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2. Kapitel
ОглавлениеMit seinem Koffer in der Hand betrat Merz die kleine Pension. Alles wirkte irgendwie altbacken, dass es so etwas in dieser modernen Metropole überhaupt noch gibt, dachte er. Die Klingel stammte sicher noch aus der Vorkriegszeit. Er drückte trotzdem darauf, und sofort erschien eine Dame von etwa sechzig Jahren. „Sie wünschen bitte?“, fragte sie mit einer sehr angenehmen Stimme.
„Haben Sie ein freies Zimmer?“, fragte Merz.
„Es tut mir leid, wir sind voll belegt. Wie lange wollten sie den bleiben?“
„Etwa zehn Tage“, entgegnete Merz enttäuscht.
„Moment, vielleicht kann ich was machen. Ich muss nur jemanden anrufen.“ Sie wählte, dann sagte sie, „kann ich bitte mit Kommissar Reuter sprechen?“
Merz zuckte wieder zusammen, als er den Namen hörte. Den werde ich nicht mehr los, dachte er.
„Guten Tag, Herr Kommissar. Ich wollte Sie fragen, ob wir das Zimmer wieder vermieten können? Ich hätte einen Gast, der einige Zeit bleiben möchte. Sie haben nichts dagegen. Wie schön. Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.“
Merz war sofort klar, jetzt wusste Kommissar Reuter, wo er wohnte.
Die Dame lächelte ihn freundlich an. „Wir haben ein Zimmer, aber wir müssen es noch herrichten. Sie können in einer Stunde einziehen, wenn Ihnen das recht ist?“
„Ja“, antwortete Merz. „Ich gehe, inzwischen was trinken.“
Im Nebenhaus hatte er eine Kaffeestube gesehen. Merz bestellte sich ein Kännchen Kaffee und nutzte die Zeit, um über den Tag nachzudenken.
Er konnte ganz offiziell nach seiner eigenen Familie suchen, dachte er. So gerate ich nicht sofort in Gefahr, jemandem auf die Füße zu treten. Einen viel besseren Grund um nach Frankfurt zu kommen gibt es gar nicht. Wenn ich dabei zufällig noch etwas über Freunde von Opa erfahre, umso besser.
Die Stunde ging schnell vorbei. Merz betrat erneut die Pension, wo die nette Dame bereits auf ihn wartete.
„Die Anmeldung können Sie später ausfüllen, ich werde Ihnen zuerst das Zimmer zeigen“, erklärte sie ihm, bevor sie in den zweiten Stock stiegen.
Merz entdeckte an der Tür Reste von Klebstoff. Vermutlich war der Raum versiegelt gewesen. Es muss das Zimmer sein, dachte er.
Die Dame vom Empfang schloss die Türe auf und sah ihn fragend an.
Merz nickte. „Ich nehme es“, sagte er gleich.
Erst als sie gegangen war, sah er sich alles genau an. Das Mobiliar bestand aus einem altmodischen Bett, einem ebensolchen Waschtisch aus hellem Marmor, einem Schrank und einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen.
Wo würde ich hier etwas verstecken, überlegte er sich. Ohne eigentlich zu wollen, stieg er auf einen der Stühle, um oben auf den Schrank zu sehen.
Und wirklich, da lag ein kleines schwarzes Buch. Das Notizbuch von Fritz, er hatte es früher schon ein paar Mal gesehen. Merz drückte seinen Fund an die Brust. Manchmal bin ich richtig gut, dachte er stolz.
Sofort begann er nach der letzten Eintragung zu suchen. Fritz hatte seine Ermittlung genau dokumentiert, allerdings war es schwierig, die Handschrift zu entziffern. 31.05.1975 fiel noch leicht. Aber weiter. Wohne bei Erika, wie letztes Mal. Merz musste sich langsam in den Text einarbeiten. Bahnhofkneipe, alter Mann erinnert sich an einen Konrad und Willhelm…
Den gekritzelten Nachnamen konnte er beim besten Willen nicht entziffern. Vielleicht Hornbach oder Kornbach.
Merz dachte angestrengt nach. Fritz hatte ihm von einer alten Liebe erzählt und jetzt wohnte er „wieder“ bei Erika. Wusste die Dame vom Empfang etwas darüber. Er entschloss sich, vorsichtig bei guter Gelegenheit danach zu fragen. Zudem war Fritz in der Nacht, als er überfahren wurde, bis um drei Uhr unterwegs gewesen. Allein oder nicht? Hatte er noch etwas herausgefunden, was er nicht mehr aufschreiben konnte?
Merz entschloss sich, in einem Restaurant beim Bahnhof zum Abendessen zu gehen. Natürlich befinden sich viele Restaurants in der Nähe zum Bahnhof, aber wenn ich alle abklappere, finde ich sicher ab und zu einen Stammtisch von Bahnangestellten, dachte er sich. Im Hinausgehen füllte er noch die Anmeldung aus, und von einer Telefonzelle rief er seine Frau an. Sie fragte, wo er wohne und was er mache, aber er erzählte ihr natürlich nichts von seinen Erlebnissen, nur wo er wohnte, und dass er kein Telefon im Zimmer hatte, was ihm eigentlich ganz recht war.
Der Abend verlief nicht nach seinem Wunsch, es war schwierig, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.
Merz musste schnell einsehen, dass ihm die Erfahrung des Alten Fritz fehlte. Wie hatte er das nur gemacht?
Vielleicht musste er nur etwas trinken gehen. Wenn man sich mit jemandem unterhalten will, darf man nicht zuerst essen. Merz überlegte hin und her. Ich kann ja nicht einfach ein Foto herzeigen und fragen, ob sich jemand erinnert. Oder etwa doch?
Schließlich gab er es auf und ging zurück in die Pension. Morgen würde er mit der Suche anfangen. Er war sowieso hundemüde, und schlief auch schnell ein.
Am nächsten Morgen beim Frühstück hatte Merz eine zündende Idee. Eine Kleinanzeige in der Frankfurter Allgemeinen, die er gerade zu lesen begonnen hatte. Sofort machte er sich an den Text. „Ich suche nach meinem Großvater, Angestellter der Reichsbahn. Während der NS Zeit. Name Traugott Merz. Bei Erfolg großzügiges Honorar. Kontakt unter Chiffre… FAZ „.
Die Anzeige würde schon in der nächsten Ausgabe erscheinen, versicherte ihm der Angestellte, der ihn bediente.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, sich die Stadt anzusehen.
***
In einem Büro der noblen Frankfurter Finanzwelt, knallte Udo Dornbach seinem Vater die FAZ auf den Schreibtisch. „Hast du die Zeitung schon gelesen?“, fragte er.
„Ja, natürlich“, lautete die Antwort.
„Auch die Kleinanzeigen?“
„Kleinanzeigen“, wiederholte lachend der Vater. „Wie kommst du denn darauf?“
„Hier, lies!“
Willhelm Dornbach folgte der Aufforderung und wurde blass.
