Читать книгу Eine Hochzeit und zwei Bräute - Sylvi S. - Страница 4
Teil 1
ОглавлениеNoch bevor sie das trostlos wirkende Bahnhofsgelände verlassen hatte, war Susann schon völlig entnervt. Ihr Agent hatte so gar kein Verständnis für ihre übereilte Abreise gehabt und nutzte ihr Handy nun als eine Art Sorgentelefon. Er jammerte ihr ununterbrochen die Ohren voll, dass sie ihm das nicht antun konnte, die Stadt ausgerechnet jetzt zu verlassen. Er stand kurz vor einer mittelschweren Panikattacke, weil er mehrere Shows organisiert hatte, die die Anwesenheit der Künstlerin erforderlich machten. Aber darauf konnte Susann keine Rücksicht nehmen. Sie hatte im letzten halben Jahr so viel erreicht und große Erfolge eingefahren, dass sie sich auf der sicheren Seite fühlte. Man würde sie bestimmt nicht in die Wüste schicken.
In Berlin würde man schon ohne sie klarkommen und ihre Karriere am Laufen erhalten. Ob sie die Besucher ihrer Ausstellungen nun persönlich vollschleimte oder sich würdig von ihrem Agenten vertreten ließ, kam auf dasselbe heraus: Lange würden die Wände der Galerien nicht voll bleiben.
Mittlerweile hatte Susann ohnehin das Gefühl, dass ihr Charme mehr Eindruck schindete als ihre Bilder selbst. Zumindest war das bei den männlichen Kunstliebhabern der Fall. Es war kein bemitleidenswerter Größenwahn zu behaupten, dass sie in der Kunstszene begehrt war. Manchmal war es schon zu viel des Guten, und sie hetzte von Termin zu Termin. Ja, beruflich hatte sie es geschafft, wenn vielleicht auch nicht aus den Gründen, die sie sich erhofft hatte. Leider war das Glück im Privatleben dabei auf der Strecke geblieben.
Aber noch war es nicht zu spät. Es war einfach an der Zeit, sich Lebenswichtigerem zu widmen. Auf keinen Fall würde sie die Flinte ins Korn werfen und tatenlos zusehen, wie Mark nicht nur ihr, sondern auch sein eigenes Leben ruinierte. Denn diese Angie konnte nicht die Richtige für ihn sein! Davon war Susann überzeugt. Wie sie es trotzdem geschafft hatte, Mark zur Hochzeit zu überreden, war der jungen Künstlerin völlig schleierhaft. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht! Aber sie würde der Sache auf den Grund gehen.
Wie sie ihren Liebsten aus den Klauen dieses Weibsbildes befreien sollte, wusste Susann zwar noch nicht, aber es beunruhigte sie auch nicht besonders. Sie musste sich ohnehin erst einmal ein genaues Bild sowohl vom Geschehen als auch von der Konkurrentin machen, bevor sie sich einen genialen Schlachtplan zurechtlegen konnte.
Zunächst mussten einige grundlegende Fragen beantwortet werden:
- Wie sah die Hexe in Wirklichkeit aus? (Fotos konnten ja manchmal schmeichelhaft sein und komplett an der Realität vorbeigehen.)
- War sie gut im Bett?
- Was hatte sie sonst noch für fabelhafte Eigenschaften, die Mark in ihren Bann zogen?
- Wo lagen ihre Schwachstellen?
- Und ganz wichtig: Was hielten ihre Familie und Freunde von diesem Weib? Waren sie begeistert von ihr? Fanden sie vielleicht sogar, dass sie zu Mark passte? Dann stände Susann vor ungeahnten Schwierigkeiten. Aber an so eine schreckliche Vorstellung wollte sie jetzt gar nicht denken!
Dennoch beschlich sie ein mulmiges Gefühl, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie nicht nur Mark, sondern auch ihre Verwandten und besten Freunde sträflich vernachlässigt hatte. Diese Hochzeitsankündigung war also in vielerlei Hinsicht ein Weckruf gewesen.
Die Blondine fuhr sich seufzend durchs Haar. Jetzt musste sie erst einmal ihrer Mutter und ihrem Bruder einen Besuch abstatten. Wenn sie diese Wiedervereinigung hinter sich gebracht hatte, würde sie in den Lottoladen vor ihrem Haus einmarschieren, um zu testen, wie ihre ältere Freundin Elvira auf sie zu sprechen war. Hoffentlich stand diese immer noch auf ihrer Seite und würde sie unterstützen.
*****
“Mein Gott, Mädel, ich hätte nicht gedacht, dich noch vor Weihnachten wiederzusehen.” Ihre Mutter wirkte wahrlich nicht wie eine Beruhigungspille. Im Gegenteil, sie unterstrich ihre Vermutung, dass sie ein schlechtes Gewissen haben musste.
