Читать книгу Rache der Zarin. Unschuldiges Blut - Tatana Fedorovna Fedorovna - Страница 6

Bergwerksschacht Ganina Jama

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Ich fühlte mich sehr matt, sonst aber schmerzlos.

Vereinzelt eaufkommende Gedanken begannen nun, sich zu drehen wie leuchtende Punkte, immer schneller und schneller, so dass sie fast einen Feuerkreis bildeten. Dieser wurde kleiner, so wie seine Schnelligkeit wuchs. Nur eine stillstehende Feuerkugel schien meinen Geist auszufüllen. Aus der schossen rot glühende Strahlen und erschufen ein farbiges Flammenspiel. Da spürte ich meine Glieder und dachte: Jetzt erwache ich! In dem Augenblick durchzuckte mich ein jäher Schmerz.

Was war mit mir los? Mein Körper war unfähig sich zu bewegen, aber mehr und mehr der unmittelbaren Umgebung wurde auf eine neue Weise vom wieder erwachenden Bewusstsein wahrgenommen. Umsonst gebot das Haupt den Gliedern, die wie untreue Vasallen nicht seiner Herrschaft gehorchen mochten. Man schnitt mir wohl gerade die Kleidung vom Leib. Anschließend trug jemand meinen entblößten Leib auf einer Bahre aus dem Haus.

Mühsam versuchte ich die Augen zu öffnen. Das war nicht möglich, aber langsam kehrten die grausigen Erinnerungen zurück. Entsetzen schnürte trocken meinen Hals zu. Was hatten diese Bestien uns angetan? War das alles ein Traum oder war ich inzwischen auf der anderen Seite des Lebens angekommen und bereits tot?

Mir war unbeschreiblich kalt, aber zum Glück zitterten meine Muskeln dank des Elixiers nicht. Mein Gehör funktionierte ungewöhnlich gut. Es war fast, als schrieen alle um mich herum. Jeder Laut wirkte durch Megafone verstärkt. Nur langsam gelang es mir, einen ersten Überblick zu gewinnen. Das Tuckern, welches ich vernahm, musste von einem Auto stammen. Befand sich mein gelähmter Körper auf einem Lastwagen?

Von einem Moment kehrte auch das Geruchsempfinden zurück. Es war intensiv und unangenehm. Ich erkannte den metallischen Geruch von noch warmen Blut, unserem Blut! Mir wurde etwas übel, der Kopf hämmerte und ich wollte mich fast übergeben. Zum Glück geschah das nicht.

„Habt ihr auch wirklich allen Schmuck abgeliefert?“, hörte ich die misstrauischen Worte eines Mannes.

„Ich traue euch kriminellem Pack nicht!“

Es war die bekannte Stimme unseres Peinigers, des Kommandanten Jakow Michailowitsch Jurowski.

Glühender Hass floss durch meine Körper und belebte diesen zusätzlich. Voller rasender Wut hatte ich das Verlangen, ihn anzuspringen, die Zähne in sein Fleisch zu bohren und ihm gleichzeitig das Herz aus dem Leib fetzen!

Doch alle Muskeln waren noch immer versteinert und zu keiner Bewegung fähig. Dies vergrößerte mein Entsetzen.

Kalte Angst bemächtigte sich meiner. Sie wandelte sich kurz darauf in noch größere sinnlose innere Raserei. Diese Handlungsunfähigkeit ließ mich durch die zugleich aufkommende Panik nur langsam einen kühleren Verstand wiedergewinnen. Nur logisches Denken und nicht blinde Wut konnte jetzt helfen.

Es gab nur folgende Möglichkeiten: Ich hatte vielleicht doch überlebt und war durch die überaus schweren Verletzungen blind und gelähmt. Dann würde ich offensichtlich ohnehin bald sterben. Aber das dürfte bei der Gründlichkeit der Mörder und der Vielzahl meiner Verletzungen unwahrscheinlich sein.

Eventuell war ich zu einem Geist geworden oder auf dem Weg ins Himmelreich. Dagegen sprach jedoch, dass ich immer noch auf menschenähnliche Art dachte, hörte und roch.

