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Liebe, Tod und Erkenntnis

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Liz

Liz stieg aus dem Bus und zog gierig die Luft in ihre Lungen. Ein Blick auf ihre Uhr sagte ihr, dass sie noch was Zeit, bis zum Anschlussbus hatte. Sie setzte sich auf eine Bank und schob die Kopfhörer ihres MP3 Players zurecht. Die Musik tat gut und bei dem, was sie noch vorhatte, konnte sie den Gedanken noch ein wenig Pause gönnen. Aber das war leichter gesagt als getan, nur hingen ihre Gedanken nicht an dem bevorstehenden Ereignis, sondern sie waren bei dem Mann, den sie liebte. Und der es nicht wusste und nie erfahren durfte. Das würde alles nur komplizierter machen. Sie war nicht gut für ihn. Er war nicht bereit für sie. Trotzdem liebte sie ihn. Die wenigen Male, die sie Sex miteinander hatten, waren für Liz unvergesslich. Und genau daran dachte sie. Ein Schauer rann über ihre Haut und sie schloss für einen kurzen Augenblick ihre Augen.

Es fing immer gleich an, er war unglaublich zärtlich. Erregte sie über alle Maßen. Seine Küsse brannten auf ihren Lippen und ihrer Haut. Seine Hände hinterließen feurige Spuren auf ihrer Haut. Wenn er in sie eindrang, empfing sie ihn voller Ungeduld. Doch danach dreht er sich um oder verließ sie eilig. Fast fühlte sie sich dann benutzt. Doch sie konnte ihm nicht widerstehen. Sein Lächeln und die Art mit ihr zu reden, zogen sie magisch an.

Das Lied, welches sie hörte, beruhigte sie. Sie war hungrig und wusste das, da wo sie hinwollte, genug von dem wartete, was ihren Hunger stillte.

Plötzlich drang ein Geruch an ihre Nase, der ihr vertraut war. Einer ihrer Art war in der Nähe. Keiner, den sie kannte aber immerhin. Meistens verliefen solche Begegnungen nicht ohne Kampf. Denn mittlerweile kämpfte ihre Art um Territorien. Und dieser hier war neu und würde sie vernichten wollen. Hier gab es die Hierarchie der Midnight Clans nicht. Zumindest war sie hier sehr locker. Sie selbst war ein Clanoberhaupt und ihr unterstanden eine große Anzahl an Vampiren. Früher, ja früher war alles ganz anders. Dann kamen die Jäger, dezimierten ihre Art und Chaos machte sich breit. Zu viele Vampire wurden getötet und sehr zum Leidwesen der Clans, auch viele Oberhäupter. Tief sog Liz die Witterung ein, er oder sie war nicht in ihrer unmittelbaren Nähe, aber wenn sie ihn wahrnahm, konnte er es auch. Sie war durch ihren Hunger geschwächt und so hätte er eine Chance, sie zu besiegen. Als dann ihr Anschlussbus kam, atmete sie erleichtert auf.

Sie stieg ein und suchte sich einen Platz.

Die Fahrt verlief so wie immer, sie beobachtete was in der Stadt, auf den Straßen los war, und hing wieder ihren Gedanken nach. Wieder tauchte das Bild von Marius vor ihrem geistigen Auge auf. Was er nun wohl machte? Ob er vielleicht doch an sie dachte? Wenn sie doch nur einen Ausweg aus dem Gefühlschaos wüsste. Doch so sehr sie auch grübelte, ihr fiel keine passende Lösung ein. Ein Seufzer löste sich von ihren Lippen.

Damals in Frankreich, auf ihrem Gut in der Nähe von Dauphin, hatte sie genug Liebhaber. Doch keiner erreichte je ihr Herz. Sie nährte sich von ihnen und gab ihnen das, was sie begehrten, ihren Körper und eine Ahnung von Liebe. Sie mochte jeden von ihnen, doch Liebe, nein Liebe empfand sie nicht.

Aber die Zeiten ändern sich. Ihr Bedürfnis nach einem Gefährten, der mit ihr durch die Jahrhunderte ging, war übermächtig geworden. Wieder seufzte sie.