Susann starrte verlegen zu Boden. Erst als sie die ältere Frau in den Arm nahm, konnte sie ein wenig aufatmen. Von tiefer Entspannung konnte jedoch keine Rede sein, da sie sie sofort ins Kreuzverhör nahm, nachdem sie sie wieder losgelassen hatte.
“Warum bist du jetzt wiedergekommen? Doch nicht nur, um deine alte Mutter zu sehen?”
“Doch, natürlich wollte ich dich sehen! Und alt bist du auch nicht. Du bist in der Blüte deines Lebens. Aber es ist bestimmt viel passiert. Da wir so lange nichts voneinander gehört haben, dachte ich...” Susann verstummte, als sie den vorwurfsvollen Blick vernahm. Seit wann hatte sie vergessen, dass ihre Mutter sie immer durchschaute?
“Du hast die Anzeige also gelesen? Wer hat dich darauf aufmerksam gemacht?”
“Nadine!” Rutschte ihr heraus, bevor ihr bewusst wurde, dass sie sich nun gänzlich verraten hatte. Aber gut, dann brauchte sie wenigstens nicht mehr um den heißen Brei herumzureden und konnte ihre Mutter unverhohlen aushorchen, was sie von dieser Hochzeit hielt.
“Was denkst du über Marks...Freundin?” Fragte Susann geradeheraus und handelte sich ein wissendes Schmunzeln der anderen Frau ein. Die Antwort, die sie erhielt, war allerdings alles andere als lustig.
“Ich habe sie noch nicht so häufig getroffen. Aber sie scheint nett zu sein. Und sie macht Mark offenbar glücklich.”
Mark glücklich machen? Mutti konnte das nicht wirklich ernst meinen! Und selbst, wenn sie so dachte, war es eine Frechheit, ihr das mitten ins Gesicht zu sagen! Sollten Eltern nicht immer auf ihre Kinder halten und verstehen, was für sie das Beste war?
“Du musst dich irren!” Tat Susann ihrer Empörung kund. “Mark kann nicht mit einer anderen Frau glücklich sein!”
“Das meine ich durchaus ernst. Mark scheint...ich weiß nicht...irgendwie gelöster. Als ob er mit sich ins Reine gekommen wäre. Versteh mich nicht falsch, Mädchen. Du hast ihm gut getan. Durch dich hat er gelernt zu lieben. Wir wissen ja beide, was für ein Filou und treuloser Draufgänger er früher war. Auch wenn es mit euch letztendlich nicht geklappt hat, ist er wegen dir in der Lage, eine ernsthafte Beziehung zu führen. Diese Angie scheint die Richtige für ihn zu sein. Du warst doch ohnehin zu jung und rastlos für ihn. Aber vielleicht könnt ihr Freunde bleiben.”
FREUNDE BLEIBEN??! Das schlug dem Fass den Boden aus! Sie hatte ja mit allem gerechnet, sogar dass sich die ganze Welt gegen sie verschworen hatte. Aber darauf war sie wirklich nicht gefasst gewesen. Sie war sich wenigstens ihrer Mutter sicher gewesen. Denn sie war… Nun ja, ihre Mutter halt. Es war irgendwie ihre Pflicht, auf sie zu halten! Wie konnte sie nur ernsthaft glauben, es war richtig, einen psychologischen Vortrag darüber zu halten, dass ihre Tochter und Mark nicht zusammengehörten? Wenn sie und Mark eines waren, dann mit Sicherheit nicht NUR Freunde.
Eine rein platonische Beziehung zwischen ihnen? Lächerlich! Sie würden keine fünf Minuten lang die Klamotten anbehalten können, wenn sie sich gegenüberstanden. Davon war Susann überzeugt. Auch wenn es mit der Kommunikation und der verbalen Verständigung manchmal ein wenig haderte, auf die sexuellen Funken zwischen ihnen war immer Verlass.
“Ich hoffe, du bist mir nicht böse. Ich muss noch dringend einige Leute besuchen. Aber ich bin bald wieder da, und dann können wir uns länger unterhalten. Bis dahin wird sicherlich auch Leon aus der Schule zurück sein.” Susann schob einfach ihre Koffer in eine Ecke und verabschiedete sich hastig von ihrer verdutzen Mutter. Auspacken konnte sie schließlich später noch.
Sie musste zu Elvira, SOFORT, um sich von ihr den Zuspruch zu holen, der ihr zuhause verweigert wurde.
Ihr Glückstag schien es heute nicht zu werden, auch wenn sie kräftig in einen Hundehaufen getreten war. Das Zeug war so hartnäckig klebrig, dass sie Schwierigkeiten hatte, es wieder loszuwerden. Ihre wilden Flüche hatten einige Leute spöttisch grinsen lassen, und zu allem Überfluss musste auch noch ein Vogel mit Durchfall einen riesigen Klecks auf ihrer Jacke hinterlassen.