Somit erschien nur eine dritte Variante zutreffend. Mamas Elixier aus der Kapsel hatte diesen Zustand herbeigeführt. Das Mittel aus der geheimen Schatzkammer war also echt und wirkte tatsächlich so, wie sie es mir beschrieben hatte. Die Zeit hatte der Kraft des dämonischen Nektars nicht geschadet.

Meine Haut erfühlte inzwischen auch direkt die Kühle und Feuchtigkeit der Umgebung. Die Sinneswahrnehmungen kehrten offensichtlich schrittweise zurück. Alles um mich her war nass.

Ein rasender Schmerz durchtobte meinen Körper. Ich spürte jetzt auch die Wunden und plötzlich auch einen zarten ersten Schlag meines Herzens. Das restliche Blut wurde durch die Adern gepumpt. Bald schlug es noch kräftiger und stärkte meinen Lebenswillen.

In der Ferne hörte ich Schüsse und Granatexplosionen.

„Die Front rückt näher! Wann sind wir endlich beim Schacht?“, grummelte ein Begleiter, der sich mit anderen in meiner Nähe befinden musste. Ich konnte nur vermuten, dass sie neben der blutigen Fracht saßen. Der Wagen kutschierte die scheinbar leblose Fracht zum geplanten Grab.

Angst machte mir zu schaffen. Gleichzeitig erfasste mich selbst Kampfeslust. Ich zwang mich zur Beherrschung. Nur wenn ich klug vorging, konnte ich erfolgreich sein, denn das Mörderpack hielt mich für tot. Das war zugleich meine Chance.

„Die weißen Banditen schließen den Ring um Jekaterinburg“, hörte ich den verhassten Jurowski nervös sagen. Er war also mit von der Partie.

„Sie kommen jedoch zu spät, die Zarenbagage ist schon tot!“, schloss er höhnisch und stolz auf sein Mordwerk.

„Das kann für uns aber böse enden“, wandte einer der Soldaten zögerlich ein.

„Keiner wird es erfahren! Wir schmeißen alle in den Schacht und sprengen diesen, da findet sie niemand mehr! Die bleiben für immer verschwunden. Dann machen wir uns davon. Jekaterinburg muss leider vorerst aufgegeben werden. Aber wir kommen wieder.“

Das Ruckeln des Wagens übertrug sich mir immer deutlicher. Inzwischen erfasste ich die gesamte Situation immer besser. Doch noch immer waren meine Muskeln gelähmt. Würde sie noch rechtzeitig erstarken? Wie konnte ich mich so überhaupt befreien, wenn sie mich vergruben? Befürchtungen und Wut mischten sich miteinander und schufen einen Fluss aus Panik und Hass.

Wir waren anscheinend angekommen, weil das Fahrzeug hielt. Ich konnte immer noch nicht sehen.

„Schmeißt das Gesindel in die Grube!“ befahl Jurowski kurz.

„Sollen die Ratten ein Festmahl bekommen!“, höhnte Medwedew.

Jemand anders wurde von der Pritsche des Wagens genommen. Die Rotgardisten trugen die erste Leiche davon.

Mir war so unendlich kalt! Bis in das Mark wirkte die nächtliche Kälte auf meinen nackten, geschwächten Körper und lähmte mich zusätzlich.

Das Kommando holte einen weiteren Toten ab. Sollte ich nun unter einer Ladung Erde mein Ende finden? Trotz meines eigenwilligen Zustandes empfand ich Furcht und wollte keinesfalls lebendig begraben werden.

Konnte das alles, was ich gerade erlebte, nicht doch ein Traum oder das Delirium des Todes sein?

„Macht schnell!“, hetzte Jakow Michailowitsch Jurowski seine Männer.

„Die Schüsse kommen immer näher. Die Front scheint gerade ganz aufzubrechen!“

Jetzt war ich an der Reihe. Sie achteten durch die Eile nicht auf mich. Das war gut. Den Gestank des Schweißes meiner Peiniger, den Geruch des billigen Tabaks und ihres warmen böswilligen Blutes werde ich nie vergessen, er prägte mich. Sogar ihre pochenden Herzen glaubte ich zu hören. Seltsam lüsterne Mordgier stieg in mir auf. Der sich wandelnde Körper verlangte offenbar nach einer ganz besonderen Nahrung. Das waren keine menschlichen Gefühle, sondern die eines neuen, mir fremden Wesens. Sie waren stärker als mein Verstand.

