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Zweites Kapitel.

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Die aufgehende Sonne sandte einen schüchternen, bleichen Strahl durch das Fenster des Ateliers. Dieser gerade bläuliche Lichtstreifen suchte sich dort natürlich die glänzendsten Gegenstände aus: einen breiten Goldrahmen, einen silbernen Kürass, einen Helm in einer Ecke — und liess alles übrige im Dunkeln. Nach und nach wurde der Strahl wärmer und rosiger, und in jenem geheimnisvollen, zarten Lichte süllte sich das grosse Zimmer mit Bildern von weissgekleideten Frauen und von Männern in den dunklen Kostümen des sechzehnten Jahrhunderts; alle Wände waren mit mächtigen Kartons bedeckt, die nur die Skizzen zu einem einzigen grossen Gemälde waren.

Aber bald verschwand der rosige Hauch, es wurde heller und heller, in stolzer Pracht strömte die Sonne in das Gemach, umfloss alles mit ihrem Glanz und zeigte nun erst das Atelier in seiner ganzen künstlerischen Eleganz und Unordnung.

Hie und da standen einige altertümliche Stühle umher, in einer Ecke eine kostbare, dunkle, im besten Rokokostil geschnitzte Kommode mit mehreren japanischen Dolchen und allerlei sonstigen Spielereien, darüber hing ein schöner venezianischer Spiegel; gegenüber stand ein schwarzer Tisch aus Zwergbaumholz mit Büchern, Zeichnungen, Mappen, Zeitungen, Photographieen und verschiedenen andern Gegenständen beladen, unter denen ein grosses silbernes Tintenfass, Diana auf der Jagd darstellend, von der Hand eines alten Meisters ciseliert, besonders ins Auge fiel. Ein faltenreicher grüner Samtoorhang hing vor der Thür, neben der ein türkisches Sofa stand, und auf diesem lag, in eine Ciociarodecke gehüllt, ein junger Mann und schlief.

Es war Cormorto — bleich und schweratmend, mit dem Aussehen eines Mannes, der eine durchschwärmte Nacht hinter sich hat.

Ein lautes Klingeln weckte ihn. Er fuhr auf und rief: „Wer ist da?“ Dann ging er, die Thür zu öffnen.

Ein hübsches Mädchen trat ein, trippelte anmutig näher und lachte über sein verschlafenes Aussehen.

„O! Sie waren gestern abend bei den Spaniern. Erzählen Sie mir! Ist’s wahr, dass das Modell Maria auch da war?“

„Ach, bitte, nicht so laut! Sprechen Sie leiser, ich habe furchtbares Kopfweh!“ unterbrach sie Cormorto verstimmt.

Das lustige Mädchen stimmte nun um so lauter ein neapolitanisches Lied an:

„Ich hab’ einen Schatz, ’nen verdammten Kumpan,

Den blickt das Leben gar freundlich an:

Von morgens bis abends sieht man ihn wandern,

Stets durstig von einer Kneipe zur andern.“e)

„Halt!“ sagte er wütend.

„Was? Sind Sie wirklich böse? Dann lassen Sie uns an die Arbeit gehen; Sie wissen ja, wenn ich nicht arbeite, kann ich meinen Mund nicht halten.“

Mutwillig schritt sie zum Tisch, nahm eine Cigarette und begann zu rauchen wie ein Soldat, oder — wie eine Dame von heutzutage.

Er ging in ein anstossendes Zimmer, um seinen Kopf in frisches Wasser zu tauchen, während sie ihr Kleid mit einem von weisser Seide vertauschte.

Sie war ein reizendes junges Geschöpf, etwa siebzehn Jahre alt, frisch und stark, mit einem ewigen jugendlichen Lächeln auf ihren roten Lippen und in ihren dunklen Augen.

Als sie angekleidet war, fing sie, die Cigarette in ihrem rosigen Munde, wieder zu singen an.

Sie war eines jener Mädchen, die aus den rauhen Gebirgsdörfern in der Nähe Roms herunterkommen, um Modell zu stehen. Sie tragen die Fröhlichkeit der Jugend, die heitern Farben ihrer roten, blauen oder gelben Kleider und das rauhe, aber natürliche Benehmen der Contadini in die Ateliers der Maler und Bildhauer.

