Das Volk unter ihnen jubelte und rief immer wieder ihre Namen. Ricarda kam sich wie in einem Traum vor. Sie schaute zum Brunnen. Tom hatte sich erhoben und schaute traurig zu ihnen hinüber. Er nickte nur kurz und dann drehte er sich um und ging in Richtung des Schlosses.

Als ob sie Ricardas Gedanken lesen konnte sprach Johanna sie an.

„Mama, Kel-Nor ist ein Wanderer, ein Freier. Er gehört nicht zu unserem Volk. Er gehört zu einer Gruppe von Menschen, die durch alle Länder ohne Grenzen ziehen.

Sie dienen niemandem und normalerweise mischen sich eigentlich auch nicht in Streitigkeiten unter den Menschen ein. Aber dieser Krieg und dieser jetzige Feind ist so mächtig, dass selbst sie davon betroffen sind.

Du, ich bin froh, dass sie an unsere Sache glauben, denn es sind nicht nur sehr weise Männer, sondern auch sehr mächtige Krieger. Kel-Nor lebt schon seit ewiger Zeit. Und ich denke, dass er auch sehr persönliche Gründe hat, ewig leben zu wollen. Ich glaube sogar, dass ich diesen persönlichen Grund sehr gut kenne.

Sie lächelte ihrer Mutter zu.

Ricarda war in Gedanken versunken. Johanna wirkte so erwachsen, so reif. Wo war das 18 jährige Mädchen mit ihren Selbstzweifeln, ihren übersprühendem Temperament, ihren kleinen Ungeschicklichkeiten?

Und - was war nur aus ihr selbst geworden?

Vor noch nicht einmal einer Stunde wollten sie zu viert einkaufen gehen. Sie wollten neue Kleider für Johanna und Katja kaufen. Sogar Tom, ansonsten ein wahrer Einkaufsmuffel, wollte mitkommen. Sie hatte sich so darauf gefreut, vor allem, weil sie mit ihm irgendwie über die Zukunft sprechen wollte.

Über eine Zukunft als Familie zu viert. Und nun? Nun war sie in einer fernen Welt, inmitten von Menschen, die sie nicht kannte und ihre Tochter, die angeblich nicht ihre war, ist eine Prinzessin. Sie spielte diese Rolle, als ob sie nie etwas anderes getan hätte. Und Tom?

Ja, Tom war so etwas wie ein Waldläufer, der einsam durch eben diese Welt zog, also jemand, der sich bestimmt nicht an jemanden binden würde. Vor allem wohl nicht an jemanden, der in einem Schloss lebte. Vor allem aber wohl auch nicht, weil in dieser Welt ein Krieg herrschte.

Ricarda blickte zu ihrer jüngsten Tochter.

Katja stand neben Johanna und redete mit den blau gekleideten Männern und Frauen. Ihre kleine Katja, ihr Sonnenschein. Katja, die eigentlich nur so in den Tag hinein lebte, die sich nie Gedanken darum machte, was kommt und was passieren wird, wirkte auf sie so ruhig und überlegt, so dass Ricarda den Verdacht schöpfte, dass auch sie nicht ihre Tochter sei. Aber diesen Gedanken verdrängte sie sofort wieder.

Und Tom? Er war ihr in der letzten Zeit so nahe gewesen, dass sie schon gar nicht mehr darüber nachgedacht hatte, wie es vor ihm war. Er war zu einer schönen Selbstverständlichkeit in ihrem Leben geworden. Ja, selbst Johanna hatte ihn vergöttert, ihre Johanna, die ständig an ihren früheren Freunden etwas auszusetzen hatte.

Und leider ja auch immer Recht hatte. Katja war Tom schon fast verfallen, so, als wäre er ihr leiblicher Vater. Ricarda musste lächeln. Die beiden hatten ein sehr intensives Verhältnis zueinander, vor allem, wenn sie Unsinn machten, was Tom mit Vorliebe tat, wenn er und Katja zusammen waren.

Ihn brauchte Ricarda jetzt, denn sie merkte, dass sie kurz davor war ihren Verstand zu verlieren.

„Es ist alles etwas viel auf einmal, nicht wahr? Komm lass uns etwas spazieren gehen. Die Ruhe wird dir gut tun.

Toms Stimme riss Ricarda aus ihren nicht enden wollenden Gedanken.

„Ich denke, ich bin dir wohl Einiges an Erklärungen schuldig.

Er schaute sie schuldbewusst an. Als sie seinen Blick sah, musste sie ihm innerlich zustimmen und sagte:

„Schau mich nicht immer so an. Du weißt genau, dass ich dann immer weich werde. Eigentlich hatte ich beschlossen noch eine Weile sauer auf dich zu sein. Aber irgendwie habe ich da wohl keine Zeit für. Ja, lass uns ein wenig gehen.

Sie hakte sich bei Tom unter und er ging mit ihr am Brunnen vorbei in Richtung Schloss.

Jetzt erst sah sie, dass das Schloss ziemlich weit entfernt war. Der Park dorthin war wunderschön. Gepflegte Wege wurden umsäumt von halbhohen Bäumen und das Ganze wurde unterbrochen von wunderschön angelegten Beeten. An den Schnittpunkten der Wege waren Brunnen mit Bänken, so dass man immer wieder die Möglichkeit hatte sich auszuruhen, wenn einem danach war.

Ricarda war überwältigt.

„Du musst dich in unserer Welt ja sehr nach diesem Platz gesehnt haben. So etwas Schönes habe ich ja nur ansatzweise in Versailles gesehen. Aber dies hier ist ja um einiges größer und schöner.

Tom lächelte.

„Ich bin heute auch zum ersten Mal hier. Wenn du etwas länger hier bist, wirst du sehen, dass man uns und mir im Besonderen misstraut. Wir sind den Menschen hier unheimlich. Zwar sind die Menschen hier freie Bürger. So etwas wie bei euch damals - die Lehensverhältnisse - gibt es hier nicht, aber mich kann niemand hier einordnen.

Vor allem, weil ich kaum im Reich bin. Wir haben keine Grenzen und auch keine Herren. Wir dienen nur uns selbst. Du hast bestimmt schon gehört, dass mir ewiges Leben nachgesagt wird?

Er musste lachen.

Ricarda schaute ihn an.

„Aber, wenn ihr niemandem dient, warum bist du denn hier? Und, wer ist denn „Wir“?

„Wir? Nun, wir sind nur noch wenige. Man nennt uns hier die Wanderer oder auch die Freien. Das ist nicht unbedingt ein Lob, sondern eher etwas, vor dem sehr viele Angst haben.

Kel-Nors Stimme klang ein wenig bitter.

„Aber daran haben wir uns schon gewöhnt. Wir lieben es unabhängig zu sein, so wie wir es schon immer waren. Wir haben keinen Führer oder einen König. Wir sind eher wie Brüder und Schwestern im Geiste. Warum wir hier sind? Nun, dieser Krieg betrifft auch uns.