Als sie die Bushaltestelle sah, an der sie aussteigen musste, stand sie auf und ging zur Bustür. Der Bus hielt wie immer abrupt und wäre sie nicht darauf vorbereitet, wäre sie gestolpert. Als Galeristin hätte sie sich ein Auto leisten können, doch sie zog es vor nicht selber fahren zu müssen, wenn sie in der Stadt war. Einkäufe brauchte sie so gut wie keine, außer wenn sie für Marius kochte. Das machte sie oft. Lebensmittel hatte sie nur der Tarnung wegen im Kühlschrank. Und das meiste wanderte verdorben in die Mülltonne.

Sie stieg aus und ging in Richtung Lagerhaus. Sie zog den Schlüssel aus der Handtasche und öffnete die Seitentüre. Drinnen war es angenehm dunkel. Sie mochte die Dunkelheit. Mit katzenhaften Schritten ging sie in den kleinen Nebenraum und zog sich aus. Sorgfältig legte sie ihre Sachen in den Schrank, den sie dafür gekauft hatte. Dann setzte sie sich auf den Boden, verdrängte alle Gedanken und lenkte ihre ganze Konzentration auf ihr wirkliches Dasein. Sie merkte, wie ihre Haare ihr bis zur Hüfte wuchsen, wie ihre Knochen sich verschoben und veränderten, wie sich ihr Gesicht veränderte und wie ihre Fänge wuchsen, ein Zeichen des unstillbaren Hungers, der sie seit Tagen quälte. Genau dies war ihre mentale Stärke: die Form zu wandeln. Manche Vampire hatten Zusatzfähigkeiten, jedoch nicht alle. Ihr Bruder konnte die Gedanken der Menschen manipulieren, ihre Erinnerungen auslöschen. Ein wenig beneidete sie ihn, es würde vieles vereinfachen, wenn sie das könnte. Schweiß trat auf ihre Stirn, selbst ihre Organe veränderten sich und ihr Hunger wurde durch die Anstrengung unermesslich. Seit Wochen hatte sie sich nicht mehr genährt, manchmal vergaß sie es schlichtweg. Menschliche Nahrung stillte diesen Hunger nicht. Es war ein Teil ihrer Tarnung, so zu tun, als ob sie es bräuchte. Doch eigentlich ekelte es sie. Als ihre Verwandlung abgeschlossen war, sank sie erschöpft nach vorne. Es war ein Fehler so viel Zeit zwischen den Mahlzeiten vergehen zu lassen. Sie stand auf und sah an sich hinab. Als Mensch war sie mittleren Alters, so fiel sie kaum auf. Doch nun sah sie aus wie Anfang 20. Als Mensch tauchte sie in der Masse unter. Keiner ihrer Gegner würde vermuten, dass ein Clanoberhaupt in der Frau steckt, die sie vorgab zu sein. Nur ihre Witterung verriet sie. Nur wenige Vertraute waren eingeweiht, zu viel war geschehen, seit dem Auftauchen der Jäger. Bloß keinem auffallen, keine Aufmerksamkeit erregen, so normal wie möglich leben, abgesehen von dem Blut, welches sie benötigte. Jede Schwachstelle konnte ihr zum Verhängnis werden. Das war nicht immer so. In Frankreich hatte sie menschliche Verbündete. Bis zu dem Zeitpunkt als Albert starb und alles aus den Fugen geriet. Albert führte die englischen Clans an und war der beste Freund ihres Bruders. Als seine Gefährtin Hazel seinen Tod verkündete, lebte Dominik mit seinem Ziehkind bei ihr. Später wurde sein Ziehkind zu seiner Gefährtin.

Sie öffnete den Schrank auf der anderen Seite und holte einen schwarzen Overall heraus. Er war aus einem anschmiegsamen Stoff, lag eng an bot aber durch den Stretchanteil im Stoff genügend Bewegungsfreiheit. Schnell schlüpfte sie hinein und verließ den kleinen Raum. Sie betrat die Lagerhalle, in der ihr Wagen und eine riesige Gefriertruhe standen. Sie öffnete die Gefriertruhe und holte einen der Beutel heraus. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Totes Blut, leider. Aber besser als nichts und für Blut von der "Quelle" waren die Zeiten zu gefährlich.

Sie riss den Beutel auf und setzt ihn an die Lippen, gierig trank sie die Blutkonserve aus. Wieder schweiften ihre Gedanken zu ihm, wenn er sie jetzt sehen könnte. Wäre er dann fasziniert oder angeekelt, sie tippte insgeheim auf Letzteres.