Ich jaulte auf, doch zum Glück entrang sich kein Ton meinem Hals. Tobend wollte ich am liebsten auf sie, doch der Körper blieb versteinert.

„Hast du das auch gefühlt?“, stieß einer der Träger ängstlich hervor.

„Was?“, flüsterte der andere.

„Irgendeine Bewegung! Und mir ist plötzlich eisig kalt. Meine Haare stehen zu Berge!“

„Das ist so mit Leichen, die zucken manchmal. Das ist wie bei geköpften Hühnern“, wiegelte der andere ab.

Ich fiel aus recht großer Höhe zu Boden und schlug flach auf. Frischer Schmerz durchzuckte mich. Ich verlor erneut das Bewusstsein. ...

Als ich erneut erwachte, hörte ich von oben Stimmen.

„Geht hier wirklich alles schief? Die Sprengladung explodiert einfach nicht! So eine Hundescheiße! Fick doch deine Mutter! Die Weißen kommen immer näher! Wir müssen zurück in die Stadt und Säure sowie Benzin holen. Das Pack muss unbedingt verbrannt werden! Keiner darf sie finden! So lautet der Befehl von ganz oben“, schimpfte Jurowski.

Ihr Plan hatte wie durch ein Wunder nicht funktioniert. Sie fuhren noch einmal fort.

Töten ist schon schwierig, das Verbergen des Verbrechens noch mehr. Es war, als hätte eine höhere Macht sich gegen sie verschworen.

Von oben hörte ich Schüsse, hier unten das Getrappel von Tieren. Es waren offenbar aufgeregte Ratten.

Nach einiger Zeit konnte ich mich etwas bewegen. Die Lähmung ließ nach. Auch die Sehkraft kehrte endlich mit neuer Stärke zurück. Zuerst konnte ich nur einen Finger, dann ein Augenlid, dann einen Zeh heben. Eine Ratte hatte sich inzwischen an meinem nackten Bein zu schaffen gemacht und biss probeweiser vorsichtig ein Stück Haut heraus.

Angewidert und zornerfüllt griff ich zu. Das erstaunte Tier hatte damit nicht gerechnet und vergaß zu fliehen.

Boshaft sah ich dem verängstigten Tier in die Augen und quetschte die Hand zusammen. Blut tropfte durch die Finger in meinen Mund. Weitere Kraft begann mich zu durchströmen. Die eisige Kälte meines Inneren erwärmte sich und ließ die Starre der Muskeln schwinden.

So lag ich eine Weile da und jagte auf diese Weise. Es war ein kleines Vergnügen und die erste Mahlzeit zugleich. Ich nahm das neue Leben dankbar an. Die Welt der Lebenden hatte mich schlecht behandelt und ausgestoßen. Jetzt würde ich den Spieß umkehren, sofern ich entkam.

Nachdem etwas Kraft zurückgekehrt war, erhob ich mich mühsam. Ein bitterer Anblick bot sich. Nackt, blutüberströmt und von Wunden zerrissen lag meine gesamte Familie wahllos auf dem Boden, weggeworfen wie Müll. Die Ratten hatten sich inzwischen aus Angst verzogen.

Eisige Tränen rannen mir aus den Augen und wahnsinniger Zorn erfüllte mein Herz. Es war mühsam, hier die Beherrschung zu bewahren. Damit es mir nicht wie dem Vampir erginge, dessen Blut mich erweckt hatte, musste aber der Verstand vor dem Zorn gehen.

Als Erstes blickte ich zu meinem Vater. Es gibt für ein großes Kind keinen unangenehmeren Anblick als vollkommen entblößte Eltern. Die Wut über diese Würdelosigkeit ließ erneut Hass auflodern, doch ich zwang ihn für den Moment hinunter. Papa war voller Blut und sein Gesicht fast unkenntlich.

Oh, armer Vater! Meine Tränen mischten sich nun mit seinem Blut. Ein schauerlicher Gewimmer meines Schmerzes erfüllte das Dunkel der Grube.

Der Schmerz zeigt mir, dass tief in meinem Herzen noch Liebe war. Ich umschloss diese nun mit Groll. Sie sollte fortan unter Verschluss und ein Geheimnis bleiben.