Wir haben uns auch schon früher in die Geschichten dieses Landes eingeschaltet. Nur hat es nie jemand mitbekommen. Lediglich ein paar wenige wussten davon. Wir sind zwar frei, aber, wenn Malos diesen Krieg für sich entscheidet, dann dürfte auch unsere Zeit zu Ende sein.

„Du hilfst Johanna also nur deshalb, weil du Angst um deine Zukunft hast?

Ricarda schaute Kel-Nor verwundert an.

„Ich gebe zu, es war der Grund, warum ich in eure Welt gekommen bin. Für meine Freunde kann ich da nicht sprechen. Aber jetzt würde ich mein Leben für euch geben.

Ob Krieg oder nicht. Ich weiß, worüber du mit mir beim Einkaufen sprechen wolltest. Ricarda, glaube mir, ich hätte ja gesagt. Auch, wenn es nur zwei Jahre gewesen wären, die wir als Familie gehabt hätten, sie wären die schönsten gewesen.

Was meinst du wie ich die Zeit mit euch genossen habe. Mit Johanna, meiner kleinen Katja und mit dir. Ich möchte sie um nichts mehr missen.

Ricarda schaute Kel-Nor mit großen Augen an.

„Ja, und was ist denn mit jetzt? Warum willst du denn jetzt nicht mehr? Du kennst unsere Gefühle dir gegenüber. Warum bleibst du denn nicht bei uns? Zwei Jahre, du was wäre dann? Wären wir dann abgeschrieben? Meinst du, du wärst da so einfach herausgekommen?

Kel-Nor musste lachen.

„Nein, so wie ich euch drei kenne, bestimmt nicht. Aber ihr seid von königlichem Blut. Ihr habt auf euer Volk zu achten und es zu respektieren. Ich werde immer für euch da sein, aber euer Volk würde einen wie mich nie in eurer Mitte akzeptieren. Dafür hat es zu viel Angst vor uns.

„Aber ihr kämpft für Johanna und damit auch für das Volk. Das können die doch nicht übersehen. Tom, ich möchte dich nicht wieder verlieren. Ich denke, dass ich da auch für meine beiden Mädchen spreche.

In diesem Moment hörten Ricarda und Tom ein lautes Gejohle. Ein riesenhafter Mann mit rotem Haar und einen rotem Vollbart stürmte auf sie zu. Ricarda erschrak und klammerte sich fest an Kel-Nor. Doch der lachte nur laut, zog sie hinter sich hervor und drehte sie zu dem anstürmenden Mann hin.

„Meine Liebe, mit dem da lässt du mich nicht alleine.

Dabei lachte er wieder.

„Darf ich dir vorstellen, das, was da kommt, schimpft sich Einar. Er ist ebenfalls ein Wanderer. Ein wenig verrückt, aber ein herzensguter Mensch, wenn er jemanden mag. Vor allem ist er eine treue Seele, wenn er erst einmal jemanden in sein Herz geschlossen hat. Oder sollte ich besser sagen, in seinen Magen?

Kel-Nor war schon recht groß, aber Einar war noch fast einen Kopf größer als er. Er verbeugte sich vor Ricarda.

„Herzlich willkommen, wunderschöne Dame. Wie ich sehe müssen sie die Frau sein, die es geschafft hat aus unserem Brummbären einen Menschen zu formen.

Dann nahm er seinen Freund in den Arm und sie schlugen sich auf die Schultern. Sie wandten sich wieder Ricarda zu und Einar sah sie mit fragendem Blick an.

„Man hat viel von Ihnen gehört, meine Dame, aber ich muss sagen, keiner dieser Berichte ist dem gerecht geworden, was ich nun vor mir sehe.

Ricarda merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Sie hörte Kel-Nor laut lachen.

„Diesen Kerl Ricarda, darfst du nicht allzu ernst nehmen. Auch wenn er diesmal mehr als Recht hat. Gebt euch die Hand. Ricarda, Einar ist einer der wenigen, der mir nahe steht. Wir Wanderer sind auch untereinander nicht verbunden, aber mit diesem Stück Mensch habe ich einen Teil meines Leben verbracht. Wir sind irgendwie wie Brüder.

Ricarda gab Einar die Hand. Er nahm sie vorsichtig und drückte sie ebenso behutsam zur Begrüßung.

„Nun kann ich verstehen, warum sich Kel so wohl fühlte auf Terra. Nun werde mal nicht verlegen, Kleiner. Was hat er von Ihnen geschwärmt. So wie ich es sehe, gibt es wohl bald einen Wanderer weniger.

Ricarda errötete wieder.

„Nun Einar, ich denke, dass es unmöglich ist, weil ihr hier so etwas wie Außenseiter seid. So toll bin ich nun auch wieder nicht. Zumindest im Moment fühle ich mich irgendwie ganz schön benommen und durcheinander. Aber, nenne mich Ricarda. Ich kann mit der Dame im Moment echt nicht viel anfangen. Ich mache mir zu viele Gedanken um meine Kinder. Was den ehemaligen Wanderer angeht, der möchte es wohl auch noch gerne länger bleiben.

Kel-Nor sah gequält auf Ricarda.

Im selben Moment taten ihr die Worte auch schon wieder Leid.

„Ach was.

Einar lachte fröhlich.

„Nach diesem Krieg wird nichts mehr sein wie vorher. Ich habe so das Gefühl, dass auch wir Wanderer nicht mehr so sein werden wie vorher. Es ist vieles im Umbruch.

Kel hat mir sehr viel von der Prinzessin erzählt. So wie er sein Leben für sie geben würde, so kann sie auch über meines verfügen. Über die Leben der anderen auch.

Kel ich habe bereits die königlichen Truppen inspiziert, wie du gesagt hast. Was ich da sah, macht mir echt Angst. Ich denke, dass du Recht hattest. Wir sollten versuchen auch in den dunklen Ländern Männer zu finden, denn diese Truppen hier sind für einen richtigen Kampf nicht geeignet.

Ich habe Linal dazu bekommen, sie zu trainieren und zu drillen. Aber ich weiß nicht, ob es ausreicht, um aus dieser Trachtengruppe richtige Krieger zu machen. Daher sollten wir so bald wie möglich aufbrechen.

Je länger Einar sprach, desto ernster wurde sein Ton. Kel-Nor schaute ihn an.

„Entschuldige Ricarda, dass unser Spaziergang so schnell unterbrochen wurde, aber die Zeit scheint wirklich zu drängen. Wir müssen zu Johanna. Sie wird leider schneller in ihre Rolle gedrängt, als mir lieb ist.

Nun schaute er zu Einar.

„Einar mein Freund. Ich werde Whin mit in die dunklen Länder nehmen. Ich möchte, dass du hier am Hofe verbleibst und die Prinzessin und ihre Familie beschützt. Dein Leben für Ihres.

„Mein Leben für Ihres. Das verspreche ich. Kel du kannst dich auf mich verlassen. Wer der Prinzessin oder ihrer Familie etwas antun will, der muss erst einmal an mir vorbei.