Als der Beutel leer war, warf sie ihn achtlos in die Tonne, die neben der Truhe stand und griff nach einem weiteren Beutel. Sie trank insgesamt vier Beutel, ehe ihr Hunger einigermaßen gestillt war. Das Blut hatte einen seltsamen Beigeschmack, selbst für Konserven. Leichtfertig schob sie es aber auf die lange Lagerzeit. Bis vor einigen Jahrzehnten, konnte sie ja noch »quellfrisch« trinken.

Bis ihre Kraft hundertprozentig wieder hergestellt war, dauerte es noch eine Weile, aber das Schlimmste war der Hunger. Sicherheitshalber trank Liz einen fünften Beutel aus. Dann entschied sie, dass es reichen sollte. Mit einem leisen »Plopp« schloss der Deckel, den Liz herunter drückte und sie drehte sich um. Eine Limousine mit dunkel getönten Scheiben, stand in der Halle auf die sie nun zuging. Liz stieg auf der Fahrerseite ein, der Schlüssel steckte und sie lies den Wagen an. Dann griff sie ins Handschuhfach und holte die Fernbedienung für das Hallentor hervor. Ein leises Klicken des Knopfes und die Tore der Lagerhalle schwangen auf. Sie fuhr mit dem Wagen in das für sie grelle Tageslicht, nachdem sie erneut auf der Fernbedienung den Schalter betätigt hatte, schwangen die Türen wieder zu.

Sie würde mindestens drei Stunden unterwegs sein, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Und so drehte sie das Radio laut und fuhr los. Ihren MP3 Player hatte sie im Handschuhfach verstaut.

Trotz der Wolkendecke und der getönten Scheiben war ihr das Licht fast zu hell. Aber ihre Augen gewöhnten sich dran und so verlief die Fahrt ohne besondere Zwischenfälle.

Dominik hatte sie alle zusammentrommeln lassen. Es muss wohl etwas passiert sein, was ein so kurzfristiges Treffen rechtfertigte. Vielleicht gab es Erkenntnisse über den Abt, der den Jägern vorstand. Er herrschte über sie seit nun mehr über 200 Jahren, was den Verdacht aufkommen ließ, dass er selbst auch ein Vampir war.

Und endlich erreichte sie ihr Ziel. Pausen brauchte sie keine zu machen, warum auch. Essen musste sie nicht und Toilettengänge waren selten. Der Kies der breiten Auffahrt zum Haus ihres Bruders knirschte unter den Reifen, als der Wagen schnurrend auf das Gebäude zurollte. Sie war mittlerweile fast 800 Jahre alt und im Laufe der Zeit hatten sie und ihr Bruder ein Vermögen angehäuft, was solch einen Luxus zuließ. Sie selbst besaß Anwesen in Frankreich, Italien und den USA.

Lächelnd parkte ihren Wagen neben dem knallroten Sportwagen ihrer Schwägerin Dawn und griff in ihrer Handtasche nach der Sonnenbrille. Entgegen allen Legenden gingen Vampire nicht in Flammen auf, sobald sie ins Tageslicht traten. Dennoch reagierten die Augen empfindlich auf das Licht, so dass die meisten es vorzogen, nur nachts ihre Häuser zu verlassen. Der Kies knirschte unter ihren Pumps und sie stieg die breite Treppe hinauf. Nachdem sie die Klingel betätigt hatte, schwang die Tür auf und Liz blickte in das vertraute Gesicht von Mike, dem Majordomus Dominiks. Früher war er der Butler von Isi gewesen. Nach dem Übergriff der Jäger verschwand diese jedoch in der Versenkung. Keiner der Vampire wusste genau, was aus ihr geworden ist. Den Gerüchten zufolge war sie getötet worden, andere behaupteten, sie hätte sich nach Griechenland zurückgezogen.

»Willkommen Liz, ich hoffe, deine Fahrt war angenehm.«

»Ja danke Mike, alles bestens. Sind die Herren und Damen schon im Saal?«

Saal war zu viel gesagt, es handelte sich hierbei um ein riesiges Esszimmer. Aber es wurde von jedem Saal genannt, da hier ausreichend Platz für die Treffen der Clanoberhäupter vorhanden war.

»Ja sind sie, ihr seid die Letzte. Aber Dominik hat noch nicht angefangen. Im Moment herrscht da Small Talk Stimmung.«

Sie verdrehte die Augen und Mike lächelte sie gutmütig an.