Wenn sie nicht in den Ateliers beschäftigt sind, versammeln sie sich auf den Stufen vor Santa Trinità dei Monti oder vor der Kirche in Via Sistina und plaudern und scherzen dort mit den jungen Männern ihrer Profession; oder sie tanzen auch, das weisse Tuch auf dem Kopfe, zum Klang der Tamburella und bilden charakteristische, reichfarbige Gruppen in ihren althergebrachten Trachten.

Unglücklicherweise bleiben die meisten dieser Mädchen nicht unberührt von der Verderbnis der grösseren Städte, und dann geben sie sich in den Ateliers mit dem gezierten Wesen von Landmädchen, die sich als Städterinnen aufspielen wollen; schliesslich missfällt ihnen dann auch noch ihr rauhes, doch schönes Ciociarokostüm, und sie ruhen dann nicht, bis sie kleine Hüte, gewöhnliche Kleider und moderne Schuhe mit hohen Absätzen haben, welch letztere an Stelle der klassischen Ciocie treten, die mit Bändern um die Knöchel befestigt werden.

Die Männer kehren gewöhnlich in ihre Dörfer zurück, sobald sie Geld genug erspart haben, um ein kleines Stückchen Grund und Boden zu kaufen, oder bleiben in Rom, falls sie es nicht so weit bringen, und gehen ihrem Gewerbe nach, bis die Zeit kommt, wo sie noch als alte Männer, die die Träume ihrer Jugend hinter sich gelassen haben, Modell stehen.

Manche von den Frauen sind sehr begabt. Einzelne haben Künstler sogar geheiratet und sind gute Hausfrauen mit einem gewissen äusseren Schliff geworden. Alle aber bewahren jene misstrauische Schlauheit, die den Kindern der Berge eigen ist.

Sobald Cormorto zurückkehrte, hörte das Mädchen auf zu singen, warf ihre Cigarette weg und nahm in der Nähe des grossen Fensters ihre Stellung an, so dass ihre ganze Gestalt voll beleuchtet war.

Er setzte sich vor die Staffelei, reinigte schweigend seine Palette und setzte frische Farben auf; aber auf einmal, als er kaum zu malen angefangen, warf er alles beiseite und sagte zu dem Modell: „Ich mag heute nicht arbeiten.“

Sie schien durchaus nicht verwundert hierüber und nahm ruhig ihre noch glimmende Cigarette wieder auf.

„So will ich gehen. Ich werde mich zu Ihrem Freunde Origlio verfügen; er muss mir sagen, ob Maria gestern abend auch dabei war.“

„Ja, es ist besser, Sie gehen. Nehmen Sie Ihre dritthalb Franken für diese Sitzung.“

„Wenn Sie nicht arbeiten wollen, nehme ich auch das Geld nicht.“

„Nun, so gehen Sie eben so,“ sagte Cormorto ungeduldig.

Als er in sein Kabinett ging, damit sie sich wieder umkleiden konnte, rief sie ihm nach: „Was für ein Grobian Sie heute sind, Signorino!“

Aber er schien nicht zu hören, was sie sagte.

Nach wenigen Augenblicken war Cormorto allein. Der Gesang des Modells erstarb allmählich in der Ferne, als sie die Treppe hinabstieg.

Er schlug ein Buch auf, dann wieder ein andres, bis er schliesslich eine Schachtel mit Pastellfarben und ein Stück rauhes Papier zur Hand nahm und anfing, einen Frauenkopf zu skizzieren. Und er arbeitete und arbeitete, fieberhaft schnell die Farben mit seinem Daumen knetend, als ob er das Gesicht, das er malte, hätte im Relief modellieren wollen.

Er schien das Enteilen der Stunden nicht zu bemerken; er ruhte nur, wenn er von Zeit zu Zeit, einen neugierigen Blick in den Augen, ein wenig von der Staffelei zurücktrat, um die Wirkung seiner Arbeit zu betrachten. Einmal lächelte er dem Bilde zu — dann fuhr er zu malen fort. Aber dieses treuherzige Lächeln kehrte jedesmal wieder, wenn ihm etwas daran gefiel.