Einar grinste breit. Kel-Nor wandte sich zu Ricarda.

„Nun ist mir wohler. Einar würde ich bedenkenlos mein Leben anvertrauen.

In einiger Entfernung fuhr eine Kutsche in Richtung Schloss. Einar pfiff laut und die Kutsche stoppte ihre Fahrt. Es waren Johanna und Katja, die auf dem Weg ins Schloss waren. Nun änderte die Kutsche ihre Richtung und kam auf sie zu. Auf dem Kutschbock saß ein Mann, der bei dem Anblick von Kel-Nor anfing zu grinsen.

„Na, Du alter Schwerenöter. Wie ich sehen konnte, scheinst Du dich ja mächtig ins Zeug gelegt zu haben.

Tom schaute den Mann und dann Einar an.

„Sag mal, gab es eigentlich nichts Wichtigeres zu tun als sich Gedanken über mich zu machen?

Und dabei musste er laut loslachen.

In diesem Moment öffnete sich die Tür der Kutsche und Johanna und Katja schossen aus ihr hervor. Sie nahmen ihre Mutter in die Mitte und schauten auf Kel-Nor.

„Prinzessin, ich sollte nicht nur auf Euch aufpassen, sondern auch prüfen, ob Ihr es wert seid, den Thron von Jar zu betreten. Ich hatte damals nicht viele Erwartungen, aber Sie haben mehr, als nötig wäre. Ihr seid nicht nur die Prinzessin von Jar, Ihr seid Jar.

Kel-Nor hatte sie bei seiner Rede an den Schultern gefasst und ihr tief in die Augen geschaut. Sie blickte Kel-Nor mit aller Liebe an, die sie hatte. Nun bemerkte sie auf einmal, was hinter Kel-Nor los war. Ihr Kutscher und der große rothaarige Hüne, der mit Tom und ihrer Mutter gekommen war, knieten am Boden und hatten ihre mächtigen Schwerter vor sich aufgestellt. Auf einmal kniete Kel-Nor ebenfalls. Auch er zog sein Schwert und stelle es vor sich auf.

„Prinzessin, wir werden Euch nicht Königin nennen, aber wir werden Euch unser Leben geben. Wir, die Wanderer, werden alles tun, um Euch zu dienen. Unsere Schwerter und unser Leben sollen Euch gehören.

Nach diesen Worten küssten alle drei Männer die Knäufe ihrer Schwerter. Ricarda und Katja sahen mit großen Augen auf sie und ganz besonders auf Kel-Nor. Dann blickten alle auf Johanna. Diese stand mit freudigem Gesicht vor diesen und hob auf einmal die Hand und bat sie wieder aufzustehen.

„Nein, ich will nicht Eure Königin sein.

Sie schaute zu Kel-Nor.

„Dir, mein Lieber, will ich eine gute und dich liebende Freundin sein. Und Euch will ich eine gute Freundin sein. Mein Schloss und mein Reich sollen auch das Eure sein.

Die Männer erhoben sich und steckten ihre Schwerter wieder ein. Kel-Nor ging zu Johanna und nahm sie fest in den Arm. Einar stand mit merkwürdigem Gesicht da.

„Ich wollte mein Leben für Euch geben, weil Kel mein Bruder ist. Aber nun werde ich es tun, weil Ihr es mehr als wert seid.

Er verbeugte sich tief vor Johanna. Diese küsste Einar liebevoll auf die Stirn.

„Sei mir mein Bruder, wie Du es für Kel-Nor warst. Und Du, Whin von den Nordländern, auch Du sei mir mein Bruder.

Der Mann verbeugte sich tief vor Johanna und auch ihn küsste sie auf die Stirn.

„Mein Schwert und mein Leben sollen Dein sein, Schwester.

Johanna strahlte.

„Dieser Tag ist ein wahrer Segen für mich und mein Reich. Ich habe die Wanderer nicht als Verbündete - ich habe sie als Freunde. Nein, mehr noch - als Brüder. Dieser Tag wird in die Geschichte von Jar eingehen.

Sie sah zu Katja, die etwas abseits stand. Sie schaute etwas wehmütig.

„Was hast du, Katja? Du siehst aus, als ob dir etwas über die Leber gelaufen ist. Freust du dich denn nicht?

Nun sah sie, wie Kel-Nor Katja zu sich winkte. Sie stellte sich neben ihn und er nahm liebevoll ihre Hand.

„Prinzessin, ich muss sofort los. Ich muss in die dunklen Länder. Dort gibt es Männer und Frauen, die bereit sind für Euch zu kämpfen. Auch, wenn Euer Volk sie als Barbaren und Wilde bezeichnen, so haben sie eine hohe Kultur und vor allem sind sie ein Volk, das durch die ständige Bedrohung durch Malos kämpfen kann.

Ich denke, es könnte mir gelingen sie als Verbündete zu gewinnen. Ich muss gehen, aber ich lasse Euch Einar als persönliche Wache hier. Er wird Euch beschützen wie kein anderer. Ich werde mit Whin reisen. Und die kleine Dame neben mir weiß, dass auch sie mit muss.

Ricarda und Johanna schauten erst verdutzt zu Kel-Nor und dann auf Katja. Ricarda wirkte erregt als sie sprach.

„Was hat Katja damit zu tun. Sie ist doch erst elf. Du kannst doch kein kleines Mädchen mit auf eine so gefährliche und lange Reise nehmen? Nein, dafür werde ich nie meine Zustimmung geben.

Kel-Nor wollte etwas sagen, aber Katja trat vor, nahm die Hand ihrer Mutter und sah sie sehr ernst an.

„Mama, hier geht es nicht um mich oder darum, wie alt ich bin. Hier geht es um Hanna. Es wird so sein, dass Kel-Nor jemanden aus der Familie braucht, der für Johanna spricht.

Dich braucht Hanna hier, denn sie braucht eine Vertraute, die immer für sie da ist. Ich dagegen kann mit Kel-Nor und Whin in den dunklen Ländern etwas für sie tun. Hier nütze ich zurzeit niemanden.

Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen, denn Kel-Nor würde es nie zulassen, dass mir etwas passiert. Ich denke, dass auch Whin nie zulassen würde, dass ich Angst zu haben bräuchte.

Katja küsste die Hände ihrer Mutter, die wie perplex auf ihre jüngste Tochter starrte. Aus dem kleinen und ungestümen Mädchen klangen Worte, die so vernünftig und so fest klangen, dass ihr angst und bange wurde.

Sie schaute zu Kel-Nor und Whin. Diese beiden nickten und Ricarda wusste, dass sie ihre Kleine in gute Hände geben würde. Johanna trat vor und nahm Katja in ihre Arme.

„Katja, das kann ich nie von dir verlangen. Ich glaube, Kel und Whin schaffen es auch alleine in den dunklen Ländern Verbündete zu finden. Nein, ich möchte nicht, dass du dich in so eine Gefahr begibst. Kel und Whin leben mit der Gefahr, aber ich habe Angst um dich. Du bist meine Schwester. Ich könnte die ganze Zeit an nichts anderes denken.