Plötzlich durchfuhr sie ein brennender Schmerz aus der Magengegend. Der aber genauso schnell wieder verschwand.

Tief sog sie die Luft ein. Was war das? Seit Jahrhunderten fühlte sie keinen Schmerz, warum jetzt? Aber als er verging, maß sie dem keine weitere Bedeutung zu.

Sie betrat den »Saal« und zwölf Augenpaare richteten sich auf sie. Dominik lächelte ihr freundlich zu und kam auf sie zu. Er umfasste ihre Taille und gab ihr einen Kuss.

»Grüß dich Schwesterherz, ich hoffe, du hast etwas Zeit mitgebracht.« Sanft lächelte Dominik Liz an.

»Ja klar Nicki hab ich. Ein paar Tage bleib ich.« Das sich ein paar Augenpaare auf sie richteten, in denen offensichtliches Verlangen stand, ignorierte Liz. Als Schwester des Königs wäre sie jedem Clanoberhaupt eine willkommene Partnerin. Nicht nur ihr aussehen, sondern auch die Macht, die sie hatte, waren der Auslöser des Begehrens.

Wie immer freute sie sich auf die Zeit mit ihrem Bruder und seiner Gefährtin. Dawn war die erste Frau, die es schaffte, ihren Bruder zu zähmen. Und sie hing mit einer unsagbaren Liebe an ihm. Dominik trug sie auf Händen und hatte immer das Bedürfnis sie zu beschützen. Das war nicht immer so, es gab eine Zeit, in der sie beide getrennte Wege gegangen waren. Den Grund kannte Liz, doch keiner sprach darüber. Isi hatte den beiden übel mitgespielt, und als Dominik seine Dawn nach mehr als einem Jahrhundert fand, wäre es fast zu spät gewesen. Es war Rettung in letzter Minute sozusagen.

»Gut, denn wir sehen uns einfach zu selten.«

Er begleitete sie zu Ihrem Platz und rückte den Stuhl zurecht, so dass sie Platz nehmen konnte.

Mit einem Kopfnicken blickte Liz in die Runde, alle waren sie da, dem Ruf Dominiks gefolgt.

Dann kam er wieder, der Schmerz, nur dieses Mal heftiger. Es brannte sich durch ihren Leib, ausgehend von ihrer Magengegend und ergriff den gesamten Körper. Die Welt um sie herum verschwamm vor ihren Augen. Ein Stöhnen löste sich von ihren Lippen und alle Blicke lagen auf ihr. Doch das, nahm Liz nicht mehr war.

Dann sackte sie vornüber, das Letzte was sie dachte, war, dass sie vergiftet worden war mit Silbersalz, das Marius nie erfahren würde, wie sehr sie ihn liebte und das er nie erfahren würde, was und wer sie wirklich war. Dann rutschte sie vom Stuhl, die blicklosen Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet.

Marius

Langsam ging er die Treppe zu seiner Wohnung hoch. Seine Schritte wirkten schleppend. Oben angekommen warf er einen Blick ins nächste Stockwerk. Nie wieder würde sie diese Treppe hoch oder runter gehen. Sie war tot. Das wusste er, denn er war es, der sie vergiftet hatte. Ein Beben durchfuhr ihn.

Unterwegs zu seiner Wohnung hat er die Einwegspritze weggeworfen, die er benutzt hatte, um die Blutkonserven mit Silberjodid zu vergiften. Er wusste schon länger, wer und was sie war. Und dass sie nicht ehrlich zu ihm war, hat ihn dazu getrieben. Er fühlte sich ausgenutzt, irgendwie missbraucht.

Er erinnerte sich noch an den Tag, als sie in die Wohnung über ihn zog. Er konnte in seiner Wohnung die Anweisungen hören, die sie ihren Helfern gab, wohin jener oder welcher Karton sollte, wohin welches Möbelstück. Er hörte ihr Lachen und wurde neugierig. Dann war erst mal lange Zeit Ruhe. Wochenlang hörte, oder sah er nichts von seiner neuen Nachbarin. Bis zu seinem Geburtstag. Er hatte ein paar Freunde eingeladen. Es wurde wie immer spät und sehr laut.