„Ich habe dir sofort gesagt, ein Schnüffler kommt niemals allein“, polterte Udo. „Du und deine alten Methoden. Ein kleiner Unfall, und das Problem ist gelöst.“
„Bis jetzt haben sich meine Methoden bestens bewährt. Außerdem verbiete ich dir, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“, antwortete Willhelm Dornbach gekränkt. „Alles was ich tue, tue ich für euch.“
„Für uns?“, wiederholte Udo. „Wenn das jemals an die Öffentlichkeit kommt, können wir uns gleich begraben lassen. Großzügiges Honorar. Da findet sich bestimmt noch jemand, der sich erinnert. Willst du die auch alle liquidieren lassen?“
„Wir müssen Ruhe bewahren“, antwortete der Vater. „Hast du schon mit deinem Bruder darüber gesprochen“?
„Nein, noch nicht.“
Dann hat es auch keine Eile. Es reicht wenn wir uns mit dem Problem befassen.“
Langsam beruhigte sich Udo.
„Wir müssen Kontakt aufnehmen“, entschied Willhelm. „Aber es will gut überlegt sein, was wir tun. Wenn dieser Enkel gut betucht ist, wird ihm auch daran liegen, sein Geld und seinen guten Namen zu behalten.
Unter Umständen sucht er ja tatsächlich nur nach seinen Wurzeln. Wir müssen jemanden schicken, der eine gute Rolle spielen kann. Und außerdem, müsste Traugott schon mindestens fünfzehn Jahre tot sein, wenn er etwa fünfundsiebzig geworden ist.
Das Letzte, das ich von ihm gehört hatte, war, dass er ausgebombt wurde. Dabei soll ihm nur ein Sohn geblieben sein. Danach ist er abgehauen und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.“
„Hoffen wir, dass du recht hast“, antwortete Udo. „Aber wen willst du schicken? Der Einzige der in Frage kommt, bist du selbst. Nur du bist alt genug, um glaubwürdig zu erscheinen, aber nicht so alt, dass er denken könnte, du hättest etwas gewusst“.
„Ja, du hast Recht. Abgesehen davon, möchte ich niemanden neu einweihen, der uns dann auch wieder erpressen kann.“
Vater Dornbach lehnte sich zurück. „Mir wird schon das Richtige einfallen. Auf mich selbst kann ich mich schließlich verlassen.“
***
Am Rand von Frankfurt, in einer Schrebergartenanlage, las auch der siebzigjährige Karl Mendel, wie jeden Tag die Kleinanzeigen in der FAZ. Traugott Merz? „ Ach, das ist sicher nur ein Zufall“, brummte er laut vor sich hin.
Andererseits, großzügiges Honorar. Na ja, dachte er sich, einen Versuch wäre es vielleicht wert.
Wenn er mich damals nicht rechtzeitig gewarnt hätte, wäre ich auch im KZ gelandet. Aber ist es wirklich dieser Traugott Merz? Mendel entschloss sich, sich zu melden.
***
Willhelm Dornbach traf sich mit Merz zwei Tage nach Erscheinen der Kleinanzeige in einem Gartenrestaurant. Er hatte sich einen schäbigen Anzug erstanden, um als pensionierter Eisenbahner auftreten zu können.
Er stellte sich als Herbert Meier vor. „Ja, ich habe einen Traugott Merz gekannt“, bestätigte er. „Allerdings war ich erst knapp zwanzig Jahre alt und gerade mit der Ausbildung fertig. Wir haben nur ganz kurze Zeit zusammen Dienst geschoben. Er war um diese Zeit etwa fünfzig, wurde dann ausgebombt, wie ich gehört habe. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen.“
Dornbach war als Begleiter der Lagertransporte vom Reichssicherheitshauptamt eingesetzt gewesen, wovon allerdings seine Kameraden nichts wussten. Für sie war er einfach ein Kollege gewesen.
„Haben Sie vielleicht noch ein Foto oder was anderes, woran man ihn erkennen könnte?“, fragte Dornbach nach.
„Leider nein“, log Merz. „Ich besitze keine Dinge aus dieser Zeit. Und er hat mir auch sonst nichts hinterlassen, das mir weiterhelfen könnte.“
Merz kramte ein Foto hervor. „Nur diese neuere Aufnahme. Hier ist er etwa siebzig Jahre alt.“
Dornbach sah sich das Bild eine Zeitlang an, schüttelte dann den Kopf. „Es wäre möglich, aber es ist zu lange her.“
„Können Sie mir noch Einzelheiten aus dieser Zeit erzählen, es interessiert mich, was für ein Mensch er war?“, fragte Merz.
„Wie schon gesagt. Ich habe ihn nur kurze Zeit gekannt. Und außerdem ist es nicht sicher, dass es sich um Ihren Großvater gehandelt hat. In dieser Zeit ist so viel passiert, da erinnert man sich nicht mehr an jedes kleine Ding“, entgegnete Dornbach.
Manchmal auch nicht an die Großen, dachte Merz. Das Bild, das er ihm gezeigt hatte, war nicht das seines Großvaters gewesen. Wenn er ihn gekannt hätte, wäre ihm das sicher aufgefallen, hatte sich Merz überlegt.
Er war entschlossen, äußerst vorsichtig zu sein, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen.
Dornbach, alias Meier, verabschiedete sich von ihm. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte.“
Merz war sich sicher, dass mit diesem Meier etwas nicht stimmte. Er hatte zwar unter dem schäbigen, alten Anzug nur die Krone seiner Uhr gesehen. Aber das reichte Merz, um eine teure Rolex zu erkennen.
Er hatte sich sein Gesicht genau eingeprägt. Eine Gabe, die ihm ermöglichte, eine Person auch nach Jahren immer noch sicher zu erkennen.
Für den Nachmittag hatte sich noch ein gewisser Mendel angemeldet. Merz war gespannt, was dieser ihm zu sagen hatte. Sie wollten sich in seiner Gartenlaube am Rand der Stadt treffen.
***
Willhelm Dornbach war inzwischen, wieder im üblichen Anzug, in seinem Büro eingetroffen. Er rief seinen Sohn Udo zu sich. „Dieser junge Merz hat keine Ahnung, da bin ich mir sicher“, erklärte er ihm. „Trotzdem habe ich Horst und Jens auf ihn angesetzt, damit sie ihn verfolgen und uns berichten können. Wenn er niemanden findet, der ihm etwas über uns erzählen kann, dann bleiben wir sicher. Ich konnte ihn nicht fragen, ob sich noch einer gemeldet hat. Aber diese zwei werden ihm überallhin folgen und dann sehen wir weiter.“
Udo verzog das Gesicht. „Deine Neonazis. Kannst du denen wirklich vertrauen?“
„Ach, die wissen nichts Genaues, aber sie wissen, woher die jährliche Spende kommt“, antwortete Willhelm Dornbach.
***
Nach dem Essen bestellte sich Merz ein Taxi und ließ sich zu Mendels Gartenlaube fahren. Er bemerkte nichts davon, dass ihnen ein Kleinwagen nachfolgte.
Jens und Horst hatten schon öfters Leute observiert, und einem Taxi zu folgen war auch nicht besonders schwer. Die zwei waren gegen Geld zu jeder Schmutzarbeit bereit, und sie hatten beide auch schon einiges auf dem Kerbholz. Ihr Auftrag lautete, nur zu beobachten und sich auf keinen Fall bemerkbar zu machen.
Nachdem Merz das Taxi verlassen hatte, schlenderten sie nur vorbei, um sich die Örtlichkeit zu merken.