Johanna sah Katja verzweifelt an. Doch die schüttelte nur mit dem Kopf und gab Johanna einen dicken Kuss.

„Schnickschnack. Hanna, ich liebe dich aber was sollte ich hier machen? Auch, wenn Kel und Whin es schaffen würden, so würden sie viel Zeit verlieren. Zeit, die wir eventuell nicht haben werden. Nein, ich werde mit ihnen gehen, denn ich habe das Gefühl, dass es genau das ist, was ich tun muss.

Sie schaute zu den Wanderern und diese nickten voller Bewunderung den Kopf.

„Also, Kleiner, das ist eine wundervolle Familie. Die Kleine ist der absolute Wahnsinn. Ein richtiger kleiner Dickkopf mit einem großen Herzen.

Einar lächelte mild und schaute zu Katja. Diese funkelte ihn an.

„Ja - und zwar ein richtiger Dickkopf, wie Du noch oft bemerken wirst, Du großer Bär.

Katja boxte ihm sanft in die Seite. Einar musste laut lachen.

Einar wandte sich an Johanna und Ricarda und sagte:

„Diese Kleine ist in den besten Händen, die ihr Euch vorstellen könnt. Wenn ich könnte, würde ich alleine schon wegen ihr mit reiten. Sie ist eine wahre Wanderin.

Bei diesen Worten zuckten Ricarda und Tom unwillkürlich zusammen. Beide sahen zunächst sich verdutzt an und dann Katja. Diese stand stolz da. Sie empfand Einars Worte als eine große Ehre. Nun trat Whin vor.

„Sei gegrüßt, Schwester. Komme nun mit mir, Du sollst Dein Pferd bekommen. Bedenke, dass nicht Du Dein Pferd aussuchst, sondern das Pferd wird Dich aussuchen. Ihr werdet ein Bund für Euer Leben eingehen, so wie wir auch. Also, komm und folge mir.

Katja sah zu Kel-Nor und Ricarda. Diese nickten mit schwerem Herzen und Kel-Nor lächelte, als er sie ansah.

„Nun, anscheinend haben die Wanderer eine neue Schwester bekommen. Und, wahrlich, es ist eine sehr Würdige. Gehe mit Whin, Kleines. Wir sehen uns nachher.

Katja ging zu Johanna und nahm sie fest in den Arm. Sie murmelten etwas und dann gaben sie sich einen Abschiedskuss. Als Katja sich von Ricarda verabschiedete, schossen ihr Tränen in die Augen. Dennoch zeigte sie sich tapfer und gab ihrer Tochter einen langen Kuss auf die Stirn. Diese drehte sich nun zu Einar um.

„Und Du, Großer, wirst Dich um meine Familie kümmern, ansonsten bekommst Du es mit mir zu tun.

Diese eher frech klingenden Worte meinte sie nicht so. Sie lächelte Einar verschmitzt an, der sich auf Katjas Spiel einließ und erschrocken tat.

„Da werde ich ja wohl in Angst leben müssen.

Katja und auch Einar mussten laut lachen.

Katja wandte sich Whin zu und beide gingen in Richtung des Schlosses. Kel-Nor schaute den beiden nach. Ein Gefühl von Stolz durchströmte ihn. An Ricarda gerichtet sagte er:

„Zwei wundervolle Töchter hast du. Beide sind wunderschön und stolz. Ganz wie ihre Mutter.

Er winkte den Wachen zu, die in einiger Entfernung standen. Sie kamen herüber.

„Bringt die Prinzessin und ihre Mutter ins Schloss. Seht zu, dass es ihnen an nichts mangelt. Dieser Riese hier wird für ihren persönlichen Schutz zuständig sein. Also hört auf das, was er sagt, ansonsten wird er ganz böse.

Nein, im Ernst, er hat freien Zugang zu allen Teilen des Schlosses. Ihr, Hauptmann Bender, seid mir dafür verantwortlich, dass es alle Männer erfahren. Außerdem wird er, mit der Wanderin, weiterhin die Ausbildung Eurer Männer mit übernehmen. Ich befürchte, es steht uns ein großer Krieg bevor. Und ich möchte, dass Eure Männer nicht blind in etwas hineingeraten und unnötig ihr Leben verlieren.

Der Hauptmann der Wache sah Kel ernst an.

„Ich werde mich persönlich und sofort darum kümmern. Meine Männer würden mit Freuden ihr Leben für die Prinzessin lassen.

Tom musste lächeln.

„Euer Eifer in Ehren, aber jedes Leben ist kostbar. Daher sollte auch jedes, so gut wie es geht, geschützt werden. Der Prinzessin nützt es nichts, wenn sie kein Volk mehr hat. Also seht zu, dass Eure Männer mitmachen. Es wird hart werden, aber es wird Euer Leben verlängern.

Kel wandte sich an Einar.

„Großer, es wird kein Zwist zwischen uns geben. Ich werde wiederkommen, aber es wird nichts mehr so sein wie vorher. Das kann ich sehen. Also, verliere keine Zeit und versuche das Beste aus den Männern zu machen.

Johanna und Ricarda waren bereits in die Kutsche gestiegen. Kel-Nor trat zu ihnen.

„Ich werde nun gehen. Ich weiß Euch in den besten Händen, die ich mir vorstellen kann. Ricarda, Deine Tochter braucht Dich nun wie noch nie zuvor. Stehe ihr bei, wie Du es immer getan hast. Sie braucht eine starke Mutter, denn sie wird einige schwere Entscheidungen treffen müssen. Aber, das muss sein. Leider kann ich nicht bei Euch bleiben.

Einar wird Euch zur Seite stehen. Und Ihr, Prinzessin, Ihr solltet schön auf Eure Mutter hören. Ebenso auf Einar. Ihr habt noch nicht alles, was nötig ist, aber er wird es Euch lehren.

Ricarda saß mit feuchten Augen in der Kutsche und sah Kel-Nor traurig an.

„Ricarda, wir werden uns wieder sehen. Ich weiß nicht wann es sein wird, doch ich werde wiederkommen. Mit Katja. Sie wird sicher sein. Auch, wenn diese Menschen hier Angst vor den dunklen Ländern haben, wir Wanderer sind auch dort zu Hause. Man kennt und respektiert uns dort. Sogar noch eher, als hier. Also, mache Dir um sie keine Sorgen.

Ricarda nahm seinen Kopf in ihre Hände.

„Ich mache mir keine Sorgen um Katja, denn sie ist bei dir in den besten Händen. Ich mache mir Sorgen um dich. Aber damit werde ich wohl immer leben müssen.

Sie gab ihm einen Kuss und Einar stieg in die Kutsche. Kel-Nor löste sich von Ricardas Umarmung und gab dem Kutscher ein Zeichen.