Genauso verabschiedete ich mich von Mama, die mir dieses zweite Leben geschenkt hatte. Wie ein Baby legte ich mich auf ihre blutigen Brüste und ließ rote Tränen aus den Augen rinnen. Auch diese Gefühle umschloss ich mit Hass.

Dann nahm ich meinen Bruder, den Zarewitsch, in die Arme, so wie ich es als älteste Schwester oft getan hatte. Was hatten die Monster unserem Baby angetan? Sein Kopf war zerschossen und auch sein zartes Antlitz kaum noch zu erahnen.

Wie wunderbar erscholl einst sein Lachen.

Tatjana erschien mir fast lebendig, sodass ich immer wieder prüfte, ob sie nicht doch atmete. Sie war jedoch tot.

Keine Ratte wagte sich mehr in meine Nähe. Eine Schicht aus Mordlust und Hass umschloss nun mein Menschsein und forderte Rache.

Hätte Papa den Bolschewikenkönig Lenin und seine Helfer nur nicht ins Exil geschickt, sondern ihnen das Herz aus dem lebendigen Leib reißen lassen, wie sie es verdienten. Jetzt musste das von mir geleistet werden. Die neue Olga würde ihr Blut fordern, sie strafen, auslöschen, langsam und grausam, so wie sie es mit uns getan hatten. Hieß es nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn? Es war die einzige Sprache, die dieses Gesindel verstand. Schuld musste gesühnt und Böses vernichtet werden.

Die Schüsse waren inzwischen sehr laut. Die Kämpfe mussten in unmittelbarer Nähe erfolgen. Wie sollte ich vorgehen?

Von oben drang zaghaft Licht herein. Es wurde Tag. Würde ich die Sonne vertragen oder stimmten die Geschichten, die man sich erzählte? Wie kam ich hier heraus? Die Wände des Schachtes waren sehr steil.

An den Geräuschen von oben, erkannte ich, dass ein Fahrzeug heran rumpelte. Entsetzen und Panik fuhren in meine Glieder. Sie kamen zurück. Was war zu tun?

Inzwischen fühlte ich mich kraftvoller. Die Geschichten über diese besondere Medizin waren also wahr.

Ich flüchtete in das Dunkel eines Ganges, um einen Ausweg zu suchen. Neu war, dass mir das Dunkel keine Furcht einjagte. Die Welt des Lichts hatte sich als grausamer erwiesen.

Die hier lebenden Tiere fürchteten sich vor mir. Alle Wege endeten leider nach einigen Metern. Auf diese Weise gab es keine Flucht. Das Erdreich war in die schlecht gesicherten Stollen eingebrochen. Es waren eben russische, die schon so manchem fleißigen Bergmann das Leben gekostet hatten.

Stimmen drangen von oben zu mir. Jemand wurde herabgelassen. Leise schlich ich zurück.

„Sei vorsichtig!“, rief man ihm nach.

„Keine Sorge!“, scholl es leise zurück.

Die Stimme gehörte zu einem Rotgardisten aus dem Bataillon unserer Bewacher. Mein Herz pochte wild. Instinktiv spürten meine Sinne die Nähe des Feindes. Man wollte mich vollends vernichten und gewaltsam in die alles verschlingende tobende Flut drängen, der ich gerade entronnen war. Panische Angst entfesselte meinen Mut, mich aufzulehnen gegen die Bestie, die in geheimnisvollen Dunkel ihr Werk verrichtete.

Der grausame Feind bedrohte mich nun erneut. Die Auseinandersetzung auf Leben und Tod musste ich mit ihm wagen. Ich hatte doch gelernt zu kämpfen, war Kommandantin eines Reiterbataillons gewesen und zudem in asiatischer Kampfkunst geschult. Meine Wunden waren zwar tief, aber durch die Wirkung des Mittels konnte ich den Schmerz ertragen. Es hatte auch dafür gesorgt, dass ich nicht verblutete.

„Willkommen!“, dachte ich. Beschloss aber klug zu handeln. Ich musste listig sein und den Vorteil der Überraschung nutzen.

Die Zeit der Rache war gekommen. Jetzt sah ich den Mann. Das Seil hing von oben auf den Boden der Grube herunter. Sein schwitziger Geruch wehte herüber.

„Bind immer nur einen fest. Wir ziehen den Toten dann hoch!“ rief der verhasste Jurowski herunter.