Die Gartenlauben haben eigentlich keine richtigen Adressen, sind aber von allen Besitzern liebevoll angeschrieben.
Sie sahen Merz und Mendel in der Laube sitzen, so dass kein Zweifel bestand, mit wem er sich traf.
Merz und Mendel kamen sich schnell näher. Der alte Jude war sehr höflich, und freute sich aufrichtig über seinen Besuch. „Der Enkel von meinem lieben Freund Traugott. Ich kann es gar nicht glauben!“, rief er aus.
„Ohne ihn würde ich gar nicht hier sitzen. Er hat mich rechtzeitig gewarnt und mit einem Kohlenzug nach Italien verschickt. In der Schweiz bin ich dann abgesprungen und wurde von einem Bauern aufgenommen. Die ganze Kriegszeit habe ich bei ihm verbracht und gut gelebt.“
Merz fühlte Balsam auf seiner Seele. Wenigstens einen hat er gerettet, dachte er sich.
Er entschloss sich, Mendel das richtige Foto zu zeigen. Dieser musste erst seine Brille suchen, aber dann sagte er sofort: „Ja, das ist Willhelm Dornbach und der Andere ist Konrad Hammer.“
„Wissen Sie, was aus ihnen geworden ist?“, fragte Merz gespannt.
„Aber nein“, antwortete Mendel kopfschüttelnd. „Wie könnte ich? Ich bin im Sommer einundvierzig geflohen und erst siebenundvierzig zurückgekommen“.
„Schade“, stellte Merz fest.
Mendel erzählte ihm dafür noch einige andere Anekdoten und Erinnerungen, die sich immer mehr einstellten.
Es war schon dunkel, als Merz langsam aufbrechen wollte. Mendel lud ihn für den folgenden Abend ein: „Bringen Sie doch bitte eine Flasche Wein mit! Ich habe in meiner Stadtwohnung noch ein paar Fotos, die ich morgen holen kann.
Im Sommer lebe ich in meiner Laube, in der Stadt ist es zu warm. Dann können wir noch ein paar Stunden plaudern.“ Merz nahm die Einladung dankend an.
Mendel begleitete ihn bis zur nächsten Telefonzelle und umarmte ihn zum Abschied. „Ich freue mich auf morgen.“
Merz rief sich ein Taxi und ließ sich in die Pension fahren. Er war bester Laune. Dieser Mendel hatte ihm, ohne es zu wissen, mehr geholfen, als er erwartet hatte. Willhelm Dornbach und Konrad Hammer. Außerdem war Opa doch nicht so schlecht gewesen wie es ausgesehen hatte.
Jetzt muss ich nur noch die richtige Familie Dornbach finden, dachte er sich.
Wieder fiel ihm nicht auf, dass seinem Taxi derselbe Kleinwagen folgte, und in der Nähe parkte, ohne dass jemand ausstieg.
Am nächsten Morgen erstattete Horst Pohl Willhelm Dornbach seinen ersten Bericht: „Er hat einen gewissen Mendel besucht und ist fast fünf Stunden bei ihm geblieben.“
„Mendel?“, Dornbach runzelte die Stirn. „Einen Juden hat er besucht. Konntest du etwas davon hören, was sie gesprochen haben?“
„Nein, das ging nicht. In diesen Gartenlauben kann man nicht stehenbleiben, ohne aufzufallen.“
Dornbach überlegte eine Weile, und befahl dann: „Fahrt zu diesem Mendel und fragt ihn, was Merz von ihm wollte! Lasst euch was einfallen! Ihr seid Ermittler vom BKA oder so. Für die Überwachung hast du ja andere Leute.“
Horst nahm Haltung an und verabschiedete sich. „Wir erledigen das sofort. Sobald ich etwas weiß, melde ich mich.“
Zusammen mit Jens fuhr er in die Gartenlaube, wo Mendel gerade seine Rosen pflegte.
Mit schnellen Schritten traten sie bei ihm ein. „Herr Mendel, wir sind vom BKA und haben ein paar Fragen an Sie“, erklärte Horst in scharfem Ton.
„Vom BKA?“, wiederholte Mendel mit zittriger Stimme. „Glauben Sie uns etwa nicht?“, herrschte ihn Horst an und baute sich drohend vor ihm auf.
Mendel wurde blass. Diesen Ton hatte er noch gut im Ohr. Er griff sich an die Brust und fiel einfach um.
Horst begann zu fluchen. „Scheiße, was macht der denn?“ Er suchte Mendels Puls am Handgelenk. Aber da war keiner mehr zu finden.
„Komm, Jens! Wir hauen ab.“ An der Gartentüre blieb Horst noch kurz stehen und wischte die Klinke mit einem Taschentuch ab. „Wir wollen doch keine Spuren hinterlassen“, sagte er zu Jens. Dieser nickte eifrig.
Schweigend gingen sie zum Wagen und machten sich auf den Weg, zurück in die Stadt.
„Wie soll ich das, Dornbach erklären? Der Jude kratzt einfach ab, ohne etwas zu sagen“, regte sich Horst auf.
Jens fasste sich an die Nase. „Als wir gekommen sind, war er schon tot, könnten wir sagen. Dann sind wir fein raus.“
„Du hast Recht.“ Horst lehnte sich zurück. „Er ist eines natürlichen Todes gestorben, daran gibt es keinen Zweifel. Niemand kann uns eine Schuld nachweisen.“
„Sollten wir die Polizei benachrichtigen?“, fragte Jens.
„Spinnst du?“, fauchte Horst. „Mann, bist du blöd. Ohne mich wärst du schon lange wieder im Bau gelandet. Die Bullen rufen. So etwas kann nur dir einfallen.“
„Ja, ist ja gut“, antwortete Jens kleinlaut.
***
Dornbach tobte in seinem schalldichten Büro. Seine Angestellten waren das gewohnt und außerdem hatte er dafür gesorgt, dass man nichts verstehen konnte. „Was heißt, er war schon tot, als wir gekommen sind? Was habt ihr genau gemacht?“
„Nichts haben wir gemacht!“, beteuerte Horst zum wiederholten Mal. „Er liegt tot in seinem Garten. Er war ja auch schon ziemlich alt.“
„Hast du ihn angefasst? War er noch warm?“, fragte Dornbach bohrend.
„Ich habe nur seinen Puls gesucht. Richtig kalt war er jedenfalls noch nicht“, entgegnete Horst. „Keine Verletzungen, nichts Auffälliges.“
Schade, dass wir den nicht schon früher erwischt haben, dachte Dornbach. Laut sagte er: „Woher soll ich jetzt erfahren, was sie gesprochen haben?“
„Wir können ja den andern fragen“, schlug Horst vor.
„Auf keinen Fall!“, brüllte Dornbach. „Er darf auf keinen Fall merken, dass wir ihn überwachen! Wenn das passiert, dann bekommst du richtige Probleme! Merk dir das!“
„Ja, Chef!“, antwortete Horst unterwürfig. „Wir passen schon auf. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt“, schob er noch nach.
„Habe ich etwa gesagt, du kannst gehen?“ Dornbach war immer noch in Fahrt.
„Verzeihung Chef!“, stammelte Horst.