Plötzlich verkündete die Kanone von Sant’ Angelo ganz Rom, gass es Mittag sei.

„Schon!“ rief er aus und sah nach seiner Uhr.

Dann klingelte es ein zweites Mal.

Ein alter Mann trat ein; ein armer Maler, dem Cormorto mit jenem Zartgefühl zu helfen pflegte, das den Stolz eines andern schont, und das niemand tiefer empfindet, als der Künstler gegen seinen Kunstgenossen.

Da er ein grosses Einkommen hatte, konnte Cormorto das thun, obgleich er sich sehr selten bemühte, seine eigenen Gemälde zu verkaufen.

Der ältliche Besucher war ärmlich gekleidet, aber seine Kleider sassen gut, und in seiner äussern Erscheinung, wie auch in seinem ganzen Benehmen lag jenes unbeschreibliche Etwas, das auch den schlechtesten Beobachter sofort gewahren lässt, dass er sich einem Gentleman gegenüber befindet.

„Herein, herein, Alter,“ sagte der junge Maler und streckte ihm die Hand entgegen. „Sehen Sie her! Gefällt es Ihnen? Sagen Sie mir offen, was Sie davon halten.“

Der Eintretende betrachtete das Pastell mit dem Auge eines Kenners erst in der Nähe, dann aus einer kleinen Entfernung und antwortete: „Sehr gut, mein lieber Junge. Ich sehe, Sie machen wunderbare Fortschritte. Wer ist sie?“

„O, nur ein Studienkopf ... aus der Phantasie oder nach dem Gedächtnis!“

„Sonderbar. Die Auffassung und die Zeichnung sind so gut, dass ich dachte, Sie hätten es nach dem Leben gemacht. Aber thun Sie das nie wieder, verfallen Sie nicht in die Gewohnheit, mit Ihrer Phantasie zu arbeiten. Sie würden auf diese Weise jeden richtigen Begriff von Farbe verlieren.“

Cormorto hörte dem alten Maler aufmerksam zu, der einst ein tüchtiger Kolorist gewesen war, jetzt aber — nachdem er sein ganzes Vermögen bei einer misslungenen Spekulation verloren — im Kampf ums Dasein schwer zu ringen hatte, einesteils, weil heutzutage im Verhältnis zu der grossen Masse der Bilder, die gemalt werden, so wenig gekauft wird, andrerseits wegen seines festen Entschlusses, die kleinen, gangbaren Geschmacklosigkeiten nicht zu malen, welche die Händler von den Künstlern fordern.

Der alte Mann wollte lieber alles ertragen, alles entbehren, als von seinen künstlerischen Ueberzeugungen lassen und seine Pinsel dadurch herabzuwürdigen, dass er sie zwang, lediglich nach Brot zu gehen. Er pflegte zu sagen, ein Mann könne kein schwereres Verbrechen begehen, als das, seine Achtung vor der Kunst zu verlieren. Er hegte für die Kunst eine Verehrung, wie ein alter Ritter sie für die Dame seines Herzens gefühlt haben mag.

„Woher es nur kommen mag, dass ein Pastell eine zugleich so kräftige und so zarte Wirkung hervorbringen kann, wie kaum je ein Oelgemälde?“ sagte Cormorto.

„Ein Pastellbild ist phantastischer, deshalb gefällt es Ihnen besser. Mir ist es gleich, mit welchem Material ich arbeite; ich schätze ein gutes Pastell ebensosehr als ein gutes Aquarell oder ein gutes Oelbild, weil man in jeder Art jeden Grad von Kraft erreichen kann, wenn nur diese Kraft in uns selbst liegt. Nehmen Sie Fortunys Aquarelle; sind sie nicht ebenso wirkungsvoll als Oelgemälde? Und doch gibt es Leute, die für ein Oelgemälde eine Summe zahlen, die sie nie für ein gutes Aquarell oder ein Pastell ausgeben würden. Ich möchte wohl wissen, warum!“