Sie wollten die geschändeten Leichen wieder nach oben holen. Die Furcht, dass die Weißgardisten dieses Gebiet bald eroberten, da die Front nur noch wenige hundert Meter entfernt war, trieb sie an. Jetzt wollten sie ihr Verbrechen auf andere Weise vertuschen.

Der Soldat band meine kostbare Mutter mit den Füßen an das Seil. Ich kochte, rang aber um Beherrschung. Nur mit Besonnenheit konnte ich aus dem Gefängnis entweichen.

Wie ein Schlachttier wurde meine blutende Mutter mit den Beinen zuerst und herabhängenden, aufgelösten Haaren nach oben gezogen.

„Bekommt ihr die Schlampe hoch?“, schrie der Mann von unten.

Seine Herzlosigkeit würde ihn sein Leben kosten.

„Kein Problem“, riefen die Oberen.

Das Seil wurde wieder nach unten gelassen. Der Bolschewik hatte sich inzwischen eine Papyrus-Zigarette angezündet. Ich roch den billigen Tabak. Beim Anzünden musste ein Lichtschein bis zu mir gedrungen sein.

„Ist da wer?“, fragte der Soldat vorsichtig, sich wohl selbst Mut machend.

Erwartete der Narr, dass jemand antwortete?

„Was ist los?“

„Ich weiß nicht, ich hab da irgendetwas gesehen“, erwiderte der Soldat.

„Scheiß nicht in deine Hose, da sind Ratten unten!“

Der Rotgardist band nun Anastasia auf die gleiche würdelose Weise fest. Man zog sie nach oben. Nackt baumelte sie am Seil.

Nun musste gehandelt werden. Es konnte nämlich sein, dass die oberen Männer in ihrer hinterhältigen Manier beschlossen, sich des Zeugen hier unten zu entledigen. Den Bolschewiken konnte man alles zutrauen.

Schuldig war mein Feind genug. Seine herzlose Art zeigte, dass er längst abgestumpft war. Genug Blut klebte an seinen Fingern und verdunkelte die Seele.

Ich wollte sein Leben, hatte aber noch nie von Mann zu Mann gekämpft. Zudem verfügte ich noch nicht über meine ganze Kraft. So riet der menschliche Teil in mir zur Vorsicht, der andere zum sofortigen kaltblütigen Mord! Der Überraschungseffekt verschaffte mir einen gewissen Vorteil und die bessere Ausgangsposition.

Ich schlich mich auf leisen Sohlen von hinten an ihn heran, als er Tatjanas Leichnam vorbereitete. Ich durfte keinen Augenblick zögern.

Mein rechte Hand umklammerte seinen Mund und versuchte ihm dabei das Genick zu brechen. Er wand sich aber so vor Schreck, dass es nicht gelang.

Ich ließ die Hand auf seinem Mund und drückte nun noch mit meinem linken Arm zusätzlich den Hals ab. Es durfte kein Laut nach oben dringen, damit das Kommando dort keinen Verdacht schöpfte. Wir rangen wild und ich musste leider feststellen, dass meine Kraft noch geringer war, als ich es im Zorn vermutet hatte. Die Angst machte ihn stärker, zudem war er im Kampf erfahren. Wir wühlten inzwischen auf dem Boden miteinander. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken, die Zeit wurde knapp. Meine Zähne gruben sich in seinen Hals, doch die Haut und die Muskeln widerstanden dem ersten Biss. Panisches Entsetzen beflügelte den Mann. Seine Gegenwehr war groß. Er riss sich, alle seine Stärke aufbietend, kurz von mir los und wollte mich fortdrängen. Aber von Neuem packte ich ihn rücklings und zerfleischte seinen Nacken mit wütenden Bissen. Ich ließ nicht nach, biss tiefer und tiefer wie ein Bullenbeißer. Blut rann warm aus seiner Wunde.

Das Seil wurde bereits heruntergeworfen. Noch immer kämpfte er jedoch um sein jämmerliches Leben. Es ging um alles! Meinen Kopf hin und her bewegend, riss ich seine Wunde klaffend weit auf. In einer Fontäne sprudelte der Lebenssaft aus der Halsader heraus und nahm ihm alle Kraft.