„Verschwinde jetzt, bevor ich mich vergesse.“ Dornbach schlug mit der Faust auf den Tisch.
Horst hob die Hand zum Gruß und verschwand in Dornbachs Lift, der direkt in die Garage führte. Dornbach hatte ihn extra einbauen lassen, damit sich seine diskreten Besucher ungesehen bewegen konnten.
***
Erich Merz hatte lange ausgeschlafen. Erst gegen Mittag verließ er sein Zimmer, um zum Essen zu gehen.
Er hielt daran fest, jeden Tag ein anderes Restaurant zu besuchen, um vielleicht doch noch einen Eisenbahnerstammtisch zu finden. Bisher hatte er damit noch nicht viel Erfolg gehabt, aber er war trotzdem immer noch in bester Laune.
Am Abend würde Mendel ihm noch weitere Informationen liefern. Er konnte ihn auch fragen, wo sich die alten Reichsbahnangestellten trafen. Daran hatte er bei seinem ersten Treffen nicht gedacht.
Nach dem Essen ging er noch eine Weile spazieren und kaufte einen guten Tropfen, wie Mendel ihn gebeten hatte. In seinem Zimmer begann er seine bisherigen Erkenntnisse aufzuschreiben, um alles einordnen zu können.
Außerdem wollte er nicht wieder vergessen, nach wichtigen Dingen zu fragen. Er machte sich für alle Fälle ein paar Notizen in dem kleinen Buch, das dem Alten Fritz gehört hatte. Schon oft hatte er versucht, noch etwas Weiteres zu entziffern, aber es war einfach zu schwierig.
Ich sollte mich mit einer Apothekerin anfreunden, dachte er grinsend.
Gegen fünf Uhr machte er sich auf den Weg zu Mendel. Wieder folgte ihm ein Wagen, den er erneut nicht bemerkte. In der Straße mit den Lauben angekommen, ging er die letzten Schritte zu Fuß.
Man würde nicht glauben, dass man in einer Großstadt ist, ging ihm durch den Kopf.
Jeder versuchte den andern mit Hecken und Blumen zu übertreffen. Geschnittene Figuren aus Buchsbäumen, adrette Teiche mit Karpfen und Goldfischen, zahme und wilde Vögel hörte man zwitschern und streiten. Wenn das hier vorbei ist, kaufe ich mir vielleicht auch so einen Garten, dachte Merz. Er ging auf das Gartentor von Mendels Laube zu, das sich unter einem mit Reben bepflanzten Torbogen befand.
Die einzige Stelle, wo man hineinsehen konnte. Er trat ein und suchte nach seinem Gastgeber. Von Mendel war nichts zu sehen oder zu hören.
Auch im Gartenhaus, war nichts zu entdecken. Merz schaute sich um, und ging wieder nach draußen.
Da sah er ihn liegen, neben seinen Rosen, weiß, mit aufgerissenen Augen und einem erschreckten Gesicht.
Merz ließ seine Flasche fallen und rannte zu ihm hin.
Tot, fuhr es ihm durch den Kopf, tot wie Fritz. Er kniete sich neben den leblosen Körper hin, versuchte einen Puls zu finden, obwohl er keine Ahnung hatte, wie das funktionierte. Egal, Mendel war tot, das sah er auch so.
Merz stützte den Kopf in die Hände. Schon zwei tote Freunde wegen diesem Scheissgeld, dachte er verzweifelt. Was mache ich falsch? Bin ich schuld?
Er brauchte einige Minuten, um sich zu fassen. Ich muss Kommissar Reuter anrufen, fiel ihm ein. Er suchte nach der Karte mit der Nummer.
Mechanisch stapfte er durch das Gartentor, das noch offenstand und machte sich auf den Weg zur Telefonkabine an der Kreuzung, die er schon gestern benutzt hatte.
„Polizeipräsidium Frankfurt“, meldete sich eine Stimme. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich möchte bitte mit Kommissar Reuter sprechen“, sagte Merz mit belegter Stimme.
„Ich weiß nicht, ob er noch in seinem Büro ist. Moment bitte. Wen darf ich melden?“
„Merz, Erich Merz.“
Nach kurzer Zeit meldete sich Kommissar Reuter. „Herr Merz aus der Schweiz?“
„Ja, guten Abend Herr Kommissar. Können Sie schnell kommen? Ich habe eine Leiche gefunden.“
„Eine Leiche? Wo? Hier in Frankfurt?“
„Ja, hier in den Gartenlauben an der Mainzer Landstraße. Die genaue Adresse weiß ich nicht.“
„Aber Herr Merz, warum verständigen Sie dann mich und nicht den Polizeinotruf? Na, gut, ich werde alles Nötige veranlassen, den Notarzt und eine Polizeistreife.“
Merz unterbrach, „einen Notarzt braucht er nicht mehr.“
„Doch, natürlich braucht es das, Herr Merz. Wie wollen Sie zuverlässig den Tod eines Menschen feststellen? Ich werde selbst auch kommen. Bleiben Sie bitte auf der Straße und weisen Sie die Leute ein!“
„Ja, Herr Kommissar, mache ich“, brummte Merz ergeben.
Er ging zurück zum Eingang, und bereits nach wenigen Minuten hörte er das Martinshorn eines Polizeifahrzeuges näherkommen.
Mit erhobenen Armen trat er auf die Straße, um die Beamten auf sich aufmerksam zu machen. Der Streifenwagen stoppte mit quietschenden Reifen, die Polizisten sprangen heraus und einer fragte, „haben Sie uns gerufen?“
„Ja, das war ich, kommen Sie, da liegt Herr Mendel.“
Die Polizisten untersuchten den leblosen Mendel. Griffen in seine Taschen und öffneten sein Hemd, um auch an seiner Brust zu horchen.
Der Notarztwagen war inzwischen ebenfalls eingetroffen, zwei Männer mit weißen Helmen rannten in die Laube. Durch den Lärm begannen sich auch einige andere Laubenbesitzer auf der Straße zu versammeln.
Der Notarzt schüttelte nach kurzer Untersuchung den Kopf. „Da können wir wirklich nicht mehr helfen. Der Herr ist bereits seit einigen Stunden nicht mehr am Leben. Sieht nach Herzversagen aus“, sagte er zu den Polizeibeamten.
„Soll ich den Abtransport veranlassen?“ Einer der Polizisten schüttelte den Kopf, „nein. Wir warten auf Kommissar Reuter!“
Der war inzwischen auch angekommen und wechselte auf der Straße ein paar Worte mit dem Notarzt. Merz konnte aber nicht hören, was gesprochen wurde.
Danach trat Reuter in die Laube und warf einen Blick auf den Toten, der inzwischen mit einem weißen Laken zugedeckt worden war.