So gegen vier Uhr früh klingelte es an seiner Tür. Als er öffnete, stand sie vor ihm. Mittelmäßig attraktiv. Aber toller Mund und tolle Augen, was sie sehr interessant wirken ließ. Verlegen lächelte sie ihn an und bat darum, nun doch etwas leiser zu sein. Ihre Stimme kannte er schon, aber er wusste nicht, wie sie sich aus der Nähe anhörte, und war überwältigt. Augenblicklich wusste er, über diese Frau wollte er mehr erfahren.

Kurz entschlossen bat er sie doch, auf ein Glas Wein rein zu kommen. Sie wollte dankend ablehnen aber er hatte sein unwiderstehliches Lächeln aufgesetzt. So sagte sie dann doch ja. Er freute sich wie ein kleiner Junge, der etwas Neues zum Spielen bekommen hatte.

Sie blieb dann doch auf drei Gläser und ging als Letzte. Mittlerweile war es um ihn geschehen. Witzig, klug und aufmerksam beteiligte sie sich an den Gesprächen. Zum Abschied reichte er nur die Hand, fuhr jedoch mit dem Daumen leicht über ihren Handrücken. Als er die Tür hinter Liz schloss, war für ihn klar, dass er sie nun öfter sehen wollte.

Sein Beruf als Journalist erlaubte es Marius, von zu Hause aus zu arbeiten. Wann immer er die Türe im oberen Stockwerk hört, hatte er wie zufällig, gerade den Müll raus zubringen, Einkäufe zu erledigen oder den Briefkasten zu leeren. Meist reichte die Zeit für eine kurze Unterhaltung, bis er beschloss, einen Schritt weiter zu gehen und sie zu sich zum Essen einzuladen. Dankend nahm sie an und lächelte dabei auf ihre reizende und zugleich schüchterne Art. Marius wollte, dass der Abend etwas besonders wurde und so kaufte er einen guten Rotwein und bereitete ein Mehrgängemenu zu. Kochen konnte er, da er während des Studiums in einem Restaurant gejobbt hatte, dabei hatte er sich sehr viele Kniffe abgeguckt. Dazu kam aber auch, dass er gutes Essen zu schätzen wusste. Als sie dann abends an der Tür klingelte, war der Tisch gedeckt, Kerzen brannten und der Rotwein war dekantiert. Lächelnd trat sie ein und reichte ihm eine Flasche Wein. Belustigt stellte er fest, dass es genau der war, den er für den Abend besorgt hatte. Das bewies, sie hatte Geschmack, was guten Wein betraf.

Anfangs redeten sie nur, er mochte ihre Art, die Dinge zu sehen und ihr Lachen. Dabei krauste sie die Nase auf eine charmante Art und in ihren Augen blitzte es. Den ganzen Abend ließ er sie kaum aus den Augen. Zum Abschied küsste er sie sacht. Von diesem Abend an wurden gemeinsam Mahlzeiten fast zur Gewohnheit. Mal kochte sie, Mal kochte er. Sie fanden heraus, dass sie viele Gemeinsamkeiten hatten.

Doch dann passierte das, was er die ganze Zeit anstrebte, sie kamen sich näher. Aus dem Abschiedskuss waren viele Küsse geworden, die sie den ganzen Abend tauschten. Und schließlich schlief sie das erste Mal mit ihm. Marius hatte sich etwas Zeit gelassen. Er wollte sie für sich, nichts Schnelles so für Zwischendurch, sondern ganz und gar. Trotzdem blieb da diese Unsicherheit, was ihre Gefühle für ihn anging. Immer wirkte sie distanziert, fast unnahbar. Marius wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, deswegen drehte er sich nach dem Liebesspiel immer gleich um. Wie gern hätte er ihren Kopf an seiner Schulter gespürt, ihre heiße Haut an seiner. Doch er dachte, sie würde ihn nur als Lustobjekt sehen und hoffte, einen Funken Liebe in ihren Augen zu finden. Doch sie blieben ein Geheimnis.

Er konnte dann irgendwann nur noch an sie denken. Dann fiel ihm auf, dass sie in regelmäßigen Abständen immer ein paar Tage verschwand. Nie sagte sie ihm, wohin sie ging und wie lange sie wegblieb. Während sie fort war, hörte er nichts von ihr, keinen Anruf keine Nachricht.

Marius hätte ihr so gerne seine Gefühle für sie gestanden, nur wusste er nicht, ob er mit ihrer Zurückweisung leben konnte.

Denn daran glaubte er, dass sie ihn zurückwies. Wenn er die Augen schloss, hörte er ihr Lachen, ihre Stimme und roch ihren ganz eigenen Geruch.

