Читать книгу Ich habe das Recht ein Arschloch zu sein - Taylor George Augustine - Страница 5
Mitschüler
ОглавлениеHans und ich gehen in die dritte Klasse. Eigentlich ist Hans ein prima Kerl, wenn er nur nicht immer mich ärgern würde. In der Schule sitzen wir nebeneinander, und wenn es Hans gerade packt, tobt er sich an mir aus. Einmal wird eine Seite aus meinem Heft gerissen, dann Seitenweise das Heft mit bunter Farbe verschmiert und wenn mich daraufhin der Lehrer tadelt, habe ich keine andere Wahl, als die Schimpfworte, die der Lehrer einem solchen ungezogenen Schüler entgegen schmettert, zu erdulden. Einmal schmierte er Klebstoff auf meinen Stuhl und meine Hose wurde dadurch erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Egal was geschah, Hans war der Übeltäter, und tat aber immer so, wie wenn er völlig unschuldig wäre. Die Mitschüler lachen über mich und manche fangen auch schon an, über mich herzuziehen. Was sollte ich tun? Petzen ist nicht meine Sache und als anständiger Kerl muss ich diese Sache alleine ausstehen. Eigentlich ist Hans auch nicht viel größer als ich und ich habe schon überlegt, mich in der Pause mit ihm zu schlagen und es ihm mal ordentlich zu geben. Aber ich wurde wohl zu gut erzogen, um solche Gedanken in die Tat umzusetzen. Ich fraß also meinen Groll in mich hinein. Letzte Woche hat er mir mein Pausenbrot geklaut, an allen Ecken rein gebissen und dann mein Schulbrot wieder in die Tüte gepackt. Hungrig ging ich nach Hause. Vor drei Tagen war mein Pausenbrot aus der Tüte verschwunden und statt dessen lag eine tote Kröte darin. Gestern lag etwas Katzenkot auf meinem Stuhl. Ich bemerkte es zu spät und meine helle Hose sah entsprechend aus. Und nicht nur das, auch schleppte ich eine unangenehme Duftwolke den ganzen Morgen mit mir herum. Mit gesenktem Kopf ging ich nach Hause, musste mir auch noch eine Standpauke meiner Mutter anhören, da ein Junge in meinem Alter doch sehen muss, wo er sich hinsetzt. Ich erzählte ihr nicht, dass das in der Schule passierte und ich schließlich nicht wissen konnte, dass Katzenkot auf meinem Stuhl war. Ich schlürfe die heiße Suppe hinunter, würge mehr schlecht als recht das Mittagessen in mich hinein und verziehe mich nach den Hausaufgaben auf den Speicher. Der Ort war mir in der letzten Zeit am liebsten, vor allem dann, wenn niemand meine Tränen sehen sollte, die mir aus den Augen drangen. Warum ist Hans so gemein zu mir? Im Speicher lagert alter Kram, der vergessen wurde fortzuwerfen. In der hinteren Ecke fällt mir ein kleiner Karton auf. Ich nehme ihn an mich und wischte den dicken Staub davon beiseite. Darin befinden sich alte Schulhefte meines Großvaters. Ich wusste gar nicht, dass er diese hier aufbewahrt. Oma und Opa wohnen im gleichen Haus und der Speicher wird von uns gemeinsam genutzt. Ich blättere die Hefte durch und finde neben Mathematik auch Hefte in Gemeinschaftskunde, Geschichte und Deutsch. Ein Heft trägt die Überschrift ‘Aufsätze’. Was hat Opa in seiner Schulzeit wohl so geschrieben? Der erste Aufsatz ist ziemlich langweilig. Er handelt von einem Familienausflug an einem Sonntagnachmittag. Der zweite Aufsatz ist da schon eher nach meinem Geschmack. Es geht um Erlebnisse in einem Ferienlager. Opa erweist sich als toller Geschichtenerzähler. Oder beruht die Geschichte etwa auf Tatsachen? Ich werde ihn noch heute danach fragen. Der dritte Aufsatz interessiert mich besonders. Der Titel lautet: ‘Wie hält man sich einen gemeinen Mitschüler vom Hals?’ Ich setze mich auf einen alten, staubigen Stuhl, der neben dem Fenster steht, und beginne zu lesen. Auf sieben Seiten erzählt er detailliert, wie er Bruno, seinen Erzfeind in der Schule, das Fürchten lehrte. Wort für Wort sauge ich den Aufsatz in mich hinein und schließlich wird mir klar, dass ich damit Hans in die Schranken weisen kann. Ob die Geschichte von Opa wahr ist oder erfunden, ist mir ziemlich gleich. Ich finde sie gut und bin fest entschlossen, Hans gegenüber genauso vorzugehen. Ich begebe mich in die Küche und suche nach den ‘Zutaten’. Mit einer leeren Flasche bewaffnet und mit der Sicherheit, dass meine Mutter im Einkaufen ist und ich völlig unbeschwert mich in der Küche austoben kann, gehe ich ans Werk. Zuerst fülle ich etwas Gurkensaft in die leere Flasche, dann ein Schuss Bier, Schnaps, Likör, Eigelb, Zitronensaft, Orangensaft, Apfelsaft, Olivenöl, Wein und ziemlich viel Milch. Weil, hinter der Milch waren drei Ausrufezeichen. Jetzt kommen die festen Zutaten. Mehl, Zucker, Salz und Fett. Ich glaube ich habe alles, bis auf die Fischstückchen. Ich öffne eine Dose Heringsfilet, schütte die Soße in die Flasche und stopfe den Fisch durch die Öffnung hindurch. Die Flasche ist voll, der Verschluss sitzt fest und ich schüttle das Ganze kräftig durch. Das Ganze sieht widerlich aus. Die Flasche verstecke ich hinter meinem Bett und werde sie morgen Früh, nachdem mir meine Mutter das Schulbrot eingepackt hat, in meiner Schultasche verstauen. Gedacht, getan. Am nächsten Morgen sitze ich wieder neben Hans. Ich weiß nicht warum, aber ausgerechnet heute hat er seine Schultasche zwischen uns gestellt. Ich muss daher etwas an den Rand sitzen und wahrscheinlich macht Hans das nur, um seine Macht zu demonstrieren. Während der Großen Pause schleiche ich mich ins Klassenzimmer und gönne mir einen kräftigen Schluck aus der mitgebrachten Pulle. Mit großer Mühe rinnt die nicht näher zu beschreibende Flüssigkeit durch meine Kehle. Im Trinken bin ich unschlagbar und so kippe ich fast die ganze Flasche in mich hinein, in der Hoffnung, die gleiche Wirkung zu erhalten, wie sie Opa in seinem Aufsatz beschrieben hat. Ich verstaue die Flasche wieder in meiner Schultasche und begebe mich in den Pausenhof. Noch fühle ich mich pudelwohl. Die Pause ist zu Ende und wenige Minuten später sitze ich neben Hans im Klassenzimmer. Die Lehrerin unterrichtet uns in Heimatkunde. Wir schreiben und zeichnen wie die Weltmeister in unsere Hefte. Das Gesöff beginnt zu wirken. Mir wird ganz mulmig und der Magen dreht sich gleich um. Ich schnappe nach Luft und in dem Moment, als die Lehrerin mich fragt, ob mir nicht gut ist, beuge ich mich nach links und kotze das Gesöff samt Frühstück lautstark in die offene Schultasche von Hans. Hans springt auf und bringt sich in Sicherheit. Eine zweite Ladung kommt unmittelbar hinterher, und, wie wenn die Schultasche von Hans dafür geschaffen wäre, nimmt sie diese farblich nicht definierbare Brühe in sich auf. Die besorgte Lehrerin legt mir ihre Hand auf die Stirn und stellt eine schwere Krankheit fest. Nachdem dieses Zeugs, das meine Übelkeit verursacht hatte, draußen ist, geht es mir sofort wieder besser. Peter, der neben mir wohnt, erhält den Auftrag, mich nach Hause zu begleiten. Hinter mir höre ich Hans »So ein Arschloch« rufen. Wie dem auch sei. Mein Vorhaben war geglückt. Noch am gleichen Abend ruft die Mutter von Hans meine Mutter an und rügt das Benehmen ihres ungezogenen Bengels. Hans hatte gepetzt. In den nächsten Tagen verfolgen die Mitschüler Hans mit dem Wort ‘Petze’ und spielen ihm übel mit. Ich beteilige mich nicht an diesen Aktionen, sondern hoffe, dass ich ab jetzt nicht mehr von Hans gestichelt und gedemütigt werde. Und in der Tat, schlagartig hat sich das Benehmen von Hans mir gegenüber verändert. Ich reagiere mit Gleichgültigkeit und lasse Hans links liegen.
Als ich ein Jahr später dieses Ereignis meinem Opa im Vertrauen erzählte, wunderte er sich, dass sein Rezept tatsächlich wirkt.