Erst danach ging er auf Merz zu und reichte ihm die Hand. „Guten Abend Herr Merz! Na dann, erzählen Sie mal.“
Merz wusste nicht so recht wo er anfangen sollte, deshalb sagte er: „Das ist Herr Mendel, ein alter Freund meines Großvaters. Ich habe ihn über eine Kleinanzeige in der FAZ kennen gelernt. Wir waren für heute Abend verabredet, und als ich gekommen bin, habe ich ihn tot aufgefunden. Darauf habe ich Sie sofort angerufen.“
„Aber warum rufen Sie jemand von der Mordkommission?“, fragte der Kommissar. „Der Notarzt hat mir bestätigt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein natürlicher Tod vorliegt. Haben Sie einen konkreten Verdacht, dass jemand nachgeholfen hat.“
Merz knetete seine Hände, „wissen Sie, ich bin hier fremd. Und ich hatte gerade Ihre Karte in der Tasche. Ich habe darüber noch gar nicht nachgedacht aber, wenn man sein erschrecktes Gesicht sieht …“
„Das ist normal“, wehrte der Kommissar ab. Wenn jemand einen Herzanfall erleidet, erschreckt er sich. Und wenn er schnell stirbt, kann dieser Ausdruck auf seinem Gesicht bleiben. Daraus können Sie nicht irgendwelche Schlüsse ziehen. Aber ich frage Sie jetzt noch einmal? Haben Sie irgendeinen Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden?“
„Nein“, antwortete Merz „Doch ich muss zuerst meinen Kopf etwas in Ordnung bringen.“
„Gut. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, lassen Sie es mich wissen“, sagte der Kommissar.
Sein Assistent sah ihn fragend an: „Ermitteln wir?“
„Nicht wirklich. Aber wenn wir schon da sind, nehmen wir ein paar Fingerabdrücke von Klinken und Schubladen. Außerdem sehen Sie nach, ob etwas durchwühlt oder gewaltsam geöffnet wurde.“ Etwas leiser ergänzte er: „Nehmen Sie auch Abdrücke von dieser Weinflasche. Die hat sicher Herr Merz gebracht, dann können wir sofort vergleichen.“
Er wandte sich wieder an Merz: „Den Rest können wir den Polizeibeamten überlassen. Wenn Sie wollen, kann ich Sie zur Pension Erika bringen. Die liegt auf meinem Weg.“
Merz tat erstaunt. „Sie wissen, wo ich wohne?“
„Das ist nur Zufall“, antwortete der Kommissar. „Wollen Sie?“
„Ja gern, wenn ich kann, danke.“
Dieses Mal folgte ihnen kein Schatten. Horst und Jens hatten sich beim Eintreffen der Polizei schleunigst verzogen.
Auf der Fahrt fragte Merz den Kommissar, „was geschieht nun mit Herr Mendel? Werden sie eine Obduktion anordnen?“
„Eine Obduktion kann nur der Staatsanwalt anordnen, Herr Merz. Falls wir etwas Auffälliges finden, werde ich ihn darum bitten. Aber ich rechne nicht damit.“
„Gestern war er noch quicklebendig“, sinnierte Merz. „Und heute ist er einfach tot.“
„Nehmen sie das nicht so schwer. In seinem Alter muss man damit rechnen. Und es ist eigentlich ein schöner Tod, so in seinen Rosen einfach umzufallen. Viele müssen noch lange Krankheiten ertragen“, antwortete der Kommissar.
Merz wusste, dass er Recht hatte. Aber er wollte Mendel noch so viele Fragen stellen. Und außerdem war er noch nicht davon überzeugt, dass niemand an seinem Tod Schuld hatte.
Der Kommissar ließ den Wagen halten, sie waren bei der Pension angekommen.
„Wenn wir etwas für Sie interessantes ermitteln, melde ich mich. Ich kann Sie in der Pension erreichen?“, fragte der Kommissar.
„Ja, ich bleibe sicher noch ein paar Tage hier“, erklärte Merz. „Auf Wiedersehen, Herr Kommissar.“
Merz betrat die Pension, an der Theke stand seine Wirtin und sah ihn an. „Ist etwas passiert?“, fragte sie. „Ist Ihnen nicht gut?“
„Ein Freund ist gestorben“, antwortete Merz.
„Ach, das tut mir leid“, sagte sie. „Das habe ich auch gerade erlebt, er stammte aus der Schweiz, so wie Sie.“
Merz sah sie fragend an: „Fritz?“
„Sie haben ihn gekannt?“, staunte sie.
„Ja, er war in meinem Auftrag in Frankfurt. Er sollte etwas für mich ermitteln.“
„Er hat mir davon erzählt, aber den Namen seines Auftraggebers hat er nicht erwähnt. Deshalb konnte ich nicht wissen, dass Sie das sind. In einer Stunde kommt der Nachtportier. Wollen Sie dann vielleicht zu mir in die Wohnung kommen? Ich würde gerne mit Ihnen ein wenig über ihn plaudern. Und eventuell möchten Sie heute Abend ja auch nicht allein bleiben.“
„Ja“, antwortete Merz. „Ich komme gern.“
Eine gute Stunde später klingelte Merz an der Wohnungstür seiner Wirtin. Sie erwartete ihn bereits. „Kaffee oder Kognak?“, fragte sie.
„Wenn ich bitten darf, beides“, antwortete Merz.
Sie lächelte. „Genauso hat Fritz geantwortet. Und auch noch mit gleichem Akzent. Der arme Fritz. Jemand hat ihn hier in Frankfurt überfahren. Wahrscheinlich ein Betrunkener mit gestohlenem Auto. Niemand hat etwas gesehen. Aber ich will nicht von seinem Tod sprechen.
Wir haben uns vor etwa dreißig Jahren kennengelernt. Ich habe diese Pension schon lange. Er war bei uns abgestiegen, und wie er mir gesagt hat, war er von meiner Stimme begeistert. Da war ich natürlich auch noch etwas jünger, es war sicher nicht nur das. Ich bin jung verwitwet, mein Mann ist in Russland gefallen. Die Pension habe ich von meinen Eltern geerbt, so dass ich immer ein Auskommen hatte.
Fritz war zu dieser Zeit noch Angestellter, Detektiv ist er erst später geworden. Er war nur drei Monate hier, aber es war eine intensive Zeit. Er musste für eine Schweizer Firma etwas überwachen. Jedoch unsere ganze Freizeit haben wir zusammen verbracht.
Dann musste er wieder nach Hause. Ich konnte nicht alles aufgeben, um mit ihm zu gehen. Darum haben wir uns erst jetzt wiedergesehen, aber das Schicksal hat uns nur ein paar Tage gelassen.“ Sie tupfte sich einige Tränen ab.
„Was können sie mir über ihn erzählen, wie hat er gelebt?“
Merz strich sich über die Nase. „Ich habe ihn eigentlich nicht so gut gekannt. Außer beruflich haben wir uns nicht oft gesehen. Er war ein paarmal für mich unterwegs, um einige Fakten zusammenzutragen. Ich habe die Informationen gebraucht, um Zeitungsartikel zu schreiben.“
Merz machte eine Pause. „Darf ich fragen, ob er Ihnen etwas erzählt hat über seine Ermittlungen hier in Frankfurt?“
„Er hat mir gesagt, dass Sie ihre Familie suchen, die einmal hier gelebt hat. Er hat sich mit vielen alten Eisenbahnern unterhalten, und dabei einen Konrad Hammer gefunden.“
Merz war wie vom Donner gerührt. Sie hätte es gewusst. Warum habe ich nicht früher gefragt? „Einen Konrad Hammer?“, wiederholte er vorsichtig.