Aufgebracht zog sie das beschmutzte Teil aus, zerknüllte es und warf es in die nächste Tonne, denn so einen “versauten” ersten Eindruck konnte sie wirklich niemanden zumuten. Dass sie nun viel zu leicht angezogen war, störte sie nicht weiter. Die wütende Hitze in ihr ließ sie die Kälte nicht mehr spüren.
Als sie den Lottoladen schließlich erreichte, war ihre Freundin Elvira nicht einmal da. Nur eine lahme Angestellte ließ die ungeduldigen Kommentare der Kunden ungerührt über sich ergehen. Schulterzuckend stellte sich Susann dennoch in die Nähe der Verkaufstheke und hielt Ausschau nach einem bekannten Gesicht. Entdecken konnte sie niemanden. Stattdessen musste sie feststellen, dass die Lottospieler über die Jahre ziemlich jung geworden waren. Das Durchschnittsalter hatte wohl gerade erst die erlaubten 18 Jahre erreicht. Offenbar glaubte man inzwischen, dass man mit dem Ausfüllen des Tippscheins schneller zu Geld kommen würde als durch Arbeit.
Gott sei Dank sah sie selbst immer noch wie ein Teenager aus, auch wenn ihre Züge bei genauerer Betrachtung ein wenig reifer geworden waren. Das, was sie oft verfluchte, begrüßte sie jetzt. Wenigstens erschien sie hier nicht wie eine Oma, die ihre Rente aufbessern wollte.
Als man sie allerdings fragte, auf welches Gymnasium sie ging, wusste sie nicht, ob sie beleidigt sein oder sich geschmeichelt fühlen sollte. War das nur ein dummer Scherz, ein verunglücktes Kompliment oder hatte sie einfach zu viel von ihrer sündhaft teuren Verjüngungscreme aufgeschmiert? Das Streben nach gutem und jugendlichem Aussehen hatte sie sich nicht etwa von anderen Frauen, sondern von Mark abgeguckt. Das Zusammensein mit ihrem älteren Liebhaber hatte Spuren hinterlassen und sie fürs Leben geprägt. Wenn das mal nicht ein weiteres Zeichen dafür war, dass sie zusammengehörten! Aber wenn sie eine gemeinsame Zukunft haben wollten, musste sie sich beeilen. Auf keinen Fall durfte sie noch mehr Zeit verplempern.
Trotz ihres entschlossenen Vorhabens musste sie die offensichtlich schwerhörige Verkäuferin dreimal ansprechen, bevor sie überhaupt auf sie reagierte. Doch als Susann sie nach Elvira fragte, war es noch nicht einmal die gleichgültige Angestellte, die ihr darauf antwortete.
“Meine Mutter ist mit ihrem neuen Mann in den Urlaub gefahren. Kann ich Ihnen helfen?”
Die Stimme kam ihr sofort bekannt vor, aber als sie sich umdrehte, starrte sie verwirrt in ein bärtiges Gesicht. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie hinter der filzigen Gesichtsbehaarung Karsten erkennen konnte.
“Susann, bist du das wirklich?” Offenbar hatte Elviras Sohn dieselben Schwierigkeiten, sein Gegenüber zu identifizieren. Dabei war Susann um keine Falte gealtert.
“Hi Karsten! Du siehst...anders aus.” Susann schluckte ihren Impuls, Karsten als Urwaldmenschen zu bezeichnen, erfolgreich hinunter. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er noch nicht einmal einen Stoppel am Kinn getragen. Und das hatte ihm entschieden besser gestanden.
“Gefällt es dir?” Der Dunkelhaarige strahlte übers ganze Gesicht. “Ich finde auch, es macht mich männlicher.”
“Ja, sehr männlich.” Wieder musste Susann sich zusammenreißen, um nicht heraus zu plauzen, dass er aussah wie der Zwillingsbruder von King-Kong. Immerhin war Elviras Sohn gleichzeitig der beste Freund von Mark, und Susann brauchte ihn an ihrer Seite, wenn sie ihren Liebsten erfolgreich zurückerobern wollte.
“Was führt dich denn hierher? Ich hätte nicht gedacht, dich je wiederzusehen.”
Karstens Worte ließen Susann innerlich zusammenzucken. Offenbar hatte man ihre Wiedervereinigung mit Mark bereits abgeschrieben. Noch dazu glaubten ihre Freunde wohl, dass sie jetzt eine feine Stadtpflanze geworden und es unter ihr schickes Niveau gerutscht war, sich in ihrem kleinen Heimatort blickenzulassen. Auf unwichtigen Smalltalk hatte sie jetzt noch weniger Lust und wagte daher gleich den Sprung ins kalte Wasser.