„Ja, Sie haben ganz recht. Und wenn jene versuchen wollten, sich zu verteidigen, könnten sie nicht einmal sagen, dass Pastell- und Wasserfarben zu rasch verderben.“

„Natürlich könnten sie das nicht behaupten. Haben wir nicht noch Kohlenzeichnungen von Michelangelo? Und verändern sich Oelgemälde etwa nicht im Lauf der Zeit? Alles ist dazu bestimmt, einmal zu Grunde zu gehen.“

„Darüber sind wir einig, lieber Freund. Doch fast hätte ich etwas vergessen,“ fügte Cormorto hinzu, indem er leicht errötete und sein Gesicht abwandte, „heute morgen war ein Herr hier, der eine kleine Landschaft wünschte. Da ich nicht gern Landschaften male, sagte ich ihm, ich wolle Sie bitten, eine für ihn zu malen. Er hat fünfhundert Lire dafür zurückgelassen. Wollen Sie es übernehmen? Sie haben natürlich das Recht, zu malen, was und wie Sie wollen.“

„Ja, ich will,“ antwortete der andre mit zitternder Stimme und feuchten Augen.

Dann und wann brachte Cormorto eine solche kleine Unwahrheit vor, und der alte Mann hörte sie an. Der erstere konnte dann nicht umhin, zu erröten, und der letztere konnte nicht umhin, gerührt zu sein von dieser liebevoll verschleierten Grossmut.

Alle diese kleinen Gemälde des alten Künstlers wurden nachher von Cormorto als Geschenke an seine verschiedenen Freunde geschickt.

„Wie geht es Ihrem Nachbar?“ fragte der junge Mann plötzlich, da er das verlegene Schweigen abzukürzen wünschte, das auf die letzten Worte gefolgt war.

„Es geht ihm viel besser.“

„Haben Sie heute nacht wieder bei ihm gewacht?“

„Ja, aber der Doktor sagte heute morgen, dass es jetzt viel besser mit ihm stehe und er bald im stand sein werde, heimzureisen.“

„Sie sind so gut, mein alter Freund.“

„Warum sagen Sie das? Wenn es schlecht ist, einen armen Nachbar, der krank ist und niemand in der ganzen Stadt hat, der sich um ihn kümmert, in der Not zu verlassen, so ist das einfache Ihm-beistehen nur die Unterlassung einer schlechten Handlung.“

„O, wie Sie die Logik Ihrer Bescheidenheit opfern! Bei Ihnen war es nicht Unterlassung einer selbstsüchtigen Handlung, sondern Sie thaten etwas positiv Gutes!“

Der alte Maler sagte nicht, dass er soeben seine Uhr verkauft hatte, um für seinen Nachbar Medizin zu kaufen.

Bald nahm Cormorto Hut und Handschuhe und ging mit seinem Freunde aus, um in einem kleinen Hause vor der Porta del Popolo zu frühstücken, wo viele Künstler zu verkehren pflegten.

Es war eine Osteria mit kleinem Garten, wo die gewöhnlichen Leute ihre Mahlzeiten nahmen und die vorüberkommenden Fuhrleute anhielten, um ihren Freunden, den Butteri, Bescheid zu thun. Die Fuhrleute, die die öde, trostlose römische Campagna durchfahren, haben sehr malerische Kostüme: ein heller Ton in dieser traurigen Gegend, die ohne Baum, ohne Haus, sich weit dahindehnt wie die See; für ihr arbeitsames Dasein entschädigen sie sich dadurch, dass sie an jeder Osteria anhalten, an der sie vorüberkommen, um ein Glas Wein zu trinken und ihre Pferde ein wenig rasten zu lassen. Es ist sehr interessant, frühmorgens diese langen Reihen von Wagen zu sehen, wie sie aus verschiedenen Richtungen nach Rom kommen; die Pferde in ihren weissen Fliegennetzen, mit grossen Quasten von roter Wolle geschmückt, ziehen langsam einher, während Hunderte von kleinen Glocken silberhell erklingen, die an der Plane befestigt sind, worunter die Fuhrleute schlafen oder singen.