„Ja, der auf dem Foto, dass Sie ihm gegeben haben.“ „Gefunden? Wo hat er ihn gefunden?“
„Ja was denken Sie? Auf dem Friedhof natürlich. Er ist seit fünfundzwanzig Jahren tot. Das Grab wird schon bald wieder aufgehoben. Da er ja nichts mehr erzählen kann, hat Fritz nach dem anderen Mann gesucht. Aber darüber konnte er mir nicht mehr berichten. Aber ich habe Ihnen nun so viel erzählt. Ich möchte jetzt auch etwas von Ihnen hören.“
Merz erzählte, was ihm gerade so einfiel, über den Alten Fritz. Erst als er, von dessen Sohn in Kanada sprach, unterbrach sie ihn. „Er hat einen Sohn? Davon hat er mir nichts gesagt.“
Sie saugte alles auf, wie ein Schwamm, was sie über ihn hörte. Sie muss ihn geliebt haben, dachte Merz.
Nach Mitternacht kehrte er sein Zimmer zurück. Er dachte noch lange über den Tag nach, schlief erst gegen Morgen ein.
***
Am nächsten Morgen im Polizeipräsidium brachte der Assistent Kommissar Reuters, seine Ergebnisse zu ihm. „Haben wir was?“, fragte der Kommissar.
„Nicht viel. Es war nichts durchsucht oder erbrochen. Abdrücke überall, aber nur von Mendel. Einzig auf der Flasche und auf der Klinke der Gartentüre waren fremde Abdrücke. Allerdings die Gleichen. Sie dürften von ihrem Zeugen stammen.“
„Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?“
„Nein. Auf der Klinke war nur ein Abdruck vorhanden.“
„Wie? Nur ein Abdruck? Keine von Mendel?“
„Nein.“
„Seltsam?“ Der Kommissar überlegte kurz, dann fragte er, „haben Sie einen Garten?“
„Ja“, lautete die Antwort.
„Und wie oft reinigen Sie die Klinke der Gartentüre?“
Der Assistent lachte auf. „Nie.“
„Sehen Sie, ich auch nicht. Vielleicht hat der letzte Besucher die Klinke abgewischt, das wäre möglich. Es kann aber auch nur ein Zufall sein. Trotzdem werde ich eine Obduktion beantragen.“
Der Kommissar lehnte sich zurück. „Legen Sie eine provisorische Akte an, und vermerken Sie, was wir besprochen haben.“
„Soll Ihr Zeuge zum Vergleich der Abdrücke vorgeladen werden?“
„Nein, das hat noch Zeit. Wir warten auf jeden Fall das Ergebnis des Gerichtsmediziners ab. Wenn sich nichts ergibt, legen wir den Fall zu den Akten.“
Der Assistent blieb noch kurz stehen.
„Ist noch etwas?“, fragte der Kommissar nach.
„Ja, wir haben, wie Sie wissen, zwei junge Abgänger der Polizeischule bei uns in der Abteilung. Sie müssen seit zwei Monaten nur Schreibarbeiten erledigen. Es wäre besser, wenn sie einmal einen praktischen Einsatz hätten. Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, dass sie etwas tun könnten. Niemand will sie mitnehmen, weil sie keine Erfahrung haben.“
Der Kommissar kratzte sich am Kinn. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ich habe einen Einsatz für die zwei. Schicken Sie sie umgehend zu mir!“
„Mache ich!“ Der Assistent eilte davon.
Einige Minuten später betraten zwei junge Männer das Büro von Kommissar Reuter.
Sie stellten sich vor: „Ich bin Walter Hellmann.“
„Und ich Max Krüger“, sagte der andere. „Sie haben uns bestellt.“
„Wir machen jetzt eine Einsatzbesprechung“, begann der Kommissar. „Ihr müsst jemanden observieren. Habt Ihr schon eine Erfahrung.“
„Nein.“ Beide schüttelten die Köpfe.
„Na, gut. Derjenige ist nicht gefährlich, er rechnet nicht mit einer Beschattung. Trotzdem darf er nichts bemerken. Habt Ihr wenigstens etwas Theorie gehabt in der Schule?“
„Ja“, beide nickten.
„Wir fahren jetzt zum Einsatz. Ich werde mich kurz mit ihm treffen, und Ihr bleibt an ihm dran. Ihr meldet euch, wenn etwas Besonderes passiert oder sonst etwa alle acht Stunden. Alles klar?“
„Ja, Herr Kommissar!“ Sie antworteten gleichzeitig.
Reuter griff zum Telefon, wählte eine Nummer, dann fragte er, „ist Herr Merz im Haus? Ja, richten sie ihm bitte aus, dass ich kurz vorbeikomme. Danke.“
Der Kommissar legte auf. „Das ist euer Mann. Erich Merz, er wohnt in der Pension Erika. Wir treffen uns in zehn Minuten in der Fahrbereitschaft. Den Wagen müsst Ihr übrigens jeden Tag wechseln. Noch Fragen?“
Die beiden sahen sich kurz an. „Nein, Herr Kommissar“, antwortete Hellmann.
Kurz darauf fuhr Kommissar Reuter mit Hellmann und Krüger im Schlepptau zur Pension Erika.
An der Theke erwartete ihn Merz bereits. „Guten Tag, Herr Kommissar, gibt es etwas Neues?“
„Ja“, antwortete Reuter, „und außerdem habe ich noch einige Fragen. Darf ich Sie zum Kaffee einladen? Gerade um die Ecke gibt es ein Restaurant mit Garten“.
Merz nickte, „ja bitte“.
Als sie im Garten saßen, vor sich die Kaffeetassen, begann der Kommissar: „Ich möchte wissen, als Sie bei Mendel eintrafen, war die Gartentüre geschlossen oder vielleicht nur angelehnt?“
Merz runzelte die Stirn, „die Gartentüre? Hm, die war geschlossen. Aber warum ist das wichtig?“
„Moment“, sagte der Kommissar. „Von wo haben Sie mich angerufen?“
„Aus der Telefonzelle an der Kreuzung.“
„Dann sind Sie wieder nach draußen gegangen?“
„Ja, natürlich.“
„Haben Sie die Türe wieder geöffnet?“
„Herr Kommissar, das weiß ich wirklich nicht mehr. Vielleicht habe ich sie auch offen gelassen.“
Merz schüttelte den Kopf. „Ich war ganz durcheinander, aber auch sonst könnte ich mich an solche Kleinigkeiten nicht mehr erinnern. Da verlangen Sie zu viel von mir“.