Die Kutsche setzte sich in Bewegung und Kel-Nor winkte den Dreien nach. Eine seltsame Leere erfasste ihn. Er sah sich um. Die Menschenmenge unten im Park war dabei sich zu zerstreuen. Überall bildeten sich zwar kleine Gruppen um über das, was passierte, zu reden, aber der Großteil ging wieder zu seiner Arbeit oder nach Hause.

Die Kutsche entfernte sich. Er war alleine. Etwas, was er sein ganzes Leben gewesen war und was er immer wollte. Doch diesmal war es anders. Er empfand das Gefühl aufspringen zu müssen und der Kutsche nachzurennen. Gedankenverloren sah er ihr hinterher.

Auf einmal hörte Kel hinter sich Hufe auf das Pflaster schlagen. Er schaute auf und drehte sich um. Whin und Katja kamen auf ihren Pferden angeritten.

Daneben lief noch ein weiteres Pferd. Fenta. Ein stolzes und großes Pferd. Kels Partner und Reitgefährte. Niemals würde er es als Reittier bezeichnen. Es wieherte laut auf, als er Kel sah, doch Kel staunte nicht schlecht, denn Katja saß auf einem riesigen schwarzen Rappen.

Er überragte Fenta und Sinah, Whins Reitgefährtin um einiges. Es war Heral, ein wahrer König der Pferde.

Die Wanderer schlossen ein Bündnis mit ihren Reitgefährten. Sie nahmen sich die Pferde nicht einfach, sondern beide suchten sich gegenseitig aus. Und Heral hatte noch nie jemanden akzeptiert.

Aber nun trug er ein elfjähriges Mädchen auf dem Rücken. Kel hatte schon immer gespürt, dass Katja etwas Besonderes an sich hatte, aber anscheinend konnte selbst er nicht sehen, was es ist.

Fenta erreichte ihn als erste. Ein freudiges Wiehern erfüllte die Luft. Er schob seine Nüstern unter Kels Arme und Kel streichelte ihm den Hals. Kurz darauf folgten Whin und Katja. Katjas Stolz war nicht zu übersehen.

„Whin sagte mir, dass Heral etwas ganz Besonderes ist. Er kam sofort zu mir, als wir auf die Weide gingen.

Sie beugte sich vor und fing an mit Heral zu schmusen. Das Pferd wieherte und genoss die Liebkosungen. Kel-Nor lächelte und strich ihr über das Haar. Dabei schaute er zu Whin. Doch der schüttelte ungläubig den Kopf.

„Es ist verrückt, aber, als wir auf die Wiese kamen, schoss Heral direkt auf uns zu. Ich versuchte Katja hinter meinen Rücken zu ziehen, aber sie wollte es nicht und hat sich vor mich gestellt. Ich habe gedacht, Heral wollte sie zertrampeln, aber, was macht dieser Kerl? Er stoppte vor ihr. Dann hat er sie von oben bis unten begutachtet und ging auf einmal auf die Knie, damit sie auf seinen Rücken steigen konnte.

Kel, diese Kleine ist etwas Besonderes. Eigentlich können wir Dinge erahnen, die andere nicht sehen. Ich spüre auch etwas, aber irgendwie habe ich das Gefühl vor einer Wand zu stehen. Sie ist von der Erde, sie hat keinerlei Bezug zu Jar. Und trotzdem spüre ich, dass sie zu uns gehört.

Kel und Whin schauten sich an, dann blickten sie auf Katja, die mittlerweile wieder auf Heral saß und ihm den Hals streichelte.

„Sieh Dir das an. Dieser Kerl ist ganz verrückt nach ihr. Wenn ich mir vorstelle, was der immer für ein Getümmel machte, wenn wir ihm uns nur näherten. Verdammt, wie kann das sein?

Kel schien nach innen zu blicken. Jedenfalls hatte Whin den Eindruck.

„Was ist? Hast Du etwas gefunden, was das Ganze erklärt?

Kel schüttelte den Kopf. Nein, das, was er dachte, war einfach zu unwahrscheinlich.

„Nein. Aber ich denke, sie wird einmal eine richtig wilde Wanderin. Schau sie Dir nur an.

Ein warmes Gefühl durchströmte Kel, als er Katja betrachtete. Auch Whin lächelte.

„Was ist denn mit Euch? Was schaut Ihr mich so an? Da kann man ja richtig Angst bekommen...

Kel ging zu Heral und nahm Katja von seinem Rücken. Seltsamerweise schien er nichts dagegen zu haben. Er stupste sogar sanft unter Kels Armen. Der tätschelte ihm sanft den Hals und Heral schnaubte zufrieden. Dann drehte er sich zu Katja herum, sah sie an und sagte zu Whin:

„Nun, eine Wanderin sieht aber ganz anders aus. Als erstes braucht sie passende und zweckmäßigere Kleidung. Und Waffen braucht sie auch. Ich denke, sie ist eine gute Bogenschützin. Was meinst Du?

Whin nickte.

„Ja, das denke ich auch. Kleidung sollte sie nur vom Besten bekommen. Und die bekommt sie nur von Bogar, dem Schneider von Jarson. Das liegt auf unserem Weg und er kann ihr etwas Ansprechendes anfertigen. Aber einen Bogen für sie, da muss ich wirklich überlegen.

Kel-Nor schaute auf Katja und maß ihre Größe mit den Augen.

„Nun, sie braucht einen leichten Halbbogen. Nicht zu schwer und vor allem nicht zu straff gespannt. Das sollte erst im Laufe der Zeit geschehen. Die Pfeile sollten keinen Meter sein. Ich denke 80 Zentimeter mit gehärteter Metallspitze. So etwas wird Bogar auf Lager haben.

Als Stichwaffe tut es wohl erst einmal ein gutes Kurzschwert. Das bekommt sie aber erst, wenn wir wieder zurück sind. Sie soll es sich selber schmieden. Aber zuerst sollten wir uns in Jarson ausrüsten. Wir brauchen Proviant und Medizin. Mal sehen, wie du durchhältst, Kleines? In spätestens fünf oder sechs Tagen sollten wir die Außengrenzen erreicht haben. Lasst uns reiten.

Er nahm Katja und hob sie hoch. Heral kam zu ihm und er setzte sie auf seinen Rücken. Der Rappe schnaubte erfreut. Kel musste lächeln, dann schwang er sich auf Fenta und Whin bestieg Sinah. Sie gaben sich ein Zeichen und dann ritten sie in Richtung Jarson.

1 3. Das Leben als Monarchin

Derweil erreichte die Kutsche den Innenhof des Schlosses. Ricarda war von den Ausmaßen und der unbeschreiblichen Vielfalt beeindruckt. Alleine der Innenhof maß bestimmt 200 Meter in der Breite. Drumherum waren kleinere Gebäude angeordnet. Dem Tor zum Schloss gegenüber befand sich das Haupthaus.