Die Butteri, die spitzen schwarzen Hüte tief in die Stirn gedrückt, die weiten runden Mäntel in malerischem Faltenwurf über das Pferd herabhängen lassend, reiten, mit langen, eisenbeschlagenen Stöcken bewaffnet, daher und treiben Kühe, Ochsen oder Büffel zum Verkauf.

Diese Leute, die beständig im Sattel und unter dem Vieh leben, sind rauh und ungesellig; aber wenn sie mit den Fuhrleuten zusammentreffen, so kneipen sie mit diesen und halten gute Freundschaft mit ihnen, falls es ihnen nicht gerade einfällt, einander mit ihren Messern zu traktieren.

In einer dieser Weinschenken, die als „Glückspender“ eine Schleiereule und ein Paar Ochsenhörner über dem Eingang aufwies und durch zwei kleine Fahnen, eine rote und eine weisse, zu wissen that, dass hier sowohl weisser als roter Wein zu haben sei, hielt der Eigentümer ein grosses Zimmer zur Verfügung der Künstler, die ihre Ateliers vor dem Thor hatten, und er nannte diesen Raum die „Künstlerstube“.

In Rom kann man ruhig an jeden Ort gehen, der von den niederen Volksklassen besucht wird, weil diese gegen jedermann respektvoll, ja oft nur allzu liebenswürdig sind, indem sie einen auffordern, aus ihrem eigenen Glase Bescheid zu thun, und man das Glas wenigstens mit den Lippen berühren muss, wenn man sie nicht beleidigen will. Künstler besonders sind überall und von jedermann gern gesehen.

Im Oktober geht es in diesen Osterien vor der Stadt sehr lustig zu, da viele Leute jeden Standes hinkommen, und das Volk nachmittags gewöhnlich zu den Klängen einer Orgel oder eines kleinen Orchesters tanzt, das aus einer Guitarre, einer Violine und einer Klarinette besteht.

In der „Künstlerstube“ konnte man ein bis zwei Dutzend Leute essen, trinken, schwatzen oder gestikulieren sehen. Italienisch wurde hier mit jedem möglichen und unmöglichen Accent gesprochen; es waren aber auch Engländer, Spanier und Deutsche da, und jeder bemühte sich, lauter zu sprechen als der andre. Künstler verstehen einander so leicht; sogar ein eben aus London gekommener Engländer, der kein Wort italienisch verstand, hätte hingehen können und würde sich sehr leicht mit seinen Genossen verständigt haben. Sie sprechen durch Bewegungen der Augen, der Beine, des ganzen Körpers; sie zeichnen aufs Tischtuch — was dem Wirt natürlich höchst missfällt — sie zeichnen Linien in der Luft, kurz, es gelingt ihnen immer, sich deutlich auszudrücken.

Stets verschwören sie es, heute über Kunst zu reden; sie erklären dies für ein ganz verbrauchtes Thema, mit dem man sich nur den Appetit verderbe; aber gleich Motten, die ums Licht flattern und schliesslich hineinfallen, kehrt ihre Unterhaltung beständig zu dem verpönten Gegenstand zurück.

Sie sind alle verschiedener Ansicht, selbst diejenigen, welche die gleichen Ideen haben und zur selben Schule gehören; sie streiten hitzig erregt, so dass ein Fremder, der ihnen zuhörte, leicht denken könnte, sie seien drauf und dran, einander totzuschlagen.

In einem Punkt indes stimmen sie alle überein; dass nämlich die Kunst zu Grunde gerichtet sei und zwar durch die Kunsthändler und durch den leidigen Umstand, dass nicht alle Aufträge in der Welt gerade ihnen gegeben werden.

Und nun wird über diese Kunsthändler, die in den Ateliers mit herzlichem Händeschütteln empfangen werden, aufs grausamste hergezogen und man überschüttet sie mit Schimpfwörtern sämtlicher Sprachen Europas. Sie sind Schurken, Diebe, Mörder, Räuber, Briganten, Schlangen, Hunde, Blutsauger, böse, abgefeimte, gehässige, erbärmliche Schurken, treulose Verräter, Spione u. s. w.