Die erste Auseinandersetzung war knapp gewonnen. Das menschliche Blut schmeckte besser, als ich je geglaubt hatte. Das Getränk war bitter, doch es wärmte mich noch mehr und spendete mir große Kraft.

Um die Häscher oben nicht misstrauisch zu machen, beschmierte ich meinen nackten Körper rasch mit Schmutz und tarnte so das frische Blut. Dann band ich das Seil eilig um meine nackten Beine und ruckte an der Schnur.

Die Rotgardisten zogen die nächste vermeintliche Tote rasch hoch. Die offenen Wunden begannen zu schmerzen, doch ich unterdrückte jede Äußerung. Niemand schöpfte bis jetzt Verdacht. Die Männer schmissen mich achtlos auf die Erde und entfernten das Seil. Der brodelnde Hass in mir forderte ihr Blut ein. Ich musste mich gedulden und zuerst retten. Zum Glück kam in dem Moment eine Einheit fliehender Rotgardisten herbeigerannt und zog die Aufmerksamkeit der Männer auf sich.

„Haut schnell ab!“, schrieen sie.

„Die Weißen brechen durch die Front und sind hinter uns her!“

„Verflucht!“, schrie einer der Männer, die mich hochgezogen hatten.

„Wir müssen uns beeilen!“

Sie ließen das Seil abermals hinunter. Doch niemand nahm es.

„Was ist da unten los? Melde dich, Sergej, du Schwachkopf! Machst du mit den Toten rum?“

Keine Antwort kam zurück.

Die Männer wurden aufgeregt und schauten in die Grube, konnten jedoch nichts sehen.

„Einer muss runter und nachsehen, was dort los ist!“, befahl ihr Kommandant.

Ich nutzte diese Aufregung, da keiner zu mir schaute, um mich in die nahen Büsche wegzurollen und zu fliehen. Das Gewehrfeuer peitschte inzwischen sehr nahe und Granaten explodierten in einiger Entfernung. Schreie und Gebrüll gingen hin und her. Chaos machte sich breit.

„Sergej, was ist los?“, riefen die nervösen Rotgardisten immer wieder frustriert in den Schlund der Dunkelheit. Sie ahnten, dass etwas nicht stimmte.

„Ich glaube das einfach nicht! Geht denn heute alles schief?“ Jurowski war außer Rand und Band.

Sie ließen einen weiteren Mann zum Nachsehen hinunter. Ich kroch eilig in die Richtung der Gefechte, kam aber nicht weit. Das Gewehrfeuer war zu heftig. In einer Mulde versteckte ich meinen geschundenen Körper unter Erde und Laub. Durch das gute Gehör konnte ich noch immer das entfernte Gespräch verfolgen.

Der im Loch angekommene Mordscherge schrie entsetzt herauf.

„Jemand hat Sergej den ganzen Hals zerfetzt! Vielleicht lebt ein Bär hier unten!“

Ängstliches Schweigen breitete sich aus.

Den Männern war die Entwicklung nicht geheuer.

„Mach schnell, bind einfach eine weitere Leiche fest und pass gut auf!“, befahl sein Anführer.

Sie zogen wieder jemanden aus meiner Familie hoch.

„Wo ist die Dritte?“, hörte ich die Männer verdutzt rufen.

„Das ist Hexerei!“, rief einer. „Mir war schon die ganze Zeit komisch zumute.“

Sie machten aus Angst vor Jurowski trotzdem weiter. Neue Geschosse pfiffen durch die Luft, ebenso explodierten weitere Granaten. Die Front brach auf, immer mehr Rotgardisten flohen.

„Weg hier! Schnell, uns bleibt keine Zeit! Die anderen beiden müssen wir später holen!“

Sie zogen ihren Mann aus der Grube heraus. Eilig fuhren sie davon. Ich war für den Moment entkommen, doch längst noch nicht in Sicherheit.

Die Gefechte fanden in unmittelbarer Nähe statt. Soldaten huschten durch den Wald und das Gebüsch. Ich konnte kaum sehen, da das Morgenlicht in meine Augen stach.

Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich auf die Unsrigen traf? Was würden sie zu einer vollkommen nackten Person sagen?

Vorerst musste ich abwarten und meine Situation durchdenken. Es gab so viele Fragen.

Doch meine Rache würde ich nie vergessen.

Rache der Zarin. Unschuldiges Blut

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