Ricarda schätzte seine Höhe auf bestimmt 40 Meter. Alleine die Eingangstüren waren gewaltig. Sie waren bestimmt 8 Meter breit und 12 Meter hoch. Nach oben hin liefen sie rund zu und sie waren von mächtigen Balken durchzogen. Die vorderen Fenster deuteten darauf hin, dass hinter der Tür eine große Halle liegen musste. Über der Tür war ein Rundgang. Ein Balkon, der anscheinend um das ganze Gebäude lief, war mit Fahnen geschmückt. Überall verzierten Figuren und Ornamente das Bauwerk.

Ricarda war sprachlos dem Detailreichtum gegenüber, der ihr entgegen schlug. Auch Johanna war nur am staunen. Sie hatte einiges erwartet, aber das hatte sie nicht vermutet. Die Kutsche hielt an und ein Diener öffnete die Tür.

An der Seite der Kutsche standen Soldaten. 20 nebeneinander und in 7 Reihen hintereinander. Sie hielten ihre Schwerter über ihrer Brust gekreuzt und salutierten, als Johanna und Ricarda ausstiegen.

Einar trat zum Hauptmann der Truppe und redete ein paar Worte mit ihm. Dieser nickte mit dem Kopf und dann schrie er Befehle über den Hof, die Ricarda nicht verstand. Einar half Ricarda beim Aussteigen und geleitete sie ins Hauptgebäude. Dort warteten schon die Dienerschaft und auch die Weisen von Jar. Es waren bestimmt 200 Bedienstete, die in der Eingangshalle nebeneinander standen und gespannt schauten. Einer der Weisen löste sich aus der Gruppe und trat zu ihnen vor.

„Wenn es der Mutter genehm ist, würden wir gerne mit der Kunde beginnen.

Ricarda schaute Johanna und Einar fragend an. Einar, Toms besten Freund.

Irgendwie fühlte sie sich bei ihm sicher, als er an ihrer Seite war.

„Nun, die Kunde ist nichts, was Euch gefährlich werden könnte, Ricarda. Sie werden Euch in Trance versetzen und Euch das Wissen der Sprache und das der Geschichte geben. Hier geht das Lernen etwas schneller als bei Euch.

Er sah trotzdem noch Unsicherheit in ihren Augen. Einar musste lächeln.

„Soll ich Euch begleiten?

Ricarda nickte. Es war beruhigend, dass er dabei sein würde. Johanna schaute ihn an und zog eine Augenbraue hoch. Das tat sie immer, wenn sie etwas merkwürdig fand. Aber sie wurde abgelenkt, weil der Schlossmeister zu ihr trat und ihr zu verstehen gab, dass sie sich zunächst um die Dienerschaft kümmern müsse. Aufgaben, die für Johanna äußerst neu sind.

Der Schlossmeister stellte ihr das Personal vor. Mit Namen und mit Aufgaben. Aber sie hörte nur halbherzig zu, denn ihre Gedanken waren zu sehr bei Kel und ihrer Schwester.

Zuerst wurde ihr vom Schlossmeister ihr persönliches Personal vorgestellt. Es waren drei Zofen, die nur für ihr Nachtgemach zuständig waren und drei, die sich ausschließlich um ihre persönlichen Belange kümmerten.

Zwei waren für ihre allmorgendliche Toilette und wiederum zwei für ihr abendliches Bad zuständig. Johanna war erstaunt. Wenn sie bedachte, dass sie sich vor noch nicht einmal zwei Stunden in Bremen vor dem Spiegel befunden und sich für die Dusche vorbereitet hatte. Hier brauchte sie sich nicht einmal selbst zu waschen. Sie erschauerte bei den Gedanken. Wollte sie die Abhängigkeit wirklich?

Sie musste sich innerlich schütteln. Nein, soweit will sie es gar nicht erst kommen lassen. Sie winkte dem Schlossmeister zu.

„Euer Name ist Willehad? Gut, Willehad, ich brauche nicht so viel Dienerschaft. Wir erwarten harte Zeiten und auch die Prinzessin muss sich daran halten. Es kann nicht sein, dass sich das Volk auf einen Krieg vorbereitet und ihre Prinzessin lebt in Saus und Braus. Ich möchte bis morgen einen genauen Plan der Häuser haben und ihren Verwendungszweck.

Wir sollten schon jetzt damit beginnen auch hier im Schloss alles dafür vorzubereiten, um Verwundete und Sterbende aufnehmen zu können. Dann können wir überlegen, wie viele der Dienerschaft dafür abgezogen werden müssen.

Dennoch möchte ich gerne meine persönliche Dienerschaft in meinen Vorgemächern sehen, damit ich mir meine persönliche Zofe wählen kann. Und in einer Stunde, wenn meine Mutter wieder da ist, möchte ich, dass das Essen in meinen Gemächern aufgetischt wird. Veranlasst das Nötige dafür, Willehad.

Sie legte ihm ihre Hand auf die Schulter und nickte mit dem Kopf. Man konnte deutlich sehen, wie sehr ihm die Anerkennung der Prinzessin gefiel. Beflissen ordnete er die Diener und wies sie in ihre Arbeiten ein. Johanna ging zur Haupttreppe, um ihre Gemächer aufzusuchen.

Einar begleitete Ricarda derweil in die Zimmer des Rates. Als sie dort ankamen, wurde Ricarda in einen roten Raum geleitet. Einar verabschiedete sich, da er noch die Truppen inspizieren und einweisen wollte.

Ricarda wurde gebeten auf einem braunen, großen Stuhl Platz zu nehmen. Er sah bequem aus und vermittelte ihr ein Gefühl der Behaglichkeit. Als sie saß, fingen die anwesenden Ratsmitglieder an etwas zu murmeln. Sie merkte, wie sie schwindelig wurde. Immer mehr fiel es ihr schwer sich zu konzentrieren. Auf einmal schreckte sie hoch. Sie war wieder hellwach. Der Schlossmeister und zwei Zofen standen vor ihr.

„Geht es Ihnen gut, Majestät?

Ricarda schaute sich um. Wo waren die Ratsmitglieder? Sie waren doch eben noch hier.

„Wie lange bin ich denn schon hier?

Der Schlossmeister schaute sie an.

„Fast eine Stunde, Majestät. Wenn Ihr mich jetzt verstehen könnt, dann hatte der Rat Erfolg gehabt.

„Anscheinend, denn ich verstehe Euch gut. Aber mir kommt es so vor, als wäre ich gerade erst hierher gekommen.

„Nun, das ist immer so. Die Trance wirkt recht schnell. Man merkt überhaupt nicht, dass sie angewendet wird. Eure Tochter, die Prinzessin, möchte Euch in ihren Gemächern sehen. Eure beiden Zofen werden Euch geleiten.

Es sind Mara und Jina. Ich selbst habe die beiden ausgebildet. Sie sind exzellente Zofen mit den besten Manieren und sehr verschwiegen. Ich hoffe, sie sind zu Eurer Zufriedenheit.