Wenn alle andern Beweisgründe erschöpft sind, so kommt die alte Frage aufs Tapet, ob die Malerei eine schwerere Kunst sei als die Skulptur, und ewig wird die Fabel von dem griechischen Maler angeführt, der einen Blinden vor eine Statue führte; der Blinde konnte sagen, dass es eine Statue sei, aber er erkannte die Malerei nicht, als er mit seiner Hand über die glatte, gemalte Wand fuhr. Für einen Maler Beweis, dass die Malerei viel schwieriger ist, als die Skulptur; hört aber ein Bildhauer die Geschichte, so schliesst er gerade das Gegenteil daraus.

Ein solches Frühstück zieht sich, wie man sich leicht denken kann, ziemlich in die Länge; ein Grund dafür — und zwar nicht der unwesentlichste — ist der, dass Künstler darin sind wie die Frauen, die viel über Leute reden, die nicht anwesend sind — und so hat niemand von der Gesellschaft den Mut, allein fortzugehen.

Hört man einen Künstler sagen, er hege grosse Verehrung für einen andern, so darf man ihm ja nicht glauben. Künstler verehren nur sich und denken, nur wenige seien im stande, so Schönes zu schaffen, wie sie, und diese wenigen seien seit langer, langer Zeit tot und berühmt. Sie verschonen ihre eigenen Lehrer, ja selbst ihre Brüder nicht; ein Künstler ist weit eifersüchtiger auf seine Kunst, als auf seine Frau.

Sonderbar ist es, dass, obgleich sie alle in direkter Linie von jenem berühmten Maler abzustammen scheinen, der seinen Genossen aus Eifersucht umbrachte, wir doch anerkennen müssen, dass sie in der Zeit der Not von wahrer Grossmut gegeneinander beseelt sind.

Ich selbst habe einen Künstler, der einen andern beständig herabzusetzen und zu verleumden pflegte, weinen sehen wie ein Kind, als er den Tod dieses Künstlers erfuhr. Er betrauerte ihn aufrichtig und that alles, was in seiner Macht stand, der Witwe und den Waisen beizustehen.

Als Cormorto und sein alter Freund die „Künstlerstube“ betraten, wurden sie mit lebhaften Begrüssungen empfangen, doch Cormorto vermutete, dass diejenigen, die am höflichsten gegen ihn waren, soeben gesagt hätten, er sei ein Narr und der alte Maler ein Schuft.

Auch Origlio kam, und Cormorto ging später mit ihm in sein Atelier und verbrachte dort den Nachmittag.

Sie sprachen über allerlei; endlich sagte Cormorto, als sei es ihm gerade eingefallen: „Ach, wir sind ja auch zu Signorina Angelika eingeladen.“

„Ja, freilich; wir müssen hingehen. Du sollst hören, wie wundervoll sie spielt.“

„Willst du mich abholen? Ich will dir ein kleines Porträt zeigen, das ich von ihr entworfen habe.“

„Ist es gut?“

„Ja, es hat etwas von ihr, und ich halte es für ein ziemlich gelungenes Pastell.“

„Gut, ich komme, oder wenn du noch einen Augenblick warten willst, so gehe ich gleich mit dir. — Giacomo!“

Giacomo war ein alter Ciociaro, der etliche vierzig Jahre Modell gestanden hatte und jetzt in Origlios Atelier lebte. Er diente diesem als Modell, als Hausknecht, als Diener, kurz, er war sein Faktotum. Giacomo kam aus einem anstossenden Zimmer, wo die Punktierer arbeiteten; er trug eine Mütze aus Zeitungspapier auf dem Kopf und half seinem Herrn die Blouse aus- und den Rock anziehen. Dann begann er, die Thonfigur zu befeuchten.

„Geh bald nach Hause und lege mir meinen Frack heraus, verstanden, Alter?“ sagte Origlio.

„Sehr wohl.“

„Also kann ich mich darauf verlassen, dass du mir nicht meinen Jagdanzug herrichtest?“

„Sie können sich darauf verlassen, Signorino.“

Cormorto lachte über den vollkommenen Gleichmut, womit der Ciociaro antwortete, und ging mit Origlio von dannen.

Pinsel und Meißel

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