Dann begann er, ihr heimlich zu folgen. Ob sie nun zum nahegelegenen Supermarkt ging, oder mit dem Bus fuhr, er war ihr auf den Fersen. Eines Tages führte ihn das zu ihrem Lagerhaus. Zuerst dachte er, sie würde dort Kunstobjekte für die Galerie einlagern.

Genau verfolgte Marius, wie Liz die Halle betrat. Dann suchte er ein Fenster, was ihm den Blick ins Innere gestattete. Er fand eins und sah nur eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben und etwas weiter eine Kühltruhe. Dann trat aus einem Nebenraum eine junge Frau in die Halle, ging zur Kühltruhe und öffnete sie. Was dann kam, lies ihn erschauern. Sie griff in die Truhe und holte eine Blutkonserve raus. Diese trank sie leer. Er traute seinen Augen nicht, sie trank Blut. Er suchte die Halle nach Liz ab, aber da war nur die junge Frau. Halb so alt wie sie, und wenn sie nicht so ein scheußliches Hobby hätte, ein Traum. Hüftlanges schwarzes Haar, eine Hammer Figur. Aber von Liz keine Spur. Nach vier weiteren Konserven ging die junge Frau zu der Limo, setzte sich hinein und fuhr aus der Halle. Er untersuchte die Halle von allen Seiten und fand ein Fenster, was nicht verriegelt war. Da er sportlich ziemlich fit war, war es nicht schwer für ihn, sich da hineinzuzwängen. Die Kühltruhe zog ihn an und er ging zu ihr. Zögernd öffnete er sie und schrak zusammen. Sie war bis obenhin voll mit Blutkonserven. Angewidert schloss er den Deckel und sah sich weiter um.

Er betrat den Raum, aus dem die junge Frau gekommen war. Aber da stand nur ein Schrank. Er öffnete eine der Türen und dort hingen Kleidungsstücke, der Größe nach zu urteilen, die der jungen Frau. Er öffnete die andere Seite und da lagen fein säuberlich gefaltet Liz´ Sachen, alles, sogar ihre Unterwäsche. Er zog die Stirn kraus. Was sollte das bedeuten? Marius stand vor einem Rätsel und seine berufliche Neugier machte sich breit.

Nun hieß es warten und beobachten. Liz war nie länger als drei vier Tage fort, also beschloss er, jeden Tag herzukommen. Er verbrachte weitere zwei Tage damit, sich in dem Lagerhaus umzusehen, aber bis auf die Truhe und den Schrank war da nichts. Die Zweifel in ihm wurden immer größer. Was verheimlichte sie ihm, wer war die junge Frau, gab es da einen Zusammenhang? Er liebte sie, aber so langsam wünschte er sich, dass es anders wäre. Am dritten Tag kam die junge Frau wieder. Er war grade in der Halle, als die Tore aufschwangen. Die Limousine rollte schnurrend herein. Der Motor wurde abgestellt und die junge Frau stieg aus. Er hatte grade noch Zeit, sich im Schatten zu verbergen. Sie summte leise vor sich hin, während sie auf den kleinen Raum zuging. Ihm stockte der Atem, es war ihre Stimme, er würde sie unter Millionen raus hören. Sie betrat den Raum und kurz darauf hörte er es rascheln, dann klappte eine Schranktür und dann raschelte es wieder. Dann trat Liz hinaus. Er erkannte ihre Art zu gehen, ihre lockigen Haare, die auf ihren Schultern wippten. Sie verließ das Lagerhaus durch die kleine Tür, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Als die Tür hinter ihr zuschlug, fuhr seine Hand an seine Kehle, diese fühlte sich an, als wäre sie völlig ausgedörrt. Was, und verdammt noch mal wer, war Liz wirklich?

Er nahm sich vor, sie zur Rede zu stellen. Nachdem sein Atem sich beruhigt hatte, verließ auch er das Lagerhaus.