Der Kommissar hob beruhigend die Hände, „so wichtig ist es auch wieder nicht. War aber immerhin eine Möglichkeit, dass sie sich erinnern. Wir haben auf der Klinke nur Fingerabdrücke gefunden, die wahrscheinlich von Ihnen stammen. Und auch nur außen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Klinke abgewischt wurde. Andererseits könnte Herr Mendel sie auch gerade gereinigt haben. Das ist aber eher unwahrscheinlich.“
Merz nickte zustimmend. „Aber was bedeutet das?“
„Es muss nichts bedeuten, aber es könnte sein, das Herr Mendel Besuch gehabt hat, der seine Spuren verwischen wollte. Das ist aber wirklich nur hypothetisch.“
Merz wurde ganz eifrig. „Herr Kommissar, das ist eine wichtige Spur, ich bin sicher, Mendel ist nicht einfach so gestorben. Es passt alles zusammen.“
„Langsam“, wehrte der Kommissar ab. „Ich möchte bei den Fakten bleiben. Ich habe eine Obduktion beantragt, um Sicherheit zu bekommen, aber wenn sich nichts Ungewöhnliches ergibt, muss ich den Fall zu den Akten legen.“
Merz machte ein enttäuschtes Gesicht, „das würden Sie tun?“
„Ich muss, es gibt eindeutige Vorschriften. Aber zuerst warten wir jetzt wirklich auf die Gerichtsmedizin.“
Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Merz, „Herr Kommissar, darf ich fragen, ob Sie mit Fritz, ich meine Herr Hauser, weitergekommen sind?“
Der Kommissar schüttelte den Kopf. „Es gibt leider nichts Neues. Der oder die Täter sind weiter flüchtig. Aber wir arbeiten auch an diesem Fall, machen Sie sich darüber keine Gedanken. Übrigens, was haben Sie für Pläne? Bleiben Sie noch in Frankfurt?“
Merz nickte, „ja, ja, ich bleibe. Ich suche weiter nach Spuren meiner Familie.“
„Viel Glück damit!“, wünschte Kommissar Reuter. Er rief nach der Bedienung, um zu zahlen.
Reuter verabschiedete sich, Merz blieb noch ein wenig sitzen. Es war ein schöner Sommertag, und sein Zimmer roch doch etwas muffig. Er ärgerte sich über sich selbst. Eigentlich nahm er sich jeden Tag vor, eine neue Strategie zu entwickeln, um nach diesem Dornbach zu suchen. Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Er überlegte sich dies und das und verwarf es dann wieder.
Die Idee mit der Anzeige war gut gewesen. Er hatte neue Informationen bekommen. Aber schon war wieder jemand tot.
Schließlich ging er ziellos in der Stadt spazieren. Dass seine Schatten inzwischen auf vier angewachsen waren, bemerkte er dabei nicht.
Am Abend wartete Kommissar Reuter noch auf den ersten Bericht von Hellmann und Krüger. Danach wollte er Feierabend machen. Er hatte sich vorgenommen, in einen Biergarten zu gehen.
Gegen sechs Uhr rief der junge Hellmann bei ihm an. „Herr Kommissar, wir sind den ganzen Nachmittag hinter unserem Objekt geblieben. Er ist viel herumspaziert, er scheint kein Ziel zu haben. Was uns aber aufgefallen ist, er wird schon von jemandem beobachtet. Es gibt keinen Zweifel, sie folgen ihm auch überall hin.“
„Wie bitte!“, der Kommissar war perplex. „Sind Sie wirklich sicher, Hellmann?“
„Ja, Herr Kommissar. Das heißt, Sie haben nichts damit zu tun? Wir haben gedacht, Sie kontrollieren uns.“
„Aber, nein“, wehrte der Kommissar ab. „So etwas würde ich nie machen. Hellmann, Sie bleiben dran. Was denken Sie, haben diese anderen zwei, schon bemerkt, dass Sie auch hinter Merz her sind?“
„Wenn sie nichts von uns wissen, glaube ich nicht“, lautete die Antwort.
„Gut. Versuchen Sie, ein Foto von den beiden zu machen, damit wir sie identifizieren können!“
„Das haben wir schon“, antwortete Hellmann etwas gekränkt.
„Sehr gut, dann kommen Sie sofort in mein Büro mit dem Bild. Ich werde inzwischen beim BKA anfragen ob eventuell eine Observation im Gange ist.“
Die Anfrage fiel negativ aus. Niemand wusste etwas, egal wo der Kommissar auch anfragte.
Beim Verfassungsschutz, in den eigenen Abteilungen, nichts. Es könnte natürlich auch streng geheim sein, dachte der Kommissar, aber so etwas war bisher in seiner ganzen Dienstzeit nicht vorgekommen.
Endlich traf Hellmann in seinem Büro ein. „Der Film ist schon im Labor, in fünfzehn Minuten bekommen Sie das Bild, Herr Kommissar“.
„Sehr gut, Hellmann“. Der Kommissar zeigte sich beeindruckt. „Sie sind tüchtig, für ihr Alter.“
„Danke Herr Kommissar. Darf ich eine kleine Kaffeepause machen?“
„Gehen Sie nur, ich zahle.“
„Das ist wirklich nicht notwendig.“ Hellmann verließ das Büro. Nach zehn Minuten kam er zurück, mit einigen Fotos in der Hand. Er gab sie dem Kommissar und dieser schaute sie genau an.
„Auf jeden Fall sind die zwei nicht von uns“, sagte er. Danach rief kurz bei einem Kollegen im Präsidium an: „Hallo, Rudi, bist du noch im Büro? Ich komme schnell zu dir. Bis gleich.“
Er wandte sich wieder an Hellmann, „warten Sie bitte einen Moment, ich bin gleich zurück“.
Reuter legte seinem Kollegen zwei Fotografien auf den Schreibtisch. „Kennst du vielleicht einen von denen?“
Kommissar Hirschfeld zeigte sofort auf ein Bild. „Das ist Horst Pohl, ein bekennender Neonazi. Hast du noch nichts von ihm gehört? Wir haben eine dicke Akte über ihn. Körperverletzung, Raub, Wiederbetätigung, die ganze Palette. Wie kommst du an das Bild?“
„Er observiert einen Zeugen von mir“, antwortete Reuter. „Das ergibt keinen Sinn. Mein Zeuge ist eigentlich nur als praktische Erfahrung für zwei ganz junge Beamte gedacht. Er ist nicht verdächtig, nur ein Schweizer Tourist, der nach Spuren seiner Familie sucht. Kannst du dir vorstellen, warum dieser Horst Pohl ihn observiert?“
Hirschfeld schüttelte den Kopf, „Horst Pohl lebt von allerlei Aufträgen, wie Geld eintreiben und so weiter. Es ist bekannt, dass man ihn auch für Schlägereien mieten kann. Der handelt sicher nicht auf eigene Faust.“
„Das heißt, irgendjemand muss sich ziemliche Sorgen machen, weil mein Zeuge in der Vergangenheit herumstöbert“, sagte Reuter.
„Wer würde einem bekannten Nazi vertrauen?“, fragte Hirschfeld.
„Ein anderer Nazi“, ergänzte Reuter.
„Danke, Rudi, darüber muss ich zuerst nachdenken, du hast mir sehr geholfen“.
„Keine Ursache“, antwortete Hirschfeld.
Reuter ging zurück in sein Büro. „Hellmann“, sagte er, „euer Auftrag ändert sich. Ihr verfolgt mir jetzt diese zwei.
Es wäre möglich, dass sie einmal unseren Mann angreifen könnten. Dann, aber nur dann, greift Ihr ein! Seid vorsichtig, wenigstens einer von ihnen ist gefährlich. Ab Mitternacht könnt Ihr eine Pause machen. Morgen in der Frühe wartet wieder bei der Pension Erika. Also los.“
Hellman verabschiedete sich und ging zielstrebig an seine Arbeit.