Ricarda schaute ihre beiden Zofen an. Welch ein Irrsinn. Bisher war sie immer auf sich alleine gestellt. Erst, seitdem sie Tom, oder Kel-Nor, wie er ja hieß, kennen lernte, wurde ihr ab und zu die Arbeit abgenommen. Es machte ihm Spaß ihr alles zu erleichtern. Sie gab gerne zu, dass sie es sehr genossen hatte. Er zwang sie ja richtig dazu sich einfach mal hinzusetzen und ihn machen zu lassen.

„Du hast zwei Kinder aufgezogen und bist immer noch dabei. Du hast einen wunderbar geführten Haushalt und das sollte auch mal gewürdigt und belohnt werden.

Sogar Johanna und Katja bezog er mit in die Arbeit ein und Ricarda wurde dann von vorne bis hinten bedient. Sie hatte es unwahrscheinlich genossen. Vor allem, weil sie wusste, dass es von Herzen kam.

Aber Zofen? Das war keine Liebe, das war einfach nur bequem. Aber an den Blicken der beiden Zofen konnte sie erkennen, dass sie begierig auf Befehle von ihr warteten. Nun gut, dann wollen wir mal, dachte Ricarda.

„Bringt mich zu meiner Tochter, der Prinzessin.

Sie wunderte sich, wie leicht ihr diese Worte über die Lippen kamen. Jina half ihr aus dem Sessel aufzustehen. Dann gingen beide vor ihr hinweg und Ricarda folgte ihnen.

Sie kamen wieder in den großen Saal und sie steuerten auf eine riesige Treppe zu. Ricarda schaute in der Halle nach oben. Sie war bestimmt 15 Meter hoch und unter der Decke waren wunderbare Gemälde, die wohl Teile und wichtige Geschehnisse aus der Geschichte Jars zeigten.

Der Maler musste ein wahres Genie gewesen sein, denn die Fresken wirkten so lebendig. Sie kamen bei der Treppe an und die beiden Zofen gingen vor ihr die Treppe hoch. Oben angekommen bogen sie schräg nach links ab und steuerten auf eine große Tür zu. Sie kamen in einen langen Gang, wo auf der linken Seite Türen abgingen und auf der Rechten war eine weite Fensterfront, so dass der Gang sehr hell wirkte. Vor der ersten Tür blieben sie stehen und verbeugten sich vor Ricarda.

„Dieses, Eure Majestät, sind die königlichen Gemächer.

Die beiden Zofen verbeugten sich und öffneten für Ricarda die Tür. Sowie Ricarda das Zimmer betrat, traf sie der Schlag. So einen Luxus hatte sie noch nie gesehen. Das Zimmer hatte eine sehr hohe Decke und die Wände waren mit Bildern und Wandteppichen behangen. An der Decke konnte man edle Fresken sehen und Stuck, der fein gearbeitet war. Selbst die Möbel waren verziert bis in das kleinste Detail.

Sie versuchte den Blick loszureißen, denn sie hörte jemanden singen. Sie musste lächeln. Diese Stimme kannte sie nur zu gut. So sang nur Johanna. Es erfreute sie, dass es Johanna so gut ging. Obwohl sie auch wusste, dass es bald wohl anders werden würde.

Sie trat ins Nebenzimmer. Johanna saß in einer riesigen Wanne aus Holz und ließ sich von einer Zofe ihre Haare waschen. Wenn es eine Eitelkeit gab, die Johanna hatte, dann waren es ihre Haare. Katja war da ganz anders. Sie war schon immer mehr Junge gewesen als Mädchen. Ungleich wilder und risikobereiter. Sie dachte nie so viel über die Dinge nach, wie es Johanna schon seit ihrer Kindheit getan hatte.

Ach, Katja. Ricarda musste schlucken. Es fiel ihr immer noch schwer, dass Katja nicht hier war. Sie war nun mit Tom, oder Kel-Nor, - sie würde sich nie an diesen Namen gewöhnen -, unterwegs. Wie es ihr wohl ging? Tom würde nie zulassen, dass ihr etwas passieren würde.

Dass sie bei ihm sicher war, das wusste sie, aber eine Mutter war doch immer das Beste für ein Kind. Sie wusste aber auch, dass Katja es selbst war, die eben diese Reise antreten wollte. Und irgendwie fühlte sie, dass es richtig war.

„Worüber grübelst du nach? Denkst du auch gerade an die Kleine? Ich vermisse sie auch schon.

Johannas Stimme riss Ricarda aus ihren Gedanken. Sie war aus der Wanne gestiegen und ließ sich nun ein großes Tuch um ihren Körper wickeln.

„Ich weiß nicht wie es dir geht, Mama, aber ich habe Hunger. Lass uns etwas essen.

Loussana, gehe bitte in die Küche und gebe dort Bescheid, dass wir jetzt zu Essen wünschen. Und bitte, richte dem Rat und dem Hauptmann der Wache aus, dass ich sie heute noch sehen möchte. Es gibt noch vieles zu besprechen und festzulegen. Dann komme bitte wieder zu mir.

Johanna betrachtete die Zofen ihrer Mutter und sagte:

„Ihr beide könnt Euch nun zurückziehen. Ich möchte mit meiner Mutter alleine sein. Ihr seid meiner Mutter zugeteilt, daher werdet Ihr nicht in andere Dinge eingebunden. Lasst es dem Schlossmeister wissen. Geht in die Küche und lasst Euch etwas zum Essen servieren, wenn Ihr hungrig seid.

Jina und Mara verbeugten sich und schauten Johanna dankbar an. Sie hatten vor Aufregung schon seit Stunden nichts mehr gegessen. Sie waren in voller Aufregung darüber, dass sie in den königlichen Gemächern dienen durften.

Beide hatten zwar eine strenge und lange Ausbildung durchlaufen, aber, dass sie es soweit schaffen würden war nicht voraus zu sehen. Die Prinzessin und ihre Mutter machten einen sehr freundlichen Eindruck. Vor allem die Prinzessin, die noch so jung war. Sie war fast vier Jahre jünger als Jina und über 10 Jahre jünger als Mara, aber sie erschien ihnen ebenso weise wie eine erfahrene Dame. Sie zogen die Tür hinter sich zu, als sie auf den Flur traten.

„So, nun sind wir auch einmal wieder ganz für uns.

Johanna ging zu ihrer Mutter und ließ sich von dieser in den Arm nehmen.

„Ich habe etwas Angst, Mama. Ich habe Angst, dass es zu viel für mich werden könnte. Ich weiß plötzlich so viel. Ich habe auf einmal so viel Wissen und das macht mir Angst. Lass mich bitte nicht alleine. Ich brauche dich, sonst schaffe ich es nicht.

Ricarda gab ihrer Tochter einen Kuss auf ihre Haare und streichelte den Kopf.

„Ich bin ja bei dir. Und das bleibe ich auch. Seit dieser Kunde schwirrt mir der Kopf. Jar hier, Jar da. Ich muss auch erst einmal alles sortieren.

Sie musste lächeln.

„Aber wenigstens verstehe ich nun, was alle reden und ich brauche nicht mehr so dümmlich zu grinsen.

Beide lachten.