“Ich wollte mir Marks Verlobte anschauen und mich davon überzeugen, dass die beiden wirklich zusammenpassen. Außerdem glaub ich, dass wir noch was zu besprechen haben. Schließlich haben wir nie offiziell Schluss miteinander gemacht.”
“Oh...” Karstens Kinn klappte nach unten, und er begann, sich verlegen durch die wirre Haarmähne zu streichen. Spätestens da wusste Susann, dass sie die Antwort nicht mögen würde.
“Also weißt du, Susann. Mark war am Boden zerstört, als du nach Berlin gegangen bist. Er hat zwar versucht, den starken Mann zu spielen, aber ich als sein bester Freund konnte hinter die Fassade schauen. Es ging ihm hundeelend, weil er auch nicht daran glaubte, dass du wieder zurückkehren würdest, wenn du Erfolg hast. Immerhin hast du ihm immer zu verstehen gegeben, dass deine Karriere wichtiger als alles andere ist. Deswegen...also ich muss sagen, ich bin direkt froh, dass Mark eine Frau gefunden hat, mit der er glücklich sein kann.”
Glücklich! Da war wieder dieses Wort, das offensichtlich viel zu viele Leute mit Mark und dieser Angie in Verbindung brachten! Susann fühlte einen widerlichen Brechreiz in sich aufsteigen. Karsten war die Männerfreundschaft zu Mark immer enorm wichtig gewesen. Jede Frau, die sich dazwischendrängen und sie von Kneipentreffs abhalten wollte, war ihm ein riesiger Dorn im Auge gewesen. Doch dass sogar er jetzt seine Eifersucht abgelegt hatte und dieses Weibsbild an der Seite seines Kumpels begrüßte, setzte der verkehrten Welt die Krone auf. Ob sich die Hexe mit Gehirnwäsche auskannte? Der Drang, dieser Unbekannten den Hals einmal um die eigene Achse zu drehen, wurde immer stärker.
Susann ballte die Hände zu Fäusten. Sie musste sich stark zusammenreißen, um nicht schon bei Karsten mit der Ausübung von Gewalt anzufangen. Denn dessen abscheuliches Grinsen passte ihr überhaupt nicht.
“Du bist also der Meinung, er macht keinen Fehler, wenn er diese Angie heiratet? Es stört dich überhaupt nicht?“ Quetschte sie zwischen den Zähnen hervor, was Karstens Entzücken nur noch zu verstärken schien.
“Ach wo. Ich habe längst eingesehen, dass wir nicht ewig wie unreife Kerle durch die Bars ziehen können.” Winkte er ab. “Irgendwann muss jeder mal zur Ruhe kommen und ein normales Liebes- und Familienglück genießen. Das habe ich durch meine Simone endlich begriffen. Ich kann mich jetzt darüber freuen, dass Mark nicht mehr allein ist und eine liebende Partnerin an seiner Seite hat.”
Was für ein Schleim! Dennoch, was hätte sie nicht alles dafür gegeben, wenn sie diese Worte von Karsten schon früher gehört hätte. Und zwar mit IHR in Zusammenhang! Wieso hatte sich Marks bester Freund in ihrer Gegenwart immer wie der Störenfried vom Dienst benommen und ihr nie das Gefühl gegeben, dass er ihre Beziehung guthieß? Wenn Susann nicht so überzeugt gewesen wäre, dass sie die einzig Richtige für Mark war, wären ihr spätestens jetzt Zweifel gekommen.
Es war wirklich seltsam. Diese Angie musste eine mit unnatürlich viel Charme ausgestattete Hexe sein, da sie offensichtlich jeden so leicht um den Finger wickeln konnte. Oder hatte sie heimlich etwas in ihre Drinks getan? Hypnose oder Voodoo probiert? Das kam der Sache wohl schon näher.
Von Karsten konnte Susann jedenfalls keine Hilfe erwarten. Es war Zeit, den Lottoscheinen den Rücken zu kehren. Mit einer fadenscheinige Ausrede, weswegen sie sofort weg müsste, stürzte die junge Frau aus dem Laden.
“Hey Susann! Ich hoffe, du meldest dich noch mal bei mir. Wir haben noch so viel zu beschwatzen. Und lass Mark in Ruhe, ja? Versau ihm die Hochzeit nicht!”
Genau das hatte sie vor! Susann schnaubte wütend vor sich hin und drehte sich nicht einmal um, als ihr Karsten gute Ratschläge hinterherbrüllte. Sie musste jetzt schnurstracks zu Sarah und deren Meinung über Angie einholen. Hoffentlich war wenigstens auf Marks Schwester Verlass!