Kommissar Reuter sah ihm nach. Das wird ein guter Mann, dachte er. Jetzt war aber Zeit für den Biergarten, da konnte er am besten nachdenken.
***
Zu dieser Zeit saß Erich Merz in seinem Zimmer auf dem Bett und überlegte sich, ob er zum Essen gehen sollte oder nicht. Wie so oft, hatte er Mühe sich zu entscheiden. Außerdem begann ihm langsam die Decke auf den Kopf zu fallen. So froh er auch gewesen war, allem zu entkommen. Mit der Zeit, fühlte er sich allein.
Schließlich raffte er sich auf und ging nach draußen. Wieder ein schöner Sommerabend, viele Leute auf den Straßen, Merz fühlte sich sofort etwas besser. Er schlenderte zu einem Restaurant, wo er schon einmal gegessen hatte. Leider war er zu spät und kein freier Tisch mehr zu finden.
Das Restaurant befand sich am Ende einer Sackgasse, so dass er den gleichen Weg zurückgehen musste, den er gekommen war. Dabei fiel ihm ein junger Mann mit kurzgeschorenem Haar auf, der sich in einen Hauseingang drückte.
Den würde ich auch nicht rein lassen, ging ihm durch den Kopf. Beim Weitergehen beschlich ihn das Gefühl, den habe ich schon einmal gesehen. Merz bog um die Ecke, wartete einen Moment, um dann vorsichtig einen Blick zurück in die kleine Straße zu werfen. Der junge Mann hatte den Eingang verlassen und kam auf ihn zu.
Merz ging sofort weiter, um sich etwas später ein großes Schaufenster anzusehen. Vorsichtig sah er sich um. Auch der Glatzkopf war stehen geblieben, um sich ein Fenster anzusehen. Der Kerl verfolgt mich, dachte Merz.
Er drehte sich abrupt um, und ging zügig zurück. Der Glatzkopf hatte plötzlich auf der anderen Straßenseite etwas entdeckt und eilte davon. Jetzt war Merz sich sicher, er wurde verfolgt. Er suchte sich eine Telefonkabine, rief sich ein Taxi, um sich an den Stadtrand fahren zu lassen. Der Fahrer setzte ihn am Grüngürtel Frankfurts ab, wo er bald einen Tisch zum Essen fand. Langsam wurde ihm vieles klar.
Er hatte sich gesagt, niemand konnte wissen, dass er sich mit Mendel traf. Aber wenn ich verfolgt werde, dann sieht es anders aus. Er wusste doch, Mendel war nicht einfach so gestorben.
Diese Leute sind gefährlich, dachte er, besser wenn ich verschwinde. Morgen rufe ich Kommissar Reuter an. Wenn er nichts dagegen hat, fahre ich erst einmal nach Hause.
Merz war mit sich zufrieden. Er hatte sich ohne Wenn und Aber einen Plan ausgedacht. Ich komme wieder, Dornbach, sagte er leise zu sich. Nach dem Essen ging er noch ein wenig spazieren. Ein paar Mal kehrte er plötzlich um, aber seine Verfolger hatten ihn offenbar verloren.
Am nächste Morgen, Merz hatte wieder bis zehn Uhr ausgeschlafen, rief er Kommissar Reuter an. „Guten Morgen, Herr Kommissar, gibt es etwas Neues?“
„Ja“, antwortete dieser. „Ich habe gerade den Bericht des Gerichtsmediziners erhalten. Es gibt keinen Zweifel, Herr Mendel ist an Herzversagen gestorben. Vielleicht hat ihn die Erinnerung an alte Zeiten etwas zu viel aufgeregt. Keinerlei Anzeichen für eine Fremdeinwirkung. Ich muss den Fall abschließen.“
„Wirklich?“ Merz klang enttäuscht. „In diesem Fall haben Sie nichts dagegen, wenn ich nach Hause fahre?“, fragte er.
Der Kommissar machte eine kleine Pause. „Sie wollen nach Hause? Haben Sie etwas über ihre Familie erfahren?“
„Nur was mir dieser Herr Mendel erzählt hat. Aber er ist ja jetzt tot, und ich habe keine weitere Spur. Außerdem muss ich mich auch um ein paar andere Dinge kümmern. Ich bin ja schon fast zwei Wochen weg.“
Der Kommissar räusperte sich, „ja dann wünsche ich Ihnen eine gute Heimreise.“
„Danke Herr Kommissar!“
Merz beeilte sich, seine Sachen zu packen, er konnte noch den Mittagszug nach Zürich erreichen. An der Theke bezahlte er sein Zimmer. Die Wirtin umarmte ihn zum Abschied. „Wenn Sie wieder einmal kommen wollen, würde ich mich freuen. Und wenn Sie vielleicht herausfinden, wo Fritz begraben liegt, würden Sie mir eine große Freude machen, wenn Sie mir schreiben!“
Merz versprach, sich darum zu kümmern. Zu Fuß erreichte er den Bahnhof, er wollte es seinem Verfolger möglichst leicht machen. Während er sich eine Fahrkarte nach Zürich kaufte, hielt er Ausschau nach seinem Schatten. Aber es war unmöglich, in den vielen Leuten, einen Verfolger zu identifizieren. Er ist sicher da, dachte Merz. Und er wird das sehen, was ich möchte.
Endlich konnte er einsteigen und der Zug rollte bald danach aus dem Bahnhof.
***
Horst Pohl rief sofort bei Dornbach an. „Er ist gerade abgereist, ich habe gewartet bis der Zug weg war.“
Dornbach war wie immer etwas misstrauisch. „Bist du wirklich sicher? Er hat nichts bemerkt?“
„Ganz sicher!“, tönte Horst stolz.
„Na gut, dann kannst du heute Abend dein Geld abholen. Komm aber nicht zu früh!“
„Jawohl!“, antwortete Horst unterwürfig.
Dornbach hatte strikt verboten, am Telefon seinen Namen zu nennen. Zufrieden zündete er sich eine Zigarre an. Früher hätten wir solche Subjekte einfach liquidiert, dachte er. Aber wenn wir ihn so losgeworden sind, auch gut. Er rief Udo zu sich. „Der Schnüffler hat aufgegeben. Wir können uns wieder um unsere Geschäfte kümmern.“
Udo Dornbach fühlte sich sehr erleichtert. Er war nicht so unerschrocken wie sein Vater. Dieser hielt ihn und seinen Bruder für Weichlinge. Aber es waren seine Söhne, er musste sich damit abfinden.
Auch Hellman erstattete dem Kommissar Bericht: „Er ist abgefahren, ich war dabei. Sollen wir die Observation fortführen?“
Der Kommissar winkte ab. „Nein, Hellmann, brechen Sie ab.“
Das Horst Pohl irgendwie in die Sache involviert war, blieb natürlich verdächtig. Reuter hatte jedoch bisher keine Anhaltspunkte, dass Pohl direkt mit dem Fall Friedrich Hauser zu tun hatte.
Es könnte ein Unfall gewesen sein. Wenn nicht, wollte Reuter Pohl auf keinen Fall warnen, indem er etwas unternahm, bevor er ihn festnageln konnte. Abwarten half in solchen Fällen meistens mehr, als Aktionismus. Lassen wir die Vergangenheit noch ein wenig ruhen, dachte Reuter.