Johanna löste sich und stieg in die bereitgelegten Kleider.

Es wurde an der Tür geklopft. Johanna bat den Störenfried herein. Es war Willehad. In seinem Gefolge waren drei Diener, die einen Wagen fuhren, der voll war mit allerlei Köstlichkeiten. Er verbeugte sich vor Johanna und Ricarda.

„Majestät. Sie wünschen zu speisen? Ich habe Ihnen eine Auswahl der Küche vorfahren lassen. Ich denke, eure Majestät wünschen in Ruhe und alleine zu speisen. Haben Sie noch einen Wunsch?

Er schaute erwartungsvoll von Johanna zu Ricarda.

„Ja, Willehad. Unsere Zofen werden von allen weiteren hier im Schloss ausgenommen. Ich möchte nicht, dass sie in weitere Arbeiten eingebunden werden. Es werden schwere Zeiten kommen. Und es wird Zeiten geben, da brauche ich sie. Vielleicht könnten es einige als Schwäche auslegen, aber ich denke, das Ende wird zeigen, ob es so war. Schickt bitte Loussana zu mir.

Willehad schaute auf Johanna.

„Schwäche, Eure Majestät? Wer sich selbst kennt und weiß, wann er Hilfe benötigt, ist nicht schwach, er ist stark und vor allem weise. Euer Volk wird es auch so sehen. Wir hatten leider zu viele, die gedacht hatten, sie stünden über ihren Kräften. Nein, Majestät, Euer Volk weiß es und niemand wird Euch Schwäche unterstellen wollen.

Willehad verbeugte sich tief und zog sich zurück.

„Ich werde Eure Zofe zu Euch schicken.

Damit schloss er die Tür hinter sich. Ricarda schaute zu ihrer Tochter.

„Johanna, bist du sicher, dass du diesem allen auch wirklich gewachsen bist? Du bist erst 18 und jeder erwartet von dir hier Wunderdinge. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.

Johanna drückte ihre Mutter fest an sich.

„Nein, solange du bei mir bist werde ich es schaffen. Also bitte verlasse mich nie. Ich weiß, dass dort draußen Kel ist. Er, Katja und Whin haben die wirklich schweren Aufgaben vor sich. Den Krieg werde ich nicht führen, aber ich habe Angst vor ihm. Angst davor, was kommt. Angst davor, so viele Menschen sterben zu lassen.

Welche Entscheidungen ich auch treffen werde, es wird Menschenleben kosten. Du musst bei mir sein, da ich mich davor fürchte sonst zu versagen. Zu versagen auch in dem Sinne die richtigen Befehle zu geben. Ich habe das Gefühl, dass Katja diese Angst nicht hat.

Weißt du eigentlich, dass sie eine Wanderin ist? Was ist denn mit ihrem Vater? Was weißt du noch über ihn? Ach, das soll mir jetzt auch egal sein. Ich möchte erst einmal etwas essen.

Es klopfte an der Tür und Loussana betrat den Raum. Sie verbeugte sich tief vor den Beiden und blieb vor Johanna stehen.

„Hast Du heute eigentlich schon etwas gegessen, Loussana?

Johanna schaute sie an.

„Nein, Majestät. Ich bin noch nicht dazu gekommen.

„Das habe ich mir schon fast gedacht.

Johanna musste lächeln.

„Dann nehme bitte Platz und iss mit uns. Ich möchte dir einige Fragen zu meinen Eltern stellen.

Ricarda fühlte sich, als ob ihr jemand einen Dolchstoß versetzte. Sie wusste ja, dass Johanna nicht ihre Tochter war, aber es tat sehr weh, es so hart vorgesetzt zu bekommen. Johanna hatte es bemerkt. Sie lächelte Ricarda an, als sie ihr an den Arm fasste.

„Keine Angst, du bist meine Mutter. Auch, wenn es nicht biologisch ist. Aber ich sollte doch etwas über meine richtigen Eltern erfahren. Wer sie waren und vor allem, wie sie waren.

Das hat nichts mit dir zu tun. Auch, wenn du nicht meine wahre Mutter bist, hast du mich zu dem gemacht, was ich bin. Die anderen haben mich nur gezeugt. Ich glaube, man erwartet es auch von mir, dass ich mich damit beschäftige.

Ich möchte sehr gerne, dass du mich begleitest, wenn ich ihre Gräber besuche. Ich möchte, dass meine Mutter dabei ist.

Ricarda schaute Johanna überrascht an. Sie merkte, dass ihr diese Rede gut tat. Sie lächelte Johanna an.

„Natürlich werde ich dich begleiten, denn auch ich bin sehr daran interessiert. Schließlich möchte ich ja auch gerne wissen, wessen Kind ich so sehr liebe und aufgezogen habe. Ich spüre jetzt ebenfalls einen fürchterlichen Hunger.

Loussana, würdest Du mir bitte die Früchte und das Brot herüber reichen?

Loussana schaute Ricarda ängstlich an und tat, was ihr befohlen wurde.

„Kleines, sei nicht so schüchtern. Lass mal für eine Stunde die Majestäten weg und iss in Ruhe mit uns. Oder sehen wir so aus, als ob wir beißen würden?

Ricarda lachte laut auf, als sie diese Worte sprach. Loussana schüttelte mit dem Kopf und langte dann auch zu. Sie tat sich etwas Braten, Obst und Brot auf den Teller.

So aßen die drei gemütlich an der Tafel und redeten über die Könige vor Johanna. Loussana war eine gute Erzählerin und Johanna und Ricarda hörten ihr gespannt zu. Ab und an stellten sie Fragen, die Loussana so gut es ging beantwortete. Sie verlor so langsam ihre Scheu vor den beiden Frauen und taute langsam aber sicher auf. Sie lachte mit ihnen und ab und an scherzte sie auch mal. Es tat ihr richtig gut.

Sie merkte, dass sie die Prinzessin und ihre Mutter sehr liebte. Sie waren so ganz anders, als man es ihr lehrte. Sie waren nicht streng und fordernd. Nein, sie behandelten sie sogar wie eine der ihren. Es kam ihr eher so vor, als wäre sie unter guten Freunden. Daher genoss sie dieses Essen über alle Maßen.

Als sie mit dem Essen fertig waren, wollte Loussana aufstehen und die restlichen Speisen abräumen. Doch Johanna gab ihr zu verstehen, dass sie sitzen bleiben solle.

„Du bist nur für mich persönlich da, Loussana. Und auch, wenn Du meine persönliche Zofe bist, möchte ich nicht, dass Du mir alles aus der Hand nimmst. Ich komme mir ja schon recht eigenartig vor, dass mir hier anscheinend jeder alle Arbeit abnehmen will. Lasse ich das zu, dann werde ich nur zu faul und vergesse zu schnell, wer ich wirklich bin.

Wir werden einfach sitzen bleiben, weiter reden und das Geschirr da lassen, wo es ist. Ich denke nicht, dass es von selbst wegläuft.

Alle drei lachten vergnügt.

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