Als er zu Hause ankam, hatte er sich einen ganzen Katalog an Fragen zurechtgelegt. Er schloss seine Wohnungstüre auf und bemerkte den Zettel auf dem Boden erst, als er sie hinter sich schloss. Mit bebenden Fingern hob Marius ihn auf und faltete ihn auseinander. Da stand in ihrer Handschrift: Hey heute Abend Essen bei mir? Natürlich nur, wenn du nichts weiter vorhast. Um acht bei mir? Ich freue mich! Natürlich hatte er was vor, aber das betraf sie ja auch. Er betrat seine Küche und goss sich ein Glas Single Malt ein. Er kippte ihn in einem Zug weg. Normalerweise ließ er sich mehr Zeit, denn der Whisky war zu gut, um ihn einfach so herunterzustürzen. Aber heute achtete er nicht auf den samtigen Rauchgeschmack. Seine Nerven lagen blank und seine Gedanken drehten sich im Kreis. Danach ging er duschen und zog sich an. Er blickte auf die Uhr kurz vor acht. Er verließ seine Wohnung und ging ein Stockwerk höher. Er klingelte und Liz öffnete mit einem Lächeln die Tür. »Schön, dass du es einrichten konntest. Wenn nicht, hätte ich den Rest eingefroren.« Sie ließ ihn in die Wohnung und der Geruch nach gebratenem Fleisch stieg ihm in die Nase. »Hmm, riecht gut, was gibt es denn?« »Steak, so wie du es magst blutig!« Lächelnd sah Liz ihn an. Blutig war etwas, dass er aus ihrem Mund so gar nicht hören wollte. Nicht nach den letzten Ereignissen. »Geh doch schon mal ins Wohnzimmer, ich bring dann alles mit. Rot oder weiß?« Ihre Frage riss ihn aus seinen Gedanken. »Hmm wie bitte?« »Na der Wein, rot oder weiß?« Leicht lächelnd schüttelte sie den Kopf und ein Schwall ihres Parfums strömte in seine Nase. Begehren machte sich in ihm breit und innerlich verfluchte er es. »Weiß.« Bloß keinen Rotwein, der wie Blut im Glas schimmerte, dachte er. Blutig hatte er im Moment genug. Das Essen verlief eigentlich so wie immer. Nur dass er nach einem Ansatz suchte, seine Fragen los zu werden. Doch er fand keinen, bemühte sich ungezwungen wie immer zu sein. Nachdem sie gegessen hatten, half Marius ihr dann, den Tisch abzuräumen und alles in der Spülmaschine zu verstauen. Dabei berührten sich ihre Hände und alle Fragen waren weggewischt. Ach verdammt, dachte er. Er zog sie in seine Arme, küsste sie, suchte nach einem Geschmack, der fremd war, doch da war nichts. Alles wie immer. Warm und weich schmiegte ihr Körper sich an ihn und warf die letzten seiner Zweifel über Bord. Spät in der Nacht, verließ er ihre Wohnung. Liz schlief tief und fest. Nichts ließ ahnen, welches Wesen dort schlummerte. Er hatte die ganze Zeit dagelegen und sie beobachtet, suchte nach einem Zeichen oder irgendwas, das der jungen Frau aus dem Lagerhaus glich. Doch er fand nichts. Liz lag da wie immer, zusammengerollt mit einem friedlichen Gesichtsausdruck. In seiner Wohnung schalt er sich einen Narren, warum hatte er nicht gefragt? Aber die größte Frage blieb offen, was würde sie auf direkte Fragen machen? Würde sie ihn umbringen? Oder würde sie ihn weiter anlügen? Er beschloss, alles über ihr Doppelleben herauszufinden. in seine Recherchen im Internet erfuhr er einiges über Vampire. Früher hätte er lachend abgewunken, doch nun nahm er es ernst, bitterernst. Immer wenn sie fortfuhr, folgte er ihr zu dem Lagerhaus. Einiges was er herausfand entsprang den Ängsten der Menschen und war reiner Aberglaube. Vampire starben nicht im Wasser oder im Sonnenlicht. Auch Weihwasser oder Kreuze konnten ihnen nicht schaden. Sehr wohl aber Silber. Er erfuhr, dass man sie mit Silbersalzen töten konnte. Es vergiftete sie. Es dauerte ein wenig, bis es wirkte, jedoch war es absolut tödlich. Oder Silbermesser, die man ihnen in ihre Herzen stoßen musste. Noch immer verheimlichte Liz ihm, was und wer sie war. Das machte ihn wütend und traurig. Ihre Art ihm gegenüber war wie immer zurückhaltend und schließlich platzte ihm der Kragen. Sie liebte ihn nicht, nicht so wie er sie. Als sie wieder mal von einem ihrer Ausflüge wiederkam, fuhr er am nächsten Tag zum Lagerhaus. In mehreren Apotheken hatte er sich Silbersalz besorgt, genug um alle Blutkonserven in der Truhe zu verunreinigen. Er injizierte es in jede Konserve mit einer Einwegspritze. Als er fertig war, fuhr er nach Hause. Gerade noch rechtzeitig hatte er das Lagerhaus verlassen. Denn als er aus dem Seitenfenster kletterte, öffnete Liz die Tür. Unterwegs entsorgte er die Spritze und die Behälter. Voller Wut hatte Marius ihren Tod beschlossen, doch als er das Haus betrat, war diese Wut auf einen Schlag weg und machte Verzweiflung Platz. Erst da wurde ihm bewusst, dass er sie nie wieder spüren würde, nie wieder ihr Lachen hören konnte, ihren Duft einatmen. Nie wieder ihre Haut an seiner spüren würde. Er sackte auf die Knie, was hatte er getan, sie hatte ihm nie etwas getan, sie war immer so behutsam in seiner Nähe. So vorsichtig, als ob sie etwas zerstören würde. Entsetzt begriff er, was er verloren hatte. Es verging eine Woche, eine Woche, in der er nicht ihre Schritte im Treppenhaus vernahm. Kein Zettel unter seiner Tür durch geschoben wurde. Nichts, er fühlte sich leer. Dann eines Abends, er hatte gerade sein drittes Glas Malt runter gespült klingelte es. Hoffnungsvoll sah er auf. War sie es? Konnte das sein. Hoffnung glomm in seinem Inneren auf. Er öffnete seine Wohnungstür und der Funken Hoffnung erstarb. Vor ihm stand ein hochgewachsener junger Mann, der ihre Augen hatte. »Ja bitte?« Verunsichert blickte Marius ihn an. »Guten Tag, ich bin Dominik, Liz´ Bruder. Sie hat ihnen einen Brief hinterlassen. Leider muss ich ihnen mitteilen, dass sie plötzlich verstorben ist.«

Mit einer Handbewegung gab Marius Dominik zu verstehen, dass er eintreten konnte. Drinnen überreichte ihm Liz´ Bruder einen Umschlag mit der allzu vertrauten Handschrift.

Gedankenverloren drehte er ihn in seiner Hand.

»Wollen wir nicht in mein Wohnzimmer gehen?« Fragte Marius gedankenverloren.

Ohne die Antwort von Dominik abzuwarten, ging er vor. Er setzte sich auf sein Sofa und riss den Brief auf. Dominik ließ sich in dem Sessel gegenüber nieder.

Er faltete das Stück Papier auseinander und begann zu lesen.

Lieber Marius, Wenn du das hier liest, bin ich tot. Aber ich will, dass du eins weißt. Ich bin nicht das, wofür du mich hältst. Ich konnte dir nie die Wahrheit über mich erzählen, da es dich in Gefahr gebracht hätte. Ich hatte auch Angst, dass du von mir angewidert sein würdest. Denn so als Vampir hat man Ernährungsgewohnheiten, die ein Mensch nicht unbedingt appetitlich findet. Ja auch wenn es für dich absonderlich und unglaubwürdig klingt, ich bin ein Vampir. Ich starb mit zwanzig Jahren, vor fast achthundert Jahren, genaugenommen im Jahre 1255. Aber das ist nun nicht mehr wichtig, wichtiger ist, dass du erfährst, dass ich dich über alles geliebt habe. Ich hatte nie vor, dir das zu sagen, da ich weiß, dass du mich nie liebtest. Dennoch bin ich dir dankbar, für all die schönen Abende und Stunden. Vergiss mich bitte und lebe dein Leben. Aber ich bin mit dieser unsagbaren Liebe im Herzen gestorben. Ohne diese Liebe wäre ich nie vollkommen gewesen. Danke dafür in Liebe Liz Er ließ das Blatt sinken. Seine Augen brannten, was hatte er getan? Er wusste nicht, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Doch plötzlich stand Dominik vor ihm Und Marius blickte auf und realisierte, dass Dominik wusste, was er getan hatte. Dass er Liz umgebracht hatte. Als Dominiks Hände auf seinen Hals zerschossen, wehrte er sich nicht. Der letzte Gedanke als Dominik sein Genick brach war, das Liz nie erfahren hatte, das er sie genauso geliebt hatte, wie sie ihn und das er sie so angenommen hätte, wie